Auf unverständige Poeten (Neukirch)

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Benjamin Neukirch

(* 27. März 1665 in Rydzyna (dt.: Reisen) in Schlesien; † 15. August 1729 in Ansbach)

Auf unverständige Poeten

[478] Laß doch, Lysander, ab, mit Reimen dich zu plagen
Und einer Bettelkunst halb rasend nachzujagen,
Die zwar die Phantasei durch süße Träume rührt,
Dich aber auf den Weg der Hungerwiesen führt[479]
Und endlich, wo du dich läßt ihre Grillen treiben,
Mit Meistersängern wird in eine Rolle schreiben.
Die eben ist das Gift, das wie die Missethat
Gleich mit der Muttermilch mir ins Geblüte trat.
Wie glücklich wär' ich doch, wenn mich zu rechter Stunden
Ein kluger Arzt davon durch Kräutersaft entbunden
Und alles, was ich nur von Versen angeblickt,
Durch hebend Antimon hätt' in die Luft geschickt;
So dürft' ich nicht wie jetzt in Kummerwinkeln sitzen
Und bei geborgter Lust von langen Sorgen schwitzen,
So hätt' ich auch vielleicht den Wuchergriff erlernt,
Wie man durch Ränke sich von der Vernunft entfernt,
Den Trieb der Redlichkeit mit Silberzäumen lenket,
Den Geist der Gottesfurcht in klugen Schlaf versenket,
Ein reiches Lasterweib zu seinem Willen beugt,
Durch höflichen Betrug auf Ehrenbänke steigt
Und endlich, wenn die Kraft der Jugend uns verlassen,
Bei voller Tafel kann von fremdem Gute prassen.
So hab' ich manchen Tag und manche Nacht verreimt
Und oft ein großes Lied von Zwergen hergeträumt,
Verliebten ihre Lust in Zucker zugemessen,
Betrüger reich gemacht, mich aber gar vergessen,
Und ob mich endlich gleich mit der verjährten Zeit
Ein kurzer Sonnenblick bei Hofe noch erfreut
Und Preußens Salomo, den ich mit Recht gepriesen,
Mir zu der Ehrenburg den Vorhof angewiesen,
Ward doch durch seinen Tod, der alles umgekehrt,
Mein Glück und auch zugleich mein ganzer Ruhm verzehrt.
Nun lacht die Wucherschar bei ihren Judengriffen,
Daß ich der Tugend Lob auf Hoffnung hergepfiffen,
Die Zungendrescherei den Musen nachgesetzt,
Und wahre Weisheit mehr als Geld und Gut geschätzt,
Und daß ich, da der Hof zum Laufen mich gezwungen,
Nicht noch zu rechter Zeit in Schulenstaub gesprungen,
Die matte Dürftigkeit in Mäntel eingehüllt,
Mit leerer Wissenschaft die Jugend angefüllt,[480]
Die Kinder gegen Lohn den Toten vorgetrieben
Und wöchentlich ein Lied für Thaler hingeschrieben.


Hiebei verbleibt es nicht. Die schwärmende Vernunft
Der von der Hungersucht bethörten Dichterzunft,
Die sich durch falsche Kunst auf den Parnaß geschlichen,
Von der gesetzten Bahn der Alten abgewichen,
Mit frecher Hurtigkeit gefüllte Bogen schmiert
Und alle Messen fast ein totes Werk gebiert,
Wird so verwegen schon, daß sie Gesetze stellet,
Der Griechen Zärtlichkeit das Todesurteil fället,
Des Maro klugen Witz in Kinderklassen weist,
Horazens Dichterbuch verrauchte Grillen heißt
Und alles, was sich nur nach alter Kraft beweget,
Auf lüsterndem Papier mit Tinte niederschläget.
Da nun das Wespenheer von Tag zu Tage wächst
Und jeder Knabe schon nach Narrenwasser lechzt,
Was Wunder ist es denn, wenn Ruhm und Ehre stirbet,
Die Kunst zu Grabe geht, die Tugend gar verdirbet?
Es ist nicht mehr die Zeit, da noch Augustens Hand
Die Nebenstunden selbst zum Dichten angewandt,
Da Kaiser und Poet an einer Tafel saßen
Und beide doch dabei nicht ihre Pflicht vergaßen.
Die Tage sind vorbei, da Barbarossens Hof
Bei vollen Gläsern noch nicht den Verstand versoff,
Da kluge Damen noch auf Tugendlieder hörten
Und halbe Reimer oft mit großen Preisen ehrten.
Wir sind nicht zu Paris, wo man nicht Tag aus Nacht
Und gleich Abgötterei aus jedem Wurme macht,
Wo man, was Scudéry, was Chapelain gewesen,
Ohn' alle Farben kann in Stachelschriften lesen.
Viel Große lieben wohl noch Alexanders Schwert,
Nicht aber auch die Kost, die seinen Geist ernährt;
Sie jauchzen wohl mit ihm, wenn ihre Trommel klinget,
Nicht aber, wenn Homer von weisen Sitten singet.
Das Frauenzimmer haßt, was ihr Gewissen schreckt
Und das Geblüte nicht zu steter Lust erweckt,[481]
Und wer den Thoren jetzt die Wahrheit wollte sagen,
Der müßte jeden vor um seine Meinung fragen.


So viel als Reimer sind, so viel und mancherlei
Wirkt in der Poesie nun auch die Phantasei.
Ein halb mit Pickelscherz vermengtes Operettchen,
Ein stinkender Roman vom rasenden Chrysettchen,
Ein geiles Myrtenlied und ein nach dem Adon
Des üppigen Marin erbauter Venusthron,
Der der Geliebten Schoß bis auf den Grund entdecket
Und Büsch' und Brunnen draus und Vogelnester hecket,
Ein lügenvolles Lob, das uns ins Angesicht
Den lastervollen Ruf der Toten widerspricht,
Ein rohes Trauerspiel, in dem die Regeln fehlen
Und so viel Schnitzer fast als Silben sind zu zählen,
Ein Brief, den Adam schon der Eva zugesandt,
Da beide dazumal doch keine Schrift gekannt,
Ein kreißendes Sonett, das mit dem Tode ringet
Und der Gedanken Rad so wie die Reime zwinget,
Und ein nach Pöbelart gepriesner Buhlerblick
Ist oft bei dieser Zeit das größte Meisterstück.
So lang ich meinen Vers nach gleicher Art gewogen,
Dem Bilde der Natur die Schminke vorgezogen,
Der Reime dürren Leib mit Purpur ausgeschmückt
Und abgeborgte Kraft den Wörtern angeflickt,
So war ich auch ein Mann von hohen Dichtergaben;
Allein sobald ich nur der Spure nachgegraben,
Auf der man zur Vernunft beschämt zurücke kreucht
Und endlich nach und nach nur den Parnaß erreicht,
So ist es aus mit mir, so kommt von seinem Suschen
Ein mit Ebräerwitz gespicktes Philomuschen,
Klaubt ihm ein Jugendwort in meinen Schriften aus
Und untergräbt damit mein ganzes Ehrenhaus.


Was soll ich Ärmster thun? Soll ich noch einmal rasen
Und durch mein Haberrohr zum Federsturme blasen?[482]
Nein, nein, Lysander, nein! Ich will zurücke stehn
Und der erlauchten Schar nur aus den Augen gehn,
Sonst wirft der Schwindelgeist der klugen Weisianer
Mich endlich auf die Bank der reimenden Quintaner
Und jagt mich, ob ich gleich halb notenmäßig bin,
Ins re, mi, fa, sol, la der Hübneristen hin,
Die sich doch ohnedem an Odermusen reiben,
Sudetenzungen nur zu Mamelucken schreiben
Und alles, was durch Kunst der Pleiße nicht geschehn,
Für Eigenliebe kaum mit halben Augen sehn.
Zwar weich' ich darum nicht, als ob ich, wenn es brennte,
Nicht auch ein Jammerlied im Tanze drechseln könnte,
Und ob der Trippeltakt der leichten Reimerei
In Dedekindens Schoß allein zu Hause sei.
Mir ist ja wohl bekannt, wie man den Schädel seifen
Und solche Spötter kann mit Lauge wiedertäufen,
Wie mancher ohne Bart in Phöbus' Auen springt,
Und wie ein kollernd Pferd sich auf den Pindus schwingt;
Allein ich hab' einmal die Thorheit aufgegeben.
Es reime, wer da will; ich will in Friede leben.


Hast du, Lysander, Witz, so folge meinem Rat:
Der ist der klügste Mann, der nichts geschrieben hat.
Laß einen Kirchenschwan Bär, Schaf und Rinder reimen,
Laß einen Bavius von Heldenthaten träumen,
Vertrag im Madrigal hirschfeldischen Verstand,
Erheb den Schäferton von Kärnth und Bayerland,
Und wenn ein Nordenhals mit rauher Kehle knastert,
So sprich, daß er den Weg zum Musenberge pflastert,
Und daß er doch dabei mehr süße Lieblichkeit
Als Hofmannswaldau kaum und Opitz ausgestreut.[483]
Gieb alles willig zu und laß die blinden Schützen
Um ihren Lorbeerkranz mit eignem Lobe blitzen;
Inzwischen tröste dich bei deiner klugen Pein
Mit griechischer Vernunft und sittlichem Latein
Und trachte den Verstand der Alten zu ergründen,
So wirst du, was du suchst und was uns mangelt, finden.
Denn geh und werde klug und setze dich zur Ruh'
Und sieh der Kinderlust mit Männeraugen zu,
So hast du, wenn du willst, bei täglich neuen Sachen
Papiere zum Toback und Zeug genug zum Lachen.
Doch wo das Dichtersalz dich in den Adern jückt
Und dich ein böser Geist aus deinem Zirkel rückt,
Der dich im Sprunge will zum Flötenritter schlagen,
So fang es endlich an mit halber Furcht zu wagen,
Versammle, wo du kannst, der Jugend alten Graus
Und pflanze Stück auf Stück und mach' ein Buch daraus;
Denn stirb, so glaubt die Welt, daß mehr mit dir verdorben,
Als am Homer Athen, Rom am Virgil gestorben.
Schau, dieses ist der Weg, der dir bisher gefehlt
Und dennoch deinen Geist auch nicht zu Tode quält.
Schieb andern Müh' und Schweiß in ihren Jammerbusen;
Ein ausgeführtes Werk ist nur für Bettelmusen,
Und der hat wahrlich mehr als mancher Fürst gethan,
Der seinen Unverstand mit Kunst verbergen kann.[484] 


Quelle: Deutsche Nationalliteratur, Band 29, Stuttgart [o.J.], S. 479-485. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20005445078