Gervinus, Georg Gottlieb

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Georg Gottfried Gervinus (* 20. Mai 1805 in Darmstadt; † 18. März 1871 in Heidelberg) war ein deutscher Historiker und liberaler Politiker. (...) 1835 wurde er in Heidelberg zum Professor für Geschichte und Literatur berufen. (...) Zwischen 1835 und 1842 publizierte Gervinus sein Hauptwerk, die Geschichte der deutschen Nationalliteratur. https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Gottfried_Gervinus


Herders 1855

[67] Gervinus, Georg Gottfr., geb. 1805 zu Darmstadt, zuerst Kaufmannslehrling u. Ladendiener, wandte sich 1826 hauptsächlich dem Studium der deutschen Literatur u. neuern Poesie zu, wurde 1836 Prof. der Literaturgeschichte in Göttingen, mußte 1837 als einer der Sieben wandern und wurde 1844 Honorarprofessor in Heidelberg; 1848 kurze Zeit als Mitglied der Nationalversammlung thätig, zog er sich von dem öffentlichen Leben auf die schriftstellerische Thätigkeit zurück. Hauptwerk: »Geschichte der poet. Nationalliteratur der Deutschen«, Leipz, 1835–38, dem niemand Gelehrsamkeit, Scharfsinn u. treffliche Darstellung absprechen wird; dessenungeachtet wird aber der Kenner der deutschen Geschichte das Urtheil bestätigen, daß G. wegen seiner Entfremdung gegen die positive Religion die Fähigkeit einer wahrhaften Würdigung der bedeutendsten Erscheinungen nicht besitzt. Auch als Politiker bewährte er sophistische Selbstgenügsamkeit; er gründete die »Deutsche Zeitung« 1847, die nach wenigen Wochen allgemein als »Professorenzeitung« betitelt wurde, in [67] welcher er mit andern protestantisirenden Doctrinärs jene Art von Constitutionalismus docirte, durch welchen Preußen sich die Hegemonie über Deutschland erwerben sollte. Das Auftreten Ronges feierte er 1845 mit der »Mission der Deutschkatholiken«, worin er zeigen wollte, daß durch den sog. Deutschkatholicismus in dem gemeinen Volke die Erkenntniß Leben und Form gewinne, die bei den Gebildeten als Rationalismus seit einem Jahrh. herrsche, aber wegen dieser Beschränkung auf die zerstreuten Höherstehenden unmöglich etwas wie eine kirchliche Genossenschaft habe gründen können. Wenige Jahre reichten hin um G. thatsächlich zu widerlegen, nichts desto weniger nahm er in seiner »Einleitung in die Geschichte des 19. Jahrh.«, Leipz. 1853, abermals histor. Prophetengabe in Anspruch; der gleiche Mann, der 1847 und 48 das Heil in dem Constitutionalismus angeschaut u. verkündet hatte, bekannte, als das Wunderkind in Frankfurt u. Erfurt sich nicht als polit. Messias qualificirte, daß er sich geirrt habe, die Zeit gehe jetzt mit der Demokratie schwanger und werde nach Ablauf der Frist die Republik gebären, d.h. G. fand 1853, daß Hecker und nicht Dahlmann, Gagern etc. 1848 auf der rechten Fährte gewesen seien. Die stümperhafte aber marktschreierische Schrift ist bereits vergessen, obwohl deutsche Regierungen ihr so viel Aufmerksamkeit schenkten, daß sie dieselbe confisciren ließen. G. gab, auf das ästhetische Gebiet zurücktretend, Leipzig 1849–50 seine Studien über »Shakespeare« heraus; das Buch wurde von seinen Gesinnungsgenossen mit Zuruf empfangen, wir zweifeln aber sehr, ob es in 5 Jahren noch die gleichen Ansprüche geltend machen könne.

Quelle: Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1855, Band 3, S. 67-68. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20003350258


Pierer 1859

[256] Gervīnus, Georg Gottfried, geb. 1805 in Darmstadt, widmete sich Anfangs der Kaufmannschaft, studirte von 1826 an in Heidelberg unter Schlosser Geschichte, war dann kurze Zeit Lehrer an einem Institut in Frankfurt a.M., habilitirte sich darauf als Privatdocent in Heidelberg, ohne jedoch Vorlesungen zu halten, machte 1832 eine wissenschaftliche Reise nach Italien, wurde 1835 außerordentlicher Professor in Heidelberg, 1836 Professor der Geschichte u. Literatur in Göttingen; dort trat er 1837 der Protestation der Sieben Professoren bei (s. Hannover, Gesch.) u. wurde in Folge davon mit denselben entlassen. Er lebte darauf in Darmstadt u. Heidelberg u. wurde 1844 hier Honorarprofessor, gründete dort im Juli 1847 die Deutsche Zeitung (deren Mitredacteur er bis Oct. 1848 blieb), nahm an der Heidelberger Versammlung vom 5. März 1848 (s. Deutschland Gesch. XIII. C) b) Theil, wurde von den Hansestädten als Vertrauensmann an den Bundestag berufen u. von einem Wahlbezirk der preußischen Provinz Sachsen in die Frankfurter Nationalversammlung gewählt u. gehörte dort dem rechten Centrum an, trat aber schon im August 1848 aus Gesundheitsrücksichten aus. 1850 ging er im Auftrag der Holsteinischen Statthalterschaft nach London, um dort für die deutsche Sache der Herzogthümer zu wirken, doch scheiterte seine Mission. Seitdem lebt er, ohne Vorlesungen zu halten, nur schriftstellerisch thätig in Heidelberg. 1853 verwickelte ihn seine Einleitung in die Geschichte des 19. Jahrh. in mehrere, jedoch zu seinen Gunsten entschiedene Preßprocesse. Er schr.: Geschichte der Angelsachsen, Frankf. 1830; Historische Schriften, ebd. 1833, 1. Bd.; Geschichte der poetischen Nationalliteratur der Deutschen, Lpz. 1835–42, 5 Bde.; Auszug daraus, als Handbuch der Geschichte für poetische Nationalliteratur der Deutschen, ebd. 1842; Grundzüge der Historik, ebd. 1837; Über den Goetheschen Briefwechsel, ebd. 1836; Kleine historische Schriften, Karlsr. 1838; Neuere Geschichte der poetischen Nationalliteratur der Deutschen, Lpz. 1835–42, 2 Bde., 3. Aufl. 1851 f.; Die preußische Verfassung u. das Patent vom 3. Februar 1847, Heidelb. 1847; Shakspeare, Lpz. 1849–50, 4 Bde.; 1. 2. Bd., 2. Aufl.; Einleitung in die Geschichte des 19. Jahrh., ebd. 1853 (italienisch von Marchese Peverelli, 1854); Geschichte des 19. Jahrh., ebd. 1855 f.

Quelle: Pierer's Universal-Lexikon, Band 7. Altenburg 1859, S. 256. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20010000704


Meyers 1907

[668] Gervīnus, Georg Gottfried, Geschichtschreiber und Literarhistoriker, geb. 20. Mai 1805 in Darmstadt, gest. 18. März 1871 in Heidelberg, trat 1819 in einer Buchhandlung zu Bonn, bald darauf in einem Tuchgeschäft zu Darmstadt in die Lehre, widmete sich aber daneben mit Eifer ästhetischen und literargeschichtlichen Studien und neuern Sprachen, holte seit 1824 die versäumte Schulbildung durch die fleißigsten Privatstudien nach, bezog 1825 die Universität Gießen und ging Ostern 1826 nach Heidelberg, wo er unter Schlosser Geschichte studierte. Seit 1828 Lehrer zu Frankfurt a. M., habilitierte er sich 1830 mit einer Schrift über die »Geschichte der Angelsachsen« (Frankf. 1830) in Heidelberg, begab sich bald auf ein Jahr nach Italien und gab 1833 eine Sammlung kleiner historischer[668] Schriften heraus. 1835 erschien der erste Band seiner »Geschichte der deutschen Nationalliteratur« (Leipz. 1835–42, 5 Bde.); spätere Auflagen führen den veränderten Titel: »Geschichte der deutschen Dichtung«, die fünfte ist teilweise nach seinem Tode von K. Bartsch herausgegeben (das. 1871–74). Zum ersten Male wurde darin die deutsche Literatur im Zusammenhang mit dem nationalen und politischen Leben und den gesamten Kulturzuständen als ein Ausfluß des gesamten nationalen Lebens betrachtet. Auf Dahlmanns Empfehlung 1835 als Professor der Geschichte und Literatur nach Göttingen berufen, gab er die »Grundzüge der Historik« (Leipz. 1837, wieder abgedruckt in seiner Selbstbiographie) heraus, eine kleine, aber von ernstem Nachdenken zeugende Schrift. Seine Wirksamkeit in Göttingen nahm ein schnelles Ende infolge des von ihm und sechs andern Professoren unterzeichneten Protestes gegen die vom König Ernst August verfügte Aufhebung der hannöverschen Verfassung. Vgl. Göttingen. Im Dezember 1837 abgesetzt und des Landes verwiesen, lebte er teils in Darmstadt, teils in Italien und ließ sich 1844 in Heidelberg nieder, wo er als Honorarprofessor vielbesuchte Vorlesungen hielt. Seine Teilnahme an den öffentlichen Dingen betätigte G. durch seine zwei Flugschriften über »Die Mission der Deutschkatholiken« (Heidelb. 1846) und »Die preußische Verfassung und das Patent vom 8. Februar« (Mannh. 1847), namentlich aber durch die 1847 in Verbindung mit Häusser, Mathy u. a. unternommene Gründung der »Deutschen Zeitung«, die er ein Jahr lang redigierte und mit vielen trefflichen Leitartikeln ausstattete. Im Frühjahr 1848 von den Hansestädten als Vertrauensmann zum Bundestag gesandt und von einem sächsisch-preußischen Wahlbezirk in die Nationalversammlung gewählt, betätigte er sich wenig, trat vielmehr, mit dem Gang der Dinge wenig einverstanden, schon im August 1848 verstimmt aus dem Parlament aus und suchte Erholung in Italien. Anfang 1849 zurückgekehrt, schrieb er wieder eifrig Artikel für die »Deutsche Zeitung«, zog sich jedoch nach der Auflösung der Nationalversammlung von der Politik zurück und begann ein größeres Werk über Shakespeare (»Shakespeare«, Leipz. 1849–52, 4 Bde.; 4. Aufl. mit Anmerkungen von Rudolf Genée, das. 1872, 2 Bde.). 1853 erschien als Vorläufer eines größern Werkes die »Einleitung in die Geschichte des 19. Jahrhunderts«, die wegen freisinniger Äußerungen verboten wurde, und 1854 ließ G. den ersten Band der »Geschichte des 19. Jahrhunderts« (Leipz. 1856–66, 8 Bde.) folgen, die, mit dem Wiener Kongreß beginnend, das Streben der Völker nach Freiheit und Selbstherrschaft von dem Standpunkt des konstitutionellen Liberalismus schildert. Die Katastrophe des Jahres 1866, die das von G. ersehnte Ziel der politischen Einheit Deutschlands auf einem ganz andern Wege näher rückte, namentlich die preußische Annexionspolitik, verstimmte ihn tief; er sah der weitern Entwickelung der Dinge nur mit Erbitterung gegen Preußen zu und mit Groll über den Staatsmann, der sich so gar nicht an die Vorschriften politischer Doktrinäre hielt. Dieser Stimmung gab er selbst nach Beginn des Krieges gegen Frankreich Ausdruck in der vom November 1870 datierten Vorrede zum ersten Band einer neuen Auflage seiner »Geschichte der deutschen Dichtung«. Seine Ansichten über die politischen Dinge seit 1866 führte er noch weiter aus in zwei nach seinem Tode von seiner Witwe (Viktoria, geborne Schelver, gest. 1893) herausgegebenen Aufsätzen: »Denkschrift zum Frieden an das preußische Königshaus« und »Selbstkritik« (»Hinterlassene Schriften«, Wien 1872). Die letzte größere Arbeit, die er veröffentlichte, war ein Buch über »Händel und Shakespeare. Zur Ästhetik der Tonkunst« (Leipz. 1868), dem aus seinem Nachlaß »Händels Oratorientexte, übersetzt von G.« (das. 1873) folgten. Im »Nekrolog Friedrich Christoph Schlossers« (Leipz. 1861) setzte er seinem alten Lehrer ein Denkmal persönlicher Freundschaft und verbreitete sich über die Aufgaben des Geschichtschreibers. Vgl. Lehmann, G., Versuch einer Charakteristik (Hamb. 1871); Gosche, Gervinus (Leipz. 1871); »Briefwechsel zwischen Jakob und Wilh. Grimm, Dahlmann und G.« (hrsg. von Ippel, Berl. 1885–1886, 2 Bde.) und die nach dem Tode seiner Witwe veröffentlichte Selbstbiographie: »G. G. Gervinus' Leben. Von ihm selbst« (Leipz. 1893), die bis zum Jahre seiner Vermählung, 1836, reicht; Dörfel, G. als historischer Denker (Gotha 1904).

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 668-669. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20006674631


Brockhaus 1911

[671] Gervīnus, Georg Gottfried, Geschichtschreiber, geb. 20. Mai 1805 zu Darmstadt, 1836 Prof. in Göttingen, 1837 als Mitunterzeichner der Protestation gegen die oktroyierte Verfassung ausgewiesen, seit 1844 Prof. in Heidelberg, 1848 kurze Zeit Mitglied der Nationalversammlung, gest. 18. März 1871, bes. als Geschichtschreiber der deutschen Literatur bahnbrechend; Hauptwerke: »Geschichte der deutschen Dichtung« (5. Aufl. 1871-74), »Shakespeare« (4. Aufl. 1872), »Geschichte des 19. Jahrh.« (8 Bde., 1855-66), »Selbstbiographie« (1893). – Vgl. Gosche (2. Aufl. 1871).

Quelle: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911., S. 671. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20001139711