Chemnitz
Chemnitz, Stadt in Sachsen, von 1953 bis 1990 Karl-Marx-Stadt und Hauptstadt des gleichnamigen Bezirkes der DDR.
https://de.wikipedia.org/wiki/Chemnitz
Meyers 1905
[921] Chemnitz (spr. kémm-, hierzu der Stadtplan mit Registerblatt), Hauptstadt der gleichnamigen sächs. Kreishauptmannschaft, liegt 300 m ü. M., am Fuß des Erzgebirges, in einem Kesseltal am Fluß C. und ist Knotenpunkt der Staatsbahnlinie Dresden-C. und zahlreicher andrer Linien.
Den Mittelpunkt der im letzten Jahrzehnt durch die Eingemeindung der Nachbarorte Altchemnitz, Kappel, Altendorf und Gablenz bedeutend erweiterten Stadt bildet der Hauptmarkt mit dem alten Rathaus und den Denkmälern Kaiser Wilhelms I., Bismarcks und Moltkes. An andern Plätzen und an Anlagen sind bemerkenswert: der an den Hauptmarkt rechtwinkelig anstoßende Neumarkt mit einem Springbrunnen, der Roßmarkt mit dem Saxoniabrunnen, der Körnerplatz mit dem Körnerdenkmal, der Schillerplatz in der Nähe des Bahnhofs, mit schönen Anlagen, der Rosenplatz, Kaiserplatz, Stadtpark, die Schloßteichanlagen etc. C. hat 11 evang. Kirchen, darunter die gotische Jakobikirche mit schönem Portal, die Johanniskirche, die neue Petri- und die neue Nikolaikirche etc., ferner eine Kirche der separierten Lutheraner, eine römisch-katholische, eine Methodistenkirche und eine Synagoge. Von andern Gebäuden sind namentlich die neuen Schulbauten und das neue Rathaus (in der Poststraße) zu nennen. Die Zahl der Einwohner beträgt (1900) mit der Garnison (zwei Infanterieregimenter Nr. 104 u. 181) 206,913 Seelen, darunter 9939 Katholiken und 1136 Juden. Die Industrie ist großartig; nicht mit Unrecht nennt man C. das »sächsische Manchester«. Bedeutend ist zunächst die Metallbearbeitungsbranche mit (1902) 90 Fabriken und 18–20,000 Arbeitern, dann die Spinnerei, Zwirnerei, Nähfaden-, Web- und Wirkwarenfabrikation. Die Zahl der in den Spinnereien, Zwirnereien und Webereien beschäftigten Arbeiter beläuft sich auf ca. 9000, wovon auf die Spinnereien etwa 3000, auf die Webereien 5000, auf die Zwirnereien 1000 entfallen. Von den größern Fabriken zählt die Aktienspinnerei ca. 800 Arbeiter und 117,000 Spindeln, die Sächsische Maschinenfabrik (vormals Hartmann) 4–5000, die Webstuhlfabrik 1100–1400, die Werkzeugmaschinenfabrik (vormals Joh. Zimmermann) 1000–1200 Arbeiter. Die Maschinenfabriken liefern Lokomotiven und andre Dampfmaschinen, Werkzeugmaschinen, Dampfkessel, Spritzen, Pumpen etc., mechanische Webstühle, Spinnerei- und Stickmaschinen, Näh-, Strick-, Wasch-, Garntrocken- und Brauereimaschinen. Die Gesamtproduktion des Maschinenbaues wird auf 50–60 Mill. Mk. geschätzt (1851: 4 Mill. Mk.). Die Webereien fertigen Möbel- und Kleiderstoffe, Tischdecken, Tücher, Baumwollensamt, halbseidene Zeuge und Bänder. Die Wirkwarenfabrikation, die auch die Umgegend beschäftigt, liefert Strumpfwaren, Trikotagen und Handschuhe. Daneben fabriziert man Leder und Maschinenriemen, Steingut- und Zementwaren, Chemikalien, Kopierpressen, Tafel- und Brückenwagen, Geldschränke, Metalldrahtgewebe, Wachstuch, Tapeten, Tinte, Orseille- und Anilinfarben etc.; ferner gibt es ein Elektrizitätswerk, Färbereien, bedeutende Appreturanstalten, große Bleichen, Bierbrauereien, Ziegelbrennereien. Der Handel wird unterstützt durch eine Handelskammer, ein Konsulat der Vereinigten Staaten, eine Reichsbankstelle (Umsatz 1901: 1174,4 Mill. Mk.), eine Stadtbank, einen Bankverein, eine Viehmarktsbank, Filialen der Dresdener Bank, der Allgemeinen deutschen Kreditanstalt zu Leipzig, des Dresdener Bankvereins und der Sächsischen Bank zu Dresden etc. Dem Verkehr dienen die zahlreichen Eisenbahnlinien sowie eine elektrische und eine Pferdebahn für die Stadt und die unmittelbar anliegenden Ortschaften. An Bildungsanstalten besitzt C. ein Gymnasium, ein Realgymnasium, eine Realschule, eine Handelslehranstalt, eine königliche Gewerbeakademie, ferner eine Baugewerk-, eine Maschinenbau-, eine Färber- und eine Gewerbezeichenschule (die letztern vereinigt unter dem Namen Technische Staatslehranstalten), ferner eine höhere Web-, eine landwirtschaftliche, eine Handwerker- und eine Wirkschule, Fachschulen für Musiker, Weber, Schneider, Barbiere, Friseure etc., ein Theater, eine Kunsthütte mit dauernder Ausstellung, eine Stadtbibliothek (35,000 Bände), ein Museum für Chemnitzer Geschichte und eine wertvolle[921] naturwissenschaftliche Sammlung. Zahlreich sind die Wohltätigkeitsanstalten, darunter die u. Zimmermannsche Naturheilanstalt, ein Waisenhaus, ein Haus für Obdachlose, mehrere Hospitäler, Krankenhäuser etc. Von Behörden haben ihren Sitz in C.: eine Amtshauptmannschaft, ein Landgericht mit Kammer für Handelssachen, ein Amtsgericht, ein Hauptsteueramt, der Stab der 7. Infanteriebrigade, eine Eisenbahnbetriebsdirektion und eine Berginspektion; die städtischen Behörden zählen 33 Magistratsmitglieder und 57 Stadtverordnete. Die städtischen Einnahmen und Ausgaben beliefen sich 1901 auf 12,25 Mill. Mk.; die Stadtschuld beträgt 23,2 Mill., das Kämmereivermögen 47 Mill. Mk. Mit der Stadt ist das ehemalige Dorf Schloß-C. (jetzt Sitz des königlichen Meteorologischen Instituts) verbunden, von dessen einstigem, von Kaiser Lothar um 1125 gegründetem, 1546 aufgehobenem Benediktinerkloster die Klosterkirche noch vorhanden ist. Rings um die Stadt liegen dichtbevölkerte Industriedörfer, wie: Schönau, Siegmar, Rabenstein, Furth, Harthau etc. – Zum Landgerichtsbezirk C. gehören die 17 Amtsgerichte zu: Annaberg, Augustusburg, Burgstädt, C., Ehrenfriedersdorf, Frankenberg, Jöhstadt, Limbach, Mittweida, Oberwiesenthal, Penig, Rochlitz, Scheibenberg, Stollberg, Waldheim, Wolkenstein und Zschopau.
C. (älteste Namensform Kaminizi) wurde mit Erlaubnis Kaiser Lothars durch den Abt des von ihm und seiner Gemahlin Richenza um 1136 gestifteten Bergklosters erbaut und erhielt 1143 Marktrecht. C. gehörte zum Pleißnerland und stand im 13. Jahrh. unter einem Reichsrichter, doch erhielt es noch vor 1298 städtische Verfassung (Bürgermeister und Stadtrat), war Reichsstadt, wurde aber im 14. Jahrh. wiederholt verpfändet und kam so 1330 an die Mark Meißen. Schon seit der Mitte des 14. Jahrh. ist es die erste Industriestadt des Meißener Landes. Sie verdankt diesen Aufschwung vornehmlich dem Bleichmonopol (1357), infolgedessen sie ein Hauptplatz für den Garn- und Leinwandhandel wurde; sie erhielt das Salzmonopol, und eine Papierfabrik wurde errichtet. Bei der Teilung der wettinischen Lande von 1485 fiel C. der Albertinischen Linie zu und nahm 1539 die Reformation an, worauf das Kloster 1546 aufgehoben wurde. Der Dreißigjährige Krieg vernichtete die Blüte der Stadt völlig, die 1632 und 1634 fast ganz niederbrannte. Hier besiegte Banér 14. April 1639 die Kaiserlichen und Sachsen unter Marzini. Erst im Anfang des 18. Jahrh. regte sich wieder neues Leben. Bald standen Strumpfwirkerei, Zeug- und Leinweberei, Baumwollweberei etc. und Bleicherei wieder in schwunghaftem Betrieb; die besonders im 16. Jahrh. blühende Tuchmanufaktur geriet in Verfall, aber 1770 wurde die erste Zeugdruckerei und 1826 der Maschinenbau begründet. Vgl. »Urkundenbuch der Stadt C.« (hrsg. von Ermisch, Leipz. 1879); Zöllner, Geschichte der Fabrik- und Handelsstadt C. (2. Ausg., Chemn. 1891); die »Mitteilungen des Vereins für Chemnitzer Geschichte« (seit 1876) und des Statistischen Bureaus (seit 1873); Ehrhardt, Führer durch C. (Chemn. 1891); Straumer, Die Fabrik- und Handelsstadt C. (das. 1894).
Die Kreishauptmannschaft C., 1900 aus früherzur Kreish. Zwickau gehörigen Amtshauptmannschaften gebildet (s. Karte »Sachsen«), umfaßt 2071 qkm (37,61 QM.) mit (1900) 792,393 Einw. (darunter 763,750 Evangelische, 23,753 Katholiken und 1427 Juden) und besteht aus den sechs Amtshauptmannschaften: Tabelle
Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1905, S. 921-922. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20006416888
Pierer
[907] Chemnitz, 1) Fluß im königlich sächsischen Kreise Zwickau, bildet sich bei Harthau u. Altchemnitz aus der Würschnitz u. Zwönitz (die auch schon Ch. heißt), fließt durch die Stadt Ch. u. fällt zwischen Lunzenau u. Wechselburg in die Mulde;
2) Bezirksgericht u. Gerichtsamt im königlich sächsischen Kreise Zwickau mit 75,140 Ew. in 1 Stadt u. 39 Dörfern.
3) Amtsstadt darin am Chemnitzflusse, dritte Stadt Sachsens, Amtshauptmannschaft, Hauptsteueramt, Postamt, Eisenbahnstation mit Bahnhof, Directorialsitz des Sächsischen Industrievereins, Superintendentur, 6 Kirchen, Real-, Gewerb-, Bau-, Weber- u. Sonntagsschulen, 2 Hospitäler, Kranken-, Waisen- u. Leihhaus, Sparkasse, Schloß (ehemals Benedictinerkloster), antikes Rathhaus, Schauspiel aus Casinogebäude, Freimaurerloge: Harmonie, Gasbeleuchtung; Gewerb- od. Handwerkerverein, Verein zur Beerdigung der Selbstmörder u. andere Vereine. Ch. zählt mit seinen weitläufigen Vorstädten 36,300 Ew. (1801 nur 10800 Ew.) u. dankt diese Volksvermehrung u. seinen Aufschwung überhaupt dem Fabrikfleiß. Ch. ist die erste Fabrikstadt Sachsens u. eine der ersten Deutschlands, bes. in Baumwollenwaaren. Gegen 50 Spinnereien arbeiten mit Dampf- od. Wasserkraft in u. um Ch.; ferner gibt es Kattundruckereien, Färbereien u. Bleichen, Webereien in allen Arten baumwollenem Zeug, bes. buntem (auch wollene u. seidene Waare), Strumpfwirkerei; die Maschinenbauwerkstätten von Hartmann, welche nächst Spinn- u. Dampfmaschinen auch Locomotiven liefern; Wachstuch-, Karten-, Bleizucker- u. andere Fabriken. Mit der Wichtigkeit der Fabrikation steht auch der Handel im Verhältniß, für welchen bes. die von Riesa über Ch. u. Glauchau nach Zwickau führende (1858 vollendete) Erzgebirgische Eisenbahn von Wichtigkeit ist. An die Vorstädte schließen sich unmittelbar die Fabrikdörfer Alt-Chemnitz, Kappel u. Gablenz an. Noch sind die wichtigen, schon 1463 bekannten Chemnitzer Sandsteinbrüche im nahen Zeisigwalde zu erwähnen, u. die Erzgebirgischen Kreistage, welche in Ch. gehalten werden. – Ch. dankt seine Gründung u. den Namen (ursprünglich Kemnitz), den Sorbenwenden, u. zwar wurde zuerst das Dorf Alt-Ch. angelegt, während das eigentliche Ch. unter Kaiser Heinrich I. erbaut worden u. 1125 vom Kaiser Lothar II. zur Stadt erhoben worden sein soll, vielleicht als Eigentum der mächtigen Dynasten von Waldenburg, welche als Besitzer der Herrschaft Rabenstein bis 1375 auch die Obergerichtsbarkeit in der Stadt besaßen. Von 1242 bis 1290 gehörte Ch. pfandweise zum Markgrafenthum Meißen u. war später eine Reichsdomänenstadt, bis zum J. 1350, wo es nach mehrjähriger Verpfändung erblich an das genannte Markgrafenthum u. somit an Sachsen gelangte. 1376 wurde Ch. eine förmliche Festung, welche 1429 von den Hussiten vergeblich belagert wurde. 1539 wurde in Folge eines hiesigen Landtages die Reformation in Ch. eingeführt. Nachdem schon in den Jahren 1389, 1395 u. 1531 Hauptbrände die Stadt betroffen hatten, litt dieselbe im Dreißigjährigen Kriege durch Feuer u. Schwert sehr, bes. durch die Brände von 1631, 1633 (durch Holke), 1634 u. 1643, sowie in Folge eines Treffens bei Ch. am 14. April 1639, in welchem die Schweden unter Baner die Sachsen u. Kaiserlichen besiegten. Auch in den späteren Kriegen litt Ch. viel. 1770 legte hier der Hamburger W. G. Schlüssel die erste Kattunfabrik an u. 1800 der Engländer Whitfield die erste Spinnmühle Sachsens. Von großer Bedeutung für die zunehmende Blüthe der Stadt wurde auch die Stiftung der Industrievereins im Jahre 1829 u. die gleichzeitige Einführung der Jacquardwebstühle. Ch. ist der Geburtsort des Philologen Chr. Heyne. Vgl. Richter, Chemnitzer Chronik. Anngb. 1753: Lehmann, Chemnitzer Chronik, Chemn. 1842; Kretschmar, Chemnitz wie es war u. ist, Chemn. 1822;
4) Schloß Ch., 1/4 Stunde von der Stadt entfernt;
5) Alt-Ch., Dorf mit 1300 Ew., großen Spinnfabriken u. Papiermühlen; 6) s. Kemnitz u. Dorfchemnitz.
Quelle: Pierer's Universal-Lexikon, Band 3. Altenburg 1857, S. 907. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20009671439