Katharina II

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Catharina die Zweite

[192] Catharina die Zweite, Kaiserin von Rußland – die zweite Schöpferin dieses Reichs – war zu Stettin am 2. Mai 1729 geboren, und eine Tochter Christian Augusts, Fürsten von Anhalt-Zerbst, königlich preußischen Generalfeldmarschalls und Gouverneuts zu Stettin. Von ihrer Mutter, Johanna Elisabeth (Tochter des Herzogs von Schleswig Gottorp), sehr sorgfältig erzogen, erhielt sie durch ihren Aufenthalt an verschiedenen Höfen noch mehr Ausbildung, Gewandtheit und Menschenkenntniß. Als die Kaiserin von Rußland, Elisabeth, 1742 ihren Neffen Peter Ulrich, unter dem Namen Peter Federowitsch zum Großfürsten und ihrem Nachfolger erwählte, vermählte sie ihn, auf Antrieb Friedrichs II. Königs von Preußen, 1745 (1. Sept.) mit dieser Prinzessin Sophie Auguste Friederike, welche nun, nach Annahme der griechischen Religion, den Namen Catharina Alexiewna wählte. Schwerlich können Ehegatten stärker contrastiren, als Peter und Catharina. Sie sehr schön, er durch die Blattern, die er noch als Großfürst bekam, im Gesicht sehr verunstaltet; sie von der Natur mit großen Talenten beschenkt, er von Natur der größte Schwachkopf; sie hatte die sorgfältigste Erziehung genossen, er, der Neffe einer Kaiserin, die schlechteste; besonders auch von Staatsgeschäften und Regierung Anfangs ganz entfernt und in seinem Einfluß auf die Regierung möglichst beschränkt, damit er nicht des Throns seiner Tante, wie sie des von ihrer Schwester Anna (s. dies. Art.) sich bemeistern sollte; sie die Wissenschaften, er blos militairische Spielwerke und Vergnügungen liebend, und zugleich – dem Trunke ergeben. Unter diesen Umständen, da er sie, sie ihn nicht liebte, war es wohl bei ihrer Herrschsucht natürlich, daß, als Peter nach seiner Tante Tode, am 5. Januar 1761 unter dem Namen Peter III. den Thron bestieg, sie selbst nach demselben strebte. Da er nun auch durch Neuerungen, Verachtung der Rassen,[192] durch unzeitige Strenge sich verhaßt machte; so wat es leicht, durch eine von ihr und ihren Anhängern klug geleitete Revolution ohne Blutvergießen am 9. Julius 1762 sich der Regierung wirklich zu bemächtigen. Schon dieses Unternehmen, noch mehr aber der Umstand, daß ihr unglücklicher Gemahl acht Tage darauf am 17. Juli in seinem 33. Jahre vergiftet und zuletzt noch erdrosselt wurde, bleibt ewig für ihren Charakter ein Schandfleck, auch wenn sie an diesem Morde durchaus keinen unmittelbaren Antheil genommen haben sollte, da sie ihn wenigstens mittelbar durch Peters Entthronung veranlaßte. Nachdem sie am Todestage desselben unter dem Namen Catharina II. als Kaiserin von Rußland öffentlich ausgerufen und am 3. October in Moskau gekrönt worden war, dachte sie nun sogleich darauf, sowohl die Staatsverwaltung durchgehends zu verbessern, als auch zu Befestigung ihrer neuen Regierung die Reichskollegien und den dirigirenden Senat zweckmäßiger einzurichten. Den von ihrem Gemahl wegen Holstein und Schleswig vorbereiteten Krieg mit Dänemark verhinderte sie durch gütlichen Vergleich, nach welchem endlich ihr mit Petern erzeugter einziger Sohn und nachmaliger russischer Kaiser Paul Petrowitsch, im Jahr 1773 sein Herzogthum Holstein-Gottorp gegen die Grafschaften Oldenburg und Delmenhorst an Dänemark abtrat. Im Jahr 1764 bewirkte sie die Erhebung ihres Lieblings Stanislaus August (Poniatowsky) (s. dies. Art.) auf den polnischen Thron, theils weil sie ihn kannte und wußte, daß er, als Freund des Friedens, sie nicht an auswärtigen Kriegen hindern würde, theils weil sie hoffen konnte, auf diese Art auch auf Polen und dessen Regierung Einfluß zu haben. Um diesen wirklich zu behaupten und zu beweisen, nahm sie sich der Dissidenten (s. dies. Art.) an, und da der katholische Adel in Polen zu Unterdrückung derselben eine Conföderation schloß (s. Th. IV. S. 251. Th. V. S. 353), und die Pforte, durch Frankreich gegen Rußland aufgereizt, ihnen Beistand leistete; so brach am 30. October 1768 der Krieg zwischen Rußland und der Pforte aus, der für diese so unglücklich ausfiel, [193] daß sie endlich in dem am 21. Juli 1774 zu Kutschuk Kainardschi abgeschlossenen Frieden die Krim (s. Taurien) für unabhängig erklären, Rußland die freie Schiffahrt auf dem schwarzen Meere verstatten und die zwischen dem Bog und Dnieper liegenden Länder und Städte, so wie die Festung Asow, den Schlüssel zum schwarzen Meere, an Rußland abtreten mußte. Da die von Rußland erfochtenen Siege Oestreichs und Preußens Eifersucht erregt hatten; so erfolgte zu Befriedigung dieser beiden zwischen ihnen und Rußland im September 1772 die erste Theilung von Polen, durch welche Catharina, noch vor Abschluß des Friedens mit der Pforte, ihre Länder erweiterte. Auch war sie so glücklich, einen durch den Kosaken Pugatschew (s. dies. Art. in den Nachtr.) erregten Aufstand zu unterdrücken, indem sie diesen Rebell, der sich für Peter III. ausgab, gefangen nahm und hinrichten ließ. Durch ihre Vermittelung kam einige Jahre nachher der Friede zu Teschen am 13. Mai 1779 zu Stande, durch welchen der bayerische Successionskrieg (s. dies. Art.) beendiget wurde; auch schlug sie im englisch-amerikanischen Kriege eine sogenannte bewaffnete Neutralität, oder eine Beschützung des Seehandels durch Kriegsschiffe vor, welches mehrere Fürsten befolgten. Als im Jahre 1783 die Tatarn (s. dies. Art.) in der Krim gegen ihren von Catharinen beschützten Khan einen Aufruhr erregten, so gab ihr dieses Gelegenheit, die Krim und den Cubau sich zu unterwerfen, den Khan dieser Länder auf einen Jahrgehalt zu setzen, und solche 1784 als eine neue Provinz unter dem Namen Taurien (s. dies. Art.) ihrem Reiche einzuverleiben; auch unterwarf sich noch im September 1783 der Fürst Heraclius von Georgien ihr freiwillig. Sie sorgte nun sogleich, die vorherigen Wüsten der Krim umzuschaffen, und besuchte darauf im Jahr 1787 die neue Provinz ihres Reichs persönlich, ließ sich auch dort zur Königin krönen. Da sich mit Gewißheit vermuthen ließ, daß die Pforte den Verlust der Krim, die sie gezwungen hatte abtreten müssen, nicht verschmerzen, und überhaupt die immer mehr anwachsende [194] Macht Rußlands und die Ausbreitung ihres Handels nicht gleichgültig ansehen würde, so schloß sie mit Kaiser Joseph II., der auf dieser ihrer Reise nach Taurien, in Cherson mit ihr zusammenkam, eine Off- und Defensiv-Allianz zu Vertheidigung ihrer Länder gegen alle feindliche Angriffe. Da die Türken auch wirklich 1787 Rußland den Krieg erklärten, so nahm Oestreich zwar seit 1788 Antheil an demselben, wurde aber endlich durch die zwischen Preußen und der Pforte am 31. Jan. 1790 abgeschlossene Offensiv-Allianz zu einem Separatfrieden mit der Türkei zu Szitowe am 4. August genöthiget. Catharina hatte bisher, ungeachtet ihr von den Türken der Krieg erkläret worden war, Anfangs nur schwachen Antheil an demselben nehmen können, indem sie 1788 mit einer großen Macht vom König von Schweden angegriffen wurde; allein, nach dem zwischen beiden (14. Aug. 1790) abgeschlossenen Frieden zu Wärelä, konnte sie ihn nun nachdrücklicher fortsetzen, und erhielt endlich im Frieden zu Jassy (29. Dec. 1791) Oczakow (s. dies. Art.) und das Land zwischen dem Dnieper und Dniester. Bei den bald darauf ausgebrochenen neuen Unruhen in Polen kündigte sie diesem Staate 1792 den Krieg an, an welchem Preußen und Oestreich Theil nahmen; und ungeachtet die Polen, besonders unter ihrem tapfern General Kosciusko (s. dies. Art.), nachdrücklichen Widerstand leisteten, so kam es doch 1793 zu einer zweiten Theilung dieses Staats, bei welcher Rußland den größten Theil der Palatinate: Wilna, Nowogrodek, Brzesk, Kiew, Volhynien und Podolien erhielt. Für den Ueberrest desselben wurde eine neue Constitution abgefaßt; allein da die erbitterten Polen am 17. April 1794 zu Warschau eine Empörung wagten, Kosciusko am 10. October geschlagen wurde, und Suwarow (s. dies. Art.) den 4. Nov. Praga, die Vorstadt von Warschau, eroberte, so erfolgte 1795 die dritte und letzte Theilung des polnischen Staates, bei welcher Catharina das übrige Volhynien, Brzesk und Nowogrodek, Samogitien und einen Theil von Troki erhielt. Catharina, die auch in diesem Jahre (18. März) Kurland mit [195] Rußland vereinigt hatte, nöthigte nun am 25. Nov. (1795) den Stanislaus August, dem polnischen Throne zu entsagen und die Krone niederzulegen, und Polen hörte auf, ein besonderes Reich zu sein. An dem Kriege gegen Frankreich nahm sie nur durch Manifeste und durch Absendung einer Flotte, welche aber unthätig blieb, Antheil. Hingegen brach zwischen ihr und Persien 1796 ein Krieg aus, wo auch von den Russen die berühmte Handelsstadt und Festung Derbent am caspischen Meere bereits erobert war, als Catharina, mitten unter den Zurüstungen zu Fortsetzung dieses Krieges, am 17. November 1796 im 68sten Jahre ihres Lebens und im 35sten ihrer Regierung, plötzlich an den Folgen eines Schlagflusses starb.


Quelle: Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 7. Amsterdam 1809, S. 192-196.

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[196] Catharinens Verdienste

um ihr Reich sind unendlich groß und bleibend. Sie vergrößerte dasselbe um 36,000 Quadratmeilen, vermehrte die Volksmenge von 20 auf 36 Millionen, ungeachtet ihr ihre Kriege, und besonders der letzte Türkenkrieg, viele Menschen kosteten. Sie zog viele Ausländer, besonders Deutsche, viel Fabrikanten, Manufakturen, Künstler etc. unter vortheilhaften Bedingungen in ihr Reich, und besonders viele tausend Colonisten zum Anbau und zur Bevölkerung der wüsten Plätze an der Wolga, in Astrachan, Taurien u. s. f. Die Seemacht, die sie beim Antritt ihrer Regierung im Verfall fand, vergrößerte sie und hinterließ eine Flotte von 48 Linien- und eine Galeerenflotte von 150 Schiffen, die kleinen ungerechnet. Die Landarmee, der sie eine neue Verfassung gab, erhöhete sie bis über 560,000 Mann; ihre Staatseinkünfte von 30 auf 60 Millionen. Den Handel ihres Reichs erweiterte sie außerordentlich, indem sie manche Arten desselben allen ihren Unterthanen freigab; auch munterte sie diese auf, manche Landesproducte theils anzubauen, theils zu veredeln; besonders setzte sie auf den Anbau des Tabaks in der Ukraine (s. dies. Art.) Prämien. Um manche Naturproducte Rußlands besser kennen, oder besser benutzen zu lernen, ließ sie Reisen in die entferntesten Gegenden ihres Reichs anstellen. Eben so thätig sorgte sie für den öffentlichen [196] Unterricht und für die Beförderung der Wissenschaften und Künste in ihrem Reiche. Sie stiftete neue Erziehungsanstalten, ließ deshalb Gelehrte und Künstler reisen, vorzügliche Schriften des Auslandes ins Russische übersetzen und von den vorzüglichsten Kunstwerken des Alterthums genaue Abdrücke verfertigen. Zu Entwerfung eines neuen Gesetzbuches für ihr Reich berief sie 1766 aus allen Provinzen Abgeordnete – sie selbst hatte bereits 1757 in russischer Sprache eine Instruction für die zu jenem Entwurf verordnete Commission entworfen – und im Jahr 1776 wurde das neue Gesetzbuch vollendet und bekannt gemacht, obgleich es nicht völlig ausgeführet werden konnte. Sie verstattete in ihrem Reiche völlige Gleichheit der Religion und hob die Leibeigenschaft auf. Bei allen diesen großen Arbeiten für ihr Reich, wußte sie doch noch Zeit für die Wissenschaften zu gewinnen. Sie entwarf nicht nur ihre Gesetze meistens selbst, unterhielt einen gehaltvollen Briefwechsel mit berühmten Männern, z. B. Voltaire, Diderot, Zimmermann, sondern trat auch sogar, nicht ohne Ruhm, als Schriftstellerin auf. Unter ihren Schriften zeichnet sich besonders die Bibliothek der Großfürsten Alexander und Constantin aus, durch welche sie, so wie überhaupt, für die Erziehung dieser ihrer Enkel sorgte. Allein, so groß ihre Verdienste für ihr Reich waren, so sehr ihre Menschenfreundlichkeit, wirkliche Liebenswürdigkeit, Thätigkeit, Witz, Verstand, Standhaftigkeit und Geistesgegenwart Bewunderung verdienten; so hatte sie doch auch große Fehler, die ihrem Lande selbst sehr schädlich waren. Ihr Unternehmungsgeist, ihre Ruhmbegierde und Eitelkeit kannten keine Grenzen; sie rissen sie von einem Plane zum andern hin, wovon fast jeder unausgeführt blieb, weil er wieder einem neuen Platz machen mußte. Sie liebte die Pracht, und an ihrem Hofe herrschte die größte Verschwendung. Die Macht und der Einfluß ihrer Günstlinge und der Creaturen derselben würde, besonders in den entfernteren Theilen ihres Reichs, ihren Unterthanen im höchsten Grade schädlich, indem von jenen Despotismus aller Art ausgeübt, diesegedrückt und ausgeplündert [197] wurden. Ihr größter Fehler war ihre Leidenschaft für die Männer. Sie hatte während ihrer Regierung mehr als zwölf bis sechzehn Günstlinge und Geliebte, unter denen Fürsten, Grafen, Officiers, Secretaire etc. sich befanden. Die vorzüglichsten derselben waren Gregorius Orlow oder Orloff (s. dies. Art.) und Potemkin1. Ueberhaupt sollen ihr in ihren 34 Regierungsjahren ihre Günstlinge viele – man will sogar sagen 71 – Millionen mehr gekostet haben, als die Erhaltung der ganzen Land- und Seemacht. Allein diese großen Fehler, deren Folgen doch nur vorübergehend waren, können ihre größern und für ihr Reich bleibenden Verdienste nicht überwiegen, sondern sie sind nur ein neuer Beweis des durch die Geschichte aller Jahrhunderte bestätigten Satzes: daß große Menschen auch große Fehler haben.


Fußnoten

1 Ungeachtet Th. III. S. 481. Potemkins Geschichte für den gegenwärtigen Artikel zugleich versprochen worden; so muß sie, um diesen nicht zu sehr zu vergrößern, dem Nachtrage unter P, auf welchen wir also verweisen, vorbehalten bleihen.


Quelle: Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 7. Amsterdam 1809, S. 196-198.

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