Rokokodichtung

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Rokokodichtung

Arbeitsfassung des Seminars Rokoko und Empfindsamkeit, Universität Greifswald, Sommersemester 2013


Begriff: Rokoko

Bearbeiter:

Anna Mehrens

Viola Giesler



Ich habe mal die Zitatzusammenstellung von Anna Mehrens neu organisiert und ergänzt. Kann gerne jederzeit wieder geändert und überarbeitet werden

Achtung! Dies ist nur eine Zusammensetzung verschiedener Texte aus Wörterbüchern, teilweise sogar im originalen Wortlaut! Die richtige Zitation + Quellenangabe fehlt also noch.



Der Begriff ,Rokoko‘ ist zuerst nur ein kunstgeschichtlicher, später jedoch auch ein literaturwissenschaftlicher Sammelbegriff für stilistische Tendenzen zwischen 1730 und 1780 (Reallexikon) oder auch ein literaturgeschichtlicher Epochenbegriff.

Im Versuch die Literatur der nachbarocken und vorklassischen Zeit zu periodisieren, stellt der Begriff Rokoko ein Angebot dar, die vielfältigen scherzhaften oder graziösen Sprechweisen der zwischen 1730 und 1780 dominanten Literatur, unabhängig zur Gattungsdifferenzierung, einem einheitlichen Stil zuzuordnen. In stilistischer Sicht fasst der Begriff die sprachlichen „Reiz“-Formen und Spielintentionen der Literatur zusammen. […] In Deutschland setzt der mit der Rokoko-Vokabel benannten Geschmacks und Wertewandel um ca. 1740 ein und wird in der „scherzhaften Literatur“ dominant bis hin zum jungen Goethe und über ihn hinaus. (Reallexikon)

Die genaue Entstehung des Wortes „Rokoko“ ist unbekannt. Einerseits wird vermutet, dass es sich um eine mit Reduplikation versehene Kürzung von frz. „rocaille“ handelt. Dieses wird sehr verschiedentlich übersetzt. Die Variationen reichen von „kleine Muscheln, Steine“ (Reallexikon) über „Muschelwerk, Geröll“ (Meyers kl. Lexikon) bis „Grotte“ (Pongs). Andererseits wird aber auch ein Zusammenhang mit it. „Barocco“ hergestellt.

Der Begriff entsteht Ende des 18. Jahrhunderts in Frankreich als eine abwertende Spottbezeichnung des Pariser Künstlerjargons für den überladenen Dekorationsstil der Zeit Ludwigs XV. und XVI. und wird in Deutschland von den Jungdeutschen zur Etikettierung des Restaurationsgeschmacks übernommen. Im Umkreis der Französischen Revolution, mit ihrem klassizistischen Architekturideal, bürgert sich die abgewandte Form rococo als Merkmalsbezeichnung für die abgelebte Kunst und Kultur des Ancien régime ein. (Pfeifer)

Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt sich „Rokoko“ in Deutschland zu einem wertfreien Stil- und Epochenbegriff, der sich in den 1920er Jahren auch in der Literatur durchsetzt. Zu einem Begriff für eine literaturgeschichtliche Periode wird er also erst nach dem ersten Weltkrieg. (Reallexikon)

Die Blütezeit des literarischen deutschen Rokoko liegt zwischen 1740 und 1780. Es basiert auf den Grundtendenzen der Aufklärung und behält Vernunft als oberstes Prinzip bei, leitet sie aber um in ein neues Lebensgefühl, eine heitere, weltimmanente Lebensfreude, einen verfeinerten Sinnengenuss, der in ästhetischem Spiel und graziöser Form Leben und Kunst harmonisch zu verbinden versucht. In der Abkehr vom Feudalismus und im spielerischen Umgang mit den gesellschaftlichen und religiösen Normen drückt sich das wachsende Selbstbewusstsein des Bürgertums aus. Wie im Barock ist auch die Dichtung des Rokoko noch nicht individualistisch, sondern gesellschaftsbezogen und betont gesellig, aber alles Repräsentative und Heroisch-Großartige wird jetzt abgelehnt zugunsten des Kleinen, Intimen, Zierlichen, Ironisch-Scherzhaften und Sinnlich-Spielerischen, das auch empfindsame Züge zeigt. Das Natürliche wird zum Ideal, teilweise im ausdrücklichen Gegensatz zum kritisch gesehenen Hof- und Stadtleben. Es orientiert sich jedoch weniger an der Natur selbst als an literarischen Vorbildern, so besonders am antiken Arkadien der überlieferten Hirten- und Schäferdichtung. (Pseudo-) Anakreon, Catull und Horaz sind die antiken Leitsterne der Rokoko-Dichtung; es entstehen zahlreiche Neuübersetzungen und Nachdichtungen besonders der spätantiken Anakreonteen. Dabei geht es um das Vorbild der spielerischen Leichtigkeit und Eleganz des Stils wie um das darin vermittelte eudämonistische Lebensgefühl, eine maßvolle Sinnenfreude, ein heiteres „carpe diem“. Die Anakreontik gibt die zentralen Themenkreise des Rokoko vor: Lieben, Trinken, Singen (auch im Sinne von „Dichten“) Freundschaft und Geselligkeit. – Ist die enge Beziehung zur Antike, besonders bei Ch. M. Wieland, kaum zu überschätzen, so ist das deutsche Rokoko zugleich auch Teil einer europäischen Kulturströmung; es steht unter dem Einfluss der höfisch-galanten Dichtung in Frankreich sowie deren Adaption in England (Shaftesburys „moral grace“-Ideal). Diese Vorbilder werden dem Geschmack des deutschen Bürgertums anverwandelt. Dabei ergibt sich ein starker, gelegentlich auch thematisierter Widerspruch zwischen literarischem Ideal undbürgerlicher Existenz. In der Wahl seiner Gattungen bevorzugt das Rokoko Kurzformen wie Lyrik, kürzere Verserzählung, Idylle, Epyllion, Singspiel, Dramolett. Die Grenzen zwischen den Gattungen werden fließend, Mischformen sind besonders beliebt.“ (Metzler Lexikon)

Literaturangaben:

  • Reallexion (Literaturangabe reiche ich nach.)
  • Pfeifer, Wolfgang (1993): Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. Teil M – Z. Berlin: Akademischer-Verlag
  • Kwiatkowski, Gerhard/Lange, Wolf Dieter (1986): Meyers kleines Lexikon Literatur. hrsg. von der Redaktion für Literatur. Mannheim [u.a.]: Bibliograph. Inst.
  • Pongs, Hermann (1990): Lexikon der Weltliteratur. Band 3 M-Z. Augsburg: Pattloch
  • Metzler Lexikon (Literaturangabe reiche ich nach.)
  • Baumann, Barbara/Birgitta Oberle (1996): Deutsche Literatur in Epochen. Ismaning: Hueber

Autoren und Werke

Bearbeiter:

Fiona Schmidt


Brockes, Barthold Heinrich

1680 in Hamburg – 1747 in Hamburg


  • patriotische Gesinnung
  • Ratsherr
  • seine „physikalisch-moralischen“ Gedichte sind belehrend über Naturgegenstände und deren Zweckmäßigkeiten
  • Allegorie wird ersetzt durch wissenschaftliche Beschreibung
  • wollte den Leser unterhaltend belehren und auf sein Denken und Fühlen einwirken

(Deutsche Literatur 1986, S.80)


Die Welt ist allzeit schön

Die Nachtigall und derselben Wettstreit

Kirschblüte bei der Nacht




Hagedorn, Friedrich von

1708 in Hamburg – 1754 in Hamburg


  • Begründer der anakrontischen Belletristik
  • für die gebildeten Privatleute der besseren Häuser geschrieben (Deutsche Literatur 1986, S.80)
  • auch Lehrgedichte (Deutsche Literatur 1986, S.220)


Anakreon

Der Morgen

An die Freude

Die Alster

Poetische Fabeln (1738)




Gleim, Johann Wilhelm Ludwig

1719 in Ermsleben a. Harz – 1803 in Halberstadt


  • früh verwaist und mittellos
  • 1738-41 Studium der Rechte in Halle, Anstellung als Hauslehrer, Sekretär des Prinzen Wilhlem v. Brandenburg-Schwedt und des Fürsten Leopold v. Dessau, Domsekretär
  • große Popularität durch den “Versuch in scherzhafen Liedern“
  • Einbürgerung der Romanze in der dt. Literatur
  • „Preußische Kriegslieder“


  • aufgesucht von Voß, Herder, Goethe, Wieland, Heinrich von Kleist
  • intensive Produktion von überwiegend patriotischen und volkstümlicher Lyrik, lehrhafter Prosa, Kult der Freundschaft, „Förderung von bedürftigen Talenten“ (Goethe)
  • (Frenzel 1990, S.161)


Der Trinker

Das Pferd. Der Esel

Bei Eröffnung des Feldzuges 1756

An den Mond




Uz, Johann Peter

1720 in Ansbach – 1796 in Ansbach


  • Der Schäfer
  • VOLKSLIED
  • Bitte um Frieden (1762)




Gellert, Christian Fürchtegott

1715 in Hainichen/Erzgebirge – 1769 in Leipzig


  • 1729 Fürstenschule zu Meißen
  • 1734-1738 Studium der Philosophie und Theologie in Leipzig
  • Dozent und später Professor für Poesie, Eloquenz und Moral in Leipzig
  • sehr großer Freundeskreis, viel Briefwechsel
  • von Friedrich II. Anerkannt als „le plus raisonnable de tous les savants allemands“

(Frenzel 1990, S.161)


  • 1757 Geistliche Oden und Lieder: möchte damit die Erbauung der Leser befördern und die Herzen in fromme Empfindung versetzen (laut Vorrede)

Stil: schlicht und verständlich

  • Preis des Schöpfers
  • Inkle und Yariko
  • Das Kutschpferd
  • Der Blinde und der Lahme
  • Der Tanzbär




Ramler, Karl Wilhelm

1725 in Kolberg – 1798 in Berlin


  • An den Frieden



Klopstock, Friedrich Gottlieb

1724 in Quedlinburg – 1803 in Hamburg


  • Interesse für Antike; Kenntnis Homers und Vergils
  • 1745-1748 Studium der Theologie in Jena und Leipzig
  • Hauslehrer
  • Mittelpunkt einer dt. ausgerichteten Gruppe von Dichtern und Schriftstellern (Frenzel 1990, S.192-193)
  • 1769 schrieb er Hermanns Schlacht
  • 1771 Gesamtausgabe seiner Oden
  • seine Freundschafts- und Liebesoden, religiöse Oden und Hymnen, vaterländische Oden, Bardendichtung und Revolutionsoden behandeln nur erhabene Gegenstände: Gott, Unsterblichkeit, Natur, Tugend, Freundschaft, Freiheit, Geliebte und Frau (Fanny und Cidli) (Frenzel 1990, S.197)
  • Oden thematisieren vielfach bestimmte Gefährten und sind an Geliebte gerichtet (Fricke 1954, S.125-130)


  • Zunächst in antiken Versmaßen, ab 1754 in freien Rhytmen. Durchbruch einer neuen unalltäglichen Sprachhandhabung. Nachwirkung auf Hölderlin und die Moderne
  • wollte deutscher Dichtung einen höheren, ebenbürtigen Rang geben (Frenzel 1990, S.197)


  • Der Messias (1748/73) – Biblisches Epos ind Hexametern (gilt als Höhepunkt der gefühlsbetonten Dichtung im Rahmen der Aufklärung) (Frenzel 1990, S.195)
  • Der Zürchersee
  • Das Rosenband
  • Die Frühlingsfeier
  • Dem Unendlichen
  • Die frühen Gräber
  • Die Sommernacht
  • Die Etats généraux
  • Mein Irrtum
  • Das Wiedersehen
  • Der Eislauf
  • Hermanns Schlacht




Claudius, Matthias

1740 in Reinfeld/Holstein – 1815 in Hamburg


Sohn eines Pfarrers, Studium der Theologie und Jura Anhänger Klopstocks Schriftsteller und Bankrevisor in Wandsbek (Frenzel 1990, S.192) 1771-1775 Herausgeber des Wandsbecker Boten, indem er seine volkstümlichen Gedichte veröffentlichte Vorliebe für das Einfache und Ländliche Verfasser schlichter, liedhafter, klarer und tief empfundener Verse (Frenzel 1990, S.197)


Der Mond ist aufgegangen

Ein Wiegenlied

Noch ein dito

Täglich zu singen

An – als Ihm die – starb

Der Schwarze in der Zuckerplantage

Abendlied eines Bauersmanns

Abendlied

Ein Lied hinterm Ofen zu singen

Kriegslied

Der Mensch

Der Tod

Die Liebe

Rheinweinlied

Urians Reise um die Welt



Gotter, Friedrich Wilhelm

1746 in Gotha – 1797 in Gotha


Lied bei einer Wiege

Schlafe, mein Prinzchen!



Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von

1748 in Grüningen b. Halberstadt – 1828 in Deutsch-Wartenberg/Schlesien


Der Winterabend

Erkannte Wohltat

Als der erste Schnee fiel



Hölty, Ludwig Christoph Heinrich

1748 in Mariensee b. Hannover – 1776 in Hannover


Gedichte: Idyllen, Lieder (Rosen auf den Weg gestreut; Üb immer Treu und Redlichkeit), Oden, Hymnen (Die Liebe, Hymnus auf den Mond) Einfluss Klopstocks, aber selbstständig weiterentwickelt, schlichter; Verwendung kurzer Formen vom Bewusstsein frühen Todes überschattet, elegischer Grundton Sehnsucht nach den verwehrten Schönheiten des Lebens Natur-Innigkeit in den Liebesliedern Einfluss des Minnesangs (Frenzel 1990, S.200)


Die Mainacht

Lebenspflichten

Der alte Landsmann an seinen Sohn

Ihr Freunde, hänget

Luise



Stolberg, Christian Graf zu / Stolberg, Friedrich Leopold zu

1748-1821



1750 in Bramstedt/Holstein

+1819 in Sondermühlen bei Osnabrück


schrieben beide Oden, Hymnen, Balladen, Romanzen, Lyrisches (Des Lebens Tag ist schwer und schwül) Einfluss Klopstocks Themen: Tugend und Tapferkeit empfindsame Betrachtung der dt. Vergangenheit, bereits romantische Töne (Lied eines alten schwäbischen Ritters an seinen Sohn; Das Rüsthaus in Bern) (Frenzel 1990, S.200)


Die Freiheit

Lied auf dem Wasser zu singen




Voss, Johann Heinrich

1751 in Sommersdorf b. Waren/Mecklenburg

+1826 in Heidelberg


Sohn eines armen Lehrers 1772 Studium der Theologie, dann Altertumswissenschaften 1775 Übernahme der Herausgabe des Göttinger Musenalmanachs Rektor zu Ottendorf, dann in Eutin 1802 nach Jena 1805 Prof in Heidelberg (Frenzel 1990, S.193)


Der Herbstgang

Die Kartoffelernte

Klingsonate

Luise




Schubart, Christian Daniel

1739 in Obersontheim/Württemberg

+1791 in Stuttgart


Die Forelle

Die Fürstengruft

Die Aussicht

Der Bettelsoldat




Wieland, Christoph Martin

  • 1733 zu Oberholzheim bei Biberach

+1813 in Weimar


Sohn eines Pfarrers pietistische Schulerziehung 1749 Studium der französischen und englischen Philosophie (Gewissenskoflikt) in Erfurt, 1750 in Tübingen Hauslehrer 1760 Rückkehr nach Biberach, dort Kanzleidirektor 1769 Professor der Philosophie in Erfurt schwärmerisch-empfindsamer Einfluss Klopstocks und graziöse Frivolität französischen Geistes (Ermatinger 1961, S. 64)


Epos Hermann




Goethe, Johann Wolfgang

  • 1749 in Frankfurt/Main

+1832 in Weimar




Geßner, Salomon

1730-1788 in Zürich


Natur-Idyllen stellte bis ins kleinste Detail Landschaften als Kupferstich dar, enthalten Rokokoelemente, wie SchäferInnen, verkünden Natursehnsucht Ethische Ziele: menschliches Glück durch Tugend und Zufriedenheit; Seelenruhe häufigste Beiwörter: „sanft“ und „süß“ Illustrationen mit Kupferstichen (Frenzel 1990, S.196)




Herder, Johann Gottfried

1747 in Mohrungen/Ostpreußen

+1803 in Weimar


Das Flüchtigste

Erlkönigs Tochter



Literatur-Angabe

  • Frenzel, Elisabeth: Daten deutscher Dichtung. Chronologischer Abriss der deutschen Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zum Jungen Deutschland. 25. Auflage. München: dtv 1990.
  • Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte. Zwischen Absolutismus und Aufklärung: Rationalismus, Empfindsamkeit, Sturm und Drang 1740-1786. Hrsg. Horst Albert Glaser. 1. Auflage. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH 1986.
  • Ermatinger, Emil: Deutsche Dichter 1750-1900. 2. Auflage. Frankfurt am Main: Äthenum Verlag 1961.
  • Fricke, Gerhard: Geschichte der deutschen Dichtung. 3. Auflage. Frankfurt/Main: Hans F. Menck Verlag 1954. S.125-130


Forschungsansätze

Rebecca Kalisch Maximilian Nöldner nn

Rohfassung

Die Literaturgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts ist geprägt von einer negativen Haltung gegenüber dem literarischen Rokoko. Im Mittelpunkt der Kritik standen die Anlehnung an das französische Rokoko und der Vorwurf einer inneren Unwahrhaftigkeit, einer Diskrepanz zwischen Leben und Dichtung. Die Dichtung sei unwahrhaft, da sie nicht aus eigenem Empfinden geschrieben worden sei. Es fehle ihr an Gehalt und an Themen.

Am Ende des 19. Jahrhunderts konnte der Rokokobegriff sich als wertfreie Stil- und Epochenbezeichnung in der Kunstgeschichte etablieren, die man zur Bezeichnung der zwischen Barock und Klassizismus liegenden Periode anwandte. Die Literaturgeschichte übernahm den Ausdruck zunächst in deutlicher Anlehnung an die Kunst- und Kulturgeschichte.

Die neuere Barockforschung beeinflusste und begünstigte schließlich auch die Möglichkeit einer Neubewertung des literarischen Rokoko in Deutschland. In den Jahren 1920 bis 1935 und 1945 bis 1955 entsteht die eigentliche Diskussion zum literarischen Rokoko.

Die 1924 erschienene Literaturgeschichte von Julius Wiegand stellt einen ersten Versuch dar, den Rokokobegriff auf eine ganze Gruppe von Dichtern und Gattungen im 18. Jahrhundert zu übertragen. Das Rokoko wird als eine Strömung von der parallel laufenden Aufklärung und der Empfindsamkeit abgegrenzt und zeitlich zwischen 1740 und 1785 datiert. Wesentliche Merkmale der Rokokodichtung sind nach Wiegand das Zierliche, Anmutige, Heitere und Gelöste.

Herbert Cysarz beschreibt das Rokoko in einer Entwicklung aus dem Barock über die Aufklärung bis in die Klassik hinein. Rokoko ist „das letzte Erbe des verwelkenden Barockstamms, von diesem durch die Aufklärung geschieden, zugleich technisches Vorbild und Motivspeicher für die Klassik.“ Die Beziehungen zum Barock werden u.a. über bestimmte Themen und Motivkreise, Mythologie und bestimmte Gattungen hergestellt. Wesentlich und wiederkehrend ist nach Cysarz für die Rokokodichtung die Ironie.

Bei Emil Ermatinger tauchte der Rokokobegriff erstmals als Epochenbegriff auf, der an das Barock anschließt und mit dem Sturm und Drang endet.

Mit dem ‚Formprinzip des Witzes‘ charakterisierte Paul Böckmann die Rokokodichtung durch einen poetologischen Kernbegriff der Zeit. Als allgemeine Kombinatorik, als geordnete Verknüpfung stelle der Witz das allgemeine Formprinzip Gottscheds dar und bestimme darüber hinaus überhaupt die Form der Rokokodichtung. Das Rokoko ist bei Böckmann nicht an das Barock geknüpft, sondern vielmehr direkt aus der Aufklärung zu verstehen.

In deutlicher Abgrenzung zu Ermatinger fasste Hans Heckel das Rokoko als zwar beachtliche, für das Gesamtbild aber keineswegs entscheidende Strömung neben mehreren anderen. Die gesellschaftliche und künstlerische Stilform des Rokoko bilde einen Ausschnitt aus der großen abendländischen Bewegung der Aufklärung, wobei sie einerseits der Aufklärung verhaftet sei und andererseits barocke Züge wiederaufleben lasse.

Die Zeit des Nationalsozialismus unterbricht die deutsche Rokokoforschung. Die Rokokodichtung galt als ‚undeutsch‘ und konnte erst nach 1945 wieder rehabilitiert werden. Ältere Literaturgeschichten wurden nach dem Krieg neu aufgelegt. Cysarz, F.J. Scheider und Böckmann stellen ihre Thesen in unveränderter oder nur erweiterter Form erneut zur Diskussion.

Der zweite Band der 1956 erschienenen ‚Geschichte der deutschen Poetik‘ von Bruno Markwardt umfasst Aufklärung, Rokoko und Sturm und Drang. Das Rokoko ist auch hier Teil der beherrschenden Grundströmung der Aufklärung und an diese gebunden. Nichtsdestotrotz anerkennt Markwardt bestimmte rokokohafte Züge und Merkmale. Der “Scherz” und das “Gefällige” bestimmten den Kern des Rokoko. Diese Begriffe grenzt Markwardt von den aufklärerischen Begriffen “Witz” und “artig” ab und zeichnet so ein differenziertes Bild der Literatur des 18. Jahrhunderts.

Poetologie

Bevorzugte Gattungen

Triolett

Fabel

Verserzählung

Idylle

Brief

Gedicht in Prosa

Bevorzugte Themen

Freude

Carpe diem

Spiel

Liebe

Kuß

Unbeständigkeit

Selbstmord

Wein und Trinken

Wein und Liebe

Traum

Wecken der schlafenden Geliebten

Poetologische Gedichte

Beispielinterpretation

Samira Rabe nn

Rokoko in anderen Künsten

Sabrina Julia

Rokoko in anderen Nationalliteraturen

Sybille Kersting Sven Ristau

Arbeitsfassung

Frankreich:

In Frankreich findet der Begriff Rokoko nur in der Malerei und Baukunst Anwendung. In der Literatur findet dieser keine Bedeutung, dies spiegelt sich ebenfalls in der Epocheneinteilung wieder:


Dennoch lassen sich Gattungen, welche in Deutschland dem Rokoko zugeschrieben werden in der französischen Dichtung verorten. Im Gegensatz zur deutschen Anakreontik, fand diese in Frankreich noch leichter, graziler und geschmackvoller Einzug in die Kunst. Die “heiklen sensuellen Wünsche und Träume”(Neubert 1951) fanden derart Ausdruck in der Dichtung, das sie weniger als die deutsche Dichtung Anstoß fand. Als bedeutender Französischer Anakreontiker ist André Chenier (1762-1794) zu nennen.

Die im 18.Jh. aufgekommenen Naturwissenschaften fanden ebenfalls in Frankreich Einzug in die Literatur, vor allem vorangetrieben durch Montaigne, wurden durch den Materialismus ergänzt. Demnach wird Rokoko Lyrik von einem feinen Skeptizismus begleitet. Die deutsche Dichtung hat der französischen im 18.Jh. viele Züge nachgeahmt sowie Stile und Tendenzen übernommen. Rokoko Dichtung hingegen scheint in Frankreich ein Ausnahmefall gewesen zu sein, zumindest findet diese Stilrichtung in der Literaturwissenschaft keine Erwähnung.


England:

In England ist der Begriff Rokoko ebenso wie in Frankreich für keine Stilrichtung verzeichnet. Zeitliche Überschneidungen treten mit der Aufklärung und der Empfindsamkeit auf. Dieser Stil wurde in England als Sentimentalismus bezeichnet und begründet sich auf den Philosophischen Werken Lockes(1632-1704), Burkes (1729-1797) und Shaftesbury (1671-1713). Vor allem die Romane Shakespeares fanden in Frankreich und Deutschland großen Anklang., können allerdings nicht mit dem Stil des Rokoko in Deutschland verglichen werden.

Literatur:

  • Grimm, Jürgen: Französische Literaturgeschichte, 5. überarbeitete und aktualisierte Auflage, Stuttgart 2006.
  • Gmelin, Hermann: Die Epochen der französischen Literatur, Urach 1951.
  • Hollier, Denis: A new History of French Literature, USA 1994.
  • Neubert, Fritz: Studien zur vergleichenden Literaturgeschichte, Berlin 1951.
  • Seeber, Hans Ulrich: Englische Literaturgeschichte, 5. aktualisierte underweiterte Auflage, Stuttgart 2012.

Bibliographie

Spezialanthologien 18. Jahrhundert

  • Die guten Geister. Lyrik des 18 Jahrhunderts Bd. 1. Auswahl: Alfred Gerz. Potsdam: Rütten & Loening, o.J. (1939). 116 S.
  • Von Zeit zu Ewigkeit. Lyrik des 18 Jahrhunderts Bd. 2. Auswahl: Alfred Gerz. Potsdam: Rütten & Loening, o.J. (1939). 126 S.
  • Anger, Alfred (Hrsg.): Dichtung des Rokoko. 2. Auflage. Tübingen: Max Niemeyer 1969 (Deutsche Texte 7).
  • Bohnen, Klaus (Hrsg.): Deutsche Gedichte des 18. Jahrhunderts (RUB 8422). Stuttgart: Reclam, 1987. 455 S.

Allgemeine Anthologien:

  • Eversberg, Gerd (Hrsg.): Hausbuch aus deutschen Dichtern seit Claudius. Eine kritische Anthologie von Theodor Storm. Husum: Husum Druck- und Verlagsgesellschaft, 1991
  • Bode, Dietrich (Hrsg.): Deutsche Gedichte. Eine Anthologie. Stuttgart: Reclam, 1999
  • Deutsche Lyrik von den Anfängen bis zur Gegenwart in 10 Bd., hg. Walter Killy. Neuausgabe 2001. dtv (10 Bd. in Kassette, 19,90!) (Neuausgabe von Killy: Epochen der dt. Lyrik)
  • Segebrecht, Wulf [u.a.] (Hrsg.): Das Deutsche Gedicht. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Frankfurt a.M.: Fischer, 2005
  • Echtermeyer, Deutsche Gedichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Auswahl für Schulen. 19. Auflage 2005
  • Detering, Heinrich (Hrsg.): Reclams großes Buch der deutschen Gedichte. Stuttgart: Reclam, 2007
  • Conrady, Karl Otto (Hrsg.): Der Große Conrady. Das Buch deutscher Gedichte von den Anfängen bis zur Gegenwart. Erw. Neuausgabe. Düsseldorf: Artemis & Winkler, 2008

Literaturgeschichten allgemein

(nur mit nennenswertem Bezug auf Rokoko/ Anakreontik / Empfindsamkeit)

  • de Boor, Helmut / Newald, Richard: Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart. München: Beck, 1971
  • Martini, Fritz: Deutsche Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. 19. neu bearbeitete Auflage. Stuttgart: Kröner, 1991
  • Lechner, Hermann: Lechner’s Literaturgeschichte des deutschen Sprachraums. Vom Mittelalter bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Limassol: Lechner Publishing, 1995

Lyrikgeschichten

  • Daniel Frey: Kleine Geschichte der deutschen Lyrik. Mit Liebeslyrischen Modellen. UTB 1998
  • Holznagel / Kemper / Korte / Mayer / Schnell / Sorg: Geschichte der deutschen Lyrik. Reclam Stuttgart 2004
  • Dirk von Petersdorff: Geschichte der deutschen Lyrik. München: C.H. Beck 2008

Metrik

  • Paul, Otto/Glier, Ingeborg: Deutsche Metrik. 9. Auflage. Ismaning: Max Hueber 1974 .
  • Christian Wagenknecht: Deutsche Metrik. Eine historische Einführung. München: C.H. Beck 1981
  • Dieter Breuer: Deutsche Metrik und Versgeschichte. UTB/ W. Fink 1991
  • Wolfgang Kayser: Geschichte des deutschen Verses. UTB Francke 4. Aufl. 1991

Poetik

  • Lyriktheorie. Texte vom Barock bis zur Gegenwart. Hrsg. Ludwig Völker. Reclam Stuttgart 1990

Interpretationen

  • Gerhard Kaiser: Augenblicke deutscher Lyrik. Gedichte von Martin Luther bis Paul Celan. insel taschenbuch 1987
  • Bernhard Sorg: Lyrik interpretieren. Eine Einführung. [Entwicklung der deutschen Lyrik in Einzelinterpretationen] Berlin: Erich Schmidt Verlag 1999
  • Olaf Hildebrand (Hg.): Poetologische Lyrik von Klopstock bis Grünbein. Gedichte und Interpretationen. UTB Böhlau 2003

Über Rokoko in der Literatur

  • Marcard, Micaela von: Rokoko oder Das Experiment am lebenden Herzen.: Galante Ideale und Lebenskrisen. (kulturen und ideen). (Rowohlts Enzyklopädie). Reinbeck: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1994. 271 S.
  • Matthias Luserke, Reiner Marx, Reiner Wild (Hrsg.): Literatur und Kultur des Rokoko. Vandenhoeck & Ruprecht, 2001. 328 S.
  • Sengle, Friedrich: Aufklärung und Rokoko in der deutschen Literatur. Beiträge zur neueren Literaturgeschichte. Universitätsverlag Winter, 2005. 340 S.

Kulturgeschichte

  • Karl Toth: Weib und Rokoko in Frankreich. Aus dem Erleben eines Zeitgenossen Charles Pinot Duclos. M. zahlr. Abb. a. tls. farb. Tafeln. Wien: Amalthea-Verlag, 1924. 473 S.
  • Arno Schönberger, Halldor Soehner, Theodor Müller: Die Welt des Rokoko. Kunst und Kultur des 18. Jahrhunderts. München: Callwey, 1959
  • Krüger, Rolf-Herbert: Das Ephraim-Palais in Berlin. Ein Beitrag zur preußischen Kulturgeschichte. Berlin: Verl. für Bauwesen, 1989