Rhapsodie
Ernst Kleinpaul, Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst, 1843
IV. Die Rhapsodie.
§. 141. Die Rhapsodie hat, in Rücksicht ihres Gegenstandes, entweder mehr den Charakter der Ode oder mehr den der Hymnen. Jhre unterscheidende Eigenthümlichkeit liegt darin, daß sie 1) ihrem Jnhalt nach nur als ein Bruchstück erscheint, indem sie vorzugsweise eine Seite ihres Gegenstandes behandelt; 2) daß sie ihrer Form nach mit völliger Freiheit auftritt und bald diesen, bald jenen Rhythmus annimmt. (*)
Anmerkung. Der Name Rhapsodie ist dem Griechischen
entlehnt. Jn Griechenland pflegten nämlich die bei Festen oder
sonst öffentlich auftretenden, wandernden Sänger, wenn sie Gedichte
vortrugen, einen Stab oder einen Lorbeerzweig in der
Hand zu halten und wurden deshalb Rhapsoden (Leute, die
während des Singens einen Stab halten), ihre Gesänge Rhapsodien
genannt. Da diese Gesänge meist Bruchstücke größerer,
(namentlich homerischer) Gedichte waren, so nahm man später
rhapsodisch gleichbedeutend mit bruchstückartig.
Aus: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht bearbeitet und mit Hinweisungen auf die Gedichtsammlungen von Echtermeyer, Kurz, Schwab, Wackernagel und Wolff versehen von Ernst Kleinpaul, Lehrer an der höheren Stadtschule in Barmen. Barmen: W. Langewiesche, 1843. S. 96f
http://www.deutschestextarchiv.de/book/show/kleinpaul_poetik_1843