Polymeter
Literatur
Von Jean Paul erfundene Versform. In dem Roman Flegeljahre, der 1804/1805 in vier Bändchen bei Cotta erschien, veröffentlicht die Figur Walt Harnisch eine von ihm selbst erfundene Form rhythmischer Prosa, die er Polymeter oder Streckvers nennt, für den "Haßlauer Kriegs- und Friedens-Boten", nämlich "für den Poeten-Winkel des Blattes – Poets corner –". Eine fiktive Gattung, zudem nicht ironiefrei – aber die Texte existieren und wurden im 20. Jahrhundert literarisch rezipiert und imitiert (Georg Kulka, Paul Ernst, Günter Eich). So bildeten die so fiktiven wie realen Polymeter eine Nebenlinie der Gattung Prosagedicht.
Die erste Rezeption erfolgte aber schon wenige Jahre nach Erscheinen des Buchs auf musikalischem Gebiet: Robert Schumann ließ sich nach Lektüre zu einem Klavierzyklus inspirieren. In Briefen an einen Kritiker geht er explizit auf die Flegeljahre ein und erfindet gar eine künftige Gattung: Oper ohne Worte (s. weiter unten).
Definition
»Ah ça!« wandt' er sich zu Walten (mehr französisch konnt' er nicht), »Ihre Polymeter!« – »Was sinds?« fragte Knoll trinkend. »Herr Graf,« (sagte Schomaker und ließ die Pfalz weg) »in der Tat eine neue Erfindung des jungen Kandidaten, meines Schülers, er machet Gedichte nach einem freien Metrum, so nur einen einzigen, aber reimfreien Vers haben, den er nach Belieben verlängert, seiten-, bogenlang; was er den Streckvers nennt, ich einen Polymeter.« (1. Bändchen, Nro. 8: Koboldblüte) https://www.projekt-gutenberg.org/jeanpaul/flegel/flegl082.html
An einer Stelle im ersten Bändchen wird ein Streckvers mit metrischem Schema versehen und die Metrik mit Ernst und Schalk diskutiert und ferner empfohlen, den Text nicht auf Verse aufzuteilen:
In der Einsamkeit setzte er ein kleines Inserat für den Haßlauer Kriegs- und Friedens-Boten auf, worin er als Notarius anzeigte, wer und wo er sei; ferner einen kurzen anonymen Streckvers für den Poeten-Winkel des Blattes – Poets corner –, überschrieben.
Der Fremde ∙– – –∙∙∙∙–∙∙–,–∙–∙–∙–, – – –∙–∙∙–,–∙–∙–∙–∙–∙–∙–∙∙–. – – –∙–∙∙,–∙–∙–∙–∙–. Gemein und dunkel wird oft die Seele verhüllt, die so rein und offen ist; so deckt graue Rinde das Eis, das zerschlagen innen licht und hell und blau wie Äther erscheint. Bleib' euch stets die Hülle fremd, bleib' es euch nur der Verhüllte nicht.
Schwerlich werden einem Haßlauer Ohre von einiger Zärte die Härten dieses Verses – z. B. der Proceleusmatikus: kel wird oft die – der zweite Päon: die Hülle fremd – der Molossus: bleib' euch stets – entwischen; durfte aber nicht der Dichter seine Ideen-Kürze durch einige metrische Rauheit erkaufen? – Ich bemerke bei dieser Gelegenheit, daß es dem Dichter keinen Vorteil schafft, daß man seine Streck- und Einverse nicht als eine Zeile drucken lassen kann; und es wäre zu wünschen, es gäbe dem Werke keinen lächerlichen Anstrich, wenn man aus demselben arm-lange Papierwickel wie Flughäute flattern ließe, die herausgeschlagen dem Kinde etwan wie ein Segelwerk von Wickelbändern säßen; aber ich glaube nicht, daß es Glück machte.
(Flegeljahre, Erstes Bändchen)
Beispiele
Der Widerschein des Vesuvs im Meer
›Seht, wie fliegen drunten die Flammen unter die Sterne, rote Ströme wälzen sich schwer um den Berg der Tiefe und fressen die schönen Gärten. Aber unversehrt gleiten wir über die kühlen Flammen, und unsere Bilder lächeln aus brennender Woge.‹ Das sagte der Schiffer erfreut und blickte besorgt nach dem donnernden Berg' auf. Aber ich sagte: ›Siehe, so trägt die Muse leicht im ewigen Spiegel den schweren Jammer der Welt, und die Unglücklichen blicken hinein, aber auch sie erfreuet der Schmerz.‹«
»Der Kindersarg in den Armen
Wie schön, nicht nur das Kind wird leicht in den Armen gewiegt, auch die Wiege.
Die Kinder
Ihr Kleinen steht nahe bei Gott, die kleinste Erde ist ja der Sonne am nächsten.
Die Täuschungen des Dichters
Schön sind und reizend die Irrtümer des Dichters alle, sie erleuchten die Welt, die die gemeinen verfinstern. So steht Phöbus am Himmel; dunkel wird die Erde unter ihrem kalten Gewölke, aber verherrlicht wird der Sonnengott durch seine Wolken, sie reichen allein das Licht herab und wärmen die kalten Welten; und ohne Wolken ist er auch Erde.
Robert Schumanns Papillons
Der Komponist Robert Schumann bezieht sich in seinem Klavierzyklus Papillons (franz.: Schmetterlinge) op.2 für Klavier zu zwei Händen (1829 bis 1832 komponiert). In zwei Briefen an den Dichter und Kritiker Ludwig Rellstab reagierte er auf dessen wohlwollende und verständnisvolle Rezension des Werks.
(Hervorhebungen Lyrikwiki)
An L. Rellstab in Berlin. 19. April 1832
Ew. Wohlg. möchten den aufrichtigen Dank des Unterzeichneten für die [wohlw.] schonende Rezension der Abeggvariationen annehmen, die kaum eine größere verdienen. Weniger für den Redacteur der Iris, als für den Dichter u. den Geistesverwandten Jean Paul’s, erlaub’ ich mir den Papillons einige Worte über ihr Entstehen hinzuzufügen, da der Faden, der sie an einander schlingen soll, kaum sichtbar ist. Ew. Wohlgeboren erinnern sich der letzten Scene in den Flegeljahren – Larventanz – Walt – Vult – Masken – Wina – Walt’s Tanzen – [das] Umtauschen der Masken – Geständniße – Zorn – Enthüllungen – Forteilen – Schlußtraum u. dann der fortgehende Bruder – Noch oft wendete ich das letzte Seite um: denn der Schluß schien mir nur ein neuer Anfang – fast unbewußt war ich am Clavier und so entstand ein Papillon nach dem anderen. Möchten Ew. Wohlgeboren in diesem Ursprunge eine Entschuldigung des Ganzen finden, das im Einzelnen sehr oft keine verdient! – Mit dem Wunsch, daß der Iris das Mark u. die Frische, die einem aus jedem Blatte entgegen weht, nie fehlen und daß Sie fortfahren möchten im kräftigen Erdrücken Alles Faden u. Krankhaften schließ ich diese Zeilen der ersten Annäherung an einen hochachtbaren Geist.
Robert Schumann
(Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 17 Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Korrespondenten in Berlin 1832 bis 1883 / Editionsleitung: Thomas Synofzik, Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz, Eva Katharina Klein und Thomas Synofzik / Köln: Verlag Dohr / Erschienen: 2015 ISBN: 978-3-86846-028-5 Seite: 511f.) (Zitiert nach der Schumann-Briefdatenbank,https://sbd.schumann-portal.de/briefe.html?show=402=
An L. Rellstab in Berlin. 7. Dezember 1832
(...) So viel ich mich entsinne, war Leipzig im Anfang sehr verwundert über Ihre Rezension der Papillons, weil sie Niemand verstand, während ich still und heimlich in der Ecke saß und recht genau wußte, was Sie meinten u. verhüllten. Was hätte ich Ihnen nicht Alles auf Ihre Fantasie zu antworten u. zu danken! Nur die „schöne Leiche“ betrübte mich. Ist denn das Lied eine? Und warum könnte es nicht eine Oper ohne Text geben? Und was wurde denn je geschaffen, wovon, (dem Subj. nun bewußt oder unbewußt) der Grund nicht ein objectiver war? Ach – Entschuldigen Sie – dies soll gewiß keine Antikritik u. überdieß stimmte mich der Schluß so froh u. dankbar, dß selbst der hingeworfene Handschuh nach dem ersten Satz der Schlußperiode wenig Wirkung auf mich machte. Ich heb ihn aber auf mit den beyfolgenden Paganinianis. Nehmen Sie die Arbeit in Gunst auf u. meine Bitte um gütige Vormundschaft. Spreche ich auch nur für ein Stiefkind, so zog ich es gewiß mit Fleiß u. Lust, auch nicht ohne eigenes Intereße, da es mein theoretisches Examen vor der Kritik seyn soll. Im Ernst – die Arbeit war herrlich, aber floß [?] nicht leicht, da die Harmonien oft dunkel u. mehrdeutig (selbst incorrect) auch manche der Capricen an Rundung u. Einheit der Form nicht ganz meisterhaft zu nennen sind. Bey’m ersten Durchspielen eines solchen einstimmigen Satzes ist’s einem oft wie in einem luftleeren Raum; später, wenn man die feinen durchgehenden Seelenfäden aufgegriffen hat, wird es aber schön u. licht u. der fremde Genius klar. Doch mag ich lieber sechs eigne machen, als noch einmal drey bearbeiten. Wie sehr würden Sie mich verbinden, wenn Sie die Arbeit einer rezensirenden Anzeige in Ihrer Iris nicht versagen wollten. Ich will keine Wimper zucken, wenn es donnern solle [sic]. Binnen kurzer Zeit hoffe ich nach Berlin zu kommen. Erlauben Sie mir wohl, mich Ihnen vorstellen zu dürfen. Ich komme aber mit einer Symphonie unter dem Arme.
Ebd. S. 512ff. (Zitiert nach der Schumann-Briefdatenbank, https://sbd.schumann-portal.de/briefe.html?show=415)
Musik
A polymeter is two or more meters happening at the same time. These meters share a common subdivision, so in essence, a polymeter is different groupings of the same note values being played alongside one another. For example, 3 sixteenth notes being played over and over at the same time as 4 sixteenth notes are being played over and over. They begin together, then grow further apart in their starting note until finally (3 beats later in this case) they re-align and begin their rhythmic cycle again. https://www.drummantra.com/blog/what-is-a-polymeter
Meteorologie
Eine kompakte Wetterstation aus Thermometer und Hygrometer.