Mickiewicz, Adam
Meyers 1908
[769] Mickiewicz (spr. mizkjéwitsch), Adam, der bedeutendste poln. Dichter, geb. 24. Dez. 1798 im Dorfe Zaosie bei Nowogródek (Gouv. Minsk), gest. 26. Nov. 1855 in Konstantinopel, Sohn eines Advokaten, studierte 1815–19 in Wilna, wo 1822 die erste Sammlung seiner Balladen und Romanzen (deutsch von A. Weiß, Leipz. 1874) erschien, und war sodann (1819 bis 1823) Lehrer der lateinischen und polnischen Sprache am Gymnasium in Kowno. Unglückliche Liebe inspirierte den Dichter hier zu seiner ersten größern Schöpfung, einem dramatischen Fragment, »Dziady« (»Totenfeier«, Teil 2 u. 4, im zweiten Bändchen seiner Gedichte, Wilna 1823) genannt, worin er neben seinem persönlichen Schmerz den Verzweiflungsruf seiner geknechteten Nation in ergreifender Weise ertönen läßt. Wegen Teilnahme an einer Studentenverbindung 24. Okt. 1824 verhaftet und nach Petersburg gebracht, wurde er nach Odessa verbannt, besuchte im Herbst 1825 von hier aus die Krim, die er in »Sonetten aus der Krim« besang (1826; deutsch von Schwab im »Deutschen Musenalmanach für 1834«, Leipz.; von P. Cornelius, das. 1868; von Nitschmann im »Polnischen Parnaß«, 4. Aufl. 1875), und kam dann im Winter desselben Jahres nach Moskau in die Kanzlei des Generalgouverneurs, des Fürsten Golizyn. Sein erstes Epos: »Konrad Wallenrod« (Petersb. 1828, Leipz. 1858; deutsch von K. L. Kannegießer, das. 1834; von O. Koniecki, Berl. 1855; von A. Weiß, Brem. 1871), künstlerisch vollendeter als die »Totenfeier«, gewann unter den Polen die Popularität eines Nationalepos und trug viel zur Weckung des Nationalgefühls bei. Der Stoff dieses Gedichts wie auch zu M.' zweiter epischer Dichtung: »Grażyna« (deutsch von Nabielak und Werner, zusammen mit »Konrad Wallenrod«, in den »Nordlichtern«, 1. Bdchn., Stuttg. 1834; von A. Weiß, Prag 1876; von Nitschmann in »Iris«, Leipz. 1880), ist den Verzweiflungskämpfen der Litauer gegen den Orden der Deutschherren entlehnt. 1829 reiste M. nach Deutschland, besuchte in Weimar Goethe und ging dann durch die Schweiz nach Italien. Auf die Nachricht von dem Ausbruch der polnischen Revolution ging er über Paris und Dresden nach Posen (im Mai 1831), darauf über Dresden (März 1832) zurück nach Paris, wo er seinen ständigen Aufenthalt nahm. 1832 erschien der dritte Teil seiner »Dziady« (das ganze Gedicht deutsch[769] von Lipiner, Leipz. 1887). Im Juli 1834 heiratete er Celina Szymanowska, die Tochter der berühmten Pianistin. In seiner Schrift »Ksiegi narodu polskiego i pielgrzymstwa polskiego« (Par. 1832; deutsch u. d. T.: »Die Bücher des polnischen Volkes und der polnischen Pilgerschaft«, das. 1833) behandelte er in einer der Heiligen Schrift nachgebildeten Diktion die Bestimmung Polens in der Vergangenheit und Zukunft. Zwei Jahre später erschien seine dritte epische Dichtung: »Pan Tadeusz« (Par. 1834, 2 Bde.; deutsch von Spazier: »Herr Thaddäus, oder der letzte Sajasd in Litauen«, Leipz. 1836; von Weiß, das. 1882; von Lipiner, 2. Aufl., das. 1898), das vollendetste Werk des Dichters und die Perle der slawischen Literaturen überhaupt. Die Fabel spielt im Jahre 1812, das durch Napoleons I. Feldzug die polnische Nation ihre Wiederherstellung hoffen ließ, und dreht sich um eine Nachbarfehde und einen Überfall (zajazd), einen der vielen Mißbräuche, woran sich Polens Eintracht und Kraft zersplitterten. Der epische Faden, der sich durch das Gedicht zieht, ist nur ein dünner; desto reicher reihen sich daran Schilderungen litauischen Volkslebens, idyllische Landschaftsgemälde und komische Genrebilder. Unter den Naturschilderungen verdient die Beschreibung der grauenvollen Waldeinsamkeit der litauischen Urwälder besondere Hervorhebung. Nach diesem Werk hat M. kein größeres Produkt mehr geliefert, sondern sich in historische Studien über das Slawentum vertieft. Nach kurzem Aufenthalt in Lausanne, wo er (1839) eine Professur der lateinischen Literatur bekleidete, wurde ihm 1840 die Professur der slawischen Literaturen am Collège de France übertragen. Seine 1840–42 hier gehaltenen Vorträge (»Vorlesungen über slawische Literatur und Zustände«, deutsch, Leipz. 1843–44, 4 Bde.; neue Ausg. 1849; beste polnische Ausgabe Posen 1865, 4 Bde.), obschon mehr durch Schwung der Phantasie als durch gründliches Quellenstudium ausgezeichnet, erregten anfangs großes Aufsehen; als sie aber nach seiner Bekanntschaft mit dem Schwärmer Towiański (s. d.) allmählich in eine Verherrlichung des sogen. Messianismus ausarteten, wurde er durch ein Dekret vom 12. April 1844 seiner Professur entsetzt (am 28. Mai hielt er seine letzte Vorlesung) und dieselbe seinem Freunde, dem Dichter A. Chodźko, übertragen. Not und Mangel zogen jetzt in das Haus des Dichters; auch sein Familienglück begann zu schwinden. 1848 versuchte er in Italien polnische Legionen gegen Österreich zu bilden; 1849 gab er drei Monate lang die »Tribune des peuples« heraus, die im Juni verboten wurde. Ludwig Napoleon ernannte ihn 1852 zum Bibliothekar an der Arsenalbibliothek. Im Februar 1855 starb seine Frau. Während des orientalischen Krieges reiste M. als Abgesandter der französischen Regierung nach der Türkei, um daselbst polnische Legionen zu bilden; indes griff das ungewohnte Lagerleben, dem er sich unterziehen mußte, seine Gesundheit dergestalt an, daß er nach kurzer Zeit in Konstantinopel starb. Der Leichnam wurde nach Paris gebracht und auf dem Friedhof zu Montmorency beerdigt, 1890 aber nach Krakau übergeführt und in der dortigen Königsgruft beigesetzt. M. ist der eigentliche Reformator der polnischen Literatur und ohne Zweifel der bedeutendste Dichter, den die Slawen bis jetzt aufzuweisen haben. Neben der Volkspoesie haben Shakespeare, Goethe und vorzugsweise Byron auf ihn eingewirkt. Er ward so der Bannerträger der Romantik in seinem Lande; allein er wußte dieselbe so glücklich mit den nationalen Elementen zu verschmelzen, daß er mit Recht als der polnische Nationaldichter verehrt wird. In Posen ward ihm 1859 ein Denkmal errichtet, 1898 eins in Krakau und eins in Warschau. Von seinen Schriften sind sowohl die einzelnen Werke als auch die Gesamtausgaben vielfach aufgelegt. Eine von M. selbst veranstaltete Ausgabe seiner Werke erschien in Paris 1838 in 8 Bänden. Aus dem Nachlaß wurden veröffentlicht: »Piérwsze wieki historii polskiéj« (»Die ersten Jahrhunderte der polnischen Geschichte«, Par. 1868) und die »Mélanges posthumes« (das. 1872–79, 2 Bde.), herausgegeben von seinem Sohne Wladyslaw M. (geb 28. Juni 1838 in Paris), der später auch die Korrespondenz seines Vaters sammelte und veröffentlichte (das. 1870–85, 4 Bde.) und eine französische und eine (ausführlichere) polnische Biographie desselben schrieb: »Adam M., sa vie et son œuvre« (das. 1888) u. »Żywot Adama Mickiewicza« (Posen 1890–95, 4 Bde.). Eine vollständige Gesamtausgabe von M.' Werken besorgten alsdann seine Kinder 1880–85 in Paris in 11 Bänden; die letzte Ausgabe ist die von Biegeleisen (Lemberg 1893, 4 Bde.). Eine kritische Gesamtausgabe veröffentlicht seit 1894 die Mickiewicz-Gesellschaft in Lemberg. M.' Schriften sind in fast alle europäischen Sprachen übersetzt, einige sogar in orientalische. Vgl. Chmielowski, Adam M., zarys biografiezno-literacki (Warschau 1886, 2 Bde.) und die Biographien von Kaltenbach (poln., Krakau 1897, 2 Bde.) und Belcikowski (poln., das. 1898).
Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 13. Leipzig 1908, S. 769-770. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20007085745
Herders 1856
[181] Mickiewicz (Mizkiäwitsch), Adam, der ausgezeichnetste polnische Dichter der neuern Zeit, geb. 1798 zu Nowogorodek in Lithauen, 1819 Gymnasiumslehrer zu Kowno, dichtete Liebeslieder, denen er nach der Verheirathung der Geliebten die »Todtenfeier« folgen ließ, stiftete einen literarischen Verein, was ihm 1823 Verbannung in die Tatarei brachte, sang Sonette, die ins Persische, durch G. Schwab im Musenalmanach 1833 ins Deutsche übersetzt wurden, machte 1828 in Moskau Aufsehen als Improvisator u. gab das Heldengedicht »Konrad Wallenrodt« (deutsch von Kannegießer, Lpz. 1834) heraus, wollte nach dem Ausbruch der Revolution von einer Reise im Ausland heimkehren, wurde jedoch in Posen angehalten, zumal in Warschau seine patriotischen Oden auf allen Gassen gesungen wurden. Er zog 1832 mit den poln. Emigranten von Dresden nach Paris, erhielt hier 1840 den Lehrstuhl der slavischen Literatur am Collége de France u. wurde vom gegenwärtigen Kaiser der Franzosen zum Bibliothekar ernannt. Außer den erwähnten Dichtungen lieferte M. noch viele andere (Romanzen und Balladen, die Schalmeispieler, die Rückkehr des Vaters u.s.f.), namentlich auch »Bücher des poln. Volkes und der poln. Pilgerschaft« (französ. von Montalembert), das Heldengedicht »Pan Thadeusz«, eine Verherrlichung Kosciuskoʼs, dann Vorlesungen über slavische Literatur u. Zustände (deutsch Leipzig 1843–41, wiederholt 1849). Seine in 4 Bdn. gesammelten Gedichte haben viele Auflagen erlebt.
Quelle: Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1856, Band 4, S. 181. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20003433609
Pierer
[240] Mickiewicz (spr. Mizkiewitsch), Adam, geb. 1798 in Nowogrodek in Lithauen, studirte 1814 in Wilna, war Lehrer an der Schule in Kowno; wurde 1823 politischer Verbindungen wegen verhaftet u. nach der Tatarei verwiesen, wo er die von G. Schwab übersetzten Sonette schrieb, lebte dann in Moskau u. Petersburg u. machte 1829 eine Reise durch Deutschland, die Schweiz u. Italien, wollte 1831 nach Polen, wurde in Posen angehalten u. ging mit polnischen Emigranten 1832 nach Paris u. von da später nach Lausanne, wurde 1840 nach Frankreich berufen, naturalisirt u. durch Ordonnanz vom 28. Juli 1841 Professor der Slawischen Sprache u. Literatur am Collège de France, aber wegen revolutionärer Ansichten im Dec. 1851 suspendirt u. am 12. Febr. 1852 von seinem Amte removirt. Seine von 1840 bis 1842 abgehaltenen Vorträge wurden ins Deutsche übersetzt u. von ihm mit einer Vorrede begleitet (Leipzig 1843 f., 2. Aufl. 1849, 4 Bde.); 1853 wurde er Bibliothekar im Kriegsministerium; im Sommer 1855 machte er im Auftrage des Kaisers Napoleon[240] mit dem Fürsten Wladislaw Czartoryski eine Reise nach Constantinopel, angeblich um dort wissenschaftliche Studien zu machen, in der That jedoch, um bei Bildung der polnischen Legion thätig zu sein, starb aber hier den 27. Nov. 1855 an der Cholera. Ihm wurde 1859 in Posen ein Denkmal errichtet. Er schr.: Dziady (die Todtenfeier); Switezianka (Romanzen u. Balladen); Powrot taty (die Rückkehr des Vaters); Du darz (die Schalmeispieler); Zeglara (die Segler); Ksiegi narodu polskiego i pielgrzymstera polskiego, Par. 1832 (deutsch 1833); Pan Tadeusz, 1834, 2 Bde. (deutsch von R. O. Spazier, Lpz. 1836, 2 Bde.); Konrad Wallenrodt (deutsch von K. Kannegießer), ebd. 1834; Les pays slaves et la Pologne, Par. 1842 f.; Rzecz o literaturze Slowianskiej, 1842 u.ö.; La Pologne et la Messianisme, 1843; Pisma wierszem i prozo wydanie siodme, na nowo przejrzane i dopelnione przez autora, Par. 1844; L'Eglise officielle et le Messianisme, ebd. 1845; Gesammelte Dichtungen (Poezye), ebd. 1822, 4 Bde., 7. Aufl. Par. u. Lpz. 1844. Vgl. Adam M., Eine biographische Skizze, Lpz. 1856.
Quelle: Pierer's Universal-Lexikon, Band 11. Altenburg 1860, S. 240-241. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20010439676
Brockhaus 1911
[181] Mickiewicz (spr. mizkjéwitsch), Adam, der größte poln. Dichter, geb. 24. Dez. 1798 in Zaosie (bei Nowogródek in Litauen), ward 1824, polit. verdächtig, ins Innere Rußlands verbannt, seit 1829 im Auslande, 1840-44 Prof. der slaw. Literatur am Collège de France in Paris, wo er seine »Vorlesungen über slaw. Literatur« (deutsch 1849) hielt, gest. 26. Nov. 1855 zu Konstantinopel; schrieb die Dichtungen »Konrad Wallenrod« (deutsch 1834 u.ö.), »Dziady« (deutsch: »Ahnenfeier«, 1887), »Pan Tadeusz« (deutsch 1836 u.ö.), Sonette, Balladen u.a. – Biogr. von Chmielowski (2 Bde., 1886), Kallenbach (2 Bde., 1897) und von M.s Sohn Władysław M., geb. 28. Juni 1838 in Paris (franz., 1888; poln., 4 Bde., 1890-95).
Quelle: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 2. Leipzig 1911., S. 181. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20001354671