Heine, Heinrich
Damen Conversations Lexikon 1835
[219] Heine, Heinrich, geboren 1800 [sic!] in Düsseldorf, war für den Kaufmannsstand bestimmt, bezog aber frühzeitig die Universitäten Berlin und Göttingen, und gleich mächtig ergriffen von der Tiefe der Wissenschaften und der Größe der Ereignisse, welche in dieser Zeit die Welt erschütterten, entwickelte sich in ihm der Keim jener Schreibweise und Lyrik, deren Hauptelement der Humor, aber der tiefe Humor der Wahrheit und Größe ist. Wie ein liebendes Mädchen dem Geliebten, so warf sich Heine seiner Zeit in die Arme und wurde ihr treuester Ausdruck. Die Schule, deren Stifter er ist, hält die Geschichte selbst, die lebende That für den größten Künstler; seine Lieder zerrissen den Irrthum von poetischen und unpoetischen Gegenständen; Heine's größtes Verdienst und der Grundstein neuerer Dichtung ist, daß er eben Alles poetisch machte, daß er den Demokratismus der Poesie schuf, die Alles, selbst die Launen[219] zu schönen Bildern zusammendrängt. Seine »Reisebilder« erregten darum das größte Aufsehen, weil sie in überraschend neuer Form alle Arten von Interessen besprachen; sein »Buch der Lieder« aber, mit dem Ueberschwang von Geist und Talent, der thränenweichen Zartheit und der sinnlich wilden Kraft, mit der todten, kalten Verspottung des eigenen Grams und der ergreifendsten Tiefe des Gedankens, ist zur Grundsäule einer neuen Aera der Dichtkunst geworden. Von Paris aus, wo er seit dem Mai 1831 lebt, schrieb er die berühmten »französischen Zustände.« Die »Salons« enthalten einzelne Aufsätze, Gedichte und pariser Skizzen. X.
Quelle: Damen Conversations Lexikon, Band 5. [o.O.] 1835, S. 219-220. Permalink: http://www.zeno.org/nid/2000173721X
Brockhaus 1837
[361] Heine (Heinr.), ein gewandter und vielgelesener deutscher Schriftsteller, wurde von jüdischen Ältern 1797 zu Düsseldorf geboren und trat später durch die Taufe zum Christenthum über. Er widmete sich auf den Universitäten Bonn, Berlin und Göttingen dem Studium der Rechtswissenschaften, erwarb die juristische Doctorwürde und trat zuerst 1822 öffentlich als Dichter auf. Sein Ruf wurde bedeutender, als er 1826–31 seine »Reisebilder« herausgab. In den schimmerndsten Farben spielt in diesen der gewandte Geist des Dichters. Sie fanden mit der ungebundenen Mannichfaltigkeit und keine Verhältnisse achtenden Rücksichtslosigkeit, die in ihnen herrschen, mit ihrer pikanten, kurzen, schlagenden, in lebendigen Vorstellungen sich regenden Sprache, viele Leser und Bewunderer. H. begab sich 1830 nach Paris und die politische Aufregung seiner Zeit benutzend, schrieb er Bücher, in denen er Staat, Religion, Wissenschaft, Literatur und Sittlichkeit ohne tiefere Kenntnisse ebenso interessant leichtsinnig mishandelte, wie in seinen lyrischen Gedichten sein eignes Her z. Der Beifall, den H. fand, erweckte ihm Nachahmer, und diese traten bald als eine eigne Schule als »junges Deutschland« auf. Von ihnen hatte keiner H.'s Gewandtheit und Talent, und was man von diesem in seiner die Leichtfertigkeit an der Stirn tragenden Weise gern hinnahm, erregte im Publicum den lautesten Unwillen, als es von den Jüngern ungeschickt und schwerfällig, im Gewande ernster Tendenzen vorgetragen wurde. Durch policeiliche Maßregeln wurde das junge Deutschland vernichtet, welches nicht möglich gewesen wäre, wenn diese Richtung in der Literatur mehr gewesen wäre als eine willkürliche Speculation auf die Gunst des Publicums, bei dem man eine ernste Sittlichkeit nicht voraussetzte.
Quelle: Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 361. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20000832669
Herder 1855
[259] Heine, Heinrich, geb. 1800, aus einer reichen jüd. Kaufmannsfamilie zu Düsseldorf, studierte seit 1819 zu Bonn, Berlin und Göttingen, ließ sich 1825 taufen, lebte abwechselnd zu Hamburg, Berlin u. München, seit 1830 dauernd zu Paris, wo er Aufsätze in die Revue des deux mondes lieferte, 1835 als Haupt des jungen Deutschland von den Maßregeln des deutschen Bundestages gegen dasselbe getroffen wurde, dagegen von 1836–48 ein ansehnliches Jahrgeld von der französ. Regierung bezog und gegenwärtig durch die Rückenmarksdarre langsam abstirbt. H. ist entschieden das größte Dichtergenie, das seit Göthe aufgetreten, aber durch Mangel an Religion und Sittlichkeit zugleich der lebendigste Ausdruck aller Widersprüche, in denen sich unser Jahrh. bis vor kurzem bewegte u. vielfach noch bewegt. Neben der tiefsten dichterischen Anschauung der ideenarmste Saint-Simonismus u. eine wahrhaft satanische Freude an der Unlust u. am Häßlichen; neben einer zauberhaften [259] Macht, alle Saiten des menschl. Herzens erklingen zu machen, der empörendste Hohn auf alles, was die Menschheit hoch und heilig hält und was nicht zu H.s Irreligion der Freude und des Genusses paßt; neben dem treffendsten geistvollsten Witze die gemeinsten Zoten; der geborne Dichter und der jüd. Faun verschmelzen sich in H. zu einem ebenso anziehenden als abstoßenden Ganzen, u. den zunehmenden Verfall seiner Dichternatur hat er, sonst ein Meister der Form, auch in der wachsenden Nachlässigkeit hinsichtlich der Form seiner Dichtungen offenbart. H. ging von der romantischen Schule aus, trat schon vor der Revolution von 1830 als Bewegungsdichter auf (Reisebilder, Hamburg 1826 ff., 4. Aufl. 1850 in 4 B.) und schwang sich rasch zum Herrscher der Poesie empor, indem er als Lyriker die rechte Erkenntniß vom Verhältnisse des Inhalts zur Form gab, die Poesie zur Einfachheit und Unmittelbarkeit des Volksliedes zurückführte u. einzelne lyrische Gedichte (vor allem im »Buch der Lieder«, Hamburg 1827, 10. Aufl. 1852), Balladen (die Wallfahrt nach Kevlaar, die Grenadiere) u. Hymnen (Friede) lieferte, wie kaum Göthe sie geschaffen. Selbst in den berüchtigten »Neuen Gedichten« (1844) glänzen aus dem Schmutze heraus noch Perlen u. offenbart sich »das ihm eigene liebevolle Erfassen u. Beleben der Natur«. Hatte er gegen den sittlich hoch über ihm stehenden Börne sich schamlos benommen, so lieferte er im »Atta Troll«, einem witzigen Heldengedicht in 24 Kapiteln, das in der Zeitung für die elegante Welt 1843 zuerst abgedruckt wurde, eine beißende Persiflage auf alle Richtungen, Bestrebungen und bedeutenden Persönlichkeiten der Literatur. Der »Romanzero« sammt Nachwort (1851) war geeignet, alle voreilig aufgetauchten Gerüchte über H.s Bekehrung zu widerlegen. H. ist zu sehr Lyriker, um Epiker oder Dramatiker sein zu können; seine Dramen (Almansor, Ratcliff u.a.) sind bei aller Originalität der Auffassung, Kunst der Behandlung u. Beweglichkeit »ohne diejenige Consequenz und Stetigkeit in der Handlung, die dem Drama seine eigenthümliche Bedeutung geben muß«. Außer einigen für die Geschichte der neuern Literatur nicht unwichtigen Schriften lieferte H. unter anderm in Prosa die franz. Zustände und den Salon, ganz gemacht, um beizuhelfen, daß die Nachwelt den Dichter weit herber verurtheilen wird, als dies bei G. A. Bürger (s. d.) der Fall ist.
Quelle: Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1855, Band 3, S. 259-260. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20003367312
Pierer 1859
3) Salomo, geb. 1767 von jüdischen Eltern in Hannover, kam arm 1784 nach Hamburg, wo er erst eine Stelle als Wechselherumträger bekleidete, dann in dem Wechselgeschäft von Popert diente, aber bald ein Wechselmaklergeschäft, 1797 mit Heckscher ein Bankiergeschäft u. 1818 ein eigenes Haus gründete, welchem er bis zu seinem Tode, den 21. December 1844, vorstand, es mit Unternehmungsgeist, Scharfsinn u. Rechtlichkeit führte u. zu einem europäischen Rufe erhob. Er war sehr mildthätig, erbaute 1840 auf eigene Kosten das Krankenhaus für jüdische Arme in Hamburg, gründete die Vorschußkasse für Juden, gab die Hälfte der Beiträge zum Bau des christlichen Schulhauses in Ottensen etc., in seinem Testament bestimmte er u.a. 163,000 Mk. Bco. für die Wohlthätigkeitsanstalten Hamburgs u. erließ allen, die ihm unter 400 Mark schuldeten, diese Schulden. Vgl. Jos. Mendelssohn, Salomo Heine, 3. Aufl. Hamb. 1845.
4) Heinrich, Neffe des Vorigen, geb. den 12. December 1799 in Düsseldorf von jüdischen Eltern, widmete sich eine Zeitlang dem Kaufmannsstande in Hamburg, studirte dann in Göttingen, Bonn u. Berlin die Rechte, trat 1825 zum Christenthum über, übernahm kurze Zeit mit Murhard die Redaction der Politischen Annalen u. privatisirte abwechselnd zu Berlin, München u. Hamburg, machte Reisen nach Oberitalienn. England u. ging 1830 nach Paris, wo er von 1836–48 ein Jahresgehalt aus öffentlichen Mitteln bezog u. nach langem Leiden den 17. Febr. 1856 starb. Erschr.: Gedichte, Berl. 1822; Tragödien, nebst einem lyrischen Intermezzo, ebd. 1823; Reisebilder, Hamb. 1826–31, 4. Aufl. 1848–1851, 4 Bde., n. A. des 1. Bds. (Harzreise) 1856; Buch der Lieder, ebd. 1827, 15. Aufl. 1857; Kahldorf über den Adel, Hamb. 1837; Beiträge zur Geschichte der neuern schönen Literatur in Deutschland, Par. 1833, 2 Bde.; Französische Zustände, Hamb. 1833; Der Salon, ebd. 1834–40, 4 Bde., 2. Aufl. 1849 ff.; Die Romantische Schule, ebd. 1837; Über Ludwig Börne, ebd. 1840; Neue Gedichte, ebd. 1844; Ballade über die Schlacht von Hastings; Atta Troll (ein Sommernachtstraum), 1847; Romanzero (der 3. Bd. seiner Gedichte), 1851, 4. Aufl. 1852; Der Doctor Faust, ein Tanzpoem, Hamb. 1851 (eine Tragödie, in welcher nicht gesprochen, sondern alle Affecte etc. durch Tanz dargestellt werden); Vermischte Schriften, 1854; Les aveux d'un poete de la nouvelle Allemagne, 1854 (in der Revue des deux Mondes); gab auch Shakspeares Mädchen u. Frauen, mit Erläuterungen, Par. u. Lpz. 1839, heraus. Vgl. H. H., Erinnerungen von Als. Meißner, Hamb. 1856; Strodtmann, H. H-s Wirken u. Streben, Hamb. 1857; Steinmann, H. H., Denkwürdigkeiten aus meinem Leben mit ihm, Lpz. 1847; Schmidt-Weißenfels, Über H. H., Berl. 1857. Viele seiner früheren Gedichte zeichnen sich durch Schönheit, zauberhaftes Gemisch von Liebe, Luft u. Schmerz, durch zartes Gefühl, Anmuth u. große Vollendung der Form aus, während er in dem größten Theil seiner späteren voll von schonungslosem Witz u. Satyre, Hohn gegen alles Heilige u. Edle u. einem zur Schau getragenen Cynismus ist, mitten in poetische Ergüsse die schneidendste Ironie mischt u. selbst Sprache u. Versbau in hohem Grade vernachlässigt.
Quelle: Pierer's Universal-Lexikon, Band 8. Altenburg 1859, S. 179-180. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20010095357
Meyers 1907
[87] Heine, 1) Salomon, verdienter Bürger Hamburgs, geb. 1767 in Hannover von unbemittelten jüdischen Eltern, gest. 26. Dez. 1844, richtete 1797 mit Heckscher in Hamburg ein Bankiergeschäft ein, mit dem er den Grund zu seinem spätern Reichtum legte. Durch Opferwilligkeit und Entschlossenheit wendete er die schlimmsten Folgen des furchtbaren Brandes vom 2. Mai 1842 von der Hamburger Geschäftswelt ab; zugleich stellte er dem Staat unaufgefordert 1/2 Mill. zur Verfügung. Überhaupt war Heines Wohltätigkeit wahrhaft großartig. Das Krankenhaus für jüdische Arme ist ganz aus seinen Mitteln gebaut worden; ebenso verdanken die Vorschußanstalt für jüdische Handwerker sowie andre milde Stiftungen ihm ihre Entstehung. Vgl. Joseph Mendelssohn, Salomon H. (3. Aufl., Hamb. 1845).
2) Heinrich, berühmter Dichter und Schriftsteller, geb. 13. Dez. 1797 in Düsseldorf, gest. 17. Febr. 1856 in Paris, war der Sohn unbegüterter jüdischer Eltern, erhielt die ersten und wichtigsten politischen Eindrücke zu der Zeit, als die Rheinlande unter der antifeudalen Herrschaft Napoleons standen (1806–13), besuchte 1808–15 das Lyzeum (Gymnasium) und sollte dann Kaufmann werden. Nach verunglückten Versuchen in dieser Laufbahn (in Hamburg 1816–1819) widmete sich H. mit Unterstützung seines reichen Oheims Salomon H. (s. oben) 1819–24 den Rechtsstudien in Bonn, Göttingen und Berlin, doch besuchte er zugleich germanistische und philosophische Vorlesungen mit Eifer. Er trat 28. Juni 1825 zum Christentum über, promovierte 20. Juli d. J. in Göttingen und beabsichtigte hierauf, sich als Rechtsanwalt in Hamburg niederzulassen, unterließ dies jedoch wegen mannigfacher Anfeindungen und lebte abwechselnd in London, München (1828, als Redakteur von Cottas »Politischen Annalen«), Oberitalien, namentlich aber in Berlin und Hamburg, bis er, durch Verdruß und Enttäuschungen niedergedrückt, 1831 nach Paris übersiedelte, dem damaligen Mekka des Liberalismus. In dieser ersten Epoche waren die Herzenserlebnisse, die er durch die unglückliche Liebe zu seiner Cousine Amalie H. und später zu deren jüngerer Schwester Therese erfuhr, auf seine dichterische Entwickelung von tiefstem Einfluß. Seine lyrischen Bekenntnisse beruhen großenteils auf diesen Erfahrungen. Trotz gelegentlicher Sehnsucht nach Deutschland, die H. in Paris empfand, war es ihm nicht mehr möglich, wieder dauernd dahin zurückzukehren; er konnte es nur zweimal, im Herbst 1843 und im Sommer 1844, besuchen. Durch den berüchtigten Bundestagsbeschluß vom Dezember 1835, der alle Schriften des sogen. Jungen Deutschland, wozu auch H. gerechnet wurde, verbot, wurde seine finanzielle Lage sehr gefährdet. Sein Haupteinkommen bestand in einer jährlichen Pension von 4000, seit 1838 von 4800 Frank, die ihm sein Oheim Salomon, der Vater von Amalie und Therese, ausgesetzt hatte. In Paris trat H. seit Oktober 1834 in leidenschaftliche Beziehungen zu einer schönen, gutherzigen, aber ungebildeten und allzu lebenslustigen Französin, Eugenie Mirat (gest.[87] 19. Febr. 1883 in Passy bei Paris), mit der er sich 31. Aug. 1841 auch kirchlich trauen ließ. Infolge seiner großen Finanznot tat er 1836 oder 1837 den bedenklichsten Schritt seines Lebens, indem er sich um eine Staatspension aus dem geheimen Fonds der französischen Regierung bewarb, die ihm in der Höhe von 4800 Frank jährlich bis zum Sturz der Julimonarchie 1848 gewährt wurde. 1845 befiel ihn ein Rückenmarkleiden, das ihn seit dem Frühling 1848 bis zu seinem Tod an das Krankenlager, die »Matratzengruft«, fesselte. Trotz seines jammervollen körperlichen Zustandes bewahrte er aber eine bewundernswürdige Frische des Geistes, und manche seiner bedeutendsten Schöpfungen in Vers und in Prosa sind hier entstanden: sein Witz verließ ihn nicht, und seine Weltanschauung vertiefte sich unter der schweren Zucht der Leiden. Heines Grab auf dem Friedhof von Montmartre in Paris wurde 1901 mit einer Marmorbüste von Hasselrijs geschmückt, der auch auf Korfu für das Schloß Achilleion der Kaiserin Elisabeth von Österreich ein Denkmal des Dichters errichtet hatte. Dagegen wurde die Errichtung eines solchen in einer deutschen Stadt verhindert, und das von Herter entworfene Standbild fand 1896 in New York einen wenig günstigen Platz.
In die literarische Welt trat H. mit »Gedichten« (Berl. 1822) ein, denen bald darauf die »Tragödien mit einem lyrischen Intermezzo« (das. 1823) folgten. Die Gedichte fanden sofort von den hervorragendsten Stimmführern der damaligen Kritik, von Varnhagen, Immermann, die wärmste Anerkennung, aber noch viel mehr Erfolg hatten die zwei ersten Bände von Heines »Reisebildern« (Hamb. 1826–27), die später durch zwei neue Bände (das. 1830–31) vermehrt wurden. Hier hatte sich ein geniales Individuum, romantisch und revolutionär zugleich, mit ungebundenster Subjektivität und mit bis dahin unbekanntem souveränen Witz über alles, was die Zeit interessierte, ausgelassen und Naturbilder voll tiefster Poesie, Menschenbilder von plastischer Kraft entworfen. Die hier eingeflochtenen Lieder gab H. vereint mit den früher veröffentlichten und durch neue vermehrt im »Buch der Lieder« (Hamb. 1827) heraus, das, immer neu aufgelegt, als einer der größten Schätze deutscher Poesie bis auf die Gegenwart anerkannt ist. Nach seiner Übersiedelung nach Paris übernahm es H., zwischen den Deutschen und Franzosen geistig zu vermitteln. So entstanden die ausgezeichneten Beiträge »Zur Geschichte der neueren schönen Literatur in Deutschland« (Par. u. Leipz. 1833, 2 Bde.; neue Aufl. u. d. T. »Die romantische Schule«, Hamb. 1836); dann die »Französischen Zustände« (das. 1833), eine Sammlung seiner aus Paris für die »Allgemeine Zeitung« in Augsburg geschriebenen Aufsätze, mit einer gegen die Reaktion in Preußen gerichteten äußerst heftigen Vorrede, und »Der Salon« (das. 1835–40, 4 Bde.), in dem er sehr eigenartig über die Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland einerseits sowie bei allem Humor mit sittlichem Ernst über französisches Leben, Politik, Bühne und Kunst anderseits berichtete und humoristische Novellen, wie die »Memoiren des Herrn von Schnabelewopski« und die »Florentinischen Nächte«, veröffentlichte. In Paris lernte H. auch die Anfänge des Sozialismus in Saint-Simon und Enfantin kennen, für deren Lehren er sich erwärmte, und die er eigentümlich zu einer Theorie des heidnisch-lebensfreudigen Sensualismus im Gegensatz zum christlich-jüdischen Spiritualismus ausbildete. In den erwähnten Schriften über deutsche Literatur und Philosophie zeigen sich die deutlichsten Spuren hiervon. Nach der unbedeutendern Arbeit über »Shakespeares Mädchen und Frauen« (Par. u. Leipz. 1839) gab H. die großen Skandal hervorrufende Denkschrift »Ludwig Börne« (Hamb. 1840) heraus, in der er seinen tiefen Gegensatz zum »spiritualistischen Nazarener« Börne am schärfsten äußerte. H. war bei all seinem Liberalismus doch geistiger Aristokrat und besaß für die hitzige Gesinnungstüchtigkeit Börnes nicht das geringste Verständnis. H. wendete sich in dieser Zeit auch in seinen Gedichten der Politik zu, zumal in den »Neuen Gedichten« (Hamb. 1844), deren vorzügliche Romanzen zu seinen besten Leistungen gehören. Als neuer Aristophanes, aber zugleich als alles vaterländischen Gefühles bar erwies er sich in dem satirischen Epos: »Deutschland, ein Wintermärchen« (Hamb. 1844), während sein »Atta Troll« (das. 1847) durch glänzende Schilderungen und gesunde, echt poetische Tendenz ausgezeichnet ist. Noch folgte aus Heines Krankenstube die berühmte Gedichtsammlung »Romancero« (Hamb. 1851), die seine schönsten Balladen und ergreifendsten Klagen enthält und in einem »Nachwort« des Dichters Rückkehr zum Theismus bekennt; ferner das phantastische Tanzpoem »Der Doktor Faust« (das. 1851) und »Vermischte Schriften« (das. 1854, 3 Bde.). Aus seinem Nachlaß erschienen »Letzte Gedichte und Gedanken« (Hamb. 1869) und viele Jahre nach seinem Tod ein nur die früheste Jugend schildern des Fragment seiner »Memoiren« (hrsg. von E. Engel, das. 1884); über das Schicksal des übrigen Teiles davon ist nichts Sicheres bekannt.
Heines Bedeutung ist schwer abzuschätzen; das Urteil über ihn ist durch der Parteien Haß und Gunst verzerrt. Seine dichterischen Gaben waren zweifellos sehr bedeutend; er besitzt die zarteste Innigkeit des Gefühls, berauschende Leidenschaft, große Anschaulichkeit der Phantasie, überraschende Einfälle und Gedankenblitze und vor allem einen zündenden, unerschöpflichen Witz; dabei verfügt er in Vers und Prosa über eine höchst einschmeichelnde und individuelle Sprache. Aber die Fehler, Schwächen und Unarten seines im Grunde doch gutmütigen Charakters zerrütteten sein Leben und zerfetzten seine Poesie, so daß durch die Vereinigung von hoher Begeisterung und niedriger Prosa, von Pathos und Gemeinheit eine durchgängige Disharmonie in Heines Werken anzutreffen ist. Sein Einfluß auf die weitere Entwickelung unsrer Literatur war und ist jedoch kaum zu ermessen, und selbst Geister von ganz abweichender Grundrichtung verraten die Abhängigkeit von ihm.
Die erste Gesamtausgabe der Werke Heines besorgte A. Strodtmann (Hamb. 1861–66, 21 Bde.), die beste kritische Ausgabe mit allen Lesarten, mit Biographie, Einleitungen und Anmerkungen Elster (Leipz. 1887–90, 7 Bde.). Heines Werke wurden wiederholt in alle Kultursprachen, auch ins Japanische, übersetzt. Er ist im Ausland einer der bekanntesten und beliebtesten deutschen Dichter. Aber aus der überaus großen Fülle der Übersetzungen können hier nur die »Œuvres« (Par. 1834–35, 6 Bde.) und die »Œuvres complètes« (das. 1852 ff., 14 Bde.) erwähnt werden, deren erste vollständig u. deren zweite bis zum 7. Band unter des Dichters Mitwirkung entstanden. Zahllos sind die Kompositionen Heinescher Gedichte, deren berühmteste die von Rob. Schumann. Aus der reichen Literatur über H. heben wir hervor: Alfred Meißner, Heinrich H. (Hamb. 1856); Strodtmann, Heinrich Heines Leben und Werke (Berl. 1867–69, 2 Bde.; 3. Aufl. 1884); Hüffer, Aus dem Leben [88] Heinrich Heines (das. 1877); Karpeles, Heinrich H. und seine Zeitgenossen (das. 1887) und Heinrich H. Aus seinem Leben und seiner Zeit (Leipz. 1899); Bölsche, Heinrich H. Versuch einer ästhetisch-kritischen Analyse seiner Werke (das. 1887); Elster, Heines Buch der Lieder nebst einer Nachlese nach den ersten Drucken und Handschriften (Heilbr. 1887) und Zu Heines Biographie (in der »Vierteljahrschrift für Literaturgeschichte«, Bd. 4), ferner dessen Einleitung zur Pantheonausgabe des »Buchs der Lieder« (Berl. 1902); Keiter, Heinrich H. (in den Schriften der Görres-Gesellschaft, Köln 1891); Legras, Henri H. poète (Par. 1897); G. Brandes, Das junge Deutschland (Leipz. 1891).
Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 87-89. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20006757235
Brockhaus 1911
[780] Heine, Heinr., Dichter und Schriftsteller, geb. 13. Dez. 1797 zu Düsseldorf von jüd. Eltern, trat 1825 zum Christentum über, lebte dann in Berlin, Hamburg, München, seit 1830 in Paris, gest. das. nach langjährigem Krankenlager 17. Febr. 1856; epochemachender Lyriker (»Buch der Lieder«, 1827; »Neue Gedichte«, 1844; »Deutschland«, »Atta Troll«, 1847; »Romanzero«, 1851), als Prosaist (»Reisebilder«, 1826-27; »Der Salon«, 1835-40 etc.) durch geistvolle Satire und Ironie hervorragend; »Werke« kritische Ausg. von Elster (7 Bde., 1890). – Vgl. Strodtmann (8. Aufl. 1884), Prölß (1886), Keiter (1891), Karpeles (1888, 1899), von Emden (1892).
Quelle: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911., S. 780. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20001181068