Konkrete Poesie, Japanische

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Katue Kitasono (1902-1978) gründete schon 1935 unter Einfluß der modernen europäischen Lyrik die Dichter-Gruppe "VOU" und publizierte als Herausgeber und Leiter die gleichnamige Zeitschrift. Es war eine der bedeutendsten avantgardistischen Zeitschriften in Japan, die bis 1978 insgesamt 160 Hefte zählte. Schon Anfang der 50er Jahre stellte er in einem poetologischen Essay fest, daß ein Dichter das Wort als Zeichen für Farbe, Linie und Punkt zur Verfügung stellen sollte, ohne seine allgemeine Bedeutung und kommunikative Notwendigkeit zu berücksichtigen. Kitasono wollte einen Text nicht in Allegorie, Symbol oder Metapher schreiben, nicht in einer semantischen Dimension, sondern vielmehr diese, wenn überhaupt erforderlich, aus einem Text an sich entstehen lassen. Ein Beispiel dafür ist der folgende Text aus seiner Gedichtserie "Tanchona Kukan" (Der monotone Raum, 1958):

weißes Viereck 
darinnen 
weißes Viereck 
darinnen 
weißes Viereck 
darinnen 
weißes Viereck 
darinnen 
weißes Viereck

Diese Textserie wurde von dem brasilianischen Dichter und Komponisten L.C. Vinholes, der 1957 als Kultur-Attaché der brasilianischen Botschaft nach Japan kam, ins Portugiesische übersetzt, dann 1958 in einer Zeitung in Sao Paulo veröffentlicht und von der Noigandres-Gruppe als japanische konkrete Poesie sehr positiv aufgenommen. Damals hatte diese brasilianische Gruppe bereits von "poesia concreta" gesprochen und eine rege Tätigkeit entfaltet, während in Europa Eugen Gomringer seine "Konstellationen" veröffentlicht und den neuen Gedichttyp in Anlehnung an Max Bill "konkrete Poesie" genannt hatte.


Aus: Hiroo Kamimura: Japanische konkrete und visuelle Poesie im internationalen Kontext hier

[Nachwort zu: Aktuelle konkrete und visuelle Poesie aus Japan. Zusammengestellt und mit einem Nachwort von Hiroo Kamimura. Experimentelle Texte, Nr. 6. Siegen 1986. Das Nachwort wurde berücksichtigt für die Essayfolge "Stuttgart - Japan und zurück oder Ein japanisch-deutscher Literatur- und Schriftwechsel " (1995) von Reinhard Döhl und Hiroo Kamimura]