Novalis
Novalis
Geburtsjahr 1772 geboren in Wiederstedt, Grafschaft Mansfeld
Todesjahr 1801 gestorben in Weißenfels
eigtl. Friedrich von Hardenberg (nannte sich N. nach einem Gute der Famlie) Stud. Jena, Leipzig, Wittenberg; Salinen-Auditor in Weißenfels, Stud. Bergwerkskunde in Freiberg; Salinenassessor in Weißenfels, Amtshauptmann in Thüringen, starb jung an der Schwindsucht
Damen Conversations Lexicon 1836
[455] Novalis. So nannte er sich als Schriftsteller; sein Familienname ist Friedrich von Hardenberg. Er ward auf dem Gute seiner Familie in der Grafschaft Mansfeld den 2. Mai 1772 geb., genoß dort eine sorgfältige Erziehung und wurde später auf das Gymnasium zu Eisleben geschickt. Diese Beziehungen zu Luther sind nicht uninteressant, und haben vielleicht frühzeitig eine hervorstechende Seite seines Wesens, die Religiosität, berührt; Luther ist bekanntlich zu Eisleben geb., und starb auf dem Gute der Mansfeldischen Fürsten. Die höheren Studien verfolgte H. auf den Universitäten Jena, Leipzig und Wittenberg. Sein Fachstudium war Jurisprudenz; er kam nach Tennstädt, um die praktische Carrière anzutreten, ging aber bald davon ab und widmete sich dem Salinenwesen. Eine zärtliche Neigung fällt in diese Periode seines Lebens, und der erste durchgehende Schmerz, der Verlust seiner Geliebten durch den Tod 1797. Von Hause aus zart organisirt, ward er bis in's Innerste davon betroffen, sein Hinneigen zum träumerischen Weh, zu inniger Verbindung mit dem Weben der Gottheit in Natur und Menschen reiste unter Thränen. Er beschäftigte sich jetzt eifriger mit Naturwissenschaften und ging nach Freiberg, um an der dortigen Bergakademie einen neuen Studiengang zu befestigen. Hier fand er Julie von Charpentier, und in ihr eine neue innige Liebe. Im Sommer 1799 ward er als Assessor dem Directorium der Salinen beigesellt, und in die Zeit dieses Aufenthalts fällt sein lebhafterer Verkehr mit denjenigen Literaten, welche man oft kurzweg die Romantiker nennt, mit den Gebrüdern Schlegel, Ludwig Tieck etc., die damals in Jena waren, und mit Hochstellung und größter Verehrung Göthe's, eine neue Dichterschule zu gründen versuchten, die von der Schiller'schen in vieler Art verschieden war. Daß Göthe später den Ultraismus dieser Richtung, welcher sich besonders in Spielerei mit dem Katholicismus ausdrückte, hart und ganz verläugnete und angriff, ließ die Schule zu keiner eigentlichen Reife kommen, sie bleibt aber stets ein sehr wichtiger literarischer Moment[455] unserer Geschichte, und es muß ihr immer ein tiefer und bedeutender Einfluß zugestanden werden. Sie hat viele der innerlichsten Beziehungen des Menschen zu Gott und Welt schön herausgebildet, und ist eine heilsame Opposition gegen das reflektirende, rhetorische Element unserer Poesie geworden. Hardenberg kam damals öfter nach Jena und schloß sich diesem Kreise an, war ihm durch seine innigen, in Sehnen oder Andacht webenden Gedichte, durch seine »Hymnen an die Nacht,« und seinen leider nur angefangenen Roman »Heinrich von Ofterdingen« sehr willkommen. Er wollte damals seine Kenntniß und Poesie der Natur und sonstige Anschauungen in 6 Romanen niederlegen; aber die kranke Brust brach zeitig Herz und Leben, er starb am 25. März 1801 zu Weißenfels, also noch nicht 30 Jahre alt. Außer dem Angeführten ist uns nur ein Theil geistlicher Lieder, der Anfang eines Gesangbuchs das er herausgeben, und zu dem er auch Predigten schreiben wollte, und ein Band Fragmente übrig. Auch ein encyklopädisches Werk hat er im Sinne gehabt. Abgesehen von der kränklichen Reizbarkeit, die seinem Körper entsprang, ist er eine seine, poetische Erscheinung. Die unaussprechliche Sehnsucht seines Wesens nach einem Ungekannten, dieses kindliche Suchen nach einem Unausgesprochenen, dieß Suchen der »blauen Blume,« die in seinem Romane spielt, hat jenen Duft über seine Erscheinung ausgegossen, für welchen der Name romantisch so wohl bezeichnend war. 24.
Quelle: Damen Conversations Lexikon, Band 7. [o.O.] 1836, S. 455-456. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20001754424
Brockhaus 1838
[337] Hardenberg (Friedr. von), ein unter dem angenommenen Namen Novalis bekannter deutscher Dichter, elcher nur erst die erfreulichsten Proben seines tiefen Gemüths und poetischen Sinnes abgelegt hatte, als er durch einen frühen Tod dahingerafft wurde. Er wurde 1772 auf seinem Familiengute Wiederstedt im Mansfeldischen geboren, besuchte das Gymnasium in Eisleben und nachher die Universitäten Jena, Leipzig und Wittenberg, und erwarb sich ausgezeichnete Kenntnisse in mehren Wissensfächern. Seit 1795 als Auditor bei den Salinen zu Weißenfels angestellt, besuchte er, um sich die zu seiner Beförderung nöthigen Kenntnisse zu erwerben, 1797 die Bergakademie zu Freiberg und wurde 1799 Assessor beim Salinendirectorium zu Weißenfels. Der Tod einer liebenswürdigen Braut hatte H.'s ernstsinnige Richtung begünstigt und in gleichem Sinne wirkte sein freundschaftlicher Umgang mit den Dichtern L. Tieck und Fr. Schlegel. Die Liebe zu einer zweiten Braut knüpfte H. indeß noch mächtig ans Leben, als er zum Amtshauptmann in Thüringen ernannt und lebhaft mit dem Plane zu seiner Vermählung beschäftigt, von einer Brustkrankheit 1801 hingerafft wurde. Unter H.'s allerdings von einer Hinneigung zu kränklicher Schwärmerei nicht ganz freizusprechenden, aber gedanken- und gemüthvollen tiefsinnigen Schriften zeichnen sich besonders die »Hymnen an die Nacht« und die geistlichen Lieder aus. Der großartig angelegte Roman »Heinrich von Ofterdingen«, sowie die meisten Werke H.'s sind unvollendet geblieben.
Quelle: Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 337. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20000832065
Herder 1855
[226] Hardenberg, Friedrich Freiherr von, als Schriftsteller unter dem Namen Novalis bekannt, geb. 2. Mai 1772 auf dem Familiengute Wiederstedt im Mansfeldischen, studierte das Bergwesen und lebte seit 1795 meistens als Salinenbeamter zu Weißenfels, st. aber schon d. 25. März 1801. H. war eine edle Natur, mit hohen poet. Anlagen, wie sein unvollendeter Roman »Heinrich v. Ofterdingen« u. seine Lieder beweisen; mit seinen Freunden, den beiden Schlegel und Tieck, ist er ein Haupt der romant. Dichterschule. (Sämmtl. Schriften, 3. Aufl., 3 Bde., Berl. 1837–46.)
Quelle: Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1855, Band 3, S. 226. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20003364313
Pierer 1859
[30] Hardenberg, eine gräfliche u. freiherrliche Familie in Niederdeutschland, wo ihr erster Stammsitz Hardenberg (s.d. 1) liegt; sie kommt urkundlich schon 1174 vor u. der erste nachweisbare Ahn, Dietrich von H., lebte um 1220; dessen Söhne Bernhard u. Günther stifteten zwei Linien, von denen die letztere 1561 ausstarb; die Bernhardsche Hauptlinie theilte sich wieder in zwei, die Heinrichsche, welche 1669 ausstarb, u. die Hildebrandsche,[30] welche noch blüht, in Preußen, Dänemark, Hannover, Mecklenburg u. Sachsen begütert ist u. sich in drei Linien theilt, von denen eine freiherrlich geblieben, die beiden anderen aber gräflich sind, u. zwar die eine seit 1814 (auch einst fürstlich), die andere bereits seit 1778. Der Stammvater dieser drei Linien ist: 1) Hildebrand Christoph, geb. 1621...
II. Freiherrliche Linie von Wiederstedt in Sachsen, begütert in den Herzogthümern Sachsen-Altenburg u. Sachsen-Meiningen (Schlöben, Rabis, Möckern u. Lichtenhain) u. in Preußisch-Schlesien (Ober-Wiederstedt); der Stifter war: 9) Freiherr Georg Anton, zweiter Sohn von H. 1), er war geb. 1666 u. st. 1721; war vermählt mit Anna Dorothea geb. Tochter zur Elz. 10) Freiherr Anton Gottlieb Christoph, zweiter Sohn des Vorigen, geb. 1697 u. st 1752; war vermählt mit Katharine Sidonie v. Heynitz. 11) Freiherr Heinrich Ulrich Erasmus, jüngster Sohn des Vorigen, geb. 1736, war Salinendirector in Wiederstedt in der Grafschaft Mansfeld u. st. 1814. 12) Freiherr Friedrich, pseudonym Novalis, ältester Sohn des Vorigen, geb. 2. Mai 1772 in Wiederstedt, erhielt seine erste Bildung auf der Herrnhuter Colonie Neudietendorf, studirte seit 1790 in Jena, Leipzig u. Wittenberg Philosophie in die Rechte; seit 1795 arbeitete er bei der Kreishauptmannschaft in Tennstädt in Thüringen, wurde dann Auditor in Weißenfels; studirte 1797–99 in Freiberg die Bergwissenschaften, wurde dann in Weißenfels Assessor u. Amtshauptmann u. st. hier am 25. März 1801. Als lyrischer Dichter gehört er zur Romantischen Schule (s. Deutsche Literatur VI.); er schr. den Roman: Heinrich von Ofterdingen, Berl. 1802; Geistliche Lieder u.a. Gedichte, gesammelt in seinen Schriften, herausgegeben von Fr. von Schlegel u. L. Tieck, Berl. 1802, 2 Thle., 5. Aufl. 1838.
Quelle: Pierer's Universal-Lexikon, Band 8. Altenburg 1859, S. 30-32. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20010078614
Meyers 1907
4) Friedrich von, Verwandter des vorigen, als Dichter unter dem Namen Novalis bekannt, geb. 2. Mai 1772 in Wiederstedt, dem Familiengut im Mansfeldischen, gest. 25. März 1801 in Weißenfels, erhielt im elterlichen Haus eine vortreffliche Erziehung, die durch ihren religiösen Grundcharakter (die Eltern gehörten der Brüdergemeinde an) von nachhaltigem Einfluß auf sein Gemütsleben war, besuchte seit 1789 das Gymnasium in Eisleben, studierte seit 1790 in Jena, wo er Schiller und Reinhold kennen lernte, seit Michaelis 1791 in Leipzig, wo er mit Friedrich Schlegel Freundschaft schloß, seit 1792 in Wittenberg Rechtswissenschaft und begab sich 1794 zur Übung in den praktischen Geschäften nach Tennstädt bei Langensalza. In dem nahegelegenen Grüningen lernte er die noch nicht 13jährige Sophie v. Kühn (geb. 17. März 1782) kennen, deren Bild lange Zeit im romantischen Heiligenschein erglänzte, aber im Lichte der modernen Forschung viel von seinem Glanz verliert. Mit ihr verlobte er sich bereits im März 1795 und wurde durch ihren frühen Tod, 19. März 1797, tief erschüttert. Nachdem er zuvor als Auditor bei den Salinen nach Weißenfels übergesiedelt war, widmete er sich 1797–99 in Freiberg unter Werner noch dem Studium der Bergwissenschaften und verlobte sich hier im Frühling 1800 zum zweitenmal, mit der Tochter des Berghauptmanns v. Charpentier. Bald darauf wurde er zum Amtshauptmann in Thüringen designiert, konnte aber sein Amt nicht antreten, da er, von Jugend auf kränklich, langsam hinsiechte. Schon als Auditor in Weißenfels war er mit dem Kreis der romantischen Dichter (Schlegel, Tieck etc.), die damals in Jena lebten, in engern Verkehr getreten und hatte besonders tiefgehende Anregungen durch das Studium der Fichteschen Philosophie gewonnen. Ein Mensch von seltener Begeisterungsfähigkeit, ein phantasiereicher und tiefsinniger Theosoph, der als der »Prophet der romantischen Schule« bezeichnet wird, hat es H. mit der Absicht, Leben und Poesie, Wissenschaft und Religion in eins zu schmelzen, so ernst genommen wie keiner der übrigen Romantiker. Sein Roman »Heinrich von Ofterdingen«, obschon unvollendet geblieben, legt davon Zeugnis ab. Er stellte sich darin die Aufgabe, »mit dem Geiste der Poesie alle Zeitalter, Stände, Gewerbe, Wissenschaften und Verhältnisse durchschreitend die Welt zu erobern«. Das Ganze sollte eine Apotheose der Poesie sein. Allein bei der Ausführung versagte ihm die darstellende Kraft und so, wie der Roman vorliegt (nur der erste Teil ist vollendet), treibt er bei schönen Einzelheiten (wir erinnern an die eingestreuten Lieder und die Schilderung von Heinrichs und Mathildens Liebe) ein unerquickliches Versteckspiel mit der »blauen Blume« der Poesie, ohne daß man ihren Farbenglanz und Duft jemals recht zu genießen bekommt. Bei H. ist alles in Dämmerlicht gehüllt; er wendet sich vom hellen und geräuschvollen Tag weg zur Nacht, die er in den mystisch-tiefen »Hymnen an die Nacht« so großartig besungen hat. Daneben spricht sich des Dichters Wesen und seine christliche, nicht kirchlich bedingte Richtung am reinsten in den »Geistlichen Liedern« aus. Seine »Sämtlichen Schriften« gaben L. Tieck und Fr. Schlegel (Berl 1802, 2 Bde.; 5. Aufl. 1838; Bd. 3, 1846), neuerdings K. Meißner (mit Einleitung von B. Wille, Flor. 1898, 3 Bde., Ergänzungsband [Bd. 4] 1901) und am besten, wenn auch nicht einwandfrei, E. Heilborn heraus (kritische Ausgabe auf Grund des handschriftlichen Nachlasses, Berl. 1901, 2 Tle. in 3 Bdn.); besonders erschienen die »Gedichte« das. 1857 und hrsg. von Beyschlag (3. Aufl., Leipz. 1885); eine Auswahl der Werke (mit Biographie, Anmerkungen etc.) besorgte J. Dohmke für Meyers Klassiker-Bibliothek (das. 1892). Vgl. »Friedrich v. H., genannt Novalis. Eine Nachlese aus den Quellen des Familienarchivs« (2. Aufl., Gotha 1883); »Novalis' Briefwechsel mit Friedrich und Aug. Wilh., Charlotte und Karoline Schlegel« (hrsg. von Raich, Mainz 1880); Schubart, Novalis' Leben, Dichten und Denken (Gütersloh 1887); J. Bing, Novalis (Hamb. 1893); K. Busse, Novalis' Lyrik (Oppeln 1898); E. Heilborn, Novalis, der Romantiker (Berl. 1901); Spenlé, Novalis, essai sur l'idéalisme romantiqueen Allemagne (Par. 1904).
Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 802-803. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20006742645
Brockhaus 1911
[760] Hardenberg, Friedr., Freiherr von, als Schriftsteller unter dem Namen Novalis bekannt, geb. 2. Mai 1772 zu Wiederstädt im Mansfeldischen, seit 1799 Assessor beim Direktorium der Salinen in Weißenfels, gest. das. 25. März 1801; einer der hervorragendsten Vertreter der romantischen Dichterschule; schrieb den Roman »Heinrich von Ofterdingen«, geistl. Lieder u.a. »Schriften«, neueste Ausg. 1900-1 (4 Bde.). – Vgl. Bing (1893), Heilborn (1900).
Quelle: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911., S. 760. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20001173820
Encyclopædia Brittannica 11. Ausg., 1911
Eisler, Philosophen-Lexikon 1912
[226] Hardenberg, Friedrich von (Novalis), 1777-1801, der bekannte Dichter, ist auch als Philosoph beachtenswert, als ein von Hemsterhuis und besonders von Kant, Fichte und Schelling beeinflußter Romantiker. Außer dem Roman »Heinrich von Ofterdingen« kommen hier besonders die »Fragmente« in Betracht, welche eine Menge philosophischer Aphorismen enthalten. N. verkündet einen »magischen Idealismus«, der von der Macht des Geistes über die Natur durchdrungen ist. Aus dem Geiste allein ist die Natur zu begreifen und durch den Geist wird sie beständig gestaltet, erneuert. Die Philosophie ist »Heimweh, ein Trieb, überall zu Hause zu sein«, das »Poem des Verstandes«, eine »Erregung des wirklichen Ich durch das idealische Ich«, die Kunst, ein Weltsystem aus den Tiefen unseres Geistes heraus zu denken. »Erst im vollständigen System aller Wissenschaften wird die Philosophie recht sichtbar[226] sein«. Philosophie ist »das Ideal der Wissenschaft überhaupt«, die »vollendete Intelligenz«. Die wahre Philosophie ist »realistischer Idealismus« und beruht auf »höherem Glauben«; sie behandelt die »Ehe von Natur und Geist«.
Die Kategorien kommen nur verbunden vor. Sie sind das »Alphabet cogitationum humanarum, worin jeder Buchstabe eine Handlung begreift«. Raum und Zeit entstehen zugleich und sind eins. »Raum ist beharrliche Zeit, Zeit ist fließender, variabler Raum«. Jeder Körper ist ein »ausgefüllter Trieb«, ein »Raumerfüllungsindividuum.« Das loh, die »Selbstheit« ist der Grund aller Erkenntnis, der Zentralpunkt, in dem wir alle identisch sind. Wir müssen uns erst zum wahren Ich erheben, wir sind es noch nicht ganz. Die Welt ist ein »Universaltropus des Geistes, ein symbolisches Bild desselben«. Wir schaffen eine Welt aus uns heraus und werden damit immer freier. »Wir wissen nur, insoweit wir machen.« Die Natur ist ein »enzyklopädischer, systematischer Index oder Plan unseres Geistes«. Sie ist eine »versteinerte Zauberstadt«, und sie hat sich wohl mit wachsender Kultur wesentlich verändert; der Mensch erlöst die Natur. Die Natur ist ein »gehemmter Personifikationsprozeß«. Alles Leben ist ein »Erneuerungsprozeß«, ein »ununterbrochener Strom«, »Opposition gegen den Mechanismus« (vgl. Bergson). Die Mathematik ist realisierter Verstand; das höchste Leben ist Mathematik, reine Mathematik ist Religion. Der »innige Zusammenhang, die Sympathie des Weltalls« ist die Basis der Mathematik. Zahlen sind Erscheinungen, ihre Verhältnisse sind »Weltverhältnisse«. »Die reine Mathematik ist die Anschauung des Verstandes, als Universum«. Echte Mathematik ist das »eigentliche Element des Magiers«. Sie ist echte Wissenschaft, weil sie »gemachte Kenntnisse enthält, Produkte geistiger Selbsttätigkeit«. Wahrscheinlich gibt es in der Natur eine »wunderbare Zahlenmystik«, auch in der Geschichte. Philosophie ist die »Universal- oder höhere Mathematik«. Die Welt werden wir verstehen, wenn wir uns selbst verstehen. Wir sind Gotteskinder, göttliche Keime; einst werden wir sein, was unser Vater ist. Die Welt ist »Resultat einer Wechselwirkung zwischen mir und der Gottheit«. »Alles, was ist und entsteht, entsteht aus einer Geisterberührung.« Gott ist »das Ziel der Natur, dasjenige, mit dem sie einst harmonieren soll«. Die Natur soll moralisch werden. In allem offenbart sich Gott, er ist die Liebe. Der Glaube ist wundertätig, Gott ist in dem Augenblicke, als ich ihn glaube. Glaube ist »Wahrnehmung des realisierten Willens«. Wahre Religion ist Christentum. »Die christliche Religion ist die eigentliche Religion der Wollust. Die Sünde ist der große Reiz für die Liebe der Gottheit.« Das System der Moral muß ein System der Natur werden. Unser sittlicher Wille ist zugleich der göttliche Wille. Wir sind die Erzieher der Natur. Unser Körper soll willkürlich, unsere Seele organisch werden. Wille ist »magisches, kräftiges Denkvermögen« und fähig, die Natur zum Ausdruck und Werkzeug des Geistes, zu Gedanken zu machen; wer dies vermag, ist der »magische Idealist«. Magie ist »Kunst, die Sinnenwelt willkürlich zu gebrauchen«. »Die Welt muß romantisiert werden: So findet man den ursprünglichen Sinn wieder. Romantisieren ist nichts als eine qualitative Potenzierung.« [227]
Schriften: Novalis' Schriften, 1802; hrsg. von Meissner, 1898, von Heilborn, 1900, von J. Minor, 1907; von H. Friedemann (Goldene Klaasiker-Bibl.). – Vgl. E. HEILBORN, N., der Romantiker, 1901. – E. FRIEDELL, N. als Philosoph, 1904. – H. SIMON, Die theoretischen Grundlagen des magischen Idealismus Ton N., 1905. – R. HUCH, Die Blütezeit der Romantik, 2. A. 1901.
Quelle: Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 226-228. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20001822926