Elegies de Bierville (Riba)

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Die Elegies de Bierville von Carles Riba

Hierzulande sind sie kaum bekannt, im katalanischsprachigen Raum gelten sie als eines der Hauptwerke des 20. Jahrhunderts. Geschrieben 1939 bis 1942 während des Exils in der französischen Provinz (Gut Bierville bei Boissy-La-Rivière, 60 km südlich von Paris), entsprechen sie auf den ersten Blick der Schillerschen Definition: Klage über Verlust. Sie sind aber zugleich eine geistige Auseinandersetzung mit den Prämissen abendländischer Kultur, Reflexionen über Identität und Gemeinschaft, über Wandel und Dauer sowie – für den Dichter in diesem Ausmaß damals neu – über die Existenz eines Gottes im christlichen Sinn, alles vor dem Hintergrund eines mythisch-idealen Griechenlands bzw. Mittelmeers [nicht umsonst war Riba der ›Entdecker‹ Hölderlins in den 20er Jahren mit nachhaltiger Wirkung: Heute ist Hölderlin zumindest in literarischen Kreisen auch auf der iberischen Halbinsel eine Ikone, zuvor kannte man ihn dort so gut wie gar nicht].


Auch formal sind die Elegies interessant: Riba überträgt das elegische Distichon ins Katalanische und verweist im Nachwort als Beispiel für die Adaption dieser antiken Form auf Goethes Römische Elegien. Letztlich übernimmt er also den Opitzschen Grundsatz »antike Länge –> Betonung«, wendet also (anders als etwa Carducci im Italienischen) in einem überwiegend silbenzählenden metrischen Umfeld eine nach dem regulierten Abwechseln von Hebungen und Senkungen organisierte Struktur an. Er wählt mit dem elegischen Distichon darüber hinaus ein vergleichsweise komplexes Muster, das andererseits durch die im Spondeus verankerten Möglichkeit, drei- und zweisilbige Einheiten abzuwechseln, den prosodischen Gegebenheiten romanischer Sprachen sicherlich eher entgegenkommt als etwa der ›einfachere‹ Blankvers. Antiker Form sich nähernd, allerdings via Deutschland.


So knüpft Riba an die Tradition der – ihm sehr vertrauten – Antike an (er hatte selber zahlreiche griechische Klassiker ins Katalanische übertragen) und stellt im selben Atemzug die Verbindung zur deutschen Klassik her (die ihm ebenfalls nah ist, s.o.). Durch die Einführung der »deutschen« Distichen erweitert er die Möglichkeiten der poetischen Ausdrucksweise im Katalanischen (und letztlich der Romania) und schafft im eigenen Werk eine kohärente Synthese von »humanistischer« Form und humanistischem Gedankengut.


Hier die ersten vier Zeilen aus der zehnten, der wohl berühmtesten:


X

He somiat amb Orfeu a la porta oberta de l’Ombra.
	Una absència d’espill ha devorat els meus ulls
ebris encar de mirar-se en el maig turbulent de les coses,
	plens d’abocar sobre el cel tantes aurores del cor.
[...]

|He so|miat amb Or|feu a la |porta_o|berta de| l’Ombra.
	|Una_ab|sència d’es|pill ||ha devo|rat els meus |ulls
|ebris en|car de mi|rar-se_en el |maig turbu|lent de les |coses,
	|plens d’abo|car sobre_el |cel ||tantes au|rores del |cor.

<Synaloephen durch Unterstrich angezeigt>

Ich habe von Orpheus geträumt an der offenen Pforte des Schattens, 
	und Spiegellosigkeit hat ganz meine Augen verzehrt, 
die trunken noch war’n, sich im wirbelnden Mai der Dinge zu schauen,
	und, überlaufend, in den Himmel gossen so viel Herzmorgenrot.

[Àxel Sanjosé]