Colonna, Vittoria
Damen Conversations Lexikon
[452] Colonna Vittoria. Vor dritthalb hundert Jahren bezeichnete dieser Name in Italien nicht allein die erste lebende Dichterin, sondern auch das Muster der Treue, Anmuth und Schönheit. Berühmte Zeitgenossen waren stolz auf die Bekanntschaft mit einer Frau, deren seelenvolle Lieder nicht allein alle der Mitbewerberinnen bis dahin überragten, sondern die auch dem großen Michel Angelo noch in seinen spätern Jahren Liebe einflößte und ihn zu innigen Gesängen begeisterte. Vittoria stammte aus einer edlen Familie, ihr Vater bekleidete die Würde eines Großconnetables von Neapel. Das goldene Zeitalter italienischer Kunst und Literatur war im Aufblühen und in der Familie Colonna ein gewisses Patronat der Poesie seit Petrarka's Zeiten erblich; die junge Vittoria erhielt also die sorgfältigste Erziehung, und ihre Schönheit und des Kindes lebhafter Geist versprachen etwas Außerordentliches. Vier Jahr altwurde ihr Schicksal an das des jungen Don Fracesco d'Avalos, Marquis von Pescara geknüpft, dem sie künftig ihre Hand reichen sollte. Beide wetteiferten von jetzt an in der glücklichsten Entwikkelung ihrer geistigen Fähigkeiten, und während ihr junger Verlobter sich in ritterlichen Künsten übte, folgte Vittoria den unschuldigen Spielen ihrer früh erwachten Phantasie. Beide hatten das 17. Jahr erreicht, als glänzendere Anträge, wie die Bewerbungen der Herzoge von Braganza und von Savoyen Vittoria's Eltern in ihren Plänen irre machten; allein der Papst that den Ausspruch, daß das Band[452] des Verlöbnisses nicht zerrissen werden dürfte, und die Liebenden wurden 1507 zu Neapel vereinigt. Das glückliche Paar, in edler Liebe zu den Genüssen des Geistes die Flatterfreuden der Welt leicht entbehrend, genoß vier Jahre die Seligkeit einer ungetrennten Vereinigung; nur einen Wunsch erfüllte das Schicksal nicht, die Ehe blieb kinderlos. Da schloß sich Neapel der Ligue gegen Ludwig XII. von Frankreich an, und der Marquis von Pescara mußte dem Rufe der Ehre folgen. Er gerieth, wenige Monate nach der Trennung von Vittoria, in der Schlacht von Ravenna in französische Gefangenschaft, wurde zwar bald wieder befreit, aber nur, um von dem Kriege, der noch über 15 Jahre dauerte, fast unaufhörlich fortgerissen zu werden. Nur selten und auf wenige Tage sah er seine Gemahlin wieder, deren einzige Gesellschaft in der Abgeschiedenheit von ihm die Musen zu sein pflegten. So verflossen 14 Jahre, ohne daß beide älter für einander wurden; dieselbe treue Zärtlichkeit und dieselbe Begeisterung für das Edle und Herrliche verschönten die Studien der Dichterin wie die Thaten des Helden. Unterdessen wuchs das Ansehen des Marquis zu einer solchen Höhe, daß ihm selbst Neapels Königskrone vom Hofe Frankreichs angetragen wurde, wenn er an seinem Vaterlande zum Verräther werden wollte; er wies diese Anträge öffentlich zurück. Es kam endlich 1525 zu der blutigen Schlacht von Pavia, zu deren siegreichem Ausgange der Muth und die Klugheit des Marquis wesentlich beitrugen, der schwer verwundet nach Mailand gebracht wurde. Vittoria, zu ihm eilend, hatte kaum die Hälfte der Reise zurückgelegt, als ihr die Nachricht von ihres Gemahles Tode begegnete. Nachdem sich die tiefgebeugte Witwe von dem furchtbaren Schlage, der ihr anfangs alle Besinnung geraubt, so weit erholt hatte, kehrte sie nach Neapel zurück. Die Liebe und Bewunderung, die sie bis dahin zwischen ihrem Gatten und der Kunst getheilt hatte, schien von nun an ganz auf dieser zu ruhen; sie gab sich ihrer Neigung zur Poesie ganz hin. Italien verlieh ihr den Beinamen: die Göttliche,[453] und in ihrer Einsamkeit wurde das Andenken des geliebten Todten, welches sie selbst die Sonne ihrer Gedanken nannte, was für Petrarka einst die Erinnerung an seine Laura gewesen war. Ueber 100 Sonette weihte sie seinem Gedächtniß und nach 16 Jahren noch konnte sie nichts singen als ihn. – Nach und nach jedoch nahmen die Ideen der Dichterin eine religiöse Richtung, und in 200 religiösen Sonetten, denen sich ein größeres Gedicht in Terzinen »der Triumph des Kreuzes,« anschließt, ergoß sich Vittoria's ganze Seele. Sie lebte meist zu Ischia, oft auch in Rom, im 52. Jahre ihres Alters begab sie sich in ein Kloster zu Orvieto, doch, wie es scheint, ohne ein Ordensgelübde abzulegen, denn bald nachher zog sie den Aufenthalt in einem andern Kloster zu Viterbo vor. Sie starb in Rom 1547. Ihre religiösen Dichtungen gehören zu den vollendetsten ihrer Art; unerreicht darin ist die Verwandlung früherer Bilder der Liebe in Bilder des frommen Glaubens. Ihr Name glänzt in allen berühmten italienischen Werken ihrer Zeit; auf eine unvergängliche Weise aber hat ihn Ariosto im 37. Gesange seines Orlando Furioso verherrlicht. B.
Quelle: Damen Conversations Lexikon, Band 2. Leipzig 1834, S. 452-454. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20001721348
Meyers 1905
5) Vittoria C., Marchesa von Pescara, berühmte ital. Dichterin, geb. 1492 in Marino, gest 25. Febr. 1547 in Rom, wurde bereits als Kind mit Ferrante d'Avalos, Marchese von Pescara, verlobt und 1509 vermählt. Sie liebte ihren Gatten innig, fand aber keine Erwiderung. Als dieser in der Nacht vom 2. auf den 3. Dez. 1525 an einer Krankheit gestorben war, brachte sie die folgenden Jahre in tiefer Trauer hin und verherrlichte ihren Gatten in Gedichten. Seit 1541 lebte sie dauernd in Rom. Sie stand mit den berühmtesten Gelehrten Italiens in Verkehr und schloß sich namentlich eng an die Männer an, die zur Zeit Pauls III. eine Reform der katholischen Kirche anstrebten, wie Juan Valdez, Occhino, Kardinal Pole u. a. Das innigste Freundschaftsverhältnis aber verknüpfte sie mit Michelangelo, der sie auch in seinen Gedichten feierte; auch Ariost widmete ihr einige glänzende Stanzen seines »Orlando« (Gesang 37). Vittorias Gedichte, meist religiöse Sonette, von wahrer Frömmigkeit, sind bis auf ihr schönstes Lied, eine Epistel (1512), erst nach Pescaras Tode verfaßt. Erste Ausgabe der »Rime« Parma 1538, beste Ausgabe: »V. C., rime e lettere« (Flor. 1860). Mittelmäßige Übersetzung von Berta Arndts (Schaffh. 1858, 2 Bde.). Den Briefwechsel der Dichterin gaben Ferrero und Müller (Turin 1889) heraus, eine Ergänzung dazu Tordi (das. 1892). Vgl. A. v. Reumont, Vittoria C. (Freiburg 1881); Zumbini, Studi di letteratura italiana (Flor. 1894); F. X. Kraus, Essays, 1. Sammlung (Berl. 1896); Mazzone, Vittoria C. eil suo canzoniere (Marsala 1897); Tordi, Il codice delle rime di V. C. etc. (Pistoja 1900).[233]
Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1906, S. 233-234. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20006437788