Ewald, Johannes

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[202] Ewald, 1) Johannes, dän. Dichter, geb. 18. Nov. 1743, gest. 17. März 1781 in Kopenhagen, kam nach dem Tode seines streng pietistischen Vaters, der Prediger[202] war, elfjährig in die Schule nach Schleswig, deren pedantischem Zwang er entfloh, in der Hoffnung, wie Robinson Crusoe auf eine unbewohnte Insel verschlagen zu werden. Bald eingeholt, entfloh er wieder, 15 Jahre alt, um in preußischen Kriegsdiensten Ehre und Wohlstand und dadurch seine Geliebte, Arendse Hulegaard, zu gewinnen. Bald darauf desertierte er zu den Österreichern, wurde Tambour, dann Unteroffizier, nahm 1759–60 an mehreren Gefechten teil, entwich aber wiederum und kehrte nach Kopenhagen zurück, wo er binnen kurzem ein vorzügliches theologisches Examen absolvierte. Die Hoffnung, seine Arendse zu gewinnen, die ihn bisher angespornt hatte, wurde enttäuscht, und E. versank immer mehr in Schwermut, Ausschweifungen und Krankheit; sein dichterisches Talent aber entfaltete sich herrlich. Nach dem wenig originellen allegorischen Gedicht »Der Tempel des Glücks« (1764) schrieb er sein schlichtes, tiefempfundenes Trauergedicht auf den Tod Friedrichs V. (1766), durch das er über Nacht berühmt wurde. Von seinen ursprünglichen französischen Mustern wandte er sich jetzt Klopstock zu, wie besonders sein biblisches Drama »Adam und Eva« (1769) und die Trauerspiele »Rolf Krake« (1770; deutsch, Hamb. 1775) und »Balders Tod« (1774) beweisen. Mit ihnen wurden nach dem Vorbilde der »Hermannsschlacht« auf der dänischen Bühne altnordische Stoffe heimisch. In dem Singspiel »Die Fischer« (1780) zeigt sich E. in selbständiger, freier Entfaltung seines Genies; auch hier ist er im Verwerten von Schilderungen aus dem Volksleben bahnbrechend. Viele der eingestreuten Lieder sind Volksgut geworden, so besonders das spätere Nationallied »Kong Christian stod ved höjen Mast«. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er durch Fürsorge des Kammerherrn Moltke, dem er eine schöne Ode gewidmet hat, in bessern Umständen. Nach langem Hinsiechen starb er, kaum 38 Jahre alt, noch auf dem Totenbette das schöne Lied »Zur Hilfe, Held von Golgatha« dichtend. Daß E., ein Romantiker vor der Zeit, der neuern dänischen Poesie und Stilkunst, die durch Öhlenschläger zur Geltung kam, die Bahn brach, hat dieser in mehreren seiner schönsten Gedichte (»Ewalds Grab«) dankbar anerkannt. Eine vorzügliche, offenherzige und leicht ironische Selbstbiographie hat E. in seinem unvollendet gebliebenen Werk »J. Ewalds Levnet og Meninger« gegeben. Die beste Ausgabe der Werke Ewalds besorgte Liebenberg (Kopenh. 1850–55, 8 Bde.); Biographien lieferten Molbech (1831), M. Hammerich (3. Ausg. 1888), A. D. Jörgensen (1888). Vgl. Öhlenschläger, Vorlesungen über E. und Schiller (Kopenh. 1810–1812), die Charakteristik von F. C. Olsen (das. 1835) und Welhaven, E. og de norske Digtere (Christiania 1863).

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 202-204. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20006578241