Romantik

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Meyers 1909

[95] Romántik (Romantizismus, hierzu die Porträttafel »Deutsche Romantiker«), eine eigentümliche Richtung der Literatur und des geistigen Lebens, an deren Entstehung in Deutschland gegen Ende des 18. Jahrh. vor allem die Brüder Schlegel, Tieck, Novalis und der Philosoph Schelling beteiligt waren, und die sich auch über andre Länder verbreitete. Die Bedeutung des Wortes R. ist indes schon bei den Begründern der neuen Richtung nicht ganz feststehend. Man kann drei Bedeutungen unterscheiden:

1) J. Schlegel in seinem Aufsatz über »Wilhelm Meister« betrachtet die Kunstform des Romans in der Vollkommenheit, die sie in Goethes Werk erreicht hatte, als die höchste denkbare poetische Form und bezeichnet in diesem Sinne die romantische Dichtung als das Ideal der Poesie.

2) Anderwärts dient bei Schlegel und andern Anhängern der neuen Schule das Wort »romantisch« zur Bezeichnung der Poesie, die sich im Mittelalter, zunächst bei den Völkern des romanischen Sprachstammes (s. Roman) entwickelte, die den mittelalterlichen Geist getreu widerspiegelt und namentlich in den erzählenden Dichtungen aus der Blütezeit des Rittertums das Element des Phantastischen und Wunderbaren sehr entschieden hervortreten läßt. So[95] erklärt es sich, daß

3) das Wort auch von den Anhängern der neuen Schule öfters in der allgemeinen Bedeutung von »wunderbar, die Phantasie anregend, mit einem poetischen Zauber umgeben« gebraucht wird, eine Bedeutung, die sich schon früher aus dem Wort »Roman« entwickelt hatte. Eine Verquickung der ersten und der zweiten Bedeutung ist es, wenn die Hegelsche Ästhetik die mittelalterliche und die moderne Poesie unter dem Namen der romantischen als ein Ganzes zusammenfaßt, dagegen hat Vischer in seiner Ästhetik das Moderne von dem Mittelalterlich-Romantischen scharf geschieden. Die Begriffe »romantisch« und »mittelalterlich« berühren sich immer enger, je entschiedener die Anhänger der neuen Schule im weitern Verlauf ihrer Entwickelung ihre Ideale im Mittelalter suchten und nicht nur der mittelalterlichen Poesie, sondern auch der mittelalterlichen Kunst und Religion und dem mannigfaltig gegliederten mittelalterlichen öffentlichen Leben eine vorbildliche Bedeutung für die neuere Zeit beimaßen, namentlich gegenüber den Tendenzen der Aufklärungs- und Revolutionszeit, die den Staat und die Kirche nach abstrakten Vernunftprinzipien regeln wollten. Gegen diese Tendenzen der R., die vor allem in den Zeiten der Restauration (nach 1815) hervortraten, zogen dann die Liberalen zu Felde, vor allem A. Ruge in seinem »Manifest gegen die R.« (»Hallische Jahrbücher«, 1839). Vgl. Deutsche Literatur, S. 706 ff. Die Bildnisse der hervorragendsten Vertreter der romantischen Schule zeigt beifolgende Tafel. – Ähnliche Erscheinungen traten in der französischen Literatur hervor; hier wurde der Ausdruck R. in seiner neuen Bedeutung zuerst von Frau v. Staël angewendet. Ein wichtiges Element in der französischen R. ist der Streit gegen den Klassizismus, wie er sich im Zeitalter Ludwigs XIV. entwickelt hatte und bis in das 19. Jahrh. fortdauerte. Hier wurde Victor Hugo der Vorkämpfer der neuen Richtung, und der Ansturm gegen den die Phantasie fesselnden und einengenden Klassizismus wiederholte sich dann auch in andern Ländern, so in Italien, Schweden, Dänemark, Rußland, Polen. In völlig eigenartiger Weise entwickelte sich die R. in England (s. Englische Literatur, S. 811 f.).

Vgl. Hettner, Die romantische Schule in ihrem innern Zusammenhang mit Goethe und Schiller (Braunschw. 1850); Haym, Die romantische Schule (Berl. 1871, 2. Aufl. 1906); Brandes, Die romantische Schule in Deutschland (5. Aufl., Leipz. 1897) und Die romantische Schule in Frankreich (5. Aufl., das. 1897); Ricarda Huch, Blütezeit der R. (das. 1899, 2. Aufl. 1905) und Ausbreitung und Verfall der R. (das. 1902); Ewald, R. und Gegenwart (Berl. 1904, Bd. 1); Houben, Zeitschriften der R. (mit Walzel, das. 1904, Bibliographie); Marie Joachimi, Die Weltanschauung der deutschen R. (Jena 1905); Kircher, Die Philosophie der R. (Leipz. 1906); V. A. Huber, Die neuromantische Poesie in Frankreich (das. 1833); Michiels, Histoire des idées littéraires (3. Aufl., Par. 1862, 2 Bde.); Th. Gautier, Histoire du romantisme (4. Aufl., das. 1884); Nisard, Essai sur l'école romantique (das. 1891); Beers, English romanticism. XVIII. century (Lond. 1899) und in the XIX. century (das. 1902).

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 17. Leipzig 1909, S. 95-96. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20007361815


Brockhaus 1911

[552] Romántik, im allgemeinen das Mittelalterliche im Gegensatz zum Antiken und Modernen, die christl.-mystische, gemütsinnerliche Denkweise, aber auch das auf Minnedienst und eigentümlichen Ehrbegriffen ruhende Wesen des Rittertums. Daher Romantisch Bezeichnung des Wunderbaren, Abenteuerlichen, Phantastischen, Ahnungsvollen. Romantische Schule, eine Gruppe deutscher Schriftsteller Anfang des 19. Jahrh. (A. W. und F. Schlegel, Tieck, Novalis u.a.), die das Phantastische, Überschwengliche und Formlose durch Nachahmung des Mittelalterlichen und Orientalischen zum herrschenden Prinzip in Poesie und Kunst zu machen suchten (vgl. Haym, 1870; Brandes, 3. Ausg. 1892; Huch, 1901 u. 1902). Romantĭker, franz. Schriftsteller seit etwa 1830, die Befreiung von den starren Fesseln des alten Klassizismus erstrebten; an ihrer Spitze stand Victor Hugo (vgl. Gautier, 1872). Auch in der Musik und andern Künsten stellt man Klassiker und Romantiker gegenüber.

Quelle: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 2. Leipzig 1911., S. 552. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20001504924