Japanische Literatur

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Pierer 1859

Die Schriften der Japaner sind entweder in Chinesischer od. in Japanischer Sprache verfaßt. Die Werke der strengen Gelehrsamkeit sind meist rein chinesisch, ohne alle Zuthat der Volkssprache verfaßt, wie z.B. die Annalen Wa-nen-kei; od. sie sind, obgleich chinesisch geschrieben, mit einer japanischen Interlinearversion versehen, in welcher entweder alle Wörter od. nur die schwierigeren u. wichtigeren an der Seite der chinesischen Charaktere in Japanischer Sprache mit dem Syllabar Kata-kana geschrieben werden. Die Übersetzung steht zur rechten Seite der chinesischen Charaktere in der Reihenfolge derselben, während durch gewisse Zeichen, Zahlen etc. zur Linken die Wortfolge angedeutet wird, wenn man die chinesischen Charaktere in J-r S. lesen will. Die eigentlichen in J-r S. verfaßten Bücher sind selten rein japanisch, sondern ein Gemisch von Chinesisch u. Japanisch; es liegt jedoch die japanische Grammatik u. Wortfolge dabei zu Grunde, auch müssen die vielen eingestreuten chinesischen Schriftzeichen gleich als japanische Wörter gelesen werden. Diese Vermischung herrscht in den meisten gedruckten Werken vor u. selbst die gewöhnlichen Briefe etc. werden so geschrieben.

Die Japanische Literatur ist reich in allen Fächern. Von einer großen Encyklopädie (gedruckt in Jeddo 1714, 105 Bde.) hat Abel-Rémusat (Notices et extraits, Bd. 11) eine ausführliche Analyse gegeben. Unter den historischen Werken sind zu nennen die Annalen: Nippon o daï itsi ran (französisch von Fitsingh, herausgegeben von Klaproth, Par. 1834); ferner in Chinesischer Sprache die kurzen Annalen Wa-nen-kei von Asia Jamabito, der sie zuerst 1820 in Miako herausgab; umfassendere Annalen von 661 v. Chr. bis 696 n. Chr., die zuerst 1228 (später u. A. Jeddo 1709, 30 Bde.) gedruckt wurden. Von allen Provinzen u. wichtigen Städten des Reichs gibt es voluminöse geographisch-topographische Beschreibungen, mit reichem historischem Detail, Abbildungen der wichtigsten Baudenkmäler etc. Der Geographie u. Geschichte der japanischen Nebenländer gewidmet sind San koks tsu ran to sets (Beschreibung der drei Reiche, Liukiu, Jeso u. Korea, französisch von Klaproth, Par. 1832) u. die fünf Bücher koreanischer Geschichte (Jeddo 1750). Auch besitzen die Japaner Landkarten, die zwar ein rohes, aber ziemlich getreues Bild des Reiches geben. Mehrere hat Siebold in Europa bekannt gemacht. Die Naturgeschichte, namentlich die Botanik, hat viele Bearbeiter gefunden. Dahin gehören Rudimenta physices (1804, 5 Bde.); Species florum diversae (1765, 8 Bde.); De natura herbarum et arborum (1823, 3 Bde.), von der Naturforschenden Gesellschaft in Owari herausgegeben; De crystallis atque rebus in lapidem versis (1772, 15 Bde.); Synopsis florae origine Europeae (1828, 3 Bde.), eine Übersetzung von Thunberg's Synopsis plantarum japonicarum. Eine japanische Botanik wurde neuerdings in Nordamerika (New York 1855) herausgegeben. Die Monographien über einzelne Blumen u. Pflanzengeschlechter sind sehr zahlreich. Die Naturforschenden Gesellschaften von Sin-jo-do u. Owari geben ihre Denkschriften heraus. Viele chinesische Werke sind in Japan vermehrt herausgegeben worden, worunter auch der berühmte Pen-thsao (1769, 31 Bde.). Vortrefflich ausgestattet ist die Literatur der chinesischen u. japanischen Lexikographie u. Grammatik. Chinesisch-japanische Wörterbücher sind: Tse-wei (9 Bde.); Sin zoo zi lin gjok ben, Novus et auctus literarum ideographicarum thesaurus (herausgegeben von Siebold in der Bibl. Japonica, Bd. 1, 1833); Sjo gen zi ko, Thesaurus linguae Japonicae, verfaßt von Makinosima Terutake im 17. Jahrh., zuerst gedruckt Jedde 1698 (herausgegeben von Siebold, in der Bibl. Japon., Bd. 2); ferner Te-fiki-sets-yo-slou-daï-zen, vom Jahr 1808, enthält 25,000 japanische Wörter mit ihren chinesischen Äquivalenten; Bunkan-sets-yo-tsou-bo-zo, enthält 50,000 Wörter; ferner Kwai Gjok-ben dai-zen, mehrmals gedruckt; unter anderem herausgegeben von Mori-Teï-sai 1780, ist das chinesische Wörterbuch Yu-pien mit japanischer Erklärung; ähnlich ist Sin-so Zi-rin gyok-ben, gedruckt 1828. Hierzu kommen Wörterbücher der älteren J-n S. u. der Synonymen. Ein japanisches Wörterbuch mit holländischer Übersetzung verfaßte Sada-josi (gedruckt 1810, 5[752] Bde.); ein holländisch-japanisches Wörterbuch verfaßte Halma (Jeddo, 20 Bde.). Auch für das Studium des Sanskrit sind Hülfsmittel vorhanden; ebenso gibt es Glossare für die Sprache der Aino u. das Koreanische. Der Buddhismus u. der Confucianismus haben auch in Japan eine reiche Literatur hervorgerufen. Wie in China, so sind auch in Japan die Landwirthschaft u. Gewerbkunde Gegenstand zahlreicher Schriften geworden. Es gibt Lehrbücher über allerlei Handwerke u. Künste, wie z.B. über das Eisenschmieden, die Erzgießerei, die Stickerei, die Kunst Thee zu kochen, Wallfische zu fangen etc. Der japanische Handelsstand besitzt auch seine Adreßbücher, ebenso die größeren Städte, wie z.B. Jeddo. Das genaueste Werk über die Verwaltung u. Regierungsform des Reichs ist das Speculum rei militaris, Jeddo 1818, 5 Bde. Die Medicin u. Pharmacie sind ebenfalls gut vertreten. Korjosai, ein Schüler Siebold's, verfaßte ein Werk über die bei den Europäern gebräuchlichen Arzneipflanzen (Nangasaki 1826). Viele japanische Bücher sind durch Holzschnitte illustrirt; auch gibt es Bücher, welche blos aus Holzschnittbildern bestehen, z.B. eine Sammlung von Nachbildung der Gemälde des Tanin, des berühmtesten japanischen Malers (1802, 3 Bde.). Gleich reich u. mannichfaltig ist auch die poetische Literatur der Japaner (vgl. Pfitzmaier, Beitrag zur Kenntniß der ältesten Japanischen Poesie, Wien 1852; Derselbe, Über einige Eigenschaften der japanischen Volkspoesie, Wien 1852). Die Japaner besitzen viele zum Theil sehr alte Lieder mythologischen u. historischen Inhalts. Ihr berühmtestes episches Gedicht ist Fei-ke monogatari od. die Geschichte der Feike-Dynastie, welches von Inkinaga nach 1183 verfaßt u. durch einen blinden Sänger, Namens Seobuts, unter dem Volke verbreitet wurde. Es ist öfter gedruckt (z.B. Jeddo 1710, 12 Bde.). Der lyrischen Gattung (Uta) gehörten u.a. an das Speculum carminum, eine Sammlung von 1000 Distichen, die zuerst 905 publicirt wurden; die berühmte Gedichtsammlung Manjô-sju (d.i. Sammlung der 10,000 Blätter), aus dem 8. Jahrh. (gedruckt z.B. 1684, 30 Bde.); die Gedichte des Sjoleis (st. 1459), eines der berühmtesten Dichter der Japaner. Die epigrammatische Gattung (Haikkai), sowie das Drama sind ebenfalls gut vertreten. Sehr zahlreich sind die Romane; dahin gehören Das Leben des Fürsten Iwagi (1806, 12 Bde.); Die Thaten der berühmten Jungfrau Kagami, 1803, 5 Bde.; Die sieben glücklichen u. die sieben unglücklichen Dinge (1808, 5 Bde.); Sechs Wandschirme in Gestalten der vergänglichen Welt (herausgegeben von Pfitzmaier, Wien 1847); Die Liebensabenteuer der Otoba u. des Tansitsi (1822, 2 Bde.) etc. Auch die belletristischen Taschenbücher, welche alljährlich erscheinen, sind den Japanern nicht fremd. Die christliche Literatur ist noch nicht sehr bedeutend; das N. T. soll schon im 17. Jahrh. (Mijako 1613) japanisch vorhanden gewesen sein. Eine Übersetzung des Lucasevangeliums erschien 1856 in New York.

Das Studium der J-n S. u. L. hat bis auf die jüngste Zeit in Europa nur sehr wenig Theilnahme gefunden. Zwar wurden durch die Jesuiten, welche bald nach der Entdeckung (1542) ihre Missionen in Japan begründeten, verschiedene Grammatiken, wie von Alvarez (Amakusa 1593, 1604), Rodriguez (Nangasaki 1604), Collado (Rom 1632) u. einem Portugiesen (Arte breve da lengoa, Japona, Amacoa 1620) verfaßt u. mehrere Wörterbücher zusammengestellt, so Diction. lat.-lusitanicum ac japonicum, Amac. 1595; Vocabolario da lingoa de Japam, Nangas. 1603; Vocab. de Japon declarado en portuguez y en castellano, Manila 1630; Collado, Dictionarii linguae japonicae compendium, Rom 1632; allein diese Werke sind höchst mangelhaft. Als die Missionen gegen Ende des 17. Jahrh. ein Ende nahmen (s. Japan, Gesch.) blieben blos die Holländer mit Japan in Verbindung, die aber nur ihren Handel im Auge behielten; Reisende, wie Kämpfer, Thunberg, Titsingh, van Overmeer-Fischer n. A. förderten zwar die Kenntniß des Landes, seiner Bewohner u. Geschichte, wenig aber die der Sprache u. Literatur. Als vereinzelte Erscheinungen sind aus dem 18. u. dem Anfang des 19. Jahrh. nur die Arbeiten des Basken Oyangurek, Arte de la lingua Japona, Mexico 1738, u. Landresse's Übersetzung der Grammatik des Rodriguez, herausgegeben von Abel-Remusat, Par. 1825; Supplement von W. v. Humboldt, Paris 1826. Eingehender beschäftigten sich mit dem Japanischen Siebold, Epitome linguae Japonicae, Batavia 1826; J. Hoffmann, Proeve eener Japansche Spraakkonst des Donker Curtius, Leyden 1857; Léon de Rosny, Elements de la langue Japon., Par. 1856; W. H. Medhurst. Englisch-japanisches u. Japanisch-englisches Vocabular, Bat. 1830; Pfitzmaier, Japanisches Wörterbuch, Wien 1852 ff.; Léon de Rosny, Dictionnaire, ebd. 1858, Heft 1, Goschkewitsch, Russisch-japanisches Wörterbuch, Petersb. 1857. Die reichste Sammlung japanischer Bücher ist bis jetzt die früher Siebold'sche in Leyden (verzeichnet in Siebold's u. Hoffmann's Catalogus librorum japonicorum, Leyd. 1845); weniger bedeutend sind die in Paris, Wien u. Petersburg.

Quelle: Pierer's Universal-Lexikon, Band 8. Altenburg 1859, S. 751-753. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20010158634


Meyers 1907

[Literatur.] Am Beginn der japanischen Literatur stehen die beiden in chinesischen Ideogrammen ausgezeichneten Geschichtswerke »Kojiki« (»Geschichte des Altertums«, abgeschlossen 712 n. Chr., von der Götter- und Heroenzeit bis 628 n. Chr. reichend; engl. von Chamberlain, Lond. 1882) und »Nihon gi« (»Japanische Annalen«, 720 abgeschlossen, bis 696 reichend; engl. von Aston, Lond. 1896; deutsch von Florenz, Yokohama u. Leipz. 1901 u. 1903; vgl. auch Midfords »Tales of Old Japan«, deutsch von Kohl, Leipz. 1875). Die im »Kojiki« und »Nihongi« eingestreuten, meist volkstümlichen Lieder sind die ältesten Denkmäler der japanischen Sprache und Poesie. Dieselbe Regsamkeit, Gewandtheit und Empfänglichkeit, mit der sich die Japaner heute die Errungenschaften europäischen Wissens und Denkens zu eigen machen, haben sie auch damals bewährt, als sie zuerst chinesische Kultur und dann buddhistisch-indische Religion auf ihren Boden verpflanzten. Und was diesem selbst ureigen ist, seine Geschichte, seine Geographie, sein Natur- und Kulturleben, haben sie früh schon in das Bereich ihrer vielseitigen Schriftstellerei gezogen. Die nationale Bewegung, die auf die Zeit der Übernahme der chinesischen Kultur folgte, fand ihren Ausdruck in der Liedersammlung der »zehntausend Blätter«: »Manyoshu« (veranstaltet von Yakamochi, 759 unvollendet abgebrochen; z. T. verdeutscht von Pfizmaier in den »Denkschriften der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften«, Wien 1872), während Mihuni eine Anthologie der in Japan damals eifrig gepflegten chinesischen Poesie, das »Kwaifuso« (»Sammlung bezeichnender Stücke«, von etwa 650–780 reichend), zusammenstellte. Unter den Dichtern des »Manyoshu« ragen hervor Hitomaro (ca. 662–709), Akahito (Mitte des 8. Jahrh.) und Yakamochi, der Sammler, selbst (gest. 785). Der Wechsel von Zeilen zu je 5 und 7 Silben, der hier gegenüber den freiern Metren der Lieder des »Kojiki« und »Nihongi« zur Regel ausgebildet wird, bestimmt die japanische Metrik der ganzen Folgezeit. In ihrer Blüte zeigt sich die altjapanische Lyrik im »Kokinshu« (»Alte und neue Gedichte«, z. T. verdeutscht von R. Lange: »Altjapanische Frühlingslieder«, Berl. 1884, »Sommergedichte« in der Zeitschrift »F'oung pao«, Leiden 1891, und Gramatzky: »Winterlieder«, das. 1892). Die bedeutendsten der im »Kokinshu« vertretenen Dichter sind [197] Narihira (825–880) und Tsurayuki (882–916), einer der Sammler, als Verfasser des »Tosa-nikki« (»Tagebuch von Tosa«) auch der erste japanische Prosaschriftsteller, der sich der japanischen Silbenschrift bediente. Für den Geist der Poesie scheinen namentlich zwei Haupteigentümlichkeiten des Volksgeistes bestimmend gewesen zu sein: eine fast schwärmerische Empfänglichkeit für Naturschönheiten und der bekannte romantisch-heroische Sinn der Japaner. Während das »Manyoshu« noch seine Entstehung der Liebhaberei und dem Patriotismus eines Privatmannes verdankte, wurde das »Kokinshu« bereits auf Veranlassung des Kaisers zusammengestellt. Bis 1439 folgen noch 20 solche offizielle Anthologien, deren keine jedoch an Ruhm und Bedeutung die beiden ersten erreicht. Es ist dies die Periode des japanischen Minnesanges in ihrem Aufblühen und Verfall. Mehr und mehr wurde das Kurzgedicht zu fünf Zeilen (5+7+5+7+7 Silben), »Tanka« genannt, zur fast ausschließlich angewendeten Form, und das Stoffgebiet beschränkte sich auf gewisse konventionelle Gegenstände. Eine weitere Beschränkung bedeutet das »Haikai« (aus 5+7+5 Silben bestehend und sehr wohl das japanische Epigramm zu nennen), dessen hervorragendster Vertreter Basho (1644–94; vgl. Chamberlain in den »Transactions of the Asiatic Society of Japan«, 1902) gleichzeitig mit den europäischen Epigrammatikern John Owen, Fr. v. Logau u. a. dichtete und wie diese am Ausgange der großen lyrischen Bewegung des Mittelalters steht. – Eine ähnliche parallele Entwickelung zeigt die japanische Epik. Ihre Anfänge sind die romantischen »Monogataris« aus dem 10.–13. Jahrh. Als eines der ersten ist das »Ise-Monogatari«, das die Schicksale des Dichters Narihira behandelt, zu erwähnen, das berühmteste ist das »Genji-Monogatari« der Frau Murasaki-Shikibu (um die Wende des 10. und 11. Jahrh.), diese neben Frau Sei Shonagon, Verfasserin der vielgepriesenen Skizzensammlung »Makura-Soshi«, die bedeutendste Repräsentantin der sehr reichen Frauenliteratur jener Zeit. Das »Genji-Monagatari« (z. T. ins Englische übersetzt von Suyematsu, Lond. 1882) gilt seines reinen Stils und zahlreicher liebenswürdiger Episoden wegen als klassisches Hauptwerk der japanischen Prosa. Ein Nachfolger Sei Shonagons ist Kenko (1283 bis 1350) mit seinem »Tsurezure-Gusa« (»Aphorismen aus meinen Mußestunden«). Als eine Art volkstümliches Epos darf das »Heike-Monogatari« (im 13. Jahrh. entstanden) gelten, das von fahrenden Sängern zur Biwa vorgetragen ward; ein eigentliches Nationalepos fehlt. Die Zahl der Monogataris ist sehr groß, ihr Inhalt bald kriegerisch, bald abenteuerlich, bald märchenhaft; in den Wirren, die der Restauration durch Jyeyasu vorangingen, verfiel wie die Lyrik, so auch die Epik. Erst durch sie nahm die literarische und nun auch die eigentlich wissenschaftliche Betätigung einen neuen Aufschwung. An Stelle der buddhistischen Mystik und Scholastik des Mittelalters tritt, durch die Wiederbelebung der chinesischen Studien vorbereitet, der Neokonfuzianismus, der seinerseits ganz ähnliche Wandlungen durchmacht wie die neue mitteleuropäische Philosophie, die zur selben Zeit begründet wurde.

Der moderne japanische Roman hat seinen Vorläufer in Ibara Saikaku (1642–93), der den gekünstelten, galanten Geist seiner Epoche repräsentiert. Jetzt auch wird die Schriftstellerei zum Gewerbe. Seinen Höhepunkt erreicht der japanische Roman in dem überaus fruchtbaren Kyokutei Bakin (1767–1848), dem japanischen Walter Scott; von seinen zahlreichen, zumeist historischen Romanen gilt der »Hakken-Den« (»Die Geschichte der acht Hunde«) betitelte als der vorzüglichste. Neben ihm sind noch zu nennen Ryutei Tanehiko (1780–1842), Verfasser des Romans »Von den sechs Wandschirmen« (deutsch von Pfizmaier, Wien 1847), und Tamenaga Shunsui (gest. 1842), Verfasser des Roninromans »Treu bis in den Tod« (deutsch von Hensel, nach Edw. Grey, Stuttg. 1895), beide kaum weniger fruchtbar als Bakin. Ihre Nachfolger beherrschen noch heute den japanischen Zeitungsroman. Die rege kritische Tätigkeit, welche die Restauration im Gefolge hatte, fand ihre Hauptvertreter in dem Manyoshu-Gelehrten Kamo Mabuchi (1697–1769) und seinem Schüler Motoori Norinaga (1730–1801), dem Kommentator des »Kokinshu«. Das japanische Drama, das einerseits auf die komischen Zwischenspiele in den religiösen Mysterien des Schintokults, anderseits auf die Anregung durch das chinesische Drama zurückzuführen sein wird, erhielt seine eigentliche Ausgestaltung erst im 17. und 18. Jahrh., der großen Dramenepoche der japanischen Literatur. In dieser Zeit wirkte Chikamatsu Monzaimon (1653–1724), Japans Shakespeare und Moliere zugleich, der größte im heroischen Trauerspiel und Begründer des bürgerlichen Schau- und Lustspiels. Neben ihm traten eine ganze Reihe von Dichtern auf, meist Direktoren ihrer Theater, vor allem in Kioto und Osaka. Die vornehmsten ihrer Schöpfungen werden noch heute gespielt. Das »No« der alten Zeit, mit seiner musikalischen Begleitung und Tanzeinlagen unsern ältern Opern zu vergleichen, wird ebenso noch weiter gepflegt, und auch das deklamatorische »Joruri« und die Marionettenspiele erfreuen sich unverminderter Beliebtheit. Vgl. Florenz, Japanische Dramen (Leipz. 1900); Lequeux, Le thêatre japonais (Par. 1889); Bénazet, Le thêatre an Japon (das. 1901); Mc. Clatchie, Japanese Plays (Lond. 1890) und Osman Edwards in den »Transactions and Proceedings of the Japan Society« (1902). – Die japanische Moderne beginnt um 1880 unter dem Einfluß der nun erst in Japan allmählich bekannt werdenden europäischen Literaturen, zumal der englischen. Zahlreiche Werke werden übersetzt, Tsubouchi Yuzo, Erzähler und Dramendichter, schreibt seine Abhandlung vom Geist der Romanliteratur, und Toyama Masakazu, Yatabe Ryokichi und Tetsujiro Inouye geben ihre »Gedichte im neuen Stil« heraus. Von den später Aufgetretenen müssen der Realist Yamada Taketaro, Erzähler und Lyriker, ferner die Novellisten Ozaki Koyo und Koda Rohan genannt werden. Die japanische Bühne erfuhr eine Umgestaltung nach europäischem Vorbild durch Kawakami, den Begründer des »Soshi Shibai«, der »Jungen Bühne«. Vgl. Florenz in den »Mitteilungen der Deutschen Ostasiatischen Gesellschaft in Tokio« (Yokohama 1892) und O. Hausers Anthologie (s. unten). Charakteristisch für die japanische Belletristik ist die Vorliebe für illustrierte Bücher, deren Abbildungen trotz der naivsten Zeichenfehler meist lebendig und sprechend sind. Das Wortspiel, bei uns nur einer untergeordneten Art des Witzes dienend, versieht wie in der chinesischen, so auch in der japanischen Dichtung eine sehr wichtige Funktion. Daß auch die japanische Literatur ihre schmutzigen Auswüchse hat, darf weder verneint noch verschwiegen werden; anzuerkennen ist nur, daß dort im Volke Schmutz als Schmutz gilt und nicht, wie nur zu oft bei uns, in lüsterner Weise beschönigt wird. Sieht man von dieser Schattenpartie ab, so muß man rühmen, daß in den[198] belletristischen Büchern, soweit sie uns zugänglich geworden sind, ein frischer, gesunder Geist herrscht. Heldenmut, aufopfernde Treue, strenges, empfindliches Ehrgefühl, Mitleid und Milde gegen Schwache und Notleidende, mannhafte Ergebung in das Schicksal, tief wurzelnde Achtung vor Gesetz und Sitte, Verachtung, oft schneidige Satire gegen alles Kleinliche und Gemeine: das sind die Gesinnungen, die sich darin spiegeln. Gewalttaten oft der gräßlichsten Art, der aufbrausenden Natur des stets streitbaren Volkes entsprechend, werden oft genug erzählt; allein immer ist das Erhabene oder das Rührende Genosse des Entsetzlichen. Über die japanische Literatur im allgemeinen orientieren: W. G. Aston, A history of Japanese literature (Lond. 1899; franz. Ausg., Par. 1902); Tomitsu Okasaki, Geschichte der japanischen Nationalliteratur (Leipz. 1899); K. Florenz, Geschichte der japanischen Literatur (das. 1905, Bd. 1); O. Hauser, Die japanische Dichtung (Berl. 1904). An poetischen Anthologien sind vorhanden: Léon Rosny, Si-ka-zen-jô, Anthologie japonaise (Par. 1871); B. H. Chamberlain, The classical poetry of the Japanese (Lond. 1880); K. Florenz, Dichtergrüße aus dem Osten (8. Aufl., Leipz. 1904) und Weißaster und andre Gedichte (4. Aufl., das. 1904); O. Hauser, Die japanische Lyrik von 1880–1900 (das. 1904). Bibliographie: Hoffmann, Catalogus librorum et manuscriptorum japonicorum (Leid. 1845); Pagès, Bibliographie japonaise (Par. 1859); die Bibliographie bis 1862 von R. Gosche in der »Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft«, Bd. 20, Supplement (Leipz. 1868); »Bibliotheca japonica, Verzeichnis einer Sammlung japanischer Bücher in 1408 Bänden« (Wien 1875) und F. v. Wenkstern, A bibliography of the Japanese empire (Lond. u. Leiden 1895).

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 196-199. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20006837638