Russische Literatur

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Pierer 1862

[475] Russische Literatur. Die Geschichte der R-n L. zerfällt in zwei Hauptperioden; die erste reicht von der Erfindung des Cyrillischen Alphabets bis zur Einführung des sogen. Civillypus; die zweite Periode beginnt mit Peter dem Großen u. reicht bis auf unsere Zeiten.

I. In der ersten Hauptperiode, in welcher es noch keine eigentliche Nationalliteratur gibt, lassen sich wieder drei Zeiträume abgrenzen, der erste derselben reicht bis zur Einführung des Christenthums in Rußland, der zweite bis zur Vertreibung der Tataren, der dritte bis zur Thronbesteigung Peters des Großen.

A) Den Beginn der R-n L. bezeichnet in politischer Hinsicht die Gründung des Russischen Reiches durch die normannischen Warägerfürsten Rurik, Sinens u. Truwor. Durch die Einwanderung der Waräger wurde die eigentliche Bildung der Slawen von Nowgorod u. Kiew nur wenig gefördert, da diese Waräger selbst in Bezug auf Bildung u. Gesittung nicht viel höher standen; erst der Verkehr mit Byzanz u. bes. die Einführung des Christenthums in Rußland gegen das Ende des 10. Jahrh. öffneten der Wissenschaft u. Kunst den Weg. Unter Wladimir I. (981–1015) wurden Schulen errichtet, zogen byzantinische Gelehrte in Rußland ein, kamen aus Griechenland die Künste der Architektur, Sculptur u. Malerei. Die Beschaffenheit der damaligen Russischen Sprache ist uns völlig unbekannt; der Einfluß der Waräger auf dieselbe war unbeträchtlich u. läßt sich nur noch in einzelnen Wörtern normannischen Ursprunges nachweisen. Einen weit größeren Einfluß auf die Gestaltung der Russischen Sprache übten die von Cyrill u. Method im 9. Jahrh. in kirchenslawischer Sprache verfaßten liturgischen Bücher; es wurden, in Rußland zwei Sprachen einheimisch, die kirchenslawische, welche lange Zeit hindurch ausschließend die Schrift- od. Literalsprache der Russen blieb u. einmal durch die Bibel u. Kirchenbücher fixirt, nur wenigen Veränderungen unterworfen wurde; u. die russische Volkssprache, welche im Laufe der Zeit mancherlei Umbildungen u. Veränderungen, theilweise auch den Einfluß der Kirchensprache erfuhr. Ein eigentliches Denkmal der russischen Volkssprache aus dieser Zeit ist nicht auf die Nachwelt gekommen; einige alte Volkslieder, welche Reste des Heidenthums bewahren, können wohl ihren Ursprung in diesem Zeitraum haben, sie sind aber durch mündliche Fortpflanzung vielfach geändert auf uns gekommen. Auch die kirchenslawische Literatur blieb in der Hauptsache auf die Übersetzung der Bibel u. die Kirchenbücher beschränkt. Die außerdem auf uns gekommenen Tractate der Fürsten Oleg u. Igor mit den Griechen (von 912 u. 945) u. die Rede Swätoslaws (965–970) an seine Kampfgenossen gehören zwar dieser Periode an, doch scheint es, daß erstere von Nestor erst aus dem Griechischen in das Slawische übersetzt wurden u. daß in der letzteren nicht die eigentlichen Worte des Helden wiedergegeben worden seien.

B) Von der Einführung des Christenthums bis zur Besiegung der Tataren (989–1462). Jaroslaw (1018–54), welcher die Religion u. Bildung liebte, berief viele Griechen aus Constantinopel nach Rußland, ließ die Übersetzung kirchlicher Bücher fortsetzen u. schickte Geistliche zur Belehrung des Volkes in alle Theile des Reiches. Das wichtigste Denkmal seiner Zeit ist die Prawda ruskaja, d.i. russisches Recht (1737 von Tarischtschew aufgefunden, herausgeg. von Schlözer, Petersb. 1767, u. von Rakowiecki, Warschau 1820–22, 2 Bde.). Überhaupt stand Rußland in dieser Zeit auf einer ziemlich hohen Stufe der Cultur; die Geistlichkeit zeichnete sich durch Liebe zur Wissenschaft u. durch [475] Gelehrsamkeit aus, die Mönche pflegten Wissenschaften u. Künste; aus den Klöstern gingen Schriftkundige (Diak) hervor, welche verschiedene weltliche Ämter bekleideten. Unter den Nachfolgern Jaroslaws zeichneten sich durch Liebe zu den Wissenschaften aus Wladimir II. Monomach (1114–25) u. Constantin (1217–18), der Erstere nimmt eine namhafte Stelle unter Rußlands frühesten Schriftstellern ein. Dieses auskeimende Culturleben wurde durch die Einfälle u. die Herrschaft der Tataren vernichtet. Im Laufe des 13. u. 14. Jahrh. gab es in ganz Rußland keine öffentliche Schule, u. nur bei der russischen Geistlichkeit, welche von der Politik der Tataren geschont wurde, fanden die Wissenschaften eine Zuflucht; die Verbindung mit Byzanz dauerte fort u. von dort wurden Bücher nach Rußland gebracht. In Moskau wurde die Metropolitan späterhin Patriarchalbibliothek errichtet. Die Büchersprache blieb während dieses Zeitraumes noch immer die Kirchenslawische, nur daß deren älterer Styl sich im 14. Jahrh. zum mittleren umwandelte, welcher dann bis in das 17. Jahrh. Geltung behielt. Die eigentliche Literatur gewann einen größeren Spielraum; neue theologische Schriften, Jahrbücher u. Dichtungen kommen zum Vorschein, auch wurden mehre historische u. moralische Erzählungen aus dem Griechischen übersetzt, wie von der Tapferkeit Alexanders des Großen aus Arrian, von den Helden des Alterthums, von den Gottheiten Indiens etc. Den Mittelpunkt des Sagenkreises, welchen die Volkslieder dieser Zeit angehören, bildet der Fürst Wladimir mit seinen Rittern, ähnlich dem fränkischen Karl u. englischen Artus. Der Inhalt der Heldensage ist folgender: Tugarin fordert Rache von Wladimir, weil dieser seine Tochter ohne Erlaubniß geheirathet; Tugarin wird von Rogdai (welcher ungeboren u. seiner Mutter aus dem Leibe geschnitten ist) getödtet. Der zweite Held ist Ilga, welcher den Räuber Nachtigall erlegte, der die Wege unsicher machte; Tschurilo, eines Sattlers Sohn, ist der Drachenbekämpfer; Dobrina wird von der Zauberin Marina in einen Stier verwandelt u. kann nicht eher erlöst werden, als bis sie Christin geworden ist. Unter die den Helden (Bogatyren) feindlichen Wesen gehört Kaschtschei, ein mißgestalteter, wunderlicher u. starker Zauberer; er entführt die schöne Milolika u. hält dieselbe auf seiner Burg gefangen; sie wird erlöst von Tschurilo, durch Unterstützung der Hexe Jaga Baba; da Kaschtschei den Tschurilo verfolgte, wurde ein Hügel auf ihn gestürzt, u. seitdem wandelt nur sein Geist umher. Ernsteren Inhaltes ist das Lied der Heldensage, in welchem die Liebe Wladimirs u. seines Sohnes Mstislaw zur Swetlana dargestellt wird, welche endlich der Sohn noch heirathet; u. seine Verhältnisse zur Rogneda, welche er bald nach der Vermählung verstieß u. nachher in Gefahr kam, von ihr ermordet zu werden; Isäslaw, Rognedas u. Wladimirs Sohn, rettete die Mutter vor dem Zorn des darüber entrüsteten Vaters. Außerdem werden in den russischen Volksliedern die Helden Filipat u. Tschinagrip genannt, die Entführung der Stratigowna u. die Hochzeit der Dowginiwa erwähnt. Das deutsche Gedicht: Fürst Wladimir u. seine Tafelrunde, Lpz. 1819, ist eine Nachbildung der Wladimirssage, entstanden aus Rumänzows Sammlung altrussischer Lieder. Eine gleiche Sammlung veranstaltete Fürst Certeleff, Petersb. 1822, 2 Bde., u. viele der neueren nationalen Lieder, welche Liebe u. Krieg, Fest u. Spiel besingen, u. von denen viele den gefeiertsten Dichtern Rußlands angehören, finden sich in Ostolopows Wörterbuch der alten u. neuen Dichtkunst, Petersb. 1811. Am berühmtesten unter diesen Dichtungen ist Igors Zug gegen die Polowzer u. Rede an Igors Heer, aus dem 12. Jahrh. (1796 von dem Grafen Mussin-Puschkin aufgefunden u., Moskau 1800 u.ö. herausgegeben; mit deutscher Übersetzung von Hanka, Prag 1821, u. von Bolz, Berl. 1854). Diese russischen Volkslieder sprechen echt national Freude u. Kummer, jugendliche Keckheit u. jungfräuliche Munterkeit aus; in ihnen zeigt sich schon im Reime die bewunderungswürdige Bieg- u. Bildsamkeit, welche die russische Volkssprache auszeichnet. Die Prosadenkmäler aus diesem Zeitraum sind sämmtlich in kirchenslawischer Sprache geschrieben. Die bedeutendsten unter denselben sind die chronistischen Werke, unter denen Nestor (s.d.), der Vater der russischen Geschichte, obenan steht. Nestors Chronik ist für die gesammte Geschichte des Mittelalters überaus wichtig u. bildet die Grundlage der slawischen Geschichte; er erzählte theils nach der Tradition, theils was er selbst erlebt hatte. Verfasser anderer Specialchroniken bis 1630 herab nahmen in denselben in der Regel erst Nestors Annalen auf u. reihten daran die Geschichte ihrer Zeit. Unter Iwan Wassiljewitsch wurden die Chronographen sehr beengt u. unter Alexei Michailowitsch im 17. Jahrh. verstummten sie ganz. An sie reihen sich die Stufenbücher, d.i. Auszüge aus Jahrbüchern, geordnet nach den Stufen, d.i. Verwandtschaftsgraden der Fürsten, welche jedoch schon meist der späteren Zeit angehören, sowie eine Menge andere Geschichtsbücher, welche aus griechischen Büchern übersetzt sind u. in denen nur die Angaben über russische Geschichte den Verfassern eigenthümlich angehören. Bücher dieser Art werden bes. seit dem 17. Jahrh. reichhaltig u. wichtig. Nächst Nestor sind als Hauptwerke zu nennen: die Jahrbücher Simons des Heiligen, Bischofs von Susdal (gest. 1226), das Stufenbuch des Metropoliten Cyprian (gest. 1406) u. die Sophienchronik (von 862–1534), herausgeg. von Strojew, Moskau 1820–22, 2 Bde. Andere Schriftsteller dieses Zeitraumes sind: Lukas Zirjata, Bischof von Nowgorod (gest. 1059), Nikiphor, Metropolit von Rußland (gest. 1121), der Großfürst Wladimir Monomach (gest. 1125), Cyrill, Metropolit von Kiew (gest. 1281), u. Photius, ebenfalls Metropolit von Kiew (gest. 1431), zeichneten sich als Kanzelredner aus; Sylvester, Bischof von Perejaslawl (gest. 1124), Niphont, Johann, Priester von Nowgorod, Timothej u. m. a. werden als Fortsetzer der russischen Jahrbücher genannt, welche bis Alexei Michailowitsch (1645–76) ununterbrochen fortlaufen u. als Quellen der slawisch-russischen Geschichte das schätzbarste Vermächtniß jener Zeit sind.

C) Die dritte Stufe in der Geschichte der Entwickelung der älteren literarischen Cultur in Rußland reicht von der Vertreibung der Mongolen u. Tataren bis zur Alleinherrschaft Peters des Großen (1462–1689). Die R. L. nahm einen neuen Aufschwung, wenn die Fortschritte auch nur langsam erfolgten. Gelehrte u. Künstler kamen aus Griechenland u. aus Italien nach Rußland u. weckten unter den Eingeborenen die Sehnsucht nach gleicher Ausbildung; unter Iwan IV. Wasiljewitsch (1533–1584) kamen englische u. deutsche [476] Ärzte u. Apotheker, auch begann dieser Czar in den Städten Schulen für die Jugend aller Stände zu errichten. Die erste Buchdruckerei trat 1564 zu Moskau in Wirksamkeit. Czar Boris (1598–1605) ließ adelige Jünglinge im Auslande studiren, pflegte selbst die Mathematik u. ließ seinem Sohne eine gute Erziehung geben. Zu einer gewissen Bedeutsamkeit gelangten jedoch diese Bestrebungen erst, nachdem durch Michael Romanow (1613–45) das politische Dasein des Staates begründet war u. nun die Städte u. der Handel zu erblühen anfingen. Im Jahr 1643 wurde in Moskau eine griechisch-lateinisch-slawische Lehranstalt errichtet; unter Alexei Michailowitsch (1645–76) wurden zahlreiche deutsche Offiziere, Künstler u. Handwerker nach Rußland berufen, viele ausländische Bücher in das Russische übersetzt u. eine Sammlung russischer Landesgesetze, Uloschenie(Mosk. 1649), veranstaltet. Überhaupt waren dieser Czar u. sein Nachfolger Fedor III. (1676–82) würdige Vorgänger Peters des Großen, welche die Materialien vorbereiteten, aus denen der Letztere den Bau seines großen Werkes vollendete. Wissenschaften u. Künste schlugen bes. nach Einverleibung von Kleinrußland u. der Kiewer theologischen Akademie (gestiftet 1588) immer tiefere u. festere Wurzeln im Lande; die Buchdruckereien in Moskau, Kiew, Tschernigow, Nowgorod u. einigen Klöstern suchten gleichen Schritt mit denen im Auslande zu halten. Seit Ende des 16. Jahrh. bis zu Anfang des 18. Jahrh. machte sich aber in Folge des Verkehres mit Polen u. der Herrschaft der Letztern im südlichen Rußland das Polnische in der R-n L. immer geltender. Viele unter den geistlichen Schriftstellern bedienten sich ausschließlich der Polnischen Sprache, doch wurde in Moskau fortwährend die Landesmundart in allen schriftlichen Verhandlungen u. Urkunden gebraucht. Es gab daher in dem Jahrhundert vor Peter dem Großen gewissermaßen drei Schriftsprachen in Rußland: die Altslawische Kirchensprache in den liturgischen Büchern u. allen theologischen Schriften; die eigentlich Russische im Munde des Volkes u. den Titelschriften; die Weißrussische in den Werken russischer Schriftsteller in den polnischrussischen Provinzen. Erst in den letzten Decennien des 17. Jahrh. fing die Russische Sprache allmälig an die Fesseln der Polnischen abzuwerfen u. sich selbständig zu gestalten. Zu Ende des 16. u. im Anfange des 17. Jahrh. war die Literatur beinahe ganz in den Händen der Geistlichkeit, im Laufe des 17. kommen neben den theologischen auch schon historische u. poetische Werke von Nichtgeistlichen zum Vorschein. In der Poesie fand die quantitirende Versmessung keinen Beifall, um so mehr die blos reimende polnische; in den Volksliedern jedoch erhielt sich das hergebrachte einheimische u. originelle Versmaß. Im Anfange des 17. Jahrh. zeigen sich die ersten Spuren der dramatischen Kunst; theatralische Vorstellungen kamen aus Polen nach Kiew, wo geistliche Dramen von Studenten aufgeführt wurden; in Moskau wurde erst 1626 auf Verwendung des A. Sergiejewitsch Matwiejew der Anfang mit der Schauspielkunst gemacht; unter Fedor III. wurde das erste weltliche Drama, Molières Arzt wider Willen, in russischer Übersetzung, auf dem Privathoftheater gegeben. Als namhafte Schriftsteller dieser Periode sind zu nennen: Makarius, Metropolit von Moskau (gest. 1564), verfaßte Lebensbeschreibungen der Heiligen (Tschetiiminei), schrieb Reden u. besorgte die Abfassung u. Ergänzung der Stufenbücher; Laur. Zizania, Erzpriester zu Korec in Lithauen, gab u.a. eine slawische Grammatik (Wilna 1596) heraus; der erwähnte Matwiejew (1625–82), Minister des Czars Alexei Michailowitsch, welcher sich um russische Bildung u. Sprache sehr verdient machte u. mehre geschichtliche u. heraldische Werke verfaßte; Lazar Baranowitsch, Erzpriester von Tschernigow u. Nowgorod (gest. 1693), ausgezeichnet durch Vertheidigung der Russischen Kirche gegen deren Gegner; Peter Mogila, Metropolit von Kiew (gest. 1647), welchem die Akademie in Kiew ihre neue Einrichtung verdankt u. welcher u.a. auch verschiedene Gedichte im sylbenzählenden Versmaß verfaßte. Sonst sind als hervorragende Beförderer der Literatur zu nennen: Nikon, Patriarch von Rußland (gest. 1681), welcher u.a. eine Sammlung der russischen Jahr- u. Stufenbücher, sowie der griechischen Chronographen bis 1620, veranstaltete (Nikonow spisok, Petersb. 1767–92, 8 Bde.), u. der Fürst Konstantin von Ostrog, Wojewode von Kiew u. Marschall von Volhynien, zu seiner Zeit der größte Beförderer der literarischen Cultur im westlichen Slawenlande, welcher u.a. in Ostrog eine cyrillische Buchdruckerei errichtete, in welcher 1581 zuerst die ganze Bibel in Altslawischer Sprache gedruckt wurde.

II. In der zweiten Hauptperiode der Geschichte der R-n L., welche von dem Regierungsantritt Peters des Großen bis auf die neueste Zeit reicht, lassen sich ebenfalls drei Stufen der Entwickelung, wahrnehmen, welche durch die Bestrebungen Lomonossows unter der Kaiserin Elisabeth, sowie die Karamsins im Zeitalter Alexanders I. abgegrenzt werden.

A) Peter der Große ist der Schöpfer der gegenwärtigen russischen Nationalbildung; von ihm datirt erst eine selbständige R. L. in Russischer Sprache, insofern die vorausgegangenen literarischen Leistungen, mit Ausnahme der Volkspoesie, mehr der Slawischen Literatur überhaupt angehören. Da jedoch der Czar eine R. L. so schnell als möglich eingeführt wissen wollte u. die vorhandenen Keime zu einer nationalen Literatur gänzlich unbeachtet ließ, so konnte die neu erstehende R.L. sich nicht so bald zu einer wirklich nationalen entwickeln, dieselbe wurde vielmehr nach den Literaturen der Länder, welche der Czar selbst gesehen u. kennen gelernt hatte, bes. nach der deutschen, französischen u. holländischen, sogleich gemacht. Peter erhob nicht nur das Russische zur allgemeinen Geschäfts- u. Schriftsprache, sondern ließ aus den genannten Sprachen auch viele Schriften in dasselbe übersetzen. Indem man hierbei jedoch nur den Zweck vor Augen hatte, das russische Volk mit europäischen Sitten, Künsten, Gewerben u. Kenntnissen bekannt zu machen u. deshalb mehr auf den Inhalt der Bücher, weniger auf die Gestalt, die Worte u. den Styl sah, so geschah es, daß die Russische Sprache, welche acht Jahrhunderte neben dem Kirchenslawischen herangewachsen war, mit ihrer Emancipation auch viele, zum Theil nicht vortheilhafte Veränderungen erfuhr. Die neu entstandene Schriftsprache bildete bald ein buntes Gemisch von Altslawischem, Gemeinrussischem u. Ausländischem: viele ausländische Wörter u. Redensarten, vorzüglich behufs der nautischen u. militärischen Wissenschaften, wurden aus dem Holländischen u. Englischen in das Russische aufgenommen. Zwischen den Verfechtern der altslawischen u. gemeinrussischen Sprache entstand überdies[477] ein Streit; außer Kantemir u. einigen Kanzelrednern schuf sich keiner der Schriftsteller dieser Zeit eine eigenthümliche, echtrussische Sprache für ihre Erzeugnisse. Von einer russischen Grammatik war noch keine Rede; die Orthographie blieb fortwährend schwankend, wie die Schreibart selbst; die Poesie wurde von den sylbenzählenden Reimen beherrscht. Peter der Große hatte mit seinen literarischen Bestrebungen nur die Bildung seines Volkes u. die Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse vor Augen; zum Behuf des Unterrichts der Jugend aller Stände ließ er verschiedene Lehranstalten errichten, legte durch Ankäufe in Holland den Grund zum Petersburger Museum, errichtete nach einem von Leibnitz entworfenen Plane die Akademie der Wissenschaften, welche jedoch erst von Katharina I. 1725 eröffnet werden konnte, u. fügte derselben eine der Bildung künftiger Lehrer gewidmete Anstalt bei, welche bis 1762 Universität hieß. Um 1704 entwarf er die Grundzüge der gegenwärtigen russischen Druckschrift, indem er den schwerfälligen cyrillischen Buchstaben mehr Rundung gab, u. nach seinen Angaben wurden zu Amsterdam, wo schon vorher seit 1699 der von Peter privilegirte Buchdrucker Tessing russische Bücher druckte, die russischen Lettern gegossen, mit welchen man 1705 in der geistlichen Druckerei zu Moskau die ersten russischen Zeitungen druckte. 1711 wurde in Petersburg die Ukasendruckerei eingerichtet u. hier 1713 das erste Buch, 1714 die erste Zeitung gedruckt. Peter bereitete somit wohl den Boden für eine russische Nationalliteratur, aber er selbst sah sie nicht; die Schriftsteller seiner Periode, Zöglinge des vorigen Jahrhunderts, tragen alle Zeichen der Zeit, welcher sie angehören. Ein russisches Theater gab es unter Peter noch nicht; das Aufführen geistlicher Dramen wurde in den Seminarien fortgesetzt; 1730 wurde bei Hofe ein italienisches u. 1738 ein deutsches Theater eröffnet. Unter den Dichtern dieser Periode ist der bedeutendste Fürst Kantemir (1708–44), der Begründer der weltlichen russischen Poesie u. durch seine Satyren ausgezeichnet; neben ihm sind noch Semen Klimowsky, ein Kosack (um 1724), u. Cyrill Danilow, ebenfalls ein Kosack aus Kiew, als Dichter leichter Lieder, Letzter auch als Sammler von russischen Gesängen aller Art zu nennen. Trediakowsky (1703–1769) hat sich weniger durch seine eigenen geschmacklosen Poesien, als vielmehr durch seine Beleuchtungen der Natur der russischen Verskunst u. seine Versuche antike Versmaße einzuführen in der Geschichte der R. L. eine Stelle gesichert. Unter den übrigen Schriftstellern dieses Zeitraums sind auszuzeichnen: Demetrius, Metropolit von Rostow (1651–1709), welcher Lebensbeschreibungen der Heiligen u. geistliche Schauspiele verfaßte; Steph. Jaworsky, Metropolit von Riäsan (1658–1722), welcher als Kanzelredner Vorzügliches leistete; Theophan Prokopowitsch, Erzbischof von Nowgorod (1681–1736), Peters des Großen treuer Gehülfe bei der Begründung der russischen Nationalcultur, welcher zahlreiche historische u. theologische Schriften hinterließ; der Mönch Nicodem Sselly (gest. 1746), welcher viel für russische Geschichte sammelte, Basil. Nitilitsch Tatischtschew (1686–1750), welcher Istorija rossijskaja (1769–84, 4 Bde.), u. Steph. Petrowitsch Krascheninnikow (gest. 1755 als Professor der Botanik in Petersburg), welcher u.a. Kamtschatka beschrieb (1755, 2 Bde.).

B) Hatte nun auch Peter der Große auf diese Weise eine Literatur in Russischer Sprache hervorgerufen, so war doch zugleich auch ein Zwiespalt zwischen dem Fremdländischen u. dem Nationalen in dieselbe gekommen, u. es währte noch geraume Zeit, ehe diese verschiedenen Elemente sich zu einem organischen Ganzen gestalteten. Der Anfang hierzu wurde in der Regierungszeit der Elisabeth u. Katharina II. gemacht (1741–96). Elisabeth liebte Wissenschaft u. Kunst u. betrachtete dieselben als eine besondere Zierde ihres mit Pracht u. Glanz umgebenen Hofes; sie vermehrte daher 1747 die Einkünfte der Akademie der Wissenschaften, stiftete 1752 das Seecadettencorps, 1755 die Moskauer Universität u. legte 1758 zur Petersburger Akademie der Künste den Grund. Ihre Bestrebungen fanden an dem Fürsten Schuwalow die thätigste Unterstützung. Katharina, die Pläne Peters des Großen in ihrem ganzen Umfange bewußtvoll auffassend, wirkte zunächst von ihrem Umgebungskreise aus auf Achtung des Schönen u. Nützlichen hin, sie selbst liebte die Wissenschaften an sich u. als Mittel der Veredelung der Sitten u. somit der Wohlfahrt ihres Volkes. Das Bestreben von Ausländern zu lernen u. Westeuropa mit angestrengter Thätigkeit nachzueifern beseelte durch sie den edleren Theil der Nation. Schriftsteller wurden unterstützt, Bildungsanstalten aller Art u. Volksschulen durch das ganze Reich errichtet, so wurde 1762 das Ingenieur- u. Artilleriecadettencorps, 1764 das Erziehungshaus in Moskau u. 1770 das in Petersburg, 1764 die Gesellschaft für Erziehung adeliger u. bürgerlicher Mädchen begründet, 1764 die Akademie der Künste erweitert, 1772 das Bergwerksinstitut errichtet. Während 1783 die kaiserlich russische Akademie zur Vervollkommnung der Sprache u. Geschichte, 1765 die Ökonomische Societät, die Chirurgische Lehranstalt gestiftet wurden, mußten Mitglieder der Petersburger Akademie, wie Pallas, Falk, Georgi, Güldenstädt, Rytschkow, Rumowsky, Gmelin, Lepechin, Kraft, Hermann u. A. wissenschaftliche Reisen in verschiedene Gegenden des Reiches unternehmen u. die Berichte über dieselben herausgeben. 1783 wurde die Errichtung von Buchdruckereien freigegeben. Unter der Regierung Pauls I. (1796–1801) kam noch die Errichtung der Universität Dorpat zu Stande. Das ausländische Element hatte indessen bei dem Adel u. dem Beamtenstande einen so ausgedehnten Einfluß gewonnen, daß der letztere Czar eine Landessperre gebot. In der Literatur blieb in diesem Zeitraume die von Lomonossow (s.d.) eingeschlagene Richtung herrschend, welcher am Anfang desselben der Russischen Sprache u. Schreibart eine neue Gestaltung verlieh. Er zog zuerst zwischen dem Altslawischen u. dem Russischen eine genaue Grenze u. führte Letzteres, das Übergewicht des Großrussischen befestigend, in feste Grenzen zurück; er schrieb zuerst eine reine echte russische Prosa, gab der lyrischen Dichtung ein eigenthümliches Versmaß u. entwarf die Regeln der russischen Grammatik. Die Poesie, die Beredtsamkeit, die Geschichte u. die Naturwissenschaften haben ihm gleichviel zu danken. Obgleich Trediakowskys schwerfällige Schreibart, sowie Theophans u. Gabriels unreine Sprache noch lange die russische Prosa trübten, so traten doch schon im Zeitalter Katharinas die meisten Schriftsteller allmälig in die Fußtapfen Lomonossows u. richteten sich mehr od. minder nach den von ihm gegebenen Regeln u. [478] Mustern. Die Sprache der lyrischen Poesie erhielt durch Derschawin neues Leben; der diplomatische Geschäftsstyl wurde durch Teplow, Bezborodko, Zawadowsky u. Chaprowicky vortheilhaft ausgebildet; Bogdanowitsch u. Chemnicer übertrafen durch Leichtigkeit u. Einfachheit der Schreibart ihre Zeitgenossen. Mit Elisabeth fängt die R. L., welche bis dahin gewissermaßen nur in Bruchstücken vorhanden war, an sich zu einem selbständigen, geschlossenen Ganzen zu gestalten; 1755 begann Müller ein Russisches Literaturblatt herauszugeben, welches fast alle damaligen russischen Dichter zu Mitarbeitern hatte, u. fand bald andere als Nachfolger. Die Akademie, welche ein Wörterbuch u. eine Grammatik der Russischen Sprache lieferte, zählte ausgezeichnete Literatoren unter ihren Mitgliedern. Ein russisches Theater kam auf, zuerst durch Theodor Wolkow in Jaroslawl 1746, welcher dann nach Petersburg, wo schon früher Sumarokows Trauerspiele von Dilettanten gegeben worden waren, übersiedelte, die Bühne besser organisirte u. durch einen Ukas von 1754 Bestätigung erhielt; 1759 erfolgte die Errichtung des Moskauer russischen Theaters u. unter Katharina wurde das russische Theater aus einem Hoftheater zu einem wahren Nationaltheater. Unter den dramatischen Dichtern dieser Zeit ist zuerst Alex. Petrowitsch Sumarokow (st. 1777) zu nennen, welcher, in der Richtung Lomonossows fortschreitend, zuerst ein regelmäßiges russisches Trauerspiel (sein bestes Werk ist der falsche Dimitri) lieferte. 1764 ließ er seine erste Oper zur Aufführung bringen. Nächst ihm behauptet Jak. Borisowitsch Kniaschuin (1742–1791) die höchste Stelle; von seinen Stücken sind namentlich einige Lustspiele sehr beliebt u. haben sich bis heutigen Tages auf der Bühne erhalten. Auch einige Lustspiele (wie namentlich das Muttersöhnchen, 1782) von Denis Iwanowitsch van Wizin (1745–92), dem ersten Prosaiker seiner Zeit, werden noch jetzt mit Beifall gegeben. Als Tragödiendichter waren zu ihrer Zeit noch angesehen Cheraskow (1733–1807) u. Oserow (1770–1816), welcher Letztere der Zeit nach zwar der folgenden, aber der Sprache nach noch dieser Periode angehört u. der Umbildner des russischen Trauerspiels geworden ist. Außerdem verdienten als dramatische Dichter in dieser Zeit noch Erwähnung: Nikl. Petrowitsch Nikolew, dessen bestes Stück Sorena (1781) ist; Wasil. Iwanowitsch Maikow (1725–1778), welcher Trauer- u. Lustspiele verfaßte; Alex. Anisimowitsch Ablesimow (gest. 1784), ein Lustspieldichter, welcher auch Elegien, Erzählungen u. Epigramme schrieb; Dem. Wladimirowitsch Jefimjew (gest. 1804), Alex. Iwanowitsch Kluschin (gest. 1804) u. Pet. Alexiejewitsch Plawilschtschikow (1760–1812), welcher selbst Schauspieler war. Sonst sind als Dichter dieses Zeitraums außer dem erwähnten Cheraskow, welcher wegen zweier Epopöen (Rossijada, 1785, u. Wladimir, 1786) als Homer seiner Zeit gefeiert wurde, mit Auszeichnung zu nennen: Wasil. Petrowitsch Petrow (1736–1799), welcher in seinen Oden die Siege der Katharina II. besang, außerdem Episteln schrieb u. Virgils Äneide übersetzte; Fürst Michailowitsch Dolgoruki (1764–1823), welcher philosophische Oden u. Episteln im Nationalgeschmack verfaßte; Graf Dmtr. Iwanowitsch Chwostow (geb. 1757), welcher lyrische u. didaktische Gedichte lieferte, die zu den besten Erzeugnissen ihrer Art zählen; Sem. Sergiejewitsch Bobrow (gest. 1810), welcher außer vielen lyrischen Poesien das Lehrgedicht Chersonida (1803) verfaßte; Juri Alexandrowitsch Neledinsky-Melecky (geb. 1751), welcher sich durch seine Lieder u. Romanzen einen Namen erworben hat. Der gefeiertste Dichter Rußlands aber unter Katharina II. war Gabriel Romanowitsch Derschawin (1743–1816), dessen lyrische, didaktische u. dramatische Dichtungen in der Geschichte der R-n L. für immer ihren Rang behaupten werden. Seine Poesie wurde der erste Übergangsschritt der russischen Poesie überhaupt von dem Felde der Rhetorik auf das wirkliche Leben. Iwan Iwanowitsch Chemnicer (1744–84) ist der erste russische Fabeldichter (Sumarokows unbedeutende Allegorien abgerechnet), Lafontaine war sein Muster, u. Hippolyt Feodorowitsch Bogdanowitsch (1743–1803) kleidete zuerst die poetische Erzählung in einen leichten, herzlichen u. witzvollen Styl, seine Duschinka 1778 (eine Übersetzung der Lafontaineschen Fabel Psyche), machte großes Aufsehen. Basil Kapnist (st. 1823) schrieb Oden, unter denen sich einige durch ihren elegischen Ton auszeichnen, außerdem das bekannte Lustspiel Die Rechtsverdreher. Die Geschichte hat in dieser Periode ihren Vertreter in Iwan Nikititsch Boltin (1735–92), welcher durch seine Kritischen Bemerkungen zu Leclercs Geschichte Rußlands, Petersb. 1788, 2 Bde., mit Fürst Michael Schtscherbatow (st. 1790 u. schr.: Russische Geschichte, Petersb. 1770 ff.) in einen literarischen Streit gerieth. Überhaupt wurde unter Katharina der Anfang einer russischen Geschichtsschreibung gemacht, während die bisher geschriebenen Chroniken (Lätopisse) als geheime Chroniken des Reichs betrachtet wurden. Katharina selbst gab Denkwürdigkeiten der russischen Geschichte heraus; der Staatsrath Gerh. Friedr. Müller (st. 1783) machte sich durch Veröffentlichung vieler russischer Werke u. Handschriften verdient. Aug. Ludw. Schlözer durch die Herausgabe des Nestor u. durch den Anfang einer russischen Grammatik. Die erste ausführliche russische Statistik schrieb Pleschtschejew (st. 1802), Übersicht des Russischen Reichs, Petersb. 1790, u. Platon, Metropolit von Moskau (st. 1812) verfaßte eine kurze russische Kirchengeschichte, Mosk. 1805. In der Kanzelberedtsamkeit excellirten in dieser Periode Gedeon Krinowsky (st. 1763), Georg Koniwsky (st. 1795), Platon, Johann Lewanda (st. 1814) u. Anastas. Bratnowsky (1761–1816), hinsichtlich des Styls einer der ausgezeichnetsten Redner dieser Zeit. Als Übersetzer (bes. Popes Versuch über den Menschen) verdient noch Popowsky (st. 1760) genannt zu werden. Ein eifriger Beförderer der Aufklärung u. Literatur war Nikolaus Iwanowitsch Nowikow (st. 1818) durch Herausgabe guter Bücher in Russischer Sprache für geringen Preis, durch Errichtung von Buchhandlungen u. die Gründung der ersten Leihbibliothek in Moskau, auch gab er seit 1770 das satyrische Journal Der Maler u. 1773–93 die Alte russische Bibliothek heraus u. schrieb: Versuch eines Lexikons russischer Schriftsteller. In diese Periode, u. ihrer Entstehungszeit nach noch früher, gehört auch eine eigenthümliche Erscheinung in der russischen Volksliteratur, die sogenannten Bastabdrücke, grobe bildliche Darstellungen auf Stein, Zinn od. Kupfer, selten in Holz geschnitten u. von einer besondern Künstlerkaste unter den Bauern fabricirt, welche Versinnlichung religiöser Gegenstände, Darstellungen aus der Geographie u. Geschichte od. humoristische, märchenhafte[479] u. satyrische Dichtungen enthalten, mit nicht selten abenteuerlichen Beschreibungen, alle in dem Ton, der Sprache u. Schrift der Kirche abgehandelt. Dieser der niedern Volksklasse eigenthümliche Literaturzweig, entstanden aus der Sitte Heiligenbilder zu malen, besteht noch jetzt, u. die Productionen werden durch Hausirer im ganzen Reiche verkauft. Beispiele solcher Darstellungen sind: Traum der Mutter Gottes, heiliger Brief unsers Herrn Jesus Christus, die zwölf Freitage, die Jerusalemer Rolle, die bösen Tage, Gesetzgebung auf dem Sinai, das Weltgericht, das Weib von Babylon aus der Offenb. Johannis; abenteuerliche geographische Darstellung der Welttheile mit Beschreibung, Einnahme von Otschakow, Schlacht von Kagul, Scenen aus dem Franzosenkriege; Bestattung eines Katers durch Ratten u. Mäuse, Bittschrift eines Brachsen wider den stachlichen Bars, Gespräch zwischen einem Betrunkenen u. einem Nüchternen, Selbstgespräch eines Jünglings über den Stand der Ehe u.v.a. C) Von Alexander I. bis zur Gegenwart. Alexander I. fuhr in der Sorge für die Aufklärung seines Volkes fort, wie Peter der Große u. Katharina begonnen hatten, er setzte 1802 ein Ministerium der Volksaufklärung ein, welches seine Thätigkeit damit begann, daß es das Reich in sechs Lehrbezirke eintheilte, für deren jeden eine Universität, für jede Gouvernementsstadt ein Gymnasium, für jede Kreisstadt eine Kreisschule u. für die Colonistenorte Pfarreischulen eingerichtet wurden. Zu den schon bestehenden Universitäten in Moskau, Dorpat u. Wilna kamen noch die neugegründeten Charkow, Kasan u. Petersburg, sowie 1809 durch Erwerbung Finnlands Åbo; viele Schulen wurden errichtet, 1805 die hohe Schule der Jurisprudenz in Petersburg, 1808 die Medicinisch-chirurgische Akademie daselbst u.a. wissenschaftliche Anstalten ins Leben gerufen od. deren Einrichtung verbessert, sowie 1811 die kaiserliche öffentliche Bibliothek in Petersburg eröffnet. Diese Maßregeln der Regierung waren auch von dem Eifer vieler Privatleute begleitet, welche aus eignen Mitteln Schulen u. Gymnasien gründeten u. sich zu wissenschaftlichen u. literarischen Vereinen verbanden, wie in Moskau, Petersburg, Wilna, Kasan. Die Ereignisse der Jahre 1812 u. 1813 hielten zwar die Fortschritte der Literatur auf, weckten aber die schlafenden Kräfte Rußlands, brachten auch die mittleren u. niederen Klassen auf ihren Zügen durch Deutschland auf eine höhere Stufe der Bildung, u. mit dem Frieden begannen die Bestrebungen für vaterländische Literatur aufs Neue. 1813 wurde die russische Bibelgesellschaft gestiftet, 1816 die russische Akademie neu organisirt. Auch bewirkten die verschiedenen Reisen, welche im wissenschaftlichen u. praktischen Interesse unter Alexander I. u. seinen Nachfolgern unternommen wurden, eine wesentliche Bereicherung der Kenntnisse. Seit der Thronbesteigung des Kaisers Nikolaus war die Regierung unaufhörlich bemüht, gegenüber den fremdländischen Elementen in der R. L. u. bes. Sprache, den Sinn des Volkes auf das Nationale hinzulenken u. der Russischen Sprache einen größeren Spielraum zu gewinnen. Daß diese Bemühungen um nationale Selbständigkeit nicht ohne Erfolg blieben, bewies einerseits die Abnahme der Zahl der Übersetzungen fremder Werke, andererseits die geringere Anzahl von Werken, auch wissenschaftlichen, welche innerhalb des Russischen Reiches in fremden Sprachen Erschienen, u. es sind vorzugsweise nur die auch im übrigen Europa Verbreitung findenden geographischen, naturhistorischen u. sprachwissenschaftlichen Arbeiten, für welche noch die deutsche, lateinische u. französische Sprache angewendet wird, sowie die von der Petersburger Akademie herausgegebenen Schriften fast ohne Ausnahme in deutscher u. französischer Sprache abgefaßt sind. Dennoch ist auch jetzt noch die Einfuhr von ausländischen, bes. deutschen u. französischen Büchern in Rußland nicht gering, da die Kenntniß dieser beiden Sprachen unter den höhern Ständen allgemein verbreitet ist. Eine Erleichterung der bes. unter Nikolaus sehr verschärften Censur trat mit Beginn der Regierung des Kaisers Alexander II. (März 1855) ein, u. während Anfangs der fünfziger Jahre die Zahl der in Rußland (ohne Finnland u. Polen) jährlich erscheinenden Werke ungefähr 1000 betrug, war derselbe im Jahre 1858 schon auf das Doppelte gestiegen (2036), es befanden sich darunter 99 dramatische Schriften (28 Originale, 66 Übersetzungen und 5 in französischer od. deutscher Sprache), 50 Operntexte (russisch, italienisch, deutsch, französisch), 75 Gedichtsammlungen (darunter Übersetzungen von Heine u. Béranger), 43 Romane u. Erzählungen russischer Schriftsteller, 24 Übersetzungen ausländischer Novellisten u. 105 Volksschriften, 75 literar-historische (außerdem die gesammelten Werke von 18 Schriftstellern), 56 kunstgeschichtliche Werke, 227 historische, 69 geographische, 115 philologische, 84 naturwissenschaftliche, 37 mathematische u. astronomische, 124 medicinische, 273 theologische, 150 pädagogische etc.; nur die theoretische Philosophie hat in Rußland noch keinen Boden gefunden. Auch die Zahl der Zeitungen hat sich in Folge der mildern Maßregeln gegen die Presse bedeutend erhöht, indem im Jahre 1858 im Russischen Reiche mit Ausnahme der amtlichen Gouvernementszeitungen 109 Zeitungen u. 95 Journale u. periodische Schriften erschienen, dagegen im Jahre 1860 deren Zahl schon 310 betrug, wovon allein 142 in Petersburg herauskommen. In Petersburg ist auch in neuster Zeit ein Verein zur Unterstützung bedürftiger russischer Literaten gegründet worden.

Obgleich in dieser Periode die R. L. wesentliche Fortschritte machte, so sind doch diese weit weniger bedingt von einem innern Leben, von einem eigenthümlichen individuellen Bewußtsein, als vielmehr von dem fortdauernden Einfluß anderer europäischer Literaturen, namentlich von französischen u. deutschen Elementen, so daß jede Phase des intellectuellen Lebens, durch welche Europa seit Anfang des 19. Jahrh. gegangen ist, stets auch ihren Reflex in Rußland fand. Der Zwiespalt zwischen dem ursprünglich Nationalen u. dem Fremdländischen ist trotz der Bestrebungen der neuern Zeit noch nicht überwunden. Die schon zu Ende des 18. Jahrh. bes. durch Bogdanowitsch, Chemnicer, van Wizin begonnene Bildung der russischen Prosa u. leichten Poesie war nur ein schwacher, unsicherer Anfang gewesen. Da erschien Nikolaus Michailowitsch Karamsin (1765–1826), welcher einen ungeheuern Einfluß auf die R. L. ausgeübt hat; denn er führte dieselbe in die Sphäre neuer Ideen ein, u. die Umgestaltung der Sprache war eine nothwendige Folge hiervon; er befreite dieselbe von den lateinischen u. deutschen Perioden u. der schwerfälligen Kirchensprache, näherte sie dagegen durch[480] Anwendung französischer u. englischer Constructionen der lebendigen, natürlichen Umgangssprache. Während Lomonossows Periode die der schwerfälligen u. hochtrabenden Richtung, der gelehrten Belesenheit war, verstand es Karamsin durch seine leichte u. angenehme Sprache dem russischen Publicum Lust zum Lesen russischer Bücher zu machen. Er brachte auch das Element der Sentimentalität in die R. L. In seinen Erzählungen (Die arme Lise; Natalia, die Bojarentochter; Die Insel Bornholm; Der Ritter unserer Zeit) zeichnet er das Leben des Herzens u. die Leidenschaften im Kreise des gewöhnlichen täglichen Lebens; durch seine Übersetzungen von Marmontels Erzählungen u. einiger der Genlis, sowie durch seine Briefe eines russischen Reisenden, machte er die Russen mit der Denk- u. Handlungsweise der gebildeten Gesellschaft der Welt bekannt, u. seine Geschichte des Russischen Reichs (Petersb. 1816 ff., 11 Bde.) ist der Grundstein zu dem Gebäude des historischen Studiums in Rußland geworden. Seit 1802 gab er auch den Boten Europas heraus. Wenn aber auch durch ihn die Russische Sprache an Geschmeidigkeit, Eleganz u. Vielseitigkeit ungemein gewann, so war sie doch vorzüglich durch die Schuld seiner unmäßigen Nachtreter in großer Gefahr ihre Nationalität gänzlich einzubüßen. Diesem Unwesen zu steuern u. der Russischen Sprache ihre Nationalelemente zu sichern trat der Minister der Volksaufklärung Alexander Schischkow (1754–1828) 1802 in der Schrift Über den alten u. neuen Styl der Russischen Sprache mit einem nicht unbedeutenden Anhange auf. Aus diesem Kampfe bildeten sich zwei Parteien bei den Russen, die Moskausche, welche Karamsin folgte u. seit 1803 bes. von Makarow vertreten wurde, u. die Petersburger, welche die Zurückbildung der Russischen Sprache, aber immer auf dem Grunde der von außen her erworbenen Vollkommenheiten zu befördern trachtete. In der Folge traten beide Parteien einander näher, u. der durch Karamsin gebildete u. von seinen Fehlern mehrfach befreite neue Styl wurde das herrschende Vorbild in der Russischen Sprache. Zu derselben Zeit, als Karamsin die russische Prosa umbildete, erfuhr die Dichtersprache eine gleiche Umbildung durch Iwan Iwanowitsch Dmitrijew (geb. 1760), welcher derselben die Leichtigkeit u. Bestimmtheit der Französischen Sprache anzueignen wußte. Auch trat durch ihn die russische Dichtung einen großen Schritt näher zu der Einfachheit u. Natürlichkeit, dem Leben u. der Wirklichkeit, seine Lieder sind zwar allzu sentimental, aber seine Oden originell u. gemäßigt rhetorisch, seine Fabeln u. Sagen wahrhaft poetische Erzeugnisse für jene Zeit. Krylow machte zuerst die Fabeln in Rußland volksthümlich. Dem seit Lomonossow u. Derschawin bis zum 19. Jahrh. herrschenden Versmaß (Jamben u. Trochäen) gegenüber brachte Alexander Christophorowitsch Wostokow (geb. 1781) das russische Metrum wieder zur Geltung; dieses ist tonisch, d.h. die Zahl der poetischen (nicht grammatikalischen) Accentuationen beachtend u. ohne Endreime, Verse mit einer u. zwei Betonungen gehören dem Liede, die mit drei dem Epos. Nikol. Gnäditsch (geb. 1784) führte zuerst den Hexameter bei den Russen ein, indem er 1813 die Ilias in dem Versmaße des. Originals übersetzte; diesen Bemühungen folgte auch Basil. Andrejewitsch Schukowski (1783–1852), welcher, der Schule Karamsins angehörend, die Romantik in die R. L. gebracht u. die Ballade eingeführt hat; er schrieb auch poetische Episteln u. hat sich als prosaischer Schriftsteller u. Übersetzer in Prosa ausgezeichnet. Nicht so groß als Schukowski's Einfluß, aber doch auch sehr bedeutend war der Konstantin Nikolajewitsch Batjuschkows (geb. 1787), eines ebenfalls gefeierten Dichters, bei dem zuerst unter den russischen Dichtern das Kunstelement als herrschend auftritt, er gab der Poesie die Reinheit der idealen Form; obgleich er ein Nacheiferer der alten Klassiker war, hat er doch nur Weniges aus dem Griechischen u. Lateinischen übersetzt; ausgezeichnet ist seine Elegie auf den Trümmern eines Schlosses in Schweden. Als Prosaiker ist er ein sehr vortrefflicher Stylist. Zu den vorzüglichen Schriftstellern der Karamsinschen Periode gehört auch Alexei Fedorowitsch Merzljakow (geb. 1778), welcher als Dichter (Oden), Übersetzer (Metrische Übersetzungen u.a. von Tasso's Befreitem Jerusalem), Liedersammler (russische Lieder), Literarhistoriker u. Kritiker bekannt ist, u. Alex. Stergegowitsch Puschkin (1799–1837), Schüler u. Nachahmer Derschwins, Schukowskis u. Batjuschkows, der zuerst als Dichter 1815 mit seinen Lyceumsgedichten auftrat; im Jahre 1820 begannen in dem Sohn des Vaterlandes die Kämpfe zwischen dem Klassicismus u. Romantismus, wodurch ein völliger Umschwung in den literarischen Begriffen u. Anschauungsweisen in Rußland eintrat.

Puschkin trat gerade zu der Zeit auf, als die Erscheinung wahrer Poesie in Rußland eine Möglichkeit geworden war, nach der großen Epoche von 1812 u. ihren Folgen; er wurde durch die Idealisirung des alten Rußlands u. durch die Dramatisirung der russischen Volksüberlieferung der Schöpfer einer neuen, nationaleren Literaturepoche; er nahm Geistesproducte aller vorhergehenden Dichter in sich auf, um sie dann der Welt in einer neuen, umgestalteten Form wiederzugeben. Seine Werke (1838, 8 Bde.) enthalten scharfe, kühne u. feurige Gedanken, eine klare u. streng geregelte Sprache u. sind in wohllautenden Versen geschrieben. Hatten auch die Auswüchse seiner Phantasie, namentlich seiner Anhänger Baratinsky (st. 1844), Dahl, Delwig, Jasykow (st. 1847), Eduard Huber (st. 1847), Koslow (st. 1840), Benediktow, Podolinski etc., die Harmonie zwischen der literarischen u. politischen Bewegung bald wieder gelöst, so wurden doch durch Nikol. Wassiljewitsch Gogol (1808–1852) die gesammten literarischen Kräfte abermals auf das Ziel hingelenkt. Gogol u. seine Schule machten es sich zur Aufgabe, alle diejenigen unabhängigen u. originalen Elemente der Heimath zu sammeln u. zu beleuchten, welche die frühere Nachahmung des Auslandes u. dessen Literaturen hatte bestehen lassen. Daher kommt es auch, daß seitdem der Sittenroman u. das Lustspiel in den Vordergrund getreten ist. Zu den Hauptorganen seiner Richtung gehörten die Vaterlandsannaten, seit 1839 von Kräwky redigirt, u. die Gegenwart, 1847 von Billinsky gegründet. Ein gelehrter u. geistreicher Gegner der alten Schule ist auch Sentowsky in Petersburg. In Gogols Sinne schreiben auch Nikitenko u. Pleiniew, u. zu den vorzüglichsten Vertretern seiner Schule gehören Graf Sollohus, Gantscharow, Butkow u. Turgeniew. Einer der ausgezeichnetsten russischen Dichter der Neuzeit war Michael Jurjewitsch Lermontow (s.d. 1811–41). Seit 1855 ist in der R. L. die Begeisterung für politisch-sociale Fragen[481] vorherrschend, während sich in Bezug auf alle rein literarischen u. gelehrten Gegenstände die entschiedenste Gleichgültigkeit zu erkennen gibt. Diese Richtung war schon einige Jahre vor Alexander II. vorbereitet; im Anfang der fünfziger Jahre äußerte sie sich nur negativ, indem die meisten Schriftsteller ein hartnäckiges Schweigen beobachteten, unter der Regierung Alexanders II. erwachte ein neuer Eifer in der Literatur, welcher sich auf die socialen Fragen richtete. Ihren Gipfel aber erreichte diese praktische Tendenz, als die Regierung die Verbesserung der bäuerlichen Verhältnisse anbahnte. Obgleich aus diesem Grunde die Poesie jetzt nur noch die zweite Stelle einnimmt, so entringt sich doch die R. L. rasch ihren embryonenhaften Anfängen. Seit Puschkins u. Lermontows frühem Tode bis jetzt hat in Rußland ein beharrlicher Kampf, eine reiche, bald mit Gewalt zurückgedrängte, bald geduldete, bald selbst ermuthigte u. immer mit gleicher Kraft zum Durchbruch drängende Entwickelung stattgefunden.

In den einzelnen Zweigen der Literatur sind in dieser Periode folgende Schriftsteller zu nennen (ihre Werke s.u. den einzelnen Artikeln): Puschkin schrieb das Nationalepos Ruslan u. Ljudmila, Baron Rosen das epische Gedicht Die Geburt Johannes des Gewaltigen. In der lyrischen Prosa zeichneten sich aus: Karamsin, Dmitrijew, Kapnist, Mersljakow, Schukowski (Swetlana, eins seiner trefflichsten Erzeugnisse, u. die Nationalhymne Gott beschütze den Kaiser), Batjuschkew, Alex. u. Basil. Puschkin, Wostokow, Delwig, Glinka, Poletschajew, Panin, Pankrati, Dawidow, Schatrow, Dolgoruki, Wojejkow, Baratynski, Jasykow, Lermontow, Apollon Maïkow, Eduard Huber (welcher auch Goethes Faust übersetzte), Turgenew, S. Podolinski, Fürst Wäsemski (der aber nur Gelegenheitsgedichte im Salon- u. Weltton schrieb), Metschersky (welcher in Französischer Sprache dichtete), Tepliakow, Feth, Alexis Timofejew, Lucian Jakubowitsch, N. Nekrasow, A. Jemtschujnikow, Rosenheim u. A. Unter den Dichterinnen sind Anna Bunina, Gräfin Rostoptschina, die Frauen Pawlow u. Panajew zu nennen. Episteln schrieben Dmitrijew, Batjuschkow, Dolgoruki, Wäsemski u. A. In der poetischen Erzählung leisteten Dmitrijew, Schukowski, Batjuschkow, Puschkin (der Gefangene im Kaukasus), Baron Rosen, Radiwonowski, W. Baschurin, Baratynski (Eda, Zigeunerin), Koslow (Natalie Dolgoruki, Der Mönch), Bernet, S. Podolinski, Grigorjew (die Stadt, Olimpii Radin) vorzügliches. Als Dichter von Idyllen sind Mersljakow, Panjew, Gnäditsch, als solche von Elegien Schukowski, Batjuschkow, Baratynski, Milonow, Huber u. Dawidow hervorzuheben. Im beschreibenden Gedicht behauptet außer Grebenko noch Suhanow aus Nowgorod (st. 1843) eine vorzügliche Stelle: als Übersetzer in diesem Genre haben sich Alex. Wojejkow u. Burinski ausgezeichnet. Im Lehrgedicht ist seit Wojejkow (Wissenschaft u. Künste) u. Sokonuski (die Schöpfung) kein bedeutender Name aufgetreten. Miattlew (st. 1844) hat sich im burlesken Epos versucht. Als Satyriker ist vor Allen Schachowski (Die gesäuberten Pelze), nächst diesem Dmitrijew, Milonow, Wäsemski, Wojejkow u. Butkow bekannt. Glückliche Epigrammatisten sind Wäsemski, Batjuschkow, Dmitrijew u. Dawidow. Unter den Fabeldichtern steht Krylow (s.d.) obenan; außer ihm schrieben Fabeln Alex. Jefimowitsch Ismailow, der bes. Charaktere, Gewohnheiten u. Lasser des niedern Standes darstellte, u. Aliganow, ein früherer Leibeigner zu Kaluga. Die Ballade führte Schukowski in die R. L. ein, er übersetzte nicht allein deutsche von Schiller u. englische von Byron, sondern dichtete auch eigne (wie Ludmila, Schloß Schmalhoim, Die Buße, Undine etc.); auch Murawjew dichtete Balladen. Unter den russischen Naturdichtern nimmt den ersten Rang Alex. Wassiljewitsch Kolzow (st. 1842) ein, welcher zuerst das russische Volkslied künstlerisch auffaßte u. wirksam verarbeitete; außer ihm sind die idyllischen Productionen des Bauers Stäpuschin zu nennen. Den Roman im höhern Sinne des Wortes kennt bis jetzt die R. L. noch nicht u. die vorhandenen Erzählungen können nur Novellen genannt werden. Hier sind aufzuführen: Karamsin (Die arme Lise, Die Insel Bornholm u. Marwa Posadniza od. die Bezwingung Nowgorods), Schukowski, Benizki, Glinka, P. Atreschkow, Kalaschnikow (Die Tochter eines Kaufmanns), P. Swinjin (Schemnakins Gericht, ein historischer Roman), Iwan Koslow (Die Wahnsinnige), Const. Massalski (Die Schützen, Der schwarze Kasten), Al. Orlow (Die lebendigen Todten, Flucht des Iwan Wuishigin, ein satyrischer Roman), Al. Schischkow der Jüngere (Grusien im J. 1812), Iwan Kulschinski (Fritzchen Motowilski), A. Weltmann (Der unsterbliche Kaschtschei), W. Karlhof, M. Markow (Die Insurgenten), Charmadabanow (Durchbruch auf dem Kaukasus, ein satyrischer Roman). Einer der ausgezeichnetsten Erzähler war Alex. Bestuschew, welcher unter dem Namen Martinski schrieb (Ammaleth-Beg, Mullah-Nur, Skizzen aus dem Kaukasus); Thaddäus Bulgarin versuchte zuerst in seinen Romanen, so wenig sie auch den Ansprüchen der Ästhetik genügten, volle Schilderungen aus dem Leben (Iwan Wuishigin od. der russische Gil-Blas, Peter Iwanowitsch Wuishigin, Rostawiew, Demetrius, Mazeppa); in Walter Scotts Manier schilderte M. N. Sagoskin (st. 1852) das russische Volksleben in seinem Jurji Miloslawski; weniger bedeutend sind dessen spätere Werke, wie Kusma Miroschew, Die Ruthenen am Anfang des 18. Jahrh., Moskau u. die Moskowiter etc., Anziehende Sittenschilderungen enthält Wasili Uschakows Kirgis-Kaisak, neben welchen Schtschukins Wasserfälle der Angara (1837) eine ehrenvolle Stellung einnehmen. Zu den talentvollsten u. geistreichsten Erzählern Rußlands in der Gegenwart zählt Graf W. A. Sollohub, unter dessen Werken namentlich: Zum Einschlafen (1841) als Skizzen aus dem Alltagsleben, u. Tarantas (1845) als satyrisch-humoristische Genrebilder aus dem russischen Nationalleben, sowie der Roman Wtscherà i sewodnja (Gestern u. heute, 1845) zu nennen sind. Neben diesen sind als gute Erzähler noch zu erwähnen: Nikol. Philippowitsch Pawlow aus Moskau (Der Maskenball, Der Namenstag, Eine Million, Der Yatagan), Fürst Odojewski, Baron Theodor Korf, Constantin Massalski, Senkowski, welcher unter dem pseudonym Baron Brambäus als humoristischer Schriftsteller Glück gemacht hat, Nikolai Bestuschew (st. 1855, Erzählungen u. Novellen eines alten Seemanns, Mosk. 1860), der originelle Wladimir Dahl, der unter dem Namen Kosak Lugaski schreibt, Alex. Herzen (s.d., Wer ist Schuld etc.). In den Künstlernovelle versuchte sich zuerst Nestor Kukolnik[482] (Beresowski, Eveline de Vallerole, 1841–1842; Tri perioda, 3 Bde., 1845 etc.); Iwan Turgenew (Erzählungen aus dem Leben eines Jagdliebhabers, 1849; Das adelige Nest, Mosk. 1860). Andere minder bedeutende Romanschriftsteller sind: Peter Romanowitsch Fuhrmann, Michael (Trofimowitsch Katschenowskoj st. 1842); Rafael Zotow, ein Nachahmer Walter Scotts (Leonidas); Perowsky, pseudon. Pogorelski, Lajetschnikow, Butkow (Petersburgskia Werschiny, 1845), Chamor Dabanow, ein Pseudonymus (Prodjelki na Kawkase, satyrischer Roman, 1844); Kowalewski (Petersburg bei Tag u. Nacht, 1845); Wlad. Woit, Sementowski (Mazeppa i Kotschubei, 1845, historischer Roman); Polewoj (Glück ist besser als Heldenmuth, 1844, Roman in der Art von Eugen Sues Geheimnissen); Kamenski (Vieles im Russischen Boten); Gontscharow (Joh. Podschabryn; Eine gewöhnliche Geschichte; Traum des Oblomow, 1849 etc.); Ruitsch, Druschinim (Julie, 1849); Grygorowitsch (Schicksale Nakalows 1849); Awdjejew (Warynka); Pissemskji (Die Matraze, 1850); Tolbin (Ljubinka, 1851, ein Sittenroman); Rabinowitsch zu Odessa (Moritz Sefardi, 1851) etc. An die Reihe dieser Romanschriftsteller u. Novellisten schließt sich eine Gruppe von Erzählungen, die mit Frische u. Natürlichkeit in anmuthigen idyllenartigen Darstellungen das Kosackenleben schildern u. dazu meist des kleinrussischen Dialektes sich bedienen, als Repräsentanten dieser Richtung gelten G. J. Kwitka, pseudonym Osnowianenko (st. 1843 Pan Chalavskij), Grebenko, bes. aber Nikolai Wassiljewitsch Gogol, von dessen Werken (deutsch, Russische Novellen, 2 Bde., Lpz. 1846; Russisches Leben u. Dichten, Lpz. 1851) gehören namentlich Die Abende auf dem Meierhof unweit Ditanka; Taraß Bulda (deutsch von Bode, Lpz. 1846), Mirgorod, hierher; während Die todten Seelen (Moskau 1842) als satyrischkomisches Zeitgemälde wegen der Wahrheit der Auffassung u. Meisterschaft in der Darstellung nach einer andern Seite hin eine ausgezeichnete Stellung in der R. L. einnehmen. Dasselbe gilt auch in diesem Genre der Romandichtung von den Arbeiten Fedor Dostojewskis (Die armen Leute; Doppelgänger) etc. Unter den Frauen, welche in neuerer Zeit auf dem Gebiete der Novellistik Ansehen genommen, sind vor Allen außer der bereits 1842 verstorbenen Helena Andrejewna Hahn, geb. Fadejewa, pseudonym Sennida R-wa (Dschelaleddin; Utballa; deutsch in Wolfsohn's Rußlands Novellendichter, 1. Bd.) zu nennen Frau Pawlow, durch Leben u. männliche Kraft ausgezeichnet; die anonyme, sehr verschieden beurtheilte Verfasserin von Lydia u. der Marquise Luigi; Eugenia Tur (Der Irrthum); Helene Weltmann (schr. z.B. die historischen Romane Nowy Jemelja, 4 Bde., 1845; Prinz Gustav von Schweden, 1850 etc.): Madame Schischkin (Prokop Ljapunow, 1845); Maria Corsini (Skizzen des alltäglichen Lebens, 1851); Madame Jukowa, die im Genre der Henriette Hanke schrieb, etc. Im Märchen haben sich namentlich Grebenko, der Verfasser einer Reihe schöner Erzählungen, Märchen u. kleiner Romane, so wie Wasil Wanenko (Russische Nationalsagen, 1846, Novellen nach Art der von Brentano) ausgezeichnet.

Hatte die lyrisch-epische Poesie in Puschkin, der Roman in Gogol seinen Meister gefunden, so entbehrte die R. L. noch eines solchen auf dem Gebiete des Drama. In der Reihe der Dramatiker nach Sumarakow dichtete Kniaschnin mit rühmlichem Erfolg, doch ohne selbständiges Talent, aber vielseitig gebildet beutete er mit Glück u. Geschick die reiche französische dramatische Literatur aus u. ließ Sumarakow hinsichtlich des Geschmacks u. der Sprache weit hinter sich. Aber er selbst wurde noch weit überflügelt durch Oserows (s. oben) entschiedenes Talent. Zu gleicher Zeit mit diesem trat Kojukowski (geb. 1781) auf, dessen Tragödie Posarski außerordentlichen Beifall fand; Iljen, Nenachowitsch u. Iwanow schrieben prosaische Dramen. Unter den Dichtern, welche sich seit Puschkin (Boris Gudonow, 1831) im Trauerspiel versuchten, dürften hervorzuheben sein Kowalewski (Die Rathsherrnfrau Marsche, 1833), Fürst Schachowski (Deborah), Nik. Gnäditsch (Lear nach Shakspeare, Tancred nach Voltaire), Nestor Kukolnik (Torquato Tasso, eine dramatische Phantasie, 1833; Leisewitz, ein Dichterdrama; Fedor Baljenok, 1844, national-historisches Drama; Die Hand des Höchsten hat das Vaterland gerettet etc.), u. Nik. Alexiewitsch Polewoi (st. 1846), welcher eine große Anzahl Trauer- u. Schauspiele (darunter Helene Glinskaja) lieferte. Als gediegener Übersetzer Shakspeares ist Ketscher (Petersb 1846 f.) hervorzuheben. Bedeutenderes hat die dramatische Literatur der Russen im Lustspiel aufzuweisen. Fürst Schachowski hat über 100 Stücke geschrieben, von denen sich mehre auf dem Repertoir erhalten haben. Viel Beifall erntete Krylow mit seinen geistreichen u. witzigen Lustspielen (Die Mädchenschule, Der Modeladen); Epoche machend sind in der neuesten Zeit gewesen Gribojedow, welcher bes. in: Die Leiden des Gebildeten, u. Gogol, welcher im Revisor treffliche Schilderungen der Sitten u. der Kehrseiten der russischen Gesellschaft lieferte. Sonst ernteten noch verdienten Beifall Ostrowski (Was unsere Leute sind, werden wir nachher erwägen, eine Sittenschilderung aus dem Moskauer Kaufmannsleben), Turgenew (Ein Frühstück beim Adelsmarschall; Das Fräulein aus der Provinz), Graf Sollohub (Die Bouquets), Sagoskin (Das Liebhabertheater; Die Unzufriedenen). Die beste russische Oper ist Ilja Muromez von Krylow. Im Vaudeville sind Krylow (Der Müller), Fedorow, Koni, Lonski, Fürst Schachowski u. bes. Karatygin (st. 1853), der bedeutendste russische Schauspieler der neueren Zeit (Die Bäckerstube od. der Petersburger Deutsche), zu nennen; außerdem Peter Grigorjew, ebenfalls Schauspieler (Noch Kaufleute der dritten Gilde). Am meisten auf den Bühnen der Hauptstädte zur Aufführung gelangt sind Übersetzungen französischer, zum Theil auch deutscher Stücke. Als Merkwürdigkeit ist der tatarische Lustspieldichter Feth-Mi-Achundow zu Tiflis zu erwähnen. In letzter Stadt wurden durch Fürst Woronzow zwei Schaubühnen, eine russische u. eine grusinische, ins Leben gerufen.

Auf einer verhältnißmäßig noch sehr niedrigen Stufe der Ausbildung steht in Rußland die Prosa, die Sprache der Wissenschaft. Die Beredtsamkeit ist in Rußland, seiner politischen Constitution nach, nur Kanzelberedtsamkeit. In ihr sind zu erwähnen Philaret, Erzbischof von Moskau (geb. 1782), Michael Deßnizky, Metropolit von Nowgorod (1752–1821). Als der ausgezeichnetste Kanzelredner gilt Innokenti. Die Schriften Andrei Murawiews (s.d.) haben durch glänzenden Styl u. einen eigenthümlich schwärmerischen religiös-poetischen Ton in Rußland die allseitigste Anerkennung[483] gefunden. Auch seine Arbeiten von strengem theologischem Inhalt nehmen eine vorzügliche Stelle in der R. L. ein. Ein selbständiges philosophisches Werk ist in Rußland noch nicht erschienen; die Wenigen, welche sich mit dem Studium der Philosophie beschäftigen, wie Golubinski, Wellanski, Sidonski, Kedrow etc. haben sich in der Hauptsache an die neueren deutschen Philosophen angeschlossen. Unstreitig die Lichtseite der R-n L. bietet die Geschichte, deren Studium bes. seit Schlözers Bemühungen mit Kritik betrieben wurde, doch wird fast nur die ältere u. mittlere Geschichte, namentlich Rußlands, weniger der übrigen Völker u. Staaten des Abendlandes, fast gar nicht od. wenigstens nur einseitig u. parteiisch die der neuesten Zeit bearbeitet. Die Geschichte Rußlands anlangend, so steht Karamsin mit seinem Hauptwerk (Geschichte des Russischen Reichs) obenan. Große Verdienste um die russische Geschichte erwarb sich der Graf M. P. Rumänzow (st. 1826), indem auf seine Veranstaltung u. Kosten viele russische Geschichtswerke herausgegeben wurden, so die Sammlung der russischen Reichsurkunden von Malinowsky, Kalaidowitsch u. Strojew. Unter den Bearbeitungen der Geschichte Rußlands sind zu nennen die von Ustrialow (deutsch, Stuttg 1840, 3 Bde.), in allen Schulen Rußlands eingeführt, u. von Polewoi (Peierab. 1829–38, 8 Bde.), Solowjew (Geschichte Rußlands seit den ältesten Zeiten, Mosk. 1851 ff., 9 Bde.). Unter den Bemühungen Einzelner für Bekanntmachung u. Bearbeitung der Quellenschriften sind namentlich Alex. Turgenews (st. 1845) Monumenta historiae patriae (Petersb. 1840–46, 3 Bde.), gesammelt aus den Bibliotheken u. Archiven Deutschlands, Italiens, Frankreichs, Englands u. Dänemarks, von Bedeutung. Eine kritisch-literarische Übersicht der Reisen in Rußland bis 1700 gab Adelung (Petersb. 1846, 2 Bde.), eine Sammlung der Scriptores exteri saeculi XVI. historiae Ruthenicae (Berl. u. Petersb. 1841–43, 2 Bde.) Starczewski heraus. Eine außerordentliche Thätigkeit entwickelte die Archäographische Commission in Petersburg, welche in der neuesten Zeit nicht nur eine große Anzahl älterer Chroniken u. Sprachdenkmäler bearbeitet u. herausgegeben, sondern auch die auf die Geschichte Westrußlands bezüglichen Acten u. Documente (Petersb. 1847 f., 1.–4. Bd.) zu sammeln begonnen hat. Namentlich sind bei derselben Wostokow, Strojew, Tschertkow u. Snegirew thätig. Schätzbare Monographien veröffentlichen auch die Historisch-antiquarische Gesellschaft in Odessa, die Archäographische Commission in Kiew, die Historische Gesellschaft in Moskau in ihren Schriften. Forschungen über einzelne Perioden u. Persönlichkeiten bes. der älteren Geschichte behandelten P. Sumarakow (Geschichte der Zeit Katharinas der Großen, 1832, 2 Bde.), Kaidanow (Verhandlungen des russischen Hofes seit der Thronbesteigung der Romanow, Petersb. 1833, 2 Bde.), Szreznewski (Die Vorzeit der Zaporoger, 1838), Alex. Puschkin (Geschichte des Aufstandes des Pugatschew, Petersb. 1834, 2 Thle.), Berg (Regierungsgeschichte des Czaren Alex. Michailowitsch, 1833, des Czaren Fedor Alexiewitsch, 1835), Lefort (Geschichte der Kaiserin Katharina, 1838, 5 Bde.), Arßenjew (Die Regierung Peters II., 1839), Krug (Forschungen in der älteren Geschichte Rußlands, Petersb. 1848, 2 Bde.), Pogodin (Historische Untersuchungen, 1851, 4 Bde.), Szreznewski (Forschungen über die heidnische Religion der früheren Slawen, 1848), Slowzow, Solowjew (Analyse des Verhältnisses zwischen der Republik Nowgorod u. den Großfürsten, 1849; Familiengeschichte der Fürsten des Hauses Rurik, 1850 etc.), Pawlow (Über Boris Gudonow, 1851), Schulgin (Über den Zustand der Frauen im alten Rußland, 1850), Newerow, Kunik, Kurt v. Schlözer, Sjögren, Murzakewitsch (Geschichte der Genueser in Neurußland), Kostomarow (Geschichte des Aufstandes der Kosacken unter Bogdan Chmelnizky gegen Polen; Die Empörung Stenka Rasins), Ustrialow (Leben Peters des Großen, Petersb. 1858 ff., 6 Bde.), Schtschebalsky (Geschichte der Zarewna Sophia), Capitän Gendre (Tagebücher u. Briefe des Admirals Kornilow, welcher bei Sebastopol fiel), Melnizky (Biographie des Admirals Ricord), Tscherbinin (Biographiedes Feldmarschalls Woronzow), Polewoi (Biographie Suworows, deutsch Mitau 1851), Bronewski (Biographien der ausgezeichnetsten russischen Admirale, Petersb. 1834, 3 Bde.), Polewoi (Lebensbeschreibungen der berühmtesten russischen Generale), Seddelers Militärencyklopädie (1842 f.) etc. Unter den Schriftstellern über russische Kriegsgeschichte sind zu erwähnen Fedor Nikolajewitsch Glinka, Alex. Pissarew; General Michaelowsky Danilewsky, starb 1848 (Geschichte des Feldzugs 1805, 1844); Beschreibung des türkischen Feldzugs unter der Regierung des Kaisers Alexander, Petersb. 1843, 4 Bde.; u. Dmitri Petrowitsch Buturlin (s.d. 3); geschätzt sind auch die Werke von Lukjanowitsch über die türkischen Feldzüge von 1828 u. 1829, Bogdanowitsch (Beschreibung des Feldzugs von 1812), Miljutin (Geschichte des Kriegs in Italien u. der Schweiz unter Suworow 1799). Viele Gelehrte, namentlich in Odessa, widmeten sich der Geschichte des südlichen Rußlands im Alterthum, anknüpfend an die zahlreich daselbst aufgefundenen u. ausgegrabenen Denkmäler, bes. geschätzt sind die Arbeiten von Ashik, Director des Museums der Alterthümer in Kertsch (Bosporanisches Königreich, 1848) u. Sabatier (Souvenirs de Kertsch et Chronologie du Royaume de Bosphore, Petersb. 1849); sonst sind noch zu nennen Arkas, Seinezki, Alex. Troinitzki Paleolog, Becker etc. Prachtwerke über diesen Gegenstand veröffentlichten Alexis Uwarow (Petersb. 1852) u. Fürst Demidow (Voyage dans la Russie meridionale, deutsch Lpz. 1854); ein höchst bedeutendes Werk ist auch Mich. Grabowskis Die frühere u. jetzige Ukraine (1850). Unter den wenigen über die neuere russische Geschichte sind einige gute Schriften über die Kaukasuskämpfe zu erwähnen, wie Miljutins Beschreibung des Sturmes von Achulgo im J. 1839, 1850, u. Kostenezkjis Expedition gegen die Awaren, 1851. Eine Übersicht der russischen Historiographie gab Startschewsky (1845). Eine werthvolle Arbeit auf dem Gebiet der Kirchengeschichte ist des Bischofs Philaret in Riga Geschichte des Patriarchats in der Russisch-griechischen Kirche (1847); sehr verbreitet sind die kirchenhistorischen Arbeiten Andrei Murawiews (Geschichte von Jerusalem, 1844, 2 Bde.; Biblische Geschichte, 1842; Geschichte der ersten Jahrhunderte des Christenthums, 1842; Geschichte der Russischen Kirche, 3. A. 1845; Pascha w' Kiewe, 1846; Swjatya Georg i Optina Pustyn, 1852) etc. Auch über die Specialgeschichte einzelner Gebietstheile Rußlands erschienen mehre gute Arbeiten,[484] so von Ewgenius, Erzbischof von Pskow (Historische Darstellung von Grusien, Petersb. 1802), von dem Metropoliten Sestrenzewitsch-Bogusch (Geschichte von Taurien, Petersb. 1806, 2 Bde.), von D. Bantusch-Kamenski (Geschichte Kleinrußlands, Mosk. 1830, 3 Bde.), von Slowzow (Geschichte Sibiriens, 1836), von Semailow (Geschichte von Kiew, 1834), von Kruse über Kurland, von Brosset über Georgien, von Pawlischtschew über Geschichte Polens, 1845. Über die Geschichte anderer Länder schrieben u.a. Uwarow (Stein u. Pozzo di Borgo, Petersb. 1846), Fürst Wolkonskji (Über die Zustände Roms u. Italiens im Mittelalter u. in neuerer Zeit, 1845); Medowikow (Geschichte der abendländischen Kaiser in Byzanz, 1851), Kudräwzow (Schicksale Italiens vom Verfall des Römischen Reichs bis auf Karl den Großen, 1850) etc. Für Universalgeschichte sind Lorenz u. Smaragdow in Petersburg thätig. Eine Geschichte der letzten hundert Jahre schrieb Polewoi (1845). Von großem Interesse sind die Memoiren (Sapiski) über die Jahre 1813–15, z.B. von Alex. Schischkow (Krakija sapiski, Petersb. 1831); vom General Michaelowsky-Danilewsky (Denkwürdigkeiten über den Feldzug von 1813, 1834, deutsch von Goldhammer, Lpz. 1837; Beschreibung des Feldzugs in Frankreich im J. 1814, 1836, 2 Bde.; Denkwürdigkeiten über den Krieg aus den Jahren 1814 u. 1815, 1835, 2 Bde., deutsch von Goldhammer, Lpz. 1838), Fräulein v. Durow (Die Feldzüge 1812–1814, welche sie selbst mitgemacht), W. Iwarow; Memoiren des Majors Stscheglowski, 1844; die Memoiren Bulgarins (1845) u. das Tagebuch des Gen. Petrik Gordon (herausgeg. von Fürst Obolenski u. Posselt, Mosk. 1849 f., 2 Bde.), sowie in der neuesten Zeit die Memoiren der Kaiserin Katharina II. von Alex. Herzen, Lond. 1859. Jasykow gab eine Reihe historischer Denkwürdigkeiten heraus (1845). Unter den russischen Schriftstellern, welche in neuester Zeit über Politik schreiben, sind zu erwähnen Iwan Golowin, welcher Broschüren über russische Zustände schreibt, P. v. Tschichatschew (Politische Schriften, 1858 f.), Schedo-Ferroti (Pseudonym wahrscheinlich für Baron v. Fircks, Etudes sur l'avenir de la Russie), Fürst Peter Dolgorukow (Memoiren über Rußland, La vérité sur la Russie, Par. 1860). Für Geographie, wenigstens für Sammlung von Material, wurde in dieser Periode Bedeutendes geleistet. Unter den Reisen, welche zur Erforschung des Russischen Reiches unternommen wurden, sind zu nennen die von Krusenstern (Erste Weltreise der Russen), Golownin, O. v. Kotzebue, Lasarew, Bellingshausen u. Wassiljew, Rosen; Murawiew-Apostol (Reise nach Syrien, 1832; Wanderung nach den heil. Orten im Vaterlande, 1837), Norow (Reise ins Gelobte Land, 1838), Gretsch (Reisebriefe aus England, Frankreich u. Deutschland, 1839), Bulgarin (Beschreibung einer Sommerwanderung durch Finnland u. Schweden, 1839), Dawidow (Reise durch Griechenland u. Kleinasien, 1839), Pagodin (Ein Jahr in der Fremde, 1844), Fürst Mstscherski (Reisen aus den Rheinländern u. der Schweiz, 1844), Tschukin (Reise nach Irkutsk), Tschichatschew (Ritt über die Pampas von Buenos Ayres, 1844; Asie Mineure, 1853); ferner Reisen von Wrangell im arktischen Asien, von Sagoskin im Russischen Amerika, von Middendorfs Reise in das arktische Rußand (Petersb. 1846 ff., 4 Bde.), Castréns Reise zur Erforschung der finnischen u. altaischen Völker (Nordische Reisen u. Forschungen, Petersb. 1853), Brossets Archäologische Reise nach Georgien u. Armenien etc. Von Reisen in das Ausland fanden außer den Schriften Andrei Murawiews noch Umanez Reise nach dem Sinai (Petersb. 1850, 2 Bde.), Raphalowitschs Reise durch die Europäische Türkei, Syrien etc. (1848) u. Ägypten (Petersb. 1850) gute Aufnahme im In- u. Ausland. Sonst verdienen noch Erwähnung Fürst Alexis Soltikow (Lettres sur l'Inde, Par. 1850; Briefe aus Persien, Mosk. 1851), Pater Hyacinth (st. 1852; schr. mehre Werke über China u. Hochasien); J. Beresin (Reisen in Daghestan, Kasan 1852), Leon Cienkowski (Über die Länder am oberen Nil). Ein sehr umfassendes Werk ist Stuckenbergs Hydrographie des Russischen Reiches (Petersb. 1845–50, 5 Bde.). Bes. sind hier auch die Arbeiten der Russischen Geographischen Gesellschaft zu erwähnen, welche nicht blos von Seiten des Kaisers, sondern auch von reichen Privaten Unterstützung u. Förderung genoß, u. der Beiträge zur Nautik u. Geographie in den Memoiren der russischen Admiralität. Das unter Kaiser Paul gegründete Kartendepot brachte unter Kaiser Alexander Früchte u. gab die erste Karte von Rußland in 100 Blättern heraus; in der neuesten Zeit machten sich namentlich Nadeshdin u. Köppen verdient, welcher Letztere u.a. eine ethnographische Karte des Russischen Reiches (Petersb. 1852, 4 Blatt) veröffentlichte.

Zu den ausgezeichnetsten Leistungen der R-n L. gehören die auf dem Gebiete der Sprachenkunde. Einerseits die große Anzahl von Völkern der verschiedensten Zungen u. Religionen, andererseits die Nachbarschaft u. der unmittelbare Verkehr mit den Völkern Asiens, ja selbst mit denen eines Theils des arktischen Amerika, boten die natürliche Veranlassung zur Erlernung u. Bearbeitung namentlich der morgenländischen Verkehrssprachen, sowie zur Unterstützung solcher Studien u. Bestrebungen von Seiten der Regierung. Hierzu kommt, daß es jetzt, wo fast jährlich ganze Stämme u. Völkerschaften mit ihren Sprachen vor der immer mehr vordringenden u. festere Wurzeln schlagenden europäischen Civilisation dahinschmelzen u. für immer aus der Reihe der selbständigen Nationen verschwinden, dem Freunde der Geschichte u. Ethnographie daran gelegen sein muß die noch vorhandenen Trümmer aufzusammeln u. die Sprachen, die Sitten u. den Glauben der vielen, wie es scheint noch für dieses Jahrhundert zum Untergang bestimmten Glieder in der ausgedehnten altaischen Völkerkette, der kaukasischen u. arktischen Völkergruppen, hinreichend genau kennen zu lernen. Durch Reisende, wie Sjögrén, Middendorf, Castrén u. A., ist für diesen Zweck bereits sehr viel geschehen. Einer besonderen Berücksichtigung u. Bearbeitung, zum Theil im Geiste der neuen Sprachforschung, erfreute sich unter den sogenannten Altaischen Sprachen zunächst die Sprache u. Literatur der Finnen. Nachdem schon Schröter (Finnische Runen, Ups. 1819, Stuttg. 1834) u. Topelius (Åbo 1822–26, 3 Bde.) Einzelnes aus dem noch im Munde des Volkes fortlebenden Liederschatze bekannt gemacht hatten, war es namentlich Elias Lönnrot (s.d.), welcher mit Eifer die Reste der nationalen epischen Poesie, die Volkslieder, Räthsel etc. sammelte u. herausgab. Um die grammatische Bearbeitung u. praktische Weiterbildung der Sprache machte sich außer E. Lönnrot[485] namentlich Eurén (Finsk Språklära, Helsingf. 1850), Rein, Kellgrén, Sjögrén, Schiefner u. A. verdient, s.u. Finnische Sprache u. Literatur. Hand in Hand mit diesen im nationalen Interesse gethanen Schritten geht die Bearbeitung der zunächst verwandten finnischen u. uralischen Sprachen, sowie überhaupt der Sprachen des gesammten altaischen Stammes. So wurden bearbeitet die Sprache der Syrjänen von Castrén (Helsingf. 1844) u. Wiedemann (Mitau 1850), der Wotjäken von Wiedemann (Mitau 1851), der Tscheremissen von Castrén (Helsingf. 1851). Das Esthnische zog die Gelehrte Esthnische Gesellschaft zu Dorpat in ihr Bereich u. wurde durch Fählmann grammatisch bearbeitet (s.u. Esthnische Sprache). Um das benachbarte Lettische machten sich die Lettisch-literarische Gesellschaft u. die Kurländische Gesellschaft für Literatur u. Kunst, von einzelnen Gelehrten bes. Napierski u. H. Hesselberg verdient (s.u. Lettische Sprache). Von den sibirischen Sprachen wurde das Ostjäkische von Castrén (Petersb. 1849), die türkischen Mundarten Sibiriens von Böhtlingk (Über das Jakutische, Petersb. 1851), von den arktischen Sprachen das Aleutische (Petersb. 1846), sowie die Sprachen der Koloschen u. Kadjaker von Benjaminoff (Petersb. 1846) bearbeitet. Für das Türkische, namentlich die um Kasan gesprochene Mundart desselben, geschah Vieles, namentlich durch Beresin; eine türkische Grammatik gab Kasembeg (deutsch von Zencker, Lpz. 1850). Für das Mongolische lieferten außer J. J. Schmidt noch Beresin, Kowalewski u. Bobrownikow schätzenswerthe Arbeiten; mit dem Kalmückischen haben sich J. J. Schmidt u. bes. Popow beschäftigt. Das Tatarische wurde von Trojanskij behandelt, das Mandschu von Joseph Wojciechowski (st. 1850). Das für Rußland wichtige Georgische fand an Brosset u. Tschubinow Bearbeiter; unter den übrigen kaukasischen Sprachen erhielt das Ossetische durch Sjögrén (Petersb. 1844) Grammatik u. Wörterbuch. Manche Bereicherungen erfuhr die Literatur des Armenischen. Über das Persische schrieb, außer Geitlin in Helsingfors, namentlich Dorn in Petersburg, welcher mehre persische Geschichtsschreiber herausgab u. übersetzte, sich auch mit Lesung der Münzen u. Aufschriften in der sogenannten Pehlwisprache beschäftigte u. zum ersten Male das Puschtu od. Afghanische bearbeitete. Das Studium des Arabischen wurde vor Allem durch Frähn, nächst dem durch Erdmann u. Gottwaldt gefördert. Von den Sprachen des östlichen Asiens hat namentlich noch das Chinesische, für welches bes. durch Hyacinth Bitschurin (st. 1852) viel geschah, für Rußland praktische Bedeutung, weshalb es auch an mehren Universitäten gelehrt wird; weniger das Tibetanische, welches an J. J. Schmidt, Böhtlingk u. Schiefner vorzügliche Bearbeiter fand, u. das Sanskrit, dessen Studium bes. durch Böhtlingk in Rußland vertreten wird. Das Studium der allgemeinen Sprachenkunde hatte früher an Friedrich von Adelung (st. 1843), die allgemeine vergleichende Grammatik an Chr. Fr. Gräfe (st. 1851) thätige Vertreter. Die klassischen Studien haben in Rußland fast keine Aufnahme gefunden, die wenigen in Rußland erschienenen philologischkritischen Arbeiten gehören dort lebenden od. angestellten Ausländern od. den Professoren zu Helsingfors u. Dorpat an. Ein gewisses Leben begann sich nur auf dem Gebiete der klassischen Alterthumswissenschaft zu zeigen, welche in den Propyläen ein gehaltreiches Organ erhielt u. in Leontiew in Moskau (Über die Anbetung des Zeus im alten Griechenland), Kutorga in Petersburg (Geschichte der athenischen Republik von der Ermordung Hipparchs bis zum Tod des Miltiades), Stassalewitsch (Biographie des Lykurg), Ordynskji (Volksleben der Athener), Babst (Die Staatsmänner des alten Griechenlands) tüchtige Bearbeiter fand. Doch seit dem Rücktritt des selbst klassisch gebildeten Fürsten Uwarow aus dem Ministerium des Unterrichts (1853) wurden diese humanistischen Tendenzen mit ungünstigem Auge betrachtet, u. der Unterricht im Griechischen auf den Gymnasien beschränkt. Auf dem Gebiet der Archäologie machten sich außer den bereits (s. oben) genannten Forschern über das Alterthum in Südrußland bes. Köhler u. Stephani in Petersburg verdient. Das Studium der Slawischen Sprachen u. Literaturen steht in Rußland noch lange nicht auf der wissenschaftlichen Höhe, wie in Deutschland, Bedeutendes für das alte Kirchenslawische u. die ältere Russische Sprache leistete früher K. Kalajdowitsch (Johann Eparch, Mosk. 1824) u. P. v. Köppen, in neuerer Zeit bes. Wostokow (Die Handschriften des Romanzowschen Museum, 1842 etc.). Dem Mangel einer russischen Grammatik abzuhelfen gab 1802 die russische Akademie eine solche heraus; Erwähnung verdienen auch die grammatischen u. lexikographischen Arbeiten von Wostokow, Sokolow, Born, Heym, Linde, Vater, Tappe, Puchmaier, Gretsch, Oldekop. Ein großes russisches u. kirchenslawisches Wörterbuch gab die russische Akademie (Petersb. 1847, 4 Bde.) heraus; von wissenschaftlichem Standpunkte aus behandelte seit 1851 Böhtlingk einzelne Partien der russischen Grammatik. Über Geschichte der R. L. schrieben Nik. Gretsch (Lehrbuch der R. L., Petersb. 1819 ff., 2 Thle.), Ostolopow (Lexikon der alten u. neuen Poesie, Petersb. 1821, 3 Bde.), Nikitenko (Vorstudien zu einer Geschichte der Literatur, 1845), Milakow (Geschichte der russischen Poesie, Petersb. 1847), Dudyschkin; schätzbare Beiträge lieferte auch der Metropolit Ewgenius (Lexikon geistlicher Autoren; Lexikon der russischen Schriftsteller weltlichen Standes). Das Hauptwerk über russische Bibliographie lieferte Sopikow (Essai de bibliographie Russe, Petersb. 1813 ff., 5 Thle.). In Deutschland schrieben über R. L.: Otto, Lehrbuch der R. L., Lpz. 1837; Jordan, Geschichte der R. L., Lpz. 1847; Boltz, Über die R. L., Berl. 1850.

Quelle: Pierer's Universal-Lexikon, Band 14. Altenburg 1862, S. 475-486. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20010787488


Meyers 1909

[279] Russische Literatur. Wie in der politischen Geschichte der Russen, so bildet auch in der Geschichte ihrer Literatur den Hauptwendepunkt die Regierungszeit Peters d. Gr. Danach zerfällt die Geschichte der russischen Literatur in die zwei großen Hauptabschnitte: 1) die Zeit bis auf Peter d. Gr. und 2) die Zeit seit Peter d. Gr. Den zweiten Hauptabschnitt pflegt man in die Periode des 18. und die des 19. Jahrh. einzuteilen.

Die Literatur bis auf Peter d. Gr.

Die ersten Anfänge der Literatur der Russen wurzeln in ihrer ungemein reichen Volksliteratur, die man freilich erst zu Anfang des 19. Jahrh. ernstlich zu sammeln begonnen hat (s. unten, S. 282). Sie umfaßt Lieder und Märchen, ferner Sprichwörter, Rätsel und Besprechungen (bei Krankheit etc.). Unter den Liedern unterscheidet man rituelle Lieder oder Lieder mythischen Ursprungs, Heldenlieder oder Bylinen[279] (s. d.), Familienfestlieder und historische Lieder. Lassen sich all diese bis ins 18. Jahrh. von Geschlecht zu Geschlecht immer nur mündlich fortgepflanzten und im Laufe der Überlieferung natürlich mannigfach veränderten und verstümmelten poetischen Erzeugnisse des russischen Volks in bezug auf ihre Entstehung im einzelnen auch nicht mit Sicherheit bestimmten Jahrhunderten zuweisen, so besteht doch kein Zweifel darüber, daß sie mit ihren ersten Anfängen zum Teil in die vortatarische, ja manche, wie z. B. die Lieder mythischen Ursprungs, in die vorchristliche Zeit zurückreichen. Was die Kunstliteratur anbetrifft, so ist diese von den Donauslawen nach Rußland hinübergekommen, und zwar erst mit der Einführung des Christentums (988 unter Wladimir I.). Mit dem Christentum kamen die Bibel und andre Bücher kirchlichen Inhalts nach Rußland. Die Sprache, in der sie geschrieben waren, das damalige Bulgarische, wurde infolgedessen, im Laufe der Zeit mit russischen Formen und Wörtern untermischt, in Rußland die Schriftsprache und wird in den Kirchen bis auf den heutigen Tag gebraucht und von jedem, auch dem ungebildeten Russen im ganzen verstanden (s. Kirchenslawisch). Das älteste Sprachdenkmal bildet das Ostromirsche Evangelium, eine in den Jahren 1056–57 für den Poßadnik (Präsidenten) Ostromir der Republik Nowogorod angefertigte Kopie einer kirchenslawischen Übersetzung der vier Evangelien. Sodann der Swjatoslawsche Sbornik, geschrieben 1073 für den Fürsten Swjatoslaw, Abschrift einer im 10. Jahrh. auf Veranlassung des bulgarischen Zaren Simeon gemachten bulgarischen Übersetzung von griechischen Sammelwerken, teils geistliche, teils historische, philosophische, rhetorische etc. Traktate enthaltend. Durch die Vermittelung der Bulgaren erhielt Rußland eine Flut von geistlichen Legen den und weltlichen Sagen, die oft aus Byzanz oder selbst aus dem Morgenland stammten, ein wunderliches Durcheinander von Apokryphen, Geschichte, Mythologie und Heiligenlegenden. So spielen z. B. die Sagen von Alexander d. Gr. und dem Trojanischen Kriege darin ihre Rolle; später ward manches direkt aus dem Griechischen in das Russische übertragen, und so findet man diese Literatur in den verschiedenen Codices bis ins 17. Jahrh. hinab; im Volk aber lebt manches bis heute noch. In der Mitte des 11. Jahrh. lebte in Kiew, dem eigentlichen Mittelpunkt der damaligen Bildungstätigkeit, auch der Mönch Nestor, von dem angeblich die älteste Chronik Rußlands stammt (s. Nestor). Die Quellen dieser Chronik sind byzantinische Chronikschreiber, einzelne Sagen, Heiligengeschichten und Aussagen von Zeitgenossen. Ende des 11. Jahrh. entstand das »Lied vom Heereszug Igors gegen die Polowzer«, ein Gelegenheitsgedicht von größtem poetischen Schwung (vgl. Igor). Im Anfang des 13. Jahrh. kamen die Tataren über Rußland und legten ihm ein schweres Joch auf, dessen Wucht es über drei Jahrhunderte ertrug. Das 1240 von den Tataren zerstörte Kiew wurde 1320 von dem litauischen Großfürsten Gedimin erobert und kam dann später mit Litauen an Polen. Kaum erhielten sich spärliche Reste der Kultur in den vom byzantinischen Einfluß beherrschten Klöstern, und auch nach der Befreiung von den Tataren erholte sich Rußland nur langsam unter der Leitung Moskaus. Erst mit dem 16. Jahrh. bahnt sich neue Aufklärung langsam den Weg. Iwan IV. Wasiljewitsch (1533–84) ließ in den Städten Schulen anlegen und errichtete 1564 die erste russische Buchdruckerei in Moskau. Ein literarisches Denkmal der Bildung und Zustände jener Zeit bildet der »Domostroj« (s. d.), d.h. das Buch von der Haushaltung, ein Kodex praktischer Lebensweisheit und bürgerlicher Moral. Das in der Kultur weiter vorgerückte Polen übte in literarischer Beziehung Einfluß auf Rußland durch Kiew aus, wo der an dem Russischen Kollegium wirkende Peter Mogila (1597–1647) und seine Nachfolger Wissenschaft und Bildung hoben und dem Einfluß der sich in den Schulen Südwestrußlands festsetzenden Jesuiten erfolgreich entgegenarbeiteten (vgl. Artikel »Kleinrussische Sprache und Literatur«). Mit der Befreiung Kleinrußlands (nebst der Hauptstadt Kiew) von der polnischen Herrschaft und seiner Anlehnung an Großrußland machte sich der Einfluß Kiewer Gelehrten erst recht fühlbar. Durch sie drang ein Hauch europäischer Wissenschaft nach Moskau, und auch Peter d. Gr. bediente sich ihrer, bevor er die Lehrkräfte direkt aus Europa erlangen konnte. Aus der Zahl der Kiewer Gelehrten, die nach Großrußland kamen, sind namentlich Simeon Polozkij (gest. 1682) und der heil. Dmitrij Rostowskij (gest. 1709) zu erwähnen. Durch ihren Einfluß wurde 1685 in Moskau ein Kollegium (»slawonisch-griechisch-lateinische Akademie«) gegründet; ja unter dem Zaren Alexej Michailowitsch (Vater Peters d. Gr.) zeigen sich bereits Anfänge von weltlichen Dramen, die im Hause des aufgeklärten Bojaren Artamon Sergejewitsch Matwejew ausgeführt wurden. Dramen weltlichen Inhalts dichtete auch Feofan Prokopowitsch (1681 bis 1736), der Ratgeber Peters d. Gr.

Das 18. Jahrhundert.

Mit Peter d. Gr. beginnt die neue Periode der russischen Literatur. Die weltliche Literatur tritt in den Vordergrund und an Stelle des Kirchenslawischen wird allmählich das Russische die Schriftsprache, für das auf Veranlassung Peters um 1704 durch Anähnlichung der alten kirchenslawischen Buchstaben an den lateinischen Drucktypus die heutige russische Schrift geschaffen wurde. Das gewaltsame Herausreißen Rußlands aus dem alten Gleise, das Ausbilden von neuen Kräften in der Person junger Leute, die im Ausland oder von Ausländern erzogen wurden, gab zu der merkwürdigen Erscheinung Veranlassung, daß die neue russische Literaturperiode sofort mit der Satire, mit der Kritisierung der gegebenen Verhältnisse, begann. Als erster Dichter der neuen Epoche wird der Fürst Antiochus Kantemir (1708–44) genannt. Seine in Paris erhaltene Bildung, die ihm die gesellschaftlichen Verhältnisse in seiner Heimat wunderlich erscheinen ließ, machte aus ihm einen Satiriker. Sein Versmaß ist aber noch das französische. Sein gelehrter Nachfolger Waßilij Tredjakowskij (1703 bis 1769) wies bereits auf die Notwendigkeit für die russische Verskunst hin, sich an den Rhythmus des russischen Volksliedes zu halten; doch war er selbst zu talentlos, um durchzugreifen. Erst seinem vielseitig begabten Nebenbuhler Michail Lomonossow (1711 oder 1712–65) gelang es, eine durchgreifende Reform in der Sprache und namentlich im Versmaß vorzunehmen. Lomonossow (s. d.) ist als Schöpfer der russischen Metrik anzusehen, steht jedoch als Gelehrter und Denker weit höher denn als (lyrischer) Dichter. Sein Zeitgenosse Alexander Sumarokow (1718–1777) schrieb vorzugsweise Tragödien nach französischen Mustern in Alexandrinern (die ersten ständigen russischen Theater wurden 1756 in St. Petersburg und 1759 in Moskau gegründet), und ihm zur Seite als Dramatiker steht der talentvollere Jakow Knjashnin (1742–91).[280] Der Regierungsanfang Katharinas II. (1762) schien überaus günstig für die Entwickelung der Literatur. Sie gründete eine Reihe von satirischen Blättern, unterstützte junge Talente und schrieb selbst Komödien, Novellen u. dgl. Noch 1783 erließ sie einen Ukas über die Zulassung freier Privatbuchdruckereien, um dadurch die Volksbildung zu heben. Zu derselben Zeit wirkten in Moskau Nikolaj Nowikow (1744–1818) und sein Freund Johann Schwartz (erst seit 1776 in Rußland, gest. 1784) sehr förderlich für Literatur und Bildung. Sie gründeten Druckereien, Bibliotheken, Buchhandlungen, Zeitschriften sowie auch die »Freundschaftliche gelehrte Gesellschaft«. Am Ende von Nowikows Tätigkeit gab es in Moskau 20 Buchhandlungen, die jährlich für 200,000 Rubel Bücher in Umlauf setzten, vorher nur 2 mit einem Umsatz von 10,000 Rubel. Außerdem wurden zahlreiche Bücher (meist Übersetzungen) von Nowikow unentgeltlich im ganzen Reiche verteilt. Die satirisch-didaktischen Komödien der Kaiserin Katharina fanden einen meisterhaften Fortsetzer in Denis Fonwisin (eigentl. von Wiesen, 1745–92), dem Verfasser der Stücke: »Muttersöhnchen« (»Nedorosl'«) und »Der Brigadier«, worin die Sucht der Zeitgenossen, trotz innerer Geistesarmut europäisch gebildet zu scheinen, scharf gegeißelt wird. Das bedeutendste poetische Talent jener Zeit offenbarte sich aber in dem Hofdichter Gawriil Dershawin (1743–1816), der die Zarin in seiner »Feliza« verherrlichte. Am berühmtesten ist seine Ode »An Gott«, die in alle europäischen Sprachen übersetzt wurde, im übrigen aber mehr ein rhetorisches, nur hier und da mit Perlen echter Poesie geziertes Stück ist. Von den gleichzeitigen Dichtern mögen noch erwähnt werden: Mich. Cheraskow (1733–1807), der Verfasser des Epos »Die Rossiade«, und Ippolyt Bogdanowitsch (1743–1803), der eine Bearbeitung von Lafontaines »Psyché et Cupidon« u. d. T. »Dušenka« veröffentlichte. In die Nowikowsche Gesellschaft, die von allen Seiten junge talentvolle Leute an sich zog, trat auch der jugendliche Karamsin (1765–1826), dessen literarisches Wirken epochemachend wurde. Zuerst mit Übersetzungen und Schriften für die Jugend beschäftigt, wurde er bald zu seiner weitern Ausbildung nach Westeuropa gesandt, und dieser Aufenthalt im Ausland (1789–91) förderte nicht nur seine geistige Entwickelung, sondern schützte ihn persönlich auch vor der großen Gefahr, das alsbald über seine Moskauer Freunde hereinbrechende Schicksal teilen zu müssen. Katharinas früheres pseudoliberales System verwandelte sich in ein streng repressives; die früher von ihr geförderten Privatdruckereien wurden 1796 geschlossen, die Einfuhr ausländischer Bücher untersagt und geistliche und weltliche Zensur eingerichtet. Die Nowikowsche Gesellschaft war schon vorher aufgehoben, Nowikow selbst 1792 eingekerkert worden. Sogleich nach der Rückkehr von seiner Reise veröffentlichte Karamsin 1791–92 seine berühmten »Briefe eines russischen Reisenden«. Bis dahin kannte man die europäischen Verhältnisse nur aus mangelhaft übersetzten Büchern, und hielt sich für europäisch gebildet, wenn man die Franzosen in ihrer Kleidung und pseudoklassischen Literatur nachäffte. Jetzt führte Karamsin in seinen Briefen Natur und Gesellschaft des Westens den Russen in treuen und lebensvollen Schilderungen vor. Dabei war seine Sprache leicht und gefällig, glücklich kontrastierend mit der noch immer stark kirchenslawisch gefärbten, schwerfälligen Schriftsprache. Auch gründete Karamsin eine Monatsschrift: »Vêstnik Jevropy« (»Der europäische Bote«), in der er literarwissenschaftliche Mitteilungen machte und fortfuhr, seine Landsleute zu belehren. Übrigens bildete sich eine starke konservative Partei gegen ihn mit Schischkow, dem Präsidenten der Akademie, an der Spitze, und es entbrannte ein Kampf, an dem sich alles beteiligte, in dem aber doch alle frischen Kräfte auf der Seite Karamsins standen. Durch letztern wurden die sentimentale Dichtung und das bürgerliche Drama in Rußland eingeführt und der Kampf gegen den Pseudoklassizismus eröffnet mit seiner rührsamen Novelle »Bêdnaja Liza« (»Die arme Lisa«). In ihm erhielt Rußland auch einen Geschichtschreiber, der zuerst die ganze Geschichte des Reiches nach den Quellen bearbeitete (vgl. unten). Der Schwerpunkt seiner literarischen Tätigkeit fällt in die Regierungsjahre Kaiser Alexanders I. und somit bereits in das 19. Jahrh. Karamsin zur Seite stand sein Jugendfreund Iwan Dmitrijew (1760–1837), der mit seinem Vorgänger Iwan Chemnitzer (1745–84) als Vorläufer Krylows (s. unten) in der Fabeldichtung zu betrachten ist. Als Tragödiendichter ist Oserow (1770–1816) zu nennen, der seine Helden französisch drapierte, wenn er auch hier und da zu deutschen und englischen Mustern griff. Als Dichter ungleich höher als Karamsin steht sein jüngerer Zeitgenosse Waßilij Shukowskij (1783–1852), der wie dieser die sentimentale Dichtung, so seinerseits die Romantik in Rußland einführte. Hat er auch, in das Studium der deutschen und englischen Dichter versunken, mehr diese übersetzt als selbständig gedichtet, so verstand er doch überall sein persönliches Denken und Fühlen mit hinein zu verweben.

Das 19. Jahrhundert.

Die Napoleonischen Kriege hatten auch in Rußland eine für das Nationalbewußtsein fördernde Wirkung; namentlich war der Zug des russischen Heeres bis nach Paris von großem Einfluß auf die bedeutende Zahl von gebildeten Russen, die bei der Armee standen. Die empfängliche Jugend kam mit neuem, von Humanität, Bildung und Freiheitsliebe erfülltem Geist ins Vaterland zurück und beeilte sich, durch dichterische Ergüsse und literarisches Wirken ihrem Herzen Luft zu machen. Kaiser Alexander I., bei seinem Regierungsantritt selbst liberal gestimmt, begrüßte mit Freuden die Freiheitsgedanken, die sich in der Literatur kundgaben. Die begeisterten, von Freiheit und Fortschritt träumenden Männer bildeten Vereine und griffen in alle Gebiete der ethischen und sozialpolitischen Interessen ein. Der Dichter Rylejew (1795–1826) gab diesen Bestrebungen den eigentlichen poetischen Ausdruck. Allein mit der bald eintretenden krassen Reaktion stieg die Unzufriedenheit. Bereits begann jetzt der Kampf der Regierung mit den Neuerern, und nach der mißlungenen Revolte bei der Thronbesteigung des Kaisers Nikolaus trat bald die allgemeine Verfolgung ein. Rylejew starb durch den Strang, A. A. Bestushew (Pseudonym Marlinskij, 1797–1837), Fürst A. J. Odojewskij u.a. endigten ihr Leben in der Verbannung in den Bergwerken Sibiriens oder im Kaukasus, zu gemeinen Soldaten degradiert. Neben der himmelstürmenden romantischen Muse Shukowskijs ertönte die klangvolle Leier des genußsüchtigen, mehr realistischen Batjuschkow (1787–1855), der nach der Rückkehr mit der siegreichen Armee aus Westeuropa, in seinem Vaterland schwer enttäuscht, dem Irrsinn anheimfiel. Zu erwähnen sind noch Iwan Koslow (1779–1840), der blinde Dichter des »Mönchs«, A. F. Wojejkow (1778–1839), der Verfasser der Satire »Das Irrenhaus«, [281] Iwan Gneditsch (1784–1833), der Übersetzer der »Ilias«, besonders hervorzuheben aber Iwan Krylow (1768–1844), der erste rein volkstümliche Dichter, in dessen Fabeln sich der nationale Humor abspiegelt, und der an poetischem Wert alle europäischen Fabeldichter überflügelt, Lafontaine nicht ausgenommen.

Diese Männer ebneten Alexander Puschkin (1799 bis 1837), dem größten russischen Dichter, den Weg; mit ihm beginnt die Periode der neuern Literatur Rußlands. Puschkin trat zuerst als Romantiker auf. Die Napoleonischen Kriege gaben ihm Gelegenheit, patriotische Lieder anzustimmen, die er Shukowskij nachdichtete. Kaum dem Knabenalter entwachsen, schrieb er seine »Ode auf die Freiheit«, die damals vom Kaiser Alexander mit Wohlwollen aufgenommen, später aber streng verboten ward. Schon einige Jahre darauf, nach den Kongressen von Aachen (1818), Troppau und Laibach, trat die Reaktion ein, und Puschkin, der sich inzwischen durch das romantische Poem »Rußlan und Ludmilla« wie durch Freiheitslieder und wohlgezielte Epigramme einen Namen erworben hatte, entging nur durch die Verwendung einflußreicher Männer der Verbannung nach Sibirien. Er wurde zuerst nach dem Süden, dann auf sein Landgut verwiesen und unter polizeiliche Aussicht gestellt. Hier in der Einsamkeit reisten seine besten Werke. Er entsagte der Romantik; der lebensmüde Byronismus erfaßte ihn, aus dem er jedoch durch die immer größer werdende Fühlung mit den Strömungen nationaler Bewegungen gerettet wurde. Gerade um jene Zeit sing man an, sich mehr mit der Volksdichtung zu beschäftigen. Die aufgefundene Sammlung der epischen Volkslieder (Bylinen, s. d.) von K. Danilow (hrsg. von Kalajdowitsch, 1818; über die spätern Sammlungen s. daselbst) erregte die Aufmerksamkeit der aufgeklärtern Forscher und Dichter. Das bis dahin vernachlässigte Element der Volksdichtung übte nunmehr seinen Einfluß auch auf die russische Kunstliteratur und gab ihr zuerst durch Puschkin und die ihn umgebenden Dichter neue Kraft und eine neue Richtung. Jetzt erst verdient die r. L. den Namen einer nationalen. Seit dieser Zeit versuchen Geist und Talent der besten Dichter und Prosaiker die Strömungen des nationalen Wesens mit den vom Westen hereingedrungenen auszugleichen. Sie sind bestrebt, das Ideal eines den Erfordernissen Rußlands angemessenen Charakters zu zeichnen, und zwar suchen die einen das Ziel mehr durch Anlehnung an die westeuropäischen Literaturen zu erreichen, die andern, indem sie sich streng an das Nationale halten, das jeder nach seiner Art zu formulieren sucht. Auf diesem Weg entstanden die zwei Hauptparteien der neuen russischen Literatur: die der Slawophilen und die der Westlinge (Zapadniki, spr. sápadniki), welche die große Masse der lesenden Kreise in zwei Lager teilen. Schon in Puschkins poetischer Erzählung »Rußlan und Ludmilla« tritt deutlich das Streben hervor, die ausländische Romantik mit dem einheimischen Volkstümlichen zu verbinden. Dann tritt in seinen nächsten größern Dichtungen (»Der Gefangene im Kaukasus«, 1821; »Der Springbrunnen von Bachtschißaraj«, 1822; »Die Zigeuner«, 1824) an die Stelle des Romantischen der Byronismus, bis endlich sein nationaler Roman in Versen: »Eugen Onegin« (1823–31), folgt, in dem zuerst wohl noch der Einfluß Byrons zu bemerken ist, bald aber unter den volkstümlichen Szenen und Naturschilderungen verschwindet, und in dessen Helden sich alle Mängel und Vorzüge der auf dem Boden der damaligen russischen Gesellschaft zur Entwickelung gekommenen Eigenheiten klar abspiegeln. Bevor noch das Werk im Druck erschien, hatte sich handschriftlich die von der Zensur unterdrückte Komödie »Gore ot uma« (»Das Unglück, klug zu sein«) von Gribojedow (1793–1829) verbreitet, in welcher der aus Westeuropa zurückkehrende Tschatzkij vergebens versucht, das ethische Niveau der Gesellschaft zu heben, ja für politisch gefährlich und schließlich für wahnsinnig erklärt wird. Die Konzeptionen der bessern Werke Puschkins oder ihre Vollendung fallen in das Jahr 1825, so außer einer Masse von lyrischen Gedichten auch »Boris Godunow«, ein national-historisches Drama. Von Kaiser Nikolaus an den Hof gezogen, erhielt Puschkin, der auch mehrere Prosanovellen veröffentlichte (»Die Hauptmannstochter«, »Dubrowskij« etc.) hier unter anderm den Auftrag, die »Geschichte des Pugatschewschen Aufstandes« zu schreiben (gedruckt Petersb. 1834) und fiel dann bald danach, kaum 38 Jahre alt, in einem Duell.

Um Puschkin bildete sich ein ganzer Kreis von Dichtern, aus dem Baratynskij (1800–44), Jasykow (1803–47) und Delwig (1798–1831) hervorragen; auch gehören hierher: der früh verstorbene Dmitrij Wenewitinow (1805–27) und der unglückliche Poleshajew (1810–38). Es ist die Lyrik der Verzweiflung, die letzterer anstimmt; die Zensur lastete wie ein schrecklicher Alp auf den Geistesprodukten, Wissenschaft und Bildung wurden unter die Polizei gestellt, die Zahl der Studierenden ward begrenzt, die Philosophie ganz aus dem Kreis der Lehrgegenstände verbannt, in den Geschichtsbüchern die Zeit der französischen Revolution gestrichen, jede Beziehung mit dem Auslande möglichst erschwert und fast alles Gedruckte an zwei Journalisten, Bulgarin und Gretsch, die in Petersburg die »Severnaja Pčela« (»Die nordische Biene«) herausgaben, gleichsam verpachtet. Aber aller Hindernisse ungeachtet brach sich die Kulturbewegung Bahn. Nicht wenig Verdienst ist dem Publizisten N. A. Polewoj (1796–1846) zuzuschreiben, wenn er auch schließlich doch von der Autokratie gebeugt und gebrochen wurde. Das geistige Leben zog sich in den 1840er Jahren in die moskauischen Kreise zurück, wo es sich fern von dem Petersburger Zentralismus und Bureaukratismus freier bewegen konnte. Junge Leute, von denen viele auf deutschen Universitäten studiert hatten, brachten die Liebe zur Beschäftigung mit der Philosophie (Schelling, Fichte und besonders Hegel) mit nach Hause. In diesen Kreisen kam die eigentliche Teilung in Slawophilen und Westlinge zur Geltung. Die einen wie die andern befleißigten sich, eine soziale Reformation der gesellschaftlichen und staatlichen Verhältnisse hervorzurufen: die einen auf nationalem Boden, auf Grund philosophischer, kirchlicher und geschichtlicher traumhafter Prinzipien, die andern, indem sie mehr die sozialpolitischen Fragen betonten, deren Klärung sie in den westeuropäischen Schriften suchten. Zu den erstern gehören der Dichter Chomjakow (1804–60), der eigentliche Vater des Slawophilentums, rein in seinen Bestrebungen, aber, von Humanität und Patriotismus hingerissen, optimistisch einseitig, Sergej Aksakow (1791–1859; sein Hauptwerk ist die »Familienchronik«, eine patriarchalische Schilderung des russischen Familienlebens) nebst seinen Söhnen Konstantin (1817–60) und Iwan (1823–86) sowie Peter Kirejewskij (1808–56), der emsige Sammler russischer Volkslieder, und sein Bruder Iwan (1806 bis 1856). Zu der Partei der Westlinge gehörten: [282] Alexander Herzen (Pseudonym Iskander, 1812–1870), Nikolaj Ogarew (1813–77) und vor allen der auf die Entwickelung der russischen Gesellschaft und Literatur überaus einflußreiche Kritiker Belinskij (1811–48). Letzterer verstand es, jedes neu erscheinende Werk nicht bloß von dem Standpunkt der ästhetischen Kritik aus zu beurteilen, sondern auch seinen Zusammenhang mit den Lebenserscheinungen zu zeigen, so daß er mit seinem Worte trotz der Zensur tief eingriff und als Erzieher der Gesellschaft im höhern Sinne des Wortes erscheint. Auch auf manches schriftstellerische Talent machte er zuerst aufmerksam, so auf Alexej Kolzow (1809–42), den Dichter inniger Lieder, die zum Teil vom Volke gesungen werden, ohne daß es den Verfasser kennt.

Neben Puschkin steht der feurige, groß angelegte, leider schon im 27. Lebensjahr in einem Duell gefallene Michail Lermontow (1814–41). Nach Puschkins Tode stellte er sich sofort auf die Seite derjenigen, die, eine böse Intrige erkennend, Bestrafung der Schuldigen verlangten (vgl. sein Gedicht »Am Grabe Puschkins«). Der Zar verbannte ihn nach dem Kaukasus, und der Druck seiner Gedichte ward verboten, so daß nur mit großer Mühe und ohne den Namen des Verfassers das »Lied vom Zaren Iwan Wasiljewitsch« veröffentlicht werden konnte. Lermontows ganzes Dichten und Trachten war Opposition gegen das herrschende System der Regierung, gegen den herrschenden Ton und die Ideale der Gesellschaft; er ist daher auch ein rein subjektiver Dichter, so auch in seinem in unübertroffener Prosa geschriebenen Roman: »Der Held unsrer Zeit«. Etwas später (1843) erschien Herzens Roman »Wer ist schuld?«, in dem der Held Beltow, der vergebens nach einer größern sozialpolitischen Tätigkeit strebt, Rußland verläßt und sich den Leidenschaften und, trotz seiner demokratischen Gesinnungen, dem vornehmen Müßiggang ergibt. Um dieselbe Zeit tritt der größte der russischen Humoristen, Nikolaj Gogol (1809–52), mit seinen Erzählungen und Theaterstücken auf. Die vier eben erwähnten Dichter berühren in ihren Schilderungen mehr die gebildeten oder höhern Kreise; Gogol aber führt den Leser in alle Schichten der Gesellschaft, und voll Schmerz über ihren jammererweckenden moralischen Zustand trifft er sie mit der Geißel seines Spottes. Seinem unvergleichlichen Humor läßt er die Zügel schießen, und mit Wehmut betrachtet er seine Typen, an denen er immer noch das rein Menschliche herauszufinden weiß, um den denkenden Leser nicht verzweifeln zu lassen. Dies gilt namentlich von dem größten Werke Gogols, dem unvollendet gebliebenen Roman »Die toten Seelen«. In seinen Novellen zeichnet Gogol öfters das Volksleben Kleinrußlands mit anmutigem Humor. Seine Komödien, namentlich »Der Revisor«, worin er das russische Beamtenwesen geißelt, sind unübertroffen geblieben. Gogols Schreibart ist ganz realistisch, der kleinste Zug ist aus dem Leben gegriffen, und ihm folgen darin alle spätern Romanschriftsteller. Er gilt als das Haupt der »Enthüllungsliteratur« (obličitel'naja literatura, d.h. der Literatur, welche die Mängel der Gesellschaft aufdeckt), obwohl bei ihm ein ideales Streben nicht abzuleugnen ist. Wir erwähnen nur kurz die weniger bedeutenden Dichter und Erzähler: Benediktow, Gräfin Rostoptschin, Fürst Wjasemskij, Graf Sollogub (vortreffliche Erzählungen, z. B. »Geschichte zweier Galoschen«, »Der Tarantas«), A. W. Drushinin (»Paulinchen Sachs«) und die Vertreter des historischen Romans, Sagoskin (»Jurij Miloslawskij«), Lashetschnikow (»Der Basurman«, »Der Eispalast«) und Masalskij (»Die Strelitzen«, »Die Regentschaft Birons«).

Zu Ende der 40er Jahre, mit den revolutionären Bewegungen in Westeuropa, wurde die Reaktion noch stärker, und die Zensur schlug die Literatur vollends in Banden. Da kam der Krimkrieg, und das Unglück öffnete endlich die Augen. Herzen gab im Ausland seine Zeitschrift »Kolokol« (»Die Glocke«) heraus, die Gesellschaft aus dem Schlafe läutend. Das alte System brach zusammen, und mit der neuen Regierung kam die Befreiung der Leibeignen und die Justizreform. Das lange hart geknebelte Rußland atmete tief auf; alle Fragen des sozialen und politischen Lebens wurden berührt. Man lebte wie im Fieber, und wie in den Zeiten einer Revolution machte man schnell alle Phasen der Entwickelung durch. Voran ging die Literatur, die Tendenzen und Bestrebungen formulierend, ihnen den Namen gebend und Typen zeichnend, die dann im Leben vorkommenden Charakteren Abrundung und ganzen Parteien ihre Benennung verliehen. Vor allen sind es Turgenjew und Gontscharow, an deren Romanen, in chronologischer Reihenfolge gelesen, man die Geschichte der innern Entwickelung der Gesellschaft studieren kann. Iwan Turgenjew (1818–83) begründete seinen Ruhm mit dem »Tagebuch eines Jägers« (1847–51), in dem er in kleinen trefflichen Erzählungen Land und Leute schildert. Dann folgte der Roman »Rudin« (1855), worin er einen talentvollen, strebsamen Mann vorführt, der aber für seine Tätigkeit keinen Boden findet, an Energielosigkeit leidet und schließlich in Frankreich als Barrikadenkämpfer seinen Tod findet. Wenige Jahre später erscheint das »Adlige Nest«. Der Held, Lawretzkij, ist eine gebrochene edle Natur, die, ihrer Schwachheit sich wohl bewußt, Kraft und Gelingen von den Bestrebungen der aufwachsenden Jugend erwartet. Im folgenden Roman: »Am Vorabend« (geschrieben 1859), stehen wir wirklich am Vorabend der Zeit, wo die tatkräftigen Männer erscheinen sollen. Mit Spannung erwartete man das nun folgende Werk »Väter und Söhne« (1861). Der schnelle Entwickelungsprozeß, der sich in der Gesellschaft vollzog, hatte eiligst die alten Ideale eins nach dem andern zur Seite geräumt; die Formen und Begriffe wurden scharfer Kritik unterworfen und für unhaltbar, und zugleich jede Autorität, die auf dem Hergebrachten beruht, für Vorurteil erklärt. Basarow, der Held des letztgenannten Romans, erklärt sich selbst für einen »Nihilisten«. Dieser Name kommt hier zuerst auf und ward zum Wahlspruch der Jugend, die, Basarow nachahmend, ihn an der Hand des Kritikers und Publizisten Pißarew (1841–68) an Schroffheit noch überflügelte und nicht einmal seine Kenntnisse besaß. In voller Verzweiflung schrieb Turgenjew 1867 seinen Roman »Rauch«, worin er Väter und Söhne, alle Parteien und Schichten der gebildeten Gesellschaft für bankrott erklärt, und erst 1876, nachdem er wieder Gelegenheit gehabt, in Rußland selbst Beobachtungen anzustellen, schrieb er seinen letzten Roman: »Neuland«, ein farbenreiches Gemälde der Ideen und der Agitation der russischen Sozialisten, zugleich aber auch ein düsteres Bild der innern Zustände Rußlands.

Dieselben Fragen berührt der nicht weniger verdiente und talentvolle Romanschriftsteller Iwan Gontscharow (1813–91; »Eine alltägliche Geschichte«, »Oblomow«, »Der Absturz« etc.), neben dem noch Alexej Pißemskij (1820–81) genannt sei, der das[283] Alltagsleben mit groben, aber lebensvollen Zügen darstellt (»Tausend Seelen«). Als Kritiker und Publizisten sind als Belinskijs Nachfolger zu nennen: Dobroljubow (1836–61), A. Grigorjew (1825 bis 1864), der schon genannte Pißarew und der 1864–83 in der Verbannung in Sibirien lebende Nikolaj Tschernyschewskij (1828–89), dessen einflußreiche publizistische Tätigkeit durch den stark nihilistisch gehaltenen Tendenzroman: »Was tun?« (1863), einen Abschluß fand. Die moderne tendenziöse Richtung fand ihren Hauptdichter in Nikolaj A. Nekrassow (1821–78); er schrieb meist Gedichte lyrisch-satirischen Inhalts. Ihm zur Seite steht als Satiriker in Prosa Michail Saltykow (Pseudonym Schtschedrin, 1826–89), der mit den »Bildern aus der Provinz« seinen Ruf begründete. Ein hervorragender kleinrussischer Lyriker, Taras Schewtschenko (1814 bis 1861), sang in schwermütigen Tönen das Leid der Bedrückten und schmachtete in jahrelanger Kerkerhaft. Das Leid der Bedrückten lernte auch der 1849 zu den Bergwerken Sibiriens verurteilte und erst zu Anfang der Regierung Alexanders 11. begnadigte Fjodor Dostojewskij (1821–81) kennen, der in den »Memoiren aus dem toten Haus« (d.h. dem Zwangsarbeitshaus, 1860) seine Erlebnisse und Beobachtungen in Sibirien ergreifend schildert und dann in dem Roman »Verbrechen und Strafe« ein großartiges, erschütterndes Bild sozialer Fäulnis entwirft.

Von Erzählern sind außerdem zu erwähnen: die Vertreter der russischen Dorfgeschichte, wie W. Dal (Pseudonym Kosak Luganskij, 1801–72), Dmitrij Grigorowitsch (1822–1900; »Das Dorf«, »Die Fischer«, »Die Übergesiedelten«), die kleinrussische Schriftstellerin M. A. Markowitsch (Pseudonym Marko-Wowtschok), der schon oben genannte Pißemskij (»Rübezahl«, »Die Tischlerzunft«) und Alexej Potjechin (geb. 1829; »Ein Blitzmädel«, »Ums Geld«); ferner P. J. Iakuschkin (1820–72), W. A. Slepzow (1836–78), G. J. Lewitow (1842–77) und N. J. Naumow (geb. 1838); alsdann die Verfasser volkstümlicher Kulturgemälde, die sehr oft vom höchsten ethnographischen Wert sind, wie F. Reschetnikow (1841–71; »Die Podlipowzer«), N. Leskow (Pseudonym Stebnitzkij, 1831–95), der namentlich gelungene Typen der russischen Geistlichkeit vorführt, E. Markow (»Schwarzerdige Felder«), Pawel F. Melnikow (Pseudonym A. Petscherskij, 1819–83), der in seinen Romanen: »In den Wäldern« und »Auf den Bergen« ein großartiges Gemälde von den Sitten der russischen Sektierer (Raskolniken) an der Wolga entwirft, S. Maximow (geb. 1831, »Ein Jahr im Norden«) und Grig. P. Danilewskij (1829–90), der sich später dem rein historischen Roman zuwandte; die Schilderer des russischen Proletariats: Nikolaj G. Pomjalowskij (1835–63), Gleb J. Uspenskij (1840–1902) und Wsewolod W. Krestowskij (geb. 1840), der Verfasser der »Petersburger Geheimnisse«, endlich als Verfasser von historischen Romanen N. J. Kostomarow (1817 bis 1885, »Kudejar«), Alexej Tolstoi (s. unten), D. L. Mordowzow (»Idealisten und Realisten«), Graf E. A. Salias (geb. 1841, »Die Pugatschewzen«) u.a. Alle die Genannten aber werden weit überragt vom Grafen Lew Tolstoi (geb. 1828, s. d.), der sich in erster Linie durch die beiden großen Romane: »Krieg und Frieden« und »Anna Karenina« einen Ehrenplatz in der russischen Literatur erworben hat. Aus der neuesten Zeit sind anzuführen: N. D. Achscharumow (Intrigenromane), A. Michajlow-Scheller (»Brot und Schauspiele«), P. D. Boborykin (»Kitaj Gorod«), der talentvolle W. Garschin (1855 bis 1888), K. S. Baranzewitsch, M. N. Albow, ein ausgeprägter Schüler Dostojewskijs, Nemirowitsch-Dantschenko (Reiseschilderungen) und vor allen A. Tschechow sowie neuerdings L. Andrejew; ferner als die jüngsten Darsteller des Volkslebens A. Örtel, I. Salow, Mamin (Pseudonym Sibirjak) und besonders W. Korolenko sowie der durch seine Schilderungen des Lebens der »Barfüßer« in kurzer Zeit so berühmt gewordene Maxim Gorkij; von Schriftstellerinnen, außer Nadjeshda Chwoschtschinskaja (Pseudonym W. Krestowskij, 1825–89), welche die r. L. mit zahlreichen Romanen und Novellen von höchst sympathischer Tendenz und ausgezeichneter Darstellung (»Die Begegnung«, »Der Bariton« etc.) bereichert hat, namentlich W. J. Dmitrijewa, Olga Schapir und Marie Krestowskaja, Tochter des erwähnten W. Krestowskij.

Von den Lyrikern nach Nekrassow (s. oben) ist vor allen Apollon Majkow (1821–97), ein Dichter von höchster Formvollendung, aber auch im epischen Gedicht und im Drama (s. unten) ausgezeichnet, daneben als gleich große Meister der Form N. F. Schtscherbina (1821–69) und Afanaßij A. Schenschin (Fet, 1820–92) namhaft zu machen, letzterer ein Sänger der Liebe und Natur (»Abende und Nächte«) ohne Spur von einer Tendenz. Ferner die melancholisch gestimmten Dichter Jakow P. Polonskij (1820 bis 1898) und A. Pleschtschejew (geb. 1825); der Natur- und Volksdichter Iwan S. Nikitin (1824–1861); J. Surikow (gest. 1880) und S. Droshshin; A. M. Shemtschushnikow; der kunstsinnige Graf Alexej Tolstoi (1818–75), der auch im Roman (»Fürst Serebrjanyj«) und im Drama (s. unten) Ausgezeichnetes leistete, und der ebenfalls noch als Dramatiker zu nennende Lew Mey (1822–62); endlich die Slawophilen Fjodor J. Tjuttschew (1803–1873), ein sinniger Naturmaler, und Iwan Aksakow (s. oben). Auch Turgenjew hat vorzügliche lyrische Dichtungen hinterlassen. Als lyrische Dichter der neuesten Zeit sind zu nennen: der pessimistisch gestimmte S. J. Nadson (1862–87), A. N. Apuchtin (geb. 1841), S. G. Frug (geb. 1860), K. M. Fofanow (geb. 1862), D. S. Mereshkowskij (geb. 1865), ferner N. M. Wilenkin (Pseudonym Minskij), Graf A. Golenischtschew-Kutusow, S. A. Andrejewskij, P. A. Koslow, Fürst D. Zertelew, K. Balmont, Jakubowitsch u.a.

Auf dramatischem Gebiete haben sich namentlich der sehr fruchtbare A. N. Ostrowskij (1823–1886) sowohl im Lustspiel als im ernsten Volksdrama und der schon genannte Pißemskij (»Bitteres Los«) hervorgetan. Das tendenziöse Gesellschaftsdrama wurde besonders von Suchowo-Kobylin, N. Ljow und Alexej Potjechin sowie auch von J. Turgenjew, ferner von N. Potjechin und N. J. Solowjew mit Erfolg kultiviert. Das historische Drama fand talentvolle Pfleger (außer Ostrowskij, der »dramatische Chroniken« lieferte) in Lew Mey (s. oben) und namentlich im Grafen Alexej Tolstoi (s. oben; »Don Juan« und die Trilogie »Der Tod Iwans des Schrecklichen«, »Zar Fjodor Joannowitsch« und »Zar Boris«). Auch ist noch der hochpoetischen lyrischen Dramen A. Majkows: »Drei Tode« und »Zwei Welten«, in welch letzterm der Kampf der griechischrömischen Welt mit der christlichen und der Sieg der letztern dargestellt wird, mit Auszeichnung zu gedenken. Endlich mögen noch als Dramatiker erwähnt[284] werden A. J. Palm (1823–85), V. A. Krylow (Pseudonym W. Alexandrow) und D. W. Awerkijew (geb. 1836). Auch durch Ausführung im Ausland bekannt geworden sind in allerneuester Zeit L. Tolstois »Macht der Finsternis« sowie Gorkijs »Nachtasyl« und »Kinder der Sonne«.

Sehr reich ist die Übersetzungsliteratur. Im 18. Jahrh. waren es hauptsächlich Tredjakowskij und Lomonossow, daneben Iljinskij, Popowski, Woltschkow, Kosickij, Jelagin u.a., die dem russischen Publikum die Alten, die italienischen Epiker, die französischen, englischen und deutschen Dramatiker und Prosaisten zugänglich machten. Aus der spätern Zeit sind als hervorragende Übersetzer zu nennen: Podschiwalow (deutsche und französische Autoren), Gneditsch (»Ilias«, »König Lear«), Sandunow (Schillers »Räuber«), Fet (Horaz, Juvenal, Goethes »Faust«), Pleschtschejew (Lenau, Hebbel, Alfieri, Byron), F. B. Müller (Shakespeare), Min (Dante), M. Michajlow (Heine), Michalowski (Byron), A. A. Sokolowskij, Jurjew (Shakespeare), Kurotschkin, Minajew, Gerbel, Weinberg (Heine), Großfürst Konstantin (Hamlet) u.a. Die wissenschaftliche Literatur.

In der wissenschaftlichen Literatur

der Russen ist das Gebiet der Geschichte am reichsten angebaut. Hier gibt es Reichsannalen, Jahrbücher, Chroniken, die man besonders in Klöstern, Archiven, selbst in Privatbibliotheken findet; doch sind die meisten nur im Manuskript vorhanden, und im Kriege von 1812 sind ihrer viele verloren gegangen. Der angebliche Vater der Geschichte ist Nestor (gest. um 1114; s. S. 280); seine »Russische Chronik« setzten Sylvester, Timofej u.a. fort. Ein zweiter Annalist zu Ende des 11. Jahrh., Waßilij, ergänzte stellenweise Nestors Annalen und berücksichtigte auch die Geschichte des südwestlichen Rußland. Vom Anfang des 13. Jahrh. bis 1630 gibt es mehrere Spezialchroniken, die man Nestor-Chroniken nennt, weil in ihnen zuerst Nestors Annalen aufgenommen sind, woran dann die Verfasser (Mönche) die Geschichte ihrer Zeit gereiht haben. Unter Iwan Wasiljewitsch wurden diese Chronographen sehr beengt, unter Alexej Michailowitsch verstummten sie ganz. An sie reihen sich die »Stufenbücher«, d.h. Auszüge aus Jahrbüchern, geordnet nach den Stufen (Verwandtschaftsgraden) der Fürsten, größtenteils unter Iwan Wasiljewitsch geschrieben (hrsg. von Müller, Mosk. 1775, 2 Bde.). Auch die Lebensgeschichten mehrerer Kirchenväter (Paterikon, seit 1661 oft gedruckt) und Heiligen (von Makarij gesammelt, seit 1689 oft gedruckt) gehören hierher. Wichtiger aber als alle diese Schriften wurden Tatischtschews Geschichtswerk über Rußland (bis 1462, nach des Verfassers Tod herausgegeben, Mosk. 1764 u. 1768) und Schtscherbatows »Russische Geschichte« (bis 1610, Petersb. 1770–91, 7 Bde.), wozu noch, als des letztern Gegner, Iwan Boltin mit seinen »Bemerkungen zu Leclercqs russischer Geschichte« (1788) kommt. Auch Lomonossow schrieb ein kurzgefaßtes Jahrbuch der russischen Geschichte und Rußlands alte Geschichte bis 1054. Der erste aber, welcher der russischen Geschichte eine literarische Form zu geben wußte, war Karamsin (1765–1826), dessen großes Geschichtswerk (12 Bde.) bis 1612 geht. Seinem Gegner, M. T. Katschenowskij, der die russische Geschichte bis zum 14. Jahrh. für historisch unglaubwürdig erklärte, trat M. P. Pogodin (gest. 1875) entgegen. Karamsin folgten N. A. Polewoj (vgl. oben), S. M. Solowjew (gest. 1879) mit seiner »Geschichte Rußlands« (bis auf Katharina II.) in 29 Bänden (1851–75) und N. Kostomarow (gest. 1885) mit einer »Geschichte Rußlands in Biographien« (2 Bde.) und »Historischen Monographien« (1851 ff. 13 Bde.). Auch Ustrjalow (gest. 1870) schrieb eine »Geschichte Rußlands«, dazu eine umfangreiche, aber unvollendet gebliebene Biographie Peters d. Gr., beide durch Schönfärberei ausgezeichnet. Die Frage über den Ursprung der Russen erörterten Ilowajskij, Sabelin, Bestushew-Rjumin. Die Geschichte Italiens wurde von Kudrjawzew, die europäische und polnische Staatengeschichte von Tratschewskij, N. und A. Popow, Kojalowitsch, die kleinrussische Geschichte von Kulisch, Antonowitsch, Nowickij u.a. behandelt. Bogdanowitsch schrieb über den Krieg von 1812, die Geschichte der Regierung Alexanders 1. und den Krimkrieg. Als Biographen von Staatsmännern glänzen Baron M. Korff (Graf Speranskij), Kowalewskij (Graf Bludow), Sablockij (Graf Kißelew), Kobeko (Cäsarewitsch Paul Petrowitsch) u.a. Die Veröffentlichung historisch wichtiger Chroniken, Aktenstücke, Memoiren etc. hat in den letzten Jahrzehnten einen besondern Aufschwung genommen. Während die zuerst von der Akademie der Wissenschaften in Petersburg begonnene und seit 1834 von der dazu gegründeten Archäographischen Kommission fortgesetzte Publikation solcher Aktenstücke fast ausschließlich den ältern Perioden der russischen Geschichte zugewendet war, sind seit 1855 eine Menge wichtiger historischer Dokumente über die neuere Geschichte Rußlands im Druck erschienen, besonders durch die Bemühungen der dazu in Petersburg gegründeten Russischen Historischen Gesellschaft. Reiches historisches Material enthalten auch die speziell historischen Zeitschriften: »Das russische Archiv«, von Bartenew in Moskau (seit 1866); »Das russische Altertum«, von Semewskij (seit 1870); »Das alte und neue Rußland« (inzwischen eingegangen); »Der historische Bote« (seit 1880) und »Kiewsches Altertum« (seit 1882). Unter den meist erst in der Neuzeit und zum Teil in den genannten Zeitschriften veröffentlichten Memoiren sind die der Fürstin Natalija Dolgorukaja (hrsg. 1867), Schachowskojs (1821), Danilows (1842), ferner der Fürstin Daschkowa (deutsch, Hamb. 1857), Dershawins (1860), Poroschins (1881), besonders aber Chrapowickijs, des Geheimschreibers der Kaiserin Katharina II. (hrsg. 1873), und Bolotows (hrsg. 1870–73) erwähnenswert. Von den Historikern des Auslandes haben die bedeutendsten durch Übersetzung auch in Rußland Eingang gefunden.

Die Geographie und Ethnographie wurde seit Katharina II. bis in die neueste Zeit namentlich durch große Expeditionen gefördert, die alle der Wissenschaft die reichste Ausbeute gewährten. In der neuern Zeit betätigte sich vor allem die Petersburger Geographische Gesellschaft sowie ihre Abteilung in Irkutsk mit statistisch-ethnographischen Expeditionen, von denen die an Ergebnissen wichtigsten die von Tschubinskij (südwestliches Rußland), Middendorf, Fedtschenko (Sibirien), Maak (Amurland, Ussurigebiet), Raade (Kaukasus), Jadrinzew, Potanin, Schtschapow, Prschewalskij, Muschketow, Grum-Grshimajlo, Roborowskij, Pjewzow, Klemens (Mongolei, Tibet), Toll (Polarregionen) u.a. waren. Bemerkenswert sind die hypsometrischen Arbeiten von Tillo. Die vom Generalstab und Ministerium des Innern herausgegebenen ethnographischen und statistischen Werke: »Rußland« (! 871) und »Beschreibung der[285] angesiedelten Gegenden des russischen Reichs« (1861 bis 1875) sind in mancher Beziehung von Bedeutung. Sonst fand die Ethnographie und Statistik Rußlands Bearbeiter an Bunjakowskij, Sablockij-Deßjatowskij, Besobrasow, Buschen, P. v. Köppen, K. Arßenjew, Helmersen, Bloch, Nebolsin, Janson, Tschubinskij, Hagemeister u.a. Von großer Bedeutung sind auch die statistischen Arbeiten der Landschaft (Semstwo) sowie die der amtlichen Statistik in Sibirien. Eine vorzügliche »Geschichte der russischen Ethnographie« schrieb A. Pypin (1890–92, 4 Bde.).

In der Rechtswissenschaft, deren Literatur erst im 19. Jahrh. beginnt, haben sich durch Untersuchungen über die alten politischen und Rechtsinstitutionen verdient gemacht: K. D. Kawelin (»Blick auf das Rechtsleben im alten Rußland«), Leschkow, Beljajew, Kalatschow, Newolin, Tschitscherin, Rjedkin, Sergejewitsch, Leontowitsch, Nikitskij, Wladimirskij-Budanow, Engelmann, Andrejewskij, Pobjedonoszew, Kljutschewskij, A. Gradowskij, W. Semewskij etc. Andre bedeutende Juristen der Gegenwart sind: Pachmann, Foinickij, Koni, Arßenjew, Spasowicz, Martens. Rechtsgeschichtliche Werke lieferten Tschitscherin (über die unfreien Klassen im alten Rußland), Romanowitsch-Slawatinskij (über den russischen Adel), W. Semewskij (über die Bauern zur Zeit Katharinas II.), Fürst Waßiljtschikow (über Grundbesitz und Ackerbau), N. Semenow und Skrebickij (über die Geschichte der Emanzipation). Auch das volkstümliche Gewohnheitsrecht fand Bearbeiter (A. Jefimenko). Auf nationalökonomischem Gebiete waren besonders der schon oben (S. 284) genannte N. G. Tschernyschewskij und N. Michajlowskij von einflußreicher Tätigkeit. – In der Philosophie sind die Russen nie aus dem Eklektizismus herausgekommen; sie haben sich an die Systeme der ausländischen, vorzugsweise der deutschen, Philosophen angelehnt. Durch Karpow (gest. 1867) wurde den Russen auch die nähere Bekanntschaft mit den griechischen Denkern vermittelt. S. S. Gogockij gab ein philosophisches Lexikon (1859 bis 1861, 2 Bde.) heraus; die Geschichte der Philosophie behandelten M. Katkow, Troickij, M. Stasjulewitsch, in neuester Zeit Smirnow, Karejew, De Roberti u.a. Einen Versuch selbständiger Entwickelung logischer Begriffe auf Kantischer Grundlage machte W. S. Solowjew (»Kritik der abstrakten Prinzipien«). Für die Psychologie, besonders in ihrer Anwendung auf die Pädagogik, sind wichtig die Schriften Uschinskijs und des Chirurgen Pirogow, für die Volkserziehung die Arbeiten des Barons N. A. Korff. Auch die philosophischen Hauptwerke des Auslandes sind ins Russische übersetzt und entsprechend kommentiert worden. – Von einer theologischen Wissenschaft kann in einem Land, wo jede selbständige Reflexion über die Glaubenslehre und jede freie Auslegung verboten sind, kaum die Rede sein, wenn auch die Zahl der theologischen Bücher ziemlich groß ist. Die Geschichte der russischen Kirche behandelten hauptsächlich Golubinskij (1880, 2. Aufl. 1904 ff.). und der Erzbischof Makarij (Bulgakow, gest. 1882), welch letzterer auch ein Lehrbuch der »Orthodor-dogmatischen Theologie« veröffentlichte. Große Wirkung übten in den 50er Jahren des 19. Jahrh. die theologischen Schriften des Dichters Chomjakow (vgl. oben), welcher der absterbenden romanogermanischen Welt die griechischslawische Weltidee gegenüberstellte, und in der neuesten Zeit erregten allgemeines Aufsehen die religiösmoralischen Schriften des Grafen L Tolstoi (»Worin besteht mein Glaube?« u.a.), der mit Wärme und Beredsamkeit für eine gereinigte Religion, ein demokratisches Urchristentum auftritt. – Die Naturwissenschaften finden in Rußland, nachdem sie früher besonders durch dorthin berufene deutsche Gelehrte, wie den Zoologen Pallas, die Botaniker Gärtner, Fischer von Waldheim und Regel, die Astronomen Mädler und Struve u.a., emporgebracht wurden, in neuester Zeit die eifrigste Pflege. Wir erinnern an die Botaniker Elenkowskij, N. Turtschaninow, Maximowitsch, Bunge etc.; die Zoologen E. v. Baer, Malmgren, Brandt, Middendorf, Metschnikow, die Brüder A. und W. Kowalewskij u.a.; die Geologen und Mineralogen Sokolow, Kutorga, Kotscharow, Inostranzew, Schtschurowskij, Dokutschajew etc. Besondere Berühmtheit hat in der Chemie Mendelejew und in der Medizin der Chirurg Nikolaj Pirogow erlangt. In der Mathematik taten sich hervor: Simonow, Lobatschewskij, Ostrogradskij, Tschebyschew, Bunjakowskij, Frau Sonja Kowalewskij u.a. Für Astronomie sind hauptsächlich die Leistungen der 1834 gegründeten Sternwarte zu Pulkow hervorzuheben, die durch W. und O. Struve weltberühmt geworden ist.

Auf dem Gebiete der Sprachwissenschaft und der Literaturgeschichte sind namhafte Leistungen zu verzeichnen. Um die Kenntnis der orientalischen Sprachen machten sich besonders verdient: Bitschurin (1772–1847), Saweljew, Grigorjew, Beresin, Chwolson, Waßiljew, Weljaninow-Sernow, Baron Rosen, Ilminskij, Harkavy. Der Familie der finnischen Sprachen waren die Arbeiten von Sjögren, Castrén, Schiefner, Saraitow, Radlow gewidmet, den kaukasischen und sibirischen Sprachen die von Schmidt, Baron Uslar, Tschubinow u.a. Auf dem Gebiete der russischen Sprache, resp. der slawischen Sprachen im allgemeinen waren tätig: A. G. Wostokow, der Vater der slawisch-russischen Philologie (gest. 1864), Pawskij, Biljarskij, Bußlajew, Sresnewskij, Gorskij, Newostrujew, Bodjanskij, Lamanskij, Lawrowskij, J. Grot, Potebnja, Koloßow, Baudouin de Courtenay, Jagić, Sobolewskis, Fortunatow, Schachmatow, Bogorodizkij, Brandt etc. Über die von der Akademie herausgegebenen Wörterbücher der russischen Sprache sowie über das von W. J. Dahl s. Russische Sprache. Durch Veröffentlichung von Denkmälern des alten Schrifttums haben sich Tichonrawow, Pypin, Kostomarow u.a. verdient gemacht, durch Sammlungen und Ausgaben der Denkmäler der Volkspoesie (Volkslieder oder Bylinen, Sagen, Märchen etc.) Rybnikow (»Lieder«, 1861–67, 4 Bde.), Hilferding (»Bylinen von Onega«, 1873) P. Kirejewskij (»Volkslieder«, 1860 bis 1874), Schein, Jakuschkin, Besonow (geistliche Lieder), Barßow (Totenklagen) u.a. Schätzenswerte Untersuchungen über die slawische Mythologie und alte Kultur enthält das Werk »Die poetischen Naturanschauungen der Slawen« (1866–69, 3 Bde.) von Afanasjew (gest. 1871), der auch die beste und reichste Sammlung »Russischer Volksmärchen« herausgab. Kleinrussische Lieder, Sagen und Märchen veröffentlichten Tschubinskij, Rudschenko, Antonowitsch und Dragomanow, Golowatzkij u.a. Als die bedeutendsten Literarhistoriker sind zu nennen: Schewyrew (»Vorlesungen über die alte r. L.«, 1858–1860, 4 Bde.), Pypin (vgl. unten) und Spasovič (»Geschichte der slawischen Literaturen«, 2. Aufl., Petersb. 1879–81, 2 Bde.; deutsch, Leipz. 1880–84, 2 Bde.), Galachow (»Geschichte der alten und neuern russischen Literatur«, bis Puschkin reichend, 2. Aufl., Petersb. 1880, 2 Bde.), Karaulow (»Skizzen zur Geschichte der russischen Literatur«, Bd. 1, 2. Aufl., [286] Odessa 1870), P. Polewoj (»Geschichte der russischen Literatur in Skizzen und Biographien«, 5. Aufl., Petersb. 1883–90, 2 Bde., und »Geschichte der russischen Literatur seit den ältesten Zeiten«, 1900), Porfirjew (»Geschichte der russischen Literatur«, 1. Teil: Die Zeit vor Peter d. Gr., 5. Aufl., Kasan 1891; 2. Teil in 3 Abtlgn.: Von Peter d. Gr. bis Alexander I., 1.–3. Aufl., das. 1888–91); A. M. Skabitschewskij (»Geschichte der neuern russischen Literatur«, 1848–90, 3. Aufl., Petersb. 1897); Pypin (»Geschichte der russischen Literatur«, das. 1898–99, 4 Bde., zum Teil neu aufgelegt). Wichtige Beiträge lieferten außerdem Buslajew (»Historische Skizzen der russischen Volksliteratur«, Petersb. 1861, 2 Bde., und »Die Volkspoesie«, das. 1887), Pekarskij (»Wissenschaft und Literatur in Rußland unter Peter d. Gr.«, das. 1862, 2 Bde.), der Archimandrit Philaret (»Übersicht der russischen geistlichen Literatur«, 3. Aufl., das. 1884, 2 Bde.), L. Majkow (»Skizzen aus der Geschichte der russischen Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts«, das. 1889, und »Historisch-literarische Skizzen«, das. 1895), ferner Tichonrawow (seine »Werke« zur russischen Literaturgeschichte, Moskau 1898, 4 Bde.), Grot, Stojunin, O. Miller, Dobroljubow, Annenkow, Arßenjew, Burenin, O. Morosow, Kirpitschnikow, Petrow, Neselenow, N. Michajlowskij, Tschernyschewskij, Protopopow, Fürst Wolkonskij, Bulitsch, der besonders auf dem Gebiete der vergleichenden Literaturgeschichte hervorragende A. N. Weßelowskij, M. Suchomlinow (»Geschichte der russischen Akademie«) u.a. Als Bibliographen sind namentlich Gennadi, Huberti, Ponomarew, Neustrojew, Longinow, Meshow, Karatajew, Bitowt etc. zu erwähnen (vgl. die im Artikel »Bibliographie«, S. 820 f., angeführten Werke). Vgl. H. König, Literarische Bilder aus Rußland (Stuttg. 1837); Wolfsohn, Die schönwissenschaftliche Literatur der Russen (Anthologie, Bd. 1, Leipz. 1843); J. P. Jordan, Geschichte der russischen Literatur (das. 1846); Courrière, Histoire de la littérature contemporaine en Russie (Par. 1874); v. Wiskowatow, Geschichte der russischen Literatur in gedrängter Übersicht (2. Aufl., Dorpat 1881); Haller, Geschichte der russischen Literatur (Riga 1882); A. v. Reinholdt, Geschichte der russischen Literatur (Leipz. 1885); Fiedler, Der russische Parnaß. Anthologie russischer Lyriker (Dresd. 1888); M. Wallace, Rußland (4. deutsche Ausg. von Purlitz, Würzb. 1905, Kapitel 25 u. 26); Fürst S. Wolkonskij, Bilder aus der Geschichte und Literatur Rußlands (Petersb. 1896; deutsch, Basel 1898); Wengerow, Grundzüge der Geschichte der neuesten russischen Literatur (Berl. 1899); Waliszewski, Histoire de la littérature russe (Par. 1900); Polonskij, Geschichte der russischen Literatur (Leipz. 1902, Sammlung Göschen); Kropotkin, Russian literature (Lond. 1905); A. Brückner, Geschichte der russischen Literatur (Leipz. 1905).

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 17. Leipzig 1909, S. 279-287. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20007376669


Brockhaus 1911

[575] Russische Literatur. Mit Einführung des Christentums kamen nach Rußland die in Bulgarien verfaßten kirchenslaw. (altbulgar.) Bücher, und diese Sprache wurde die Kirchen- und Schriftsprache bei den Russen, in die aber nach und nach russ. Elemente eindrangen. Sie waren am stärksten in den Annalen (Nestor u.a.), in der Gesetzgebung, [575] dem »Liede vom Heereszug Igors« u.a. Während der Mongolenherrschaft ging das Zentrum der Entwicklung von Kiew nach Moskau über. Die Literatur vegetierte in den Klöstern. Es entstanden die nordruss. Chroniken, histor. Erzählungen; Volksbücher drangen über Polen ein. Im 16. Jahrh. entstand der »Domostroj«; als Schriftsteller traten auf Zar Iwan IV., Fürst Kurbskij, Kotoschichin, Krishanitsch. Ende des 17. Jahrh. entstand die Geistliche Akademie in Moskau. Ausländer kamen ins Land. Es entstand die »Nikonsche Chronik«, das »Zarenbuch«, eine Kunstpoesie (Simeon von Polozk), originale Erzählungen; Dramen und Mysterien wurden aufgeführt.

Die Reformen Peters I. brachten auch eine neue Ära der R. L. Ihn unterstützten literarisch Possoschkow, Theophan Prokopowitsch, später Tatischtschew, Kantemir. Theaterstücke verherrlichten Peters Siege. Zahlreich waren Memoiren, Selbstbiographien, Reisebeschreibungen. In der Poesie ward der Pseudoklassizismus herrschend (Tredjakowskij). Lomonossow schuf eine russ. Literatursprache, unter Beschränkung des Kirchenslawischen. Dramatiker: Sumarokow. Es entstand eine wissenschaftliche Erforschung der russ. Geschichte (Bayer, G. F. Müller, Schlözer), Expeditionen zur Erforschung Rußlands wurden veranstaltet. Katharina II. schrieb selbst Lustspiele u.a.; der bedeutendste Dichter ihrer Zeit: Dershawin, Satiriker Von-Wisin; für die Volksbildung wirkte Nowikow und Radischtschew. Eine sich inzwischen entwickelnde sentimentale Richtung fand ihre Hauptvertretung in Karamsin (»Die arme Lisa« u.a.). Das Interesse für nationales Leben und heimatliche Vergangenheit erwachte.

Anfang des 19. Jahrh. wurde Karamsins »Geschichte des Russ. Reichs« mustergültig für die Prosa. Dieselbe Bedeutung erlangte Dmitrijew für die Poesie. Die Anhänger des Alten scharten sich um Schischkow. Schriftsteller: Mersljakow (Ode), Narjeshnyj (Roman), Benizkij, Ryljejew (Dichter), Oserow (Drama), Fürst Schachowskoj (Lustspiel); die Fabel erlangt in Krylow ihre höchste Vollendung. Einen neuen Inhalt brachte die Romantik, eingeführt von Shukowskij, dem folgten Batjuschkow, Koslow, Gnjeditsch. Der Slawist Wostokow begann seine Tätigkeit, es erschien die erste Sammlung russ. Heldenlieder. In Puschkin erreichte die russ. Poesie ihren nationalsten und formvollendetsten Ausdruck. Neben ihm wirkten: Wenewitinow, Poleshajew, Jasykow, Baratynskij, Delwig; Gribojedows satir. Schauspiel »Wehe dem Gescheidten«. Stark war der Einfluß Byrons, bes. auf Lermontow, den größten russ. Dichter nach Puschkin. Der Lyriker Kolzow gab dem Volkslied künstlerische Ausbildung. – Anfänge des Realismus in den dreißiger Jahren erhielten eine feste Richtung durch Gogol, dessen Bedeutung zuerst der Kritiker Bjelinskij erkannte, und in den vierziger Jahren bildete sich die neue realistische Schule, die dem russ. Roman eine hervorragende Stellung in der Weltliteratur verschaffte: Herzen, Turgenjew, Gontscharow, Dostojewskij, später Lew Tolstoj, ferner S. Aksakow, Grigorowitsch, Pissemskij, Sologub, Drushinin u.a. Zu derselben Zeit bildeten sich die getrennten Lager der Slawophilen (s.d.) und Westler (Zapadniki). Hervorragende Publizisten und Kritiker nach dem Krimkriege waren Herzen (»Glocke«), Tschernyschewskij und Dobroljubow. Ihnen folgte der radikale, fast nihilistische Kritiker Pissarew.

Die nachgogolsche schöne Literatur beschäftigt sich immer eingehender mit dem Volksleben: G. Danilewskij, Melnikow, Gljeb Uspenskij u.a. Bedeutend als Satiriker ist Saltikow (Schtschedrin); seine »Provinzialskizzen« begründeten die sog. Anklageliteratur; ihm folgten Pomjalowskij, A. Scheller (Michajlow). Eine gemäßigt liberale Tendenz vertraten: Boborykin, E. Markow, Nemirowitsch-Dantschenko, Salow. Die jüngste Novellistenschule, zum Teil pessimistisch, bilden: Garschin, Jassinskij (M. Bjelinskij), Albow, Korolenko, Potapenko, Mamin Sibirjak, Tschechow, Maxim Gorkij u.a. Histor. Romane schrieben: Kostomarow, Alex. Tolstoj, Lew Tolstoj (»Krieg und Frieden«), Karnowitsch, Graf Salias u.a. Schöpfer des modernen russ. Dramas ist Ostrowskij; ihm reihen sich an: Pissemskij, A. und L. Tolstoj, A. Palm, Potjechin, Tschechow, Nik. Solowjew, Awerkijew. Lyriker: Nekrassow (der bedeutendste), Nikitin (im Charakter Kolzows), Pleschtschejew, Nadson, Frug, Mereschkowskij u.a.; der reinen Kunstrichtung gehören an: A. Majkow, Alex. Tolstoj, A. Schenschin (Fet), Tjutschew, Polonskij, Mej, Apuchtin, Golenischtschew-Kutusow etc. In der Geschichte tritt das kulturhistor. Element immer mehr hervor (Solowjew, Pogodin, Kostomarow, Bestushew-Rjumin u.a.); reich entfaltet sich die Memoirenliteratur und die literarhistor. Tätigkeit (Pypin, A. Wesselowskij u.a.); Volkslieder sammelten Kirjejewskij, Rybnikow, Hilferding, Scheïn u.a.; Märchen: Afanasjew; Sprichwörter: Buslajew, Dahl. (S. auch Kleinrussische Literatur.) – Vgl. Pypin (russ., 4 Bde., 1898-99), Reinholdt (1886), Waliszewski (franz., 1900), Brückner (1905).

Quelle: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 2. Leipzig 1911., S. 575-576. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20001513966


Herders 1856

[794] Russische Sprache, Russische Literatur. Die russ. Sprache ist ein Hauptzweig des slavischen Sprachstamms, reich an Wurzeln und Bildungsformen u. wird in 2 Hauptdialecten, dem Klein- und Großrussischen gesprochen; aus letzterm hat sich die Schriftsprache entwickelt, die aber erst seit Peter I. das Altslavische verdrängte, das bis dahin Kirchensprache gewesen war. Die Buchstabenschrift ist die cyrillische, mit 36 Zeichen, dem griech. Alphabet als Grundlage, jedoch mit verschiedenen, durch die eigenthümlichen slav. Laute nothwendig gewordenen besondern Zeichen. Von einer eigentlichen russ. Literatur kann kaum die Rede sein; denn der Staat in seiner jetzigen Gestalt und die Bildung ist neu, letztere mehr ausländisch als national; außerdem ist ein autokratisch u. militärisch regierter Staat kein Boden, auf dem eine kräftige Literatur gedeiht. Die ältesten Denkmale der russ. Literatur sind Nestors Chronik, ein Rechts buch (Prawda ruskaja) und epische Gedichte aus der Heldensage der Russen. Die alte aufkeimende Bildung wurde von den Mongolen unterdrückt und außer einigen Chroniken, Lebensbeschreibungen von Heiligen etc., die von Mönchen ausgingen, weist die russ. Literatur auch nach der Vertreibung der Mongolen nichts weiteres auf. Peter I. machte die russ. Sprache zur Schrift- und Geschäftssprache, errichtete Druckereien, Schulanstalten u. ließ ausländische Werke in das Russische übersetzen, allein von selbständigen Schöpfungen war nicht die Rede u. was in den Wissenschaften Bedeutendes geleistet wurde, geschah durch Ausländer. Unter Alexander I. erwachte ein regeres Leben; hatte früher der Dichter Dershawin fast allein bei der Nation Eingang gefunden, so machten sich jetzt einzelne Namen in allen Gattungen der Poesie geltend (Schukowski, Krylow, Bulgarin, Koslow, Schachowski, Glinka etc.); der Historiker Karamsin fand auch im Auslande Anerkennung, und tüchtige Kritiker bekämpften die Auswüchse in Literatur und Sprache. In neuester Zeit ragen die Dichternamen Lermontow u. Puschkin (s. d.) über alle andern empor, auch haben sich mehre Russen auf dem Gebiete der Geschichte, Geographie, Statistik etc. hervorgethan; eine europ. Bedeutung hat aber die russ. Literatur noch nicht errungen. (Jordan, »Geschichte der russ. Literatur«Lpz. 1846.)

Quelle: Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1856, Band 4, S. 794. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20003498514