Akzent
Accent (Sulzer)
Accent. (Redende Künste)
Die Modification der Stimme, wodurch in der Rede oder in dem Gesang einige Töne sich vor andern ausnehmen, und wodurch also überhaupt Abwechslung und Mannigfaltigkeit in die Rede kommen. Wenn alle Sylben mit gleicher Stärke und Höhe der Stimme ausgesprochen würden, so wäre weder Annehmlichkeit noch Deutlichkeit in derselben; sogar die Bemerkung des Unterschieds der Wörter würde wegfallen. Denn daß das Ohr die Rede in Wörter abtheilet, kommt blos von dem Accent her.
Die Accente sind aber von verschiedener Gattung, und haben sowol in der künstlichen Rede oder der Sprache, als in der natürlichen, oder dem Gesange, statt; wir müssen jede Gattung besonders betrachten.[9] Jedes vielsylbige Wort hat auch außer der Rede, wenn es allein ausgesprochen wird, einen Accent, dessen Würkung ist, daßelbe Wort von denen, die vor oder nach ihm stehen könnten, abzulösen und für sich zu einem ganzen zu machen, indem es dadurch eine Erhöhung und Vertiefung, einen Anfang und ein Ende bekommt1 und also zu einem Worte wird. Dieses läßt sich fühlen und bedarff also keiner weitern Ausführung. Diese Gattung wird der grammatische Accent genennet. Er wird in jeder Sprache blos durch den Gebrauch bestimmt, deßen Gründe schwerlich zu entdeken sind. Dieser Accent ist eine der Ursachen, welche die Rede wolklingend machen, indem er sie in Glieder abtheilt, und diesen Gliedern selbst Manigfaltigkeit giebt, da in verschiedenen gleichsylbigen Wörtern der Accent verschieden gesetzt wird. So sind die viersylbigen Wörter Gerechtigkeit, Wolthätigkeit, Philosophisch, Philosophie, gleich große Glieder der Rede, aber von verschiedenem Bau; indem eines den Accent auf der ersten, ein anders auf der zweiten, eines auf der dritten und eines auf der vierten Sylbe hat.
Die nächste Gattung des Accents ist diejenige, welche zu deutlicher Bezeichnung des Sinnes der Rede dienet und den Nachdruk gewißer Begriffe bestimmt; man nennt dieses den oratorischen Accent. Einsylbige Wörter haben keinen grammatischen Accent, sie bekommen den Oratorischen, so bald sie Begriffe bezeichnen, auf welche die Aufmerksamkeit besonders muß geführt werden. In vielsylbigen Wörtern wird der grammatische Accent durch den Oratorischen verstärkt oder verschwächt, oder gar aufgehoben und auf andre Sylben gelegt. In der Redensart: er sey stark oder schwach, daran liegt nichts, bekommen die Wörter stark und schwach kaum einen merklichen Accent: Sagt man aber, ist er auch stark genug? – oder: ist er wol schwach genug? – so bekommen sie durch den Accent einen Nachdruk. In dem Ausdruk: was unmöglich ist, wünscht kein verständiger Mensch, behält das Wort unmöglich seinen grammatischen Accent auf der ersten Sylbe, da in diesem Ausdruk – unmöglich kann mein Freund mich verlaßen! – der oratorische Accent auf die zweite Sylbe des Worts unmöglich kommt. Wer im Zorn sagte – unmöglich, oder möglich, es gilt gleich viel. – der würde den oratorischen Accent auf den grammatischen legen und die Sylbe un verstärken. Eine besondere Art des oratorischen Accents ist der Pathetische, welcher den Oratorischen noch verstärkt. Dieser macht eigentlich das aus, was wir den Ton nennen, davon besonders gehandelt wird.2 Man kann nämlich einerley Reden mit einerley oratorischen Accenten, dennoch so verschieden vorbringen, daß sie ganz entgegen gesetzte Charaktere annehmen. Von der Beobachtung der Accente hängt ein großer Theil des Wolklangs ab. Der Redner und der Dichter, der seine Worte und Redensarten so zu setzen weis, daß alle Gattungen der Accente sich nicht nur unter dem lesen selbst darbieten, sondern mit den Gedanken selbst so genau verbunden sind, daß sie nothwendig werden, ist unfehlbar wolklingend. Denn daß der Wolklang mehr von den verschiedenen Accenten, als blos von der richtigen Beobachtung der Prosodie herkomme, scheinet eine ausgemachte Sache zu seyn.
Accent in der Musik. Die verschiedene Gründe, aus denen die Nothwendigkeit der Accente in der Sprach erkennt wird, können auch auf die Accente des Gesanges angewendet werden. Der Gesang ist eine Sprache, die ihre Gedanken und ihre Perioden hat. Ohne Verschiedenheit des Nachdruks der einzeln Töne und Mannigfaltigkeit darin, das ist ohne Accente, hat kein Gesang statt. S. ⇒ Gesang. Das Ohr muß bald gereitzt, bald in seiner Spannung etwas gehemmt werden, itzt eine größere, denn eine geringere Empfindung bey einerley Gattung des Ausdruks haben. Die Accente, welche sowol einzele Töne erheben oder dämpfen, als ganzen Figuren mehr oder weniger Nachdruk geben, sind die Mittel jene Würkungen zu erreichen. Diese Accente sind, wie die in der gemeinen Sprache, grammatische, oratorische und pathetische Accente; sie müssen alle erst von dem Tonsetzer, hernach in dem Vortrag von dem Sänger oder Spieler auf das genaueste beobachtet werden. Die grammatischen Accente in der Musik sind die langen und kräftigen Töne, welche die Haupttöne jedes Accords ausmachen und die durch die Länge und durch den Nachdruk, durch die mehrere Fühlbarkeit, vor den andern, die durchgehende, den Accord nicht angehende Töne sind, müssen unterschieden werden. Diese Töne fallen auf die gute Zeit des Takts. Es ist aber schlechterdings [10] nothwendig, daß sie in Singestüken mit den Accenten der Sprache genau übereintreffen. Die oratorischen und pathetischen Accente des Gesanges werden beobachtet, wenn auf die Wörter, welche die Hauptbegriffe andeuten, Figuren angebracht werden, die mit dem Ausdruk derselben überein kommen, weniger bedeutende Begriffe aber mit solchen Tönen belegt werden, die blos zur Verbindung des Gesanges dienen; wenn die Hauptveränderungen der Harmonie auf dieselben verlegt werden; wenn die kräftigsten Ausziehrungen des Gesanges, die nachdrüklichsten Verstärkungen oder Dämpfungen der Stimmen, an die Stellen verlegt werden, wo der Ausdruk es erfodert. In Singestüken muß demnach der Tonsetzer zu voderst die Accente seines Textes genau studiren, weil die seinigen nothwendig damit übereinstimmen müßen. Erst alsdenn, wenn er sich seinen Text mit allen Accenten, dem Ohr vollkommen eingepräget hat, kann er auf seinen Gesang denken. Da aber der Lauf des Gesanges durch die Harmonie und den Takt ungemein vielmehr eingeschrenkt ist, als der Lauf der Rede, so findet freylich der Tonsetzer starke Schwierigkeiten, diese beyden Dinge mit dem Accent zu verbinden. Er hat aber auch wieder Mittel sich heraus zu helfen; die Pausen der Singestimme, da inzwischen die Instrumente seine Periode vollenden; die Wiederholung einiger Wörter und andre ihm eigene Kunstgriffe kommen ihm zu Hülffe, wenn es ihm nur nicht an Genie fehlt, selbige recht anzuwenden. Die Musik hat unendlich mehr Mittel, als die Sprache, ein Wort und eine Redensart verschiedentlich vor andern zu modificiren, das ist, sie hat eine Mannigfaltigkeit oratorischer und pathetischer Accente, da die Sprache nur wenige hat. Dieses ist einer der vornehmsten Gründe der vorzüglichen Stärke der Musik über die bloße Poesie. Aber desto mehr Schwierigkeit hat auch der Tonsetzer, diese Accente mit den übrigen wesentlichen Eigenschaften des Gesanges so zu verbinden, daß er nirgend, weder gegen die Harmonie noch gegen den äußerst genau abgemessenen Gang des Gesanges, anstosse.
Auch der Tanz hat seine Accente, ohne welche er ein bloßer Gang, oder eine unordentliche Folge von nicht zusammenhangenden Schritten oder Sprüngen seyn würde. So sind z. E. der Stoß oder frappé, die Beugung der Knie, oder das plié, der Sprung ohne Fortrükung, in dem Tanz, das, was die grammatischen Accente der Sprache sind. Das Figürliche des ganzen Schrittes, mit allem was dazu gehört, kommt mit dem oratorischen, oder nach Beschaffenheit auch mit dem pathetischen Accent überein. Man begreift aber, daß diese Accente nicht nur alle Schwierigkeiten der musicalischen Accente, sondern noch andre dem Tanz besondere zu überwinden haben.
1 S. ⇒ Ganz. 2 S. ⇒ Ton der Rede.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 9-11.
Permalink: http://www.zeno.org/nid/20011442425
Der Accent (Brockhaus 1809)
[6] Der Accent, a. d. Lat. die Auszeichnung einer Sylbe oder eines Worts von den übrigen Sylben oder Wörtern durch die Aussprache. Soll der Accent bloß eine Sylbe auszeichnen, so heißt er der Wortaccent, auch der grammatische, oder, wie ihn Adelung nennt, der Ton; soll er aber ein Wort heraus heben, so heißt er der Redeaccent. In der Deutschen Sprache geschieht diese Auszeichnung, wenn sie auf einen Vocal fällt, vermittelst eines längern Verweilens der Stimme, und wenn sie einen Consonanten trifft, vermittelst eines stärkern Drucks derselben.
Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 1. Amsterdam 1809, S. 6.
Permalink: http://www.zeno.org/nid/20000738956
Accent (Pierer)
[69] Accent (v. lat.), 1) Hebung u. Senkung der Laute durch die Stimme; entweder von mechanischen od. oratorischen Ursachen herrührend, u. daher grammatischer od. Wort-, u. oratorischer od. Rede-A.; 2) Zeichen dieser Betonung. Der grammatische od. Wort-A., als Bezeichnung des Tons, mit welchem eine Sylbe ausgesprochen werden soll, wird in lebenden Sprachen gewöhnlich nicht geschrieben; auch in der Schreibung der griechischen Sprache, wo die A-e jetzt am gewöhnlichsten sind, wurden sie erst im 3. Jahrh. v. Chr., als die richtige Betonung in Gefahr kam, verloren zu gehen, von dem alexandrin. Grammatiker Aristophanes erfunden. Die griech. Sprache hat 3 A-e: Accentus gravis (`), den eigentlich jede tiefer ausgesprochene, nicht betonte Silbe hat, der aber nicht geschrieben wird; A. acutus ('), der eigentlich den scharfen Ton der Sylbe anzeigt, steht auf einer der 3 letzten Sylben des Wortes, u. nimmt, wenn er auf der letzten Sylbe des Wortes steht, die Gestalt des Gravis (`) an, ausgenommen vor einer großen Interpunction u. wenn enklitische Wörter ihren A. zurücklegen; A. circumflex (früher ^ dann ~) die Dehnung der Sylbe anzeigend. Die Wörter an sich haben, je nachdem sie den A. auf einer der 3 A-sylben haben, verschiedene Namen; das Wort ist: Barytonon, dessen letzte Sylbe keinen A. hat, z.B. πράγμα, πράγματα, τύπτω; Oxytonon, wenn die letzte Sylbe den Acut, z.B. ϑεός, u. Perispomenon, wenn sie den Circumflex hat, z.B. φιλώ; ein Barytonon mit dem Acut auf der vorletzten Sylbe, heißt Paroxytonon (z.B. τύπ τω), mit demselben auf der drittletzten, Proparoxytonon (z.B. ἔτυπτον), mit dem Circumflex auf der vorletzten, Properispomenon (z.B. φιλούσα). Einsylbige Barytona sind also ganz accentlose Wörter (Atona, z.B. ό, εἰ). Im Satze heißt das Wort, welches seinen gehörigen A. hat, ein Ortholonon, im Gegensatz zu dem Enklitikon, welches seinen Ton auf das vorhergehende Wort zurücklegt. Auch das Neugriechische wird jetzt mit A-en geschrieben. In lateinischen Büchern werden die A-e nicht geschrieben, u. die Römer selbst schrieben sie nur beim Unterrichte. In den romanischen Sprachen u. zwar im Französischen gibt es auch 3 A-e: der Accent aigu (´) bezeichnet die scharfe Betonung des Vocals (e); der A. grave (`) auf e die sich dem ä nähernde Aussprache ohne Dehnung, auf a (à, là) die schnelle Aussprache; der A. circonflexe (^) bezeichnet die Dehnung des Vocals. Im Italienischen, wo übrigens der Ton bis auf die 6. Sylbe vom Ende zurückgelegt werden kann, gibt es 2 A-e: Accento grave (') u. A. acuto ('), beide bezeichnen die Schärfung des Vocals u. sind nur so verschieden, daß der grave nur auf der letzten, der acuto auf den übrigen Sylben steht. In der italien. Sprache führten erst die Buchdrucker Manucius im 16. Jahrh. den regelmäßigen Gebrauch der A-e ein, u. Neri Dortellata in Florenz bezeichnete in mehrern von ihm gedruckten Büchern alle Wörter mit ihrem gehörigen A., aber er fand keine Nachahmer. Im Spanischen werden sehr selten A-e, u. zwar nur der Acut (´) gebraucht, meist um Zweideutigkeiten zu vermeiden. In den slavischen Sprachen, u. zwar im Russischen werden die A-e, Acutus u. Gravis, nur in den kirchlichen Ritualbüchern u. in der Bibel gebraucht, auch in grammatischen u. lexikalischen Büchern; sonst nur, um verschiedene Formen zu unterscheiden. Der Unterschied der beiden A-e ist wie im Griechischen. Im Serbischen werden A-e nur in grammatischen Büchern gebraucht, u. zwar folgende 4: das Zeichen ` bezeichnet die Schärfung der Sylbe; das Zeichen ´, wo die Sylbe ohne Hebung gerad ausgesprochen wird; das Zeichen ^ (Kamora) steht auf Sylben, wo der Ton rund ausgeht; das Zeichen auf gedehnten Vocalen. Im Polnischen ist der A. nicht Ton-, sondern Quantitätszeichen, denn er dient, wie im Ungarischen, zur Unterscheidung des langen von dem kurzen Vocale. Im Sanskrit sind die A-e nicht Betonungszeichen, sondern in den Vedas die Zeichen für Höhe u. Tiefe der Stimme, womit die Vocale ausgesprochen u. gesungen werden sollen; vgl. Böhtlingk, Über den A. im Sanskrit, Petersb. 1843. In den semitischen Sprachen im Hebräischen entstanden die A-e im Text der heil. Schrift gleichzeitig mit den Vocalen, zwischen dem 6. u. 8. Jahrh. durch jüdische Gelehrte; sie sind hier nicht blos Ton-, sondern auch Interpunctionszeichen. Als Tonzeichen stehen sie entweder über od. unter dem ersten Consonanten der Sylbe, welche den Ton hat (s. u. Interpunction). Da in grammatischen Schriften oft ein Zeichen für die Tonstelle ohne Rücksicht auf die Interpunction nöthig ist, so ist dafür das Zeichen Accent angenommen, z.B. Accent (mäläch). Uebrigens singen auch die Juden in ihren Synagogen die Perikopen nach den A-en. Im Syrischen hatte man früher eine Menge A-e (nach dem Grammatiker Barhebräus 40), aber ihr Gebrauch ist längst verloren gegangen. Sie sind übrigens mehr Interpunctionszeichen. Von andern asiatischen Sprachen werden noch A-e gebraucht, z.B. im Chinesischen, wo man 4 A-e hat; ihre Form (ein kleiner Halbkreis) unterscheidet sich nur, je nachdem er die od. jene. der 4 Ecken des Wortzeichens einschließt; dem Wortzeichen werden sie aber nur dann beigefügt, wenn es mit einem andern, als seinem gewöhnlichen A-e ausgesprochen werden soll. 3) Der oratorische A. In der Rede steht der A. auf einzelnen Wörtern, d. h. werden diejenigen Wörter mit gehobener Stimme ausgesprochen, auf welche der Redende die Aufmerksamkeit der Hörer hinlenken will. In Fragen liegt der. A. auf dem fragenden Worte, in adversativen Sätzen auf den Wörtern, welche die Gegensätze enthalten. Der oratorische A. kann auch von dem Wort-A. ganz abweichen, wenn ein durch eine Bildungssylbe bezeichneter Hauptbegriff hervorgehoben werden soll; zu vermeiden ist nur, daß der A. auf übeltönende (kakophonische) Wörter gelegt wird. 4) Der metrische A. im Vers fällt, abweichend von dem Wort-A., auf die Sylbe, welche in der Arsis steht; so fallen in dem Versanfang sīt pécorī, ápibūs quanta die metrischen A-e auf die mit – bezeichneten Sylben ganz abweichend von dem mit ´ bezeichneten Wort-A-. Die ältern römischen Versmaße, bes. der Saturnische Vers, folgte in seiner Messung noch ganz dem gewöhnlichen Wort-A., die späteren Dichter, seit Ennius, beachteten nach griechischen Mustern die[69] Sylbenquantität mit Vernachlässigung des Wort-A-s. Umgekehrt begannen die Griechen später in den Politischen Versen (s.d.) wieder den Wort-A. zu berücksichtigen. 5) Der musikalische A. ist: der taktische, der es mit dem richtigen Wechsel der guten u. schlechten Tacttheile; der rhythmische, der es mit der Bildung der Sätze zu einem symmetrischen Ganzem, also dem Periodenbau; u. der malende (Gefühls-) A., der es mit dem Vortrage zu thun hat.
Quelle: Pierer's Universal-Lexikon, Band 1. Altenburg 1857, S. 69-70. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20009295437