Afghanistan

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Meyers 1905

[129] Afghanistan (Drangiana und Ariana der Alten, von den Eingebornen Urlajat, »Stammland«, genannt; s. die Karten »Zentralasien« und »Persien«), das nordöstliche Iran zwischen Indien, Belutschistan, Bochara und Persien. Das durch die Stellung der afghanisch-indischen Grenzgebiete unter britische Verwaltung und eine Verschiebung der Nordwestgrenze zu gunsten Rußlands auf 624,000 qkm beschränkte Gebiet liegt zwischen 30–37°45´ nördl. Br. und 61–72° östl. L. A. ist reich an Altertümern aus griechischer und buddhistischer Zeit (Kabultal, Tal von Peschawar, Bamian).

Bodengestaltung. A. ist ein nach SW. und N. sich abdachendes Hochland, im NO. von dem massigen Hindukusch (Tiratschmir 7750 m) erfüllt mit seinen Ausläufern nach W.: Sefid Koh (Koh-i-hissar 4525 m) und Paropamisus (2612 m) längs des Nordufers des Herirud, Koh-i-Baba (5140 m), Sisa Koh längs dessen Südufer. Vom Hindukusch zweigen sich auch Ketten nach S. ab: ein zweiter Sefid Koh (Sikaram 4760 m) an der indischen Grenze, die weiter südlich dem Kamm der westlichen Suleimankette folgt. Nach SW. strahlen diese Gebirgszüge fächerförmig aus, den zahlreichen Flüssen die Richtung anweisend. Von den Hauptpässen an der indischen Grenze gehören jetzt zu A. nur noch der Chalberpaß (2081 m) zum Kabul, der kürzeste und meist benutzte, weiter südlich der Paiwarpaß (2600 m), der Sarwandi (2286 m), noch südlicher der Kodschak (2200 m), der über das Chadscha Amrangebirge nach Pischin führt und von Alexander d. Gr. benutzt wurde. Über den Hindukusch gehen der Chawak (3550 m), von Alexander d. Gr. und Timur durchzogen; der Kalu (Hadschi kak, 3500 m) nach Bamian, durch den Dschengis-Chan, Nadir Schah und Leutnant Sturt (1840) zur Probe mit Artillerie zogen. Die Flüsse sind nur für die Bewässerung des Landes nutzbar. Der bedeutendste ist der Hilmend, der wie Chaschrud, Fararud und Harud in den großen Hamunsumpf im S. sich ergießt. Der Kabul fließt südöstlich zum Indus. Alle diese Flüsse entspringen am Südhang des Hindukusch und seiner westlichen Fortsetzungen. Erst westwärts, dann nordwärts ziehen Herirud, der in seinem Unterlauf die Grenze gegen Persien bildet, und Murghab; sie verlieren sich im Turkmenengebiete. Der Amu Darja bildet einen Teil der Nordgrenze. Das Klima ist vorherrschend trocken; die Jahrestemperatur ist im Gebirge niedriger als im benachbarten Indien (strenger Winter mit Schneestürmen); die Tiefländer zeigen Extreme der Hitze (bis 50° im Schatten). An Mineralien ist A. reich. Gold findet sich im Sande des Kabul, eine Goldgrube ist neuerdings bei Kandahar eröffnet, auch die Gebirge im NO. scheinen goldreich. Der Hindukusch hat Adern von Silber, Kupfer, Zinnober, Blei, Antimon, Zink, Schwefel; Eisen und Kohle sind mehrfach gefunden worden, Steinsalz in Menge; Badachschan ist wegen[129] seiner Rubinen berühmt. Die Vegetation hat in den höhern Strichen ganz europäischen Charakter. In den Wäldern sind die Pinusarten, Maulbeeren, Tamarisken, Weiden, Platanen und Pappeln die gewöhnlichsten Bäume; viele unsrer schönsten Zierpflanzen wachsen wild; sehr häufig sind Stinkasant (Asa foetida) und Rhabarber. In der Tierwelt begegnet man Löwen und Leoparden, Tigern, Wölfen, Bären, Hyänen, Schakalen; im südlichen A. dem Kiang, einer besondern Art wilder Esel, im NO. Affen.

Die Bevölkerung soll 4,550,000 Köpfe betragen. Sie gehört zur großen iranischen Völkerfamilie und besteht aus einer Anzahl von Völkern, vereinigt durch den Islam und die politischen Erfolge im 18. Jahrh. Die Afghanen sind nach ihrer Überlieferung Einwanderer aus Syrien, wohnten zuerst im W., zogen im 7. Jahrh. n. Chr. ostwärts und haben heute Kandahar und die hier einmündenden Täler zu Hauptsitzen. Sie nennen sich selbst Paschtun (Mehrzahl Paschtauch) und scheiden sich in eine westliche, östliche und indische Abteilung. Die letzte gehört ganz, die zweite zum Teil zu Britisch-Indien. Von den zahlreichen Stämmen ist der der 800,000 Köpfe zählenden Durani, besonders zwischen Herat und Kandahar, der herrschende, seitdem Achmed Schah 1747 aus diesem damals Abdali genannten Stamme sich zum Herrscher unter dem Titel Duri-Duran (»Perle des Jahrhunderts«) aufwarf. Noch stärker, nach andern nur 600,000 Köpfe, sollen die Ghilzai sein, die das Hochplateau nördlich von Kandahar einnehmen, östlich zur Suleimankette und nordwärts zum Kabul sich erstrecken. In ihrem Gebiet ziehen die Nasir umher, wahrscheinlich eingewanderte Belutschen. Die Jusufzai (700,000 Köpfe) bewohnen ein großes Gebiet nördlich von Peschawar. Fast ganz unter britischer Botmäßigkeit stehen die Kakar (200,000), Khattak (100,000), Utman Kel, Afridi, Orakzai und Schinwari. Die Afghanen sind groß und schlank, mit schwarzem Haar und meist blasser Hautfarbe. Die einstöckigen Backsteinhäuser mit plattem Dach sind im Innern ohne Tische und Stühle; Zelte, deren Boden mit dickem Filz oder wollenen Decken belegt ist, führen die nomadisierenden Stämme. Vielweiberei ist gestattet, die Frau aber mehr geachtet als bei den westlichen Mohammedanern. Der Afghane ist ausdauernd und unerschrocken, ein geborner Krieger, mutig im Angriff, aber auch leicht entmutigt, verräterisch, treulos und unersättlich in der Rache. Von den nicht afghanischen Völkerschaften sind die bedeutendsten die Tadschik (s. d.) als ansässige, Ackerbau treibende Bevölkerung, in den Städten Handwerker. Vermutlich sind sie die ursprünglichen Bewohner und in ihrer äußern Erscheinung den Afghanen ähnlich. Sie sind eifrige Sunniten. Dagegen sind die in den Städten als Kaufleute, Ärzte, Schreiber wohnenden Kisilbaschis Schiiten, ein schöner, körperlich und geistig den Afghanen überlegener Menschenschlag, denen nebst den Tadschik und den über das ganze Land als Geldwechsler und Großhändler verstreuten Hindki (Hindu) A. alles verdankt, was es an Reichtum besitzt. Auch gibt es als Landarbeiter, Barbiere, Musiker zahlreiche sunnitische Dschat. Die Gesamtzahl dieser Volksstämme wird auf 11/2 Mill. geschätzt. Von entschieden mongolischem Typus sind die noch fast völlig unabhängigen Hazara im schwerzugänglichen Hindukusch und ihre Nachbarn, die Aimak, beide Sunniten, zusammen 200,000 Seelen. In den südöstlichen Berglandschaften und am Hilmend wohnen Belutschen.


Ackerbau und Viehzucht sind Hauptbeschäftigung. Weizen bildet meist die Hauptnahrung, außerdem baut man Gerste, mehrere Linsenarten, in den heißern Strichen Reis, Zuckerrohr, Baumwolle, Tabak und die Dattelpalme, in den kühlern Aprikosen, Birnen, Apfel, Walnüsse und Wein, der hier einheimisch ist. In den niedern Gegenden erntet man zweimal im Jahre. Die Viehzucht beschäftigt sich vornehmlich mit den teils weißen, teils braunen oder schwarzen Fettschwanzschafen. Die Kühe sind sehr milchreich, ihre Produkte bilden einen wichtigen Teil der Nahrung. Kamele beider Arten werden überall gezogen, das einhöckerige ist einheimisch. Jagdhunde werden in mehreren Gegenden gezüchtet. Die Industrie ist unbedeutend. Die frühere Teppichweberei in Herat hörte durch die Auswanderung der Weber nach Birjand 1863 auf. Nennenswert ist die Erzeugung von Seide, meist zu einheimischem Verbrauch, von Filzen, Zeugen aus Wolle, Ziegen- und Kamelhaar, von Schafpelzen, die in bedeutenden Mengen im Pandschab verbraucht werden, und von Rosenkränzen (in Kandahar), die besonders nach Mekka gehen. Der Handel bewegt sich bei dem Mangel an schiffbaren Flüssen und Fahrstraßen auf den uralten Karawanenstraßen von Persien nach Herat, von Bochara nach Herat und Kabul, vom Pandschab nach Kabul oder Kandahar. Als ein Überbleibsel alter Zeiten ziehen die Povinda (jährlich 7000 Männer mit 35,000 Kamelen) in großen, militärisch organisierten Karawanen zwischen Indien, Chorasan und Bochara und dringen selbst bis Assam und Rangun vor. A. führt nach Indien namentlich Wolle, Pferde, Seide, Früchte, Pelzwaren, Farbstoffe, Asa foetida aus und empfängt Baumwollen-, Wollen- und Seidenwaren, Zucker, Tee, Indigo, Gold- und Silbertressen, Schärpen, Lederwaren u.a.; 1891 empfing Indien von Kabul für 208,637, von Tirah und Badschnur für 102,621, von Kandahar, Sewestan und Kelat für 384,314 Pfd. Sterl. Waren und führte dorthin für 469,870, bez. 104,456 und 1,617,468 Pfd. Sterl. Waren aus, während Bochara 1889 Waren für 0,46 Mill. ein- und für 0,71 Mill. Pfd. Sterl. ausführte. Der Povindahandel ist zum größten Teil Transithandel und durch die davon erhobenen Durchgangszölle für A. wichtig. Allgemeine Geldsorten, Maße und Gewichte gibt es nicht, zumal der Handel vielfach auf Warentausch beruht, auch die Abgaben oft in Erzeugnissen bezahlt werden.

Staatsverfassung und Verwaltung. A. ist eine unumschränkte Monarchie unter einem Emir, erblich seit 1862 in der Nachkommenschaft Dost Mohammeds; doch besteht darunter eine militärische Aristokratie und innerhalb dieser eine Anzahl kleiner Republiken, die nur durch ihre Trennung zu beherrschen sind. Die gewöhnliche Einteilung in fünf Provinzen: Kabul, Ghasni, die Hochtäler südlich von Kabul, Kandahar, der Südosten, Seïstan, der Südwesten des Landes, und Herat oder das Tal des Herirud, sind zugleich Einteilungen nach historischen, geographischen und politischen Gesichtspunkten. Die Einkünfte des Emir, aus einer Grundsteuer, Durchgangs-, Ein- und Ausfuhrzöllen und den mühsam eingetriebenen Abgaben bestehend, sollen sich auf 30 Mill. Mk. belaufen, wovon ein großer Teil in natura gezahlt wird, angeblich 81/2 Mill. Mk. auf das Heer verwandt werden, das seit 1869 nach europäischem Muster organisiert und dessen Gesamtstärke auf 50,000 Mann mit 123 Geschützen zu schätzen ist. In der Rechtspflege gilt neben dem Koran ein altes, rohes, ungeschriebenes Gewohnheitsrecht, das Pukhtunwali. Hauptstadt und Residenz des Emir ist Kabul.[130]

Die afghanische Sprache, die sich selbst als Paschtu (nach englischer Schreibung Pushto oder Pushtu) bezeichnet, ist nach Trumpp und Spiegel eine selbständige Sprache, die ein Mittelglied zwischen Indisch und Iranisch bildet, nach den neuern Forschungen von Hübschmann dagegen eine echt iranische Sprache, die nur in verhältnismäßig später Zeit im Wortschatz, in der Flexion und in der Syntax von Indien aus stark beeinflußt wurde, wie sich z. B. die für alle iranischen Sprachen charakteristische Gestaltung der Zischlaute auch im Afghanischen findet. Vgl. die umfassenden grammatischen und lexikalischen Arbeiten Ravertys (»Grammar of the Pushto«, 3. Aufl., Lond. 1867; »Dictionary«, 2. Aufl., das. 1867, und »Pushto manual«, 2. Aufl., das. 1889); Bellews Grammatik und Lexikon (beides das. 1867) und die durch wissenschaftliche Haltung ausgezeichnete »Grammar of the Pasto, or language of the Afghans« (das. 1873) von Trumpp, sowie Hübschmanns »Iranische Studien« (im 24. Bd. der »Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung«). Die Sprache zerfällt in verschiedene Dialekte. Als Schrift dient eine Abart des arabischen Alphabets. Die Literatur ist in ihrem Geiste durch den Islam, in ihren Formen durchweg durch persische Vorbilder bestimmt. Ein Bild derselben geben die Sammelwerke von Dorn (»Chrestomathy of the Pushtu«, Petersb. 1847), von Raverty (»The Gulshan-i-Roh, being selections prose and poetical«, 2. Aufl., Lond. 1867; »Selections«. das. 1867) und Trumpp in der »Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft« (Bd. 21 u. 23). Eine Sammlung afghanischer Volkslieder veröffentlichte James Darmesteter in »Chants populaires des Afghans, recueillis« (Par. 1889–90, 2 Tle.). Viele afghanische Texte sind neuerdings in Dehli herausgegeben, z. B. »The poetical works of Abd ur Rahman« (1882) u. »Mulla Ahmad's Mirat-ul-Muslimin« (1888).

[Geschichte.] Die Länder, die das jetzige A. bilden, waren einst meist von arischen Völkern bewohnt, die von A. aus nach Indien vordrangen, und bildeten im persischen Reich die Provinzen Drangiane, Areia und Arachosia. Die letzte Landschaft hieß auch Paktyike nach den Hirtenstämmen der Paktyer oder Pachtân, wie sich ihre uns unter dem persischen Namen Afghanen bekannten Nachkommen noch nennen. Alexander d. Gr. eroberte A. 330–329 v. Chr. und gründete hier die Städte Alexandreia Areion (Herat) und Alexandreia Arachoton (Kandahar). Die herrschende Religion war die des Zarathustra. Seit dem 3. Jahrh. v. Chr. gehörte der größte Teil von A. zum Partherreich, seit 226 n. Chr. zum mittelpersischen Reich der Sasaniden; nur die nördlichen und östlichen Landschaften wurden ihnen von den griechischindischen und griechisch-baktrischen Königen streitig gemacht. Von Südwesten her breiteten sich die Pachtan oder Afghanen mehr und mehr aus und führten die noch jetzt bestehende Stammesverfassung ein: das Volk teilte sich in Stämme mit einem Chan als Oberhaupt, diese in Geschlechter und diese in Unterabteilungen, mit Maliks, Muschirs und Spinzeprah (Weißbart) an der Spitze. Der Stamm wie die einzelnen Abteilungen heißen Uluß. Die Dirgha, die Gesamtheit der Familienhäupter, gleichzeitig auch das Gericht, stand über den Chanen. Im 7. Jahrh. wurde A. von den Arabern erobert und zum Islam bekehrt; es stand mit dem von den Arabern eroberten Teil von Indien unter einer Statthalterschaft. Schon 812 erfolgte die erste Auflehnung der arabisch-indischen Statthalter (in Herat der Samanide Ilyâs) gegen die Kalifen, und es bildeten sich, freilich immer nur auf kurze Zeit, selbständige Reiche. 1001 eroberte Mahmud aus der 962 gegründeten Dynastie der Ghasnawiden ganz A.; doch zerfiel deren Reich schon 1186. Auch die folgende afghanische Dynastie der Ghoriden behauptete nur die Herrschaft über Hindostan, die den Afghanen erst durch Baber (Schlacht bei Panipat) 1526 entrissen wurde (1540–55 herrschten sechs Glieder der afghanischen Dynastie Sûr nacheinander über Bengalen), nachdem A. selbst 1215 von den Chwaresmiern unterworfen war; nur in Herat hielten sich Maliks aus der Familie Kurt 1245–1389. Erst im 17. Jahrh. gelangte, nachdem Kabul und Kandahar zum indischen Mogulreich, Herat zu Persien gehört hatte, wieder eine afghanische Dynastie zur Regierung und beherrschte 1722–29 auch Persien. Nach der Ermordung Nadir Schahs von Persien gründete Ahmed Schah Abdâli aus dem Geschlechte der Durrani 1747 ein Afghanenreich, das von Chorasan im W. bis Serhind im östlichen Pandschab, vom Oxus im N. bis zum Indischen Ozean im S. reichte. Innere Streitigkeiten führten bald zu Teilungen und zu fremder Einmischung. Schah Schudschah, ein Enkel Ahmeds, konnte sich nur in Herat gegen Dost Mohammed, den Kabul und Kandahar seit 1826 besetzt haltenden Sohn des Wesirs Payinda Chan und Bruder des mit demselben Amte betrauten Fath Chan aus dem die Wesire von A. liefernden Geschlechte der Barakzai, behaupten und rief 1838 die Hilfe Englands an. Im Frühjahr 1839 rückten 9000 Engländer aus Indien in A. ein, bemächtigten sich 21. April Kandahars, 23. Juli Ghasnis und setzten 7. Aug. Schudschah in Balahissar, der Königsburg von Kabul, wieder ein; nach einer neuen Niederlage ergab sich Dost Mohammed 5. Nov. 1840 den Engländern. Aber durch den Aufstand Akbars, eines Sohnes von Dost Mohammed, wurden im November 1841 außer Schudschah auch die Europäer (unter andern General Mac Naghten, der Reisende Alexander Burnes) in Kabul ermordet. Das englische Heer von 6000 Mann, das sich in einem befestigten Lager bei Kabul behauptet hatte, fand auf dem Rückzug durch den Chaiberpaß mit den Frauen und Kindern der in Kabul getöteten Europäer durch Hunger, Kälte und die Mordstreiche der fanatischen Bevölkerung den Untergang. Nun unternahm Gouverneur Ellenborough 1842 einen neuen Feldzug gegen A. Die Generale Pollock und Nott drangen durch die Gebirgspässe, schlagen Akbar und befreiten die Geiseln und Gefangenen. Das flache Land wurde verwüstet, Kabul und Istalif verbrannt. Nachdem die Engländer Dost Mohammed in Kabul als Herrscher eingesetzt hatten, kehrten sie nach Indien zurück. Dost Mohammed besiegte darauf Kohandil Chan, der Kandahar beherrschte, und unterwarf 1862 Herat, so daß A. wieder vereinigt war; mit den Engländern schloß er 1855 und 1857 neue Verträge und erhielt bis zu seinem Tode (9. Juni 1863) Jahrgelder. Gegen seinen zum Thronfolger bestimmten Sohn Schir Ali Chan lehnten sich dessen Brüder Azim und Assal auf; nachdem beide Kabul eingenommen und 10. Mai 1866 Schir Ali geschlagen hatten, ließ sich Assal 21. Mai als Emir von A. ausrufen und wurde von England anerkannt. Nach seinem Tode (Okt. 1867) folgte ihm Azim zu Kabul. Den Süden und Westen von A. hatte indes noch Schir Ali inne; er wurde aber 17. Jan. 1867 bei Kabul geschlagen und mußte nach Herat fliehen. Von hier aus gelang es ihm mit Hilfe von Balch, im September[131] 1868 Kabul zu nehmen und im September Azim bei Ghasni zu besiegen. Affals Sohn, Abd er Rahmân, versuchte 1869 A. wiederzuerobern, wurde aber zur Flucht nach Turkistan genötigt. Nun erst wurde Schir Ali vom indischen Vizekönig Lord Mayo im März 1869 anerkannt und ihm Hilfsgelder zugesichert. Durch innere Reformen, Lockerung der Lehnsverbände, Zwingen der Vasallen und Verbündeten zur Heeresfolge reizte Schir Ali die Altnationalen zum Widerstand. Als sich diesem sogar Schir Alis Sohn, Jakub Chan, der seit 1871 in Herat herrschte, anschloß, wurde er 1874 in Kabul gefangen genommen und Abdallah Dschan zum Thronerben ernannt; Herat wurde 19. Jan. 1875 von den Truppen Schir Alis besetzt. Doch suchte Schir Ali zur Sicherung seiner Herrschaft und zum Schutze gegen die Russen in Turkistan bei England um ein Schutz- und Trutzbündnis nach; die damals liberale englische Regierung lehnte dies ab. Schir Ali empfing nun, als die Engländer im Februar 1877 Quetta besetzten, den russischen Gesandten General Stoljetow 23. Juli 1878 in Kabul mit auffallendem Entgegenkommen, wogegen er den englischen Gesandten Sir Neville Chamberlain an der Grenze beim Fort Alimusjid beleidigend zurückwies. Daraufhin überschritten die Engländer 21. Nov. 1878 in drei Heeressäulen die Grenze, die erste unter General Browne im Chalberpaß, die zweite unter General Roberts im Kurantpaß und die dritte unter Biddulph von Quetta aus. Schir Ali verließ Mitte Dezember Kabul, setzte den aus der Hast befreiten Jakub Chan als Regenten ein und floh nach Turkistan. Doch war Rußland nicht geneigt, einen Krieg mit England zu beginnen. In der Verbannung starb Schir Ali 21. Febr. 1879. Inzwischen hatte Browne 20. Dez. 1878 Dschelalabad besetzt, Roberts den Paiwarpaß erobert und die Afghanen im Chost-Tal geschlagen, Stewart von Quetta aus 8. Jan. 1879 Kandahar eingenommen. Jakub Chan schloß deshalb 19. (26.) Mai 1879 zu Gandamak einen Vertrag, worin er gegen einen Jahresgehalt von 60,000 Pfd. Sterl. die von Indien nach A. führenden Pässe an England abtrat, ihm die äußere Vertretung Afghanistans übertrug und in Kabul einen britischen Gesandten aufzunehmen versprach. Major Cavagnari zog 24. Juli 1879 in Kabul ein und wurde vom Emir ehrenvoll aufgenommen; aber schon 3. Sept. wurde er mit seinem Gefolge (67 Personen) von meuterischen Soldaten und Einwohnern ermordet. Sofort rückte General Roberts von neuem in A. ein. Jakub Chan erschien 27. Sept. in ihrem Lager bei Kuschi, wurde zur Abdankung veranlaßt und nach Indien gebracht. Nachdem Roberts die afghanischen Truppen und die wilden Ghilzai überwunden hatte, rückte er 12. Okt. in Kabul ein und ließ die Rädelsführer hängen, die aufständischen Landschaften verwüsten. Aber 10. Dez. mußte sich Roberts nach dem befestigten Lager von Schirpur zurückziehen. Nach dem Eintreffen von Verstärkungen unter General Bright besetzte er 27. Dez. mit 10,000 Mann Kabul von neuem. Obwohl nun 12,000 Mann von Peschawar in Anmarsch waren, 9000 Mann in Kandahar und 9150 Mann im Kuram-Tal standen, brachen überall neue Aufstände aus. In Ghasni wurde 1880 Jakubs kleiner Sohn Musa zum Emir ausgerufen und Mohammed Chan zum Vormund-Regenten ernannt, bis er 19. April 1880 von den Engländern besiegt und Ghasni eingenommen ward. Als nun Abd er Rahmân, der Sohn Affals und Enkel Dost Mohammeds, der bisher unter russischem Schutz in Samarkand gelebt hatte, in Badachschan und von den Bergstämmen am Hindukusch zum Herrscher aus gerufen wurde, erkannte auch England ihn an. So wurde auf einer Versammlung afghanischer Häuptlinge zu Kabul Ab der Rahmân (s. d. 5) 22. Juli 1880 zum Emir von A. gewählt. Inzwischen aber war Ejjub Chan, den sein Bruder Jakub zum Gouverneur von Herat ernannt hatte, Ende Juni mit 12,000 Mann und 36 Geschützen gegen Kandahar gerückt. Die einheimischen Truppen des englandfreundlichen Wali Schir Ali von Kandahar liefen davon, und General Burrows' englisch-indische Brigade wurde 27. Juli bei Kuschk-i-Nakhud von Ejjub fast aufgerieben; der Rest floh nach Kandahar, wo General Primrose mit 5000 Mann und 18 Geschützen 10. Aug. von Ejjub eingeschlossen wurde. Nun marschierte General Roberts mit 10,000 Mann, 8000 Mann Lagertroß und 4000 Transporttieren von Kabul nach Kelat in Ghilzai (23. Aug.), zog dessen Besatzung von 1200 Mann an sich und rückte 31. Aug. in Kandahar ein. Ejjub, der am 23. Aug. die Belagerung aufgehoben hatte, wurde 15 km nordwestlich am Baba Wali mit 20,000 Mann 1. Sept. von Roberts vollständig geschlagen und floh nach Herat. Die Engländer räumten Kabul, wo sich nun Abd er Rahmân befestigte, und im April 1881 auch Kandahar, wo Mohammed Hassim Statthalter wurde. Dieser ward schon 26. Juli 1881 von Ejjub, der in Herat seine Streitmacht wieder organisiert hatte, bei Karez-i-Alta besiegt. Ejjub bemächtigte sich Kandahars, unterlag aber 22. Sept. bei den Ruinen des alten Kandahar dem Heer Abd er Rahmâns; 4. Okt. ward Herats Besatzung von Anhängern des Emirs vertrieben. Ejjub mußte auf persisches Gebiet flüchten. Nunmehr war Abd er Rahmân, der auch in Herat zum Emir ausgerufen wurde, Herr von ganz A. unter englischem Schutz. Dafür schob Rußland seine Grenze von Merw her und auf dem Pamirplateau immer weiter vor und zwang A. 13. Febr. 1886 zur Hergabe von Penschdeh, 28. Juli 1887 zur Abtretung des Gebiets zwischen dem Kuschk und Murghab. Den Emir trieb dies natürlich in die Arme Englands; 2. Okt. 1893 nahm er Sir Mortimer Durand in Kabul auf. Nach dem zwischen England und A. 12. November 1893 abgeschlossenen »Durand Agreement« (vervollständigt durch das russisch-englische Übereinkommen vom 11. März 1895) erkannte A. die Besetzung von Tschaman durch die indische Regierung an, trat Teile von Schugnan und Roschan an Rußland ab, gab die Ansprüche auf Swat, Bedschur, Tschitral und Waziristan zu gunsten Englands auf und erhielt dafür, außer einer Erhöhung der Pension um die Hälfte, Asmar und Wachan. Am 9. April 1895 verzichtete die indische Regierung auf Kafiristan; sofort verwüsteten die Truppen des Emirs das Land furchtbar. Um den britischen Einfluß auf A. den Russen gegenüber, die im November 1899 Herat besetzten und Frühjahr 1900 eine ständige diplomatische Agentur in Kabul planten, zu sichern, wurde zur Fortführung der Quettabahn nach Kandahar ein Tunnel durch die Chodscha Amrunberge gebaut und in Nutschaman eine Station errichtet. Nach dem am 3. Okt. 1901 erfolgten Tod Abd er Rahmâns folgte ihm sein Sohn Habib Ullah (geb. 1872). der die englische Zahlung fortempfing.

[Literatur.] Vgl. Bellew, A. and the Afghans (Lond. 1879); Derselbe, The races of A. (das. 1880); Yate, Northern A. (das. 1888); Spiegel, Eranische Altertumskunde (Leipz. 1871); Jaworskij, Reise der russ. Gesandtschaft in A. und Buchara 1878 bis 1879 (deutsch, Jena 1885); Roskoschny, A.[132] und seine Nachbarländer (Leipz. 1885); Karte der seit 1884 tätigen russisch-britischen Grenzkommission (1: 520,640,4 Blatt); Langhans, Politisch-militärische Karte von A., Persien und Vorderindien (Gotha 1901). – Zur Geschichte: Malleson, History of A. (2. Aufl., Lond. 1879); Kaye, History of the war in A. (4. Aufl., das. 1890, 3 Bde.); Hensman, The Afghan war of 1879–1880 (das. 1881); H. Durand, History of the first Afghan war (das. 1879); Walker, A., its history and our dealings with it (das. 1885); A. Forbes, The Afghan wars, 1839–1842 and 1878–1880 (das. 1891); Hanna, The second Afghan war, 1878–80 (das. 1899, Bd. 1).

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 129-133. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20006197981


Pierer

[156] Afghanistan (Ostpersien, nach seinem wichtigsten Theile Kabulistan genannt).

I. (Geogr.), Land in Asien, gehört zu dem großen Hochflächenland Iran; es wird begrenzt im Norden von Kaschgar u. Badakschan, im Nordwesten von Turkestan, im Osten von dem Indus u. dem ostindischen Reiche, in Süden von Beludschistan u. im Westen von Persien; erstreckt sich vom 29. bis 35. Grade nördl. Br. u. vom 62. bis 73. Grade östl. Länge (v. Greenw.) u. umfaßt 12,000 (10,000,16,000) QM. Gebirge: A. ist Alpenland, da vom Hindukusch aus (unter 35 Grad nördl. Br. ungefähr) das Solimanigebirge längs dem rechten Ufer des Indus bis zu dessen Mündung hinläuft u. zum Theil aus hohen Schneebergen (Salomonsthron 12,800 Fuß hoch) besteht; außerdem sind noch der Paropamisus, Brahn, Kalabagh, die Keiberkette u. m. a. zu erwähnen. Flüsse: Den südlichen Abfall vom Hindukusch aus bildet das Gebiet des Kabulflusses, der vom Belur u. Hindukusch herabkommend in den Indus mündet: der östliche Abfall führt zum Indus, der westliche ist, ebenfalls von Hindukusch aus, das Stromgebiet des Hirwend (Helwend), welcher 120 Ml. lang u. bis 1200 Fuß breit in den im Südwesten A-s gelegenen Zarahsee (auch Durrah, Hamun, Luth, Aria lacus) fällt. Auch der kleinere Ferra-Rud (Faurah) ergießt sich in diesen See. Nach Norden fließt nur der Heri-Rud (Herat) an der Nordwestgrenze durch den Paropamisus. Die übrigen sind meist Alpengewässer, die nur zuweilen anschwellen. A. hat wegen seiner Alpen u. übrigen Berge in verschiedenen Thälern sehr verschiedenes, heißes, gemäßigtes, kaltes, in der Regel trockenes Klima. Die Wirkung der indischen Monsune reicht nur bis Kandahar. In Kabul steigt der Barometer auf 90–100° F., während im Winter oft 2–3 Monate lang Schnee liegt; Kandahar hat dagegen im Sommer oft eine Hitze von 110°, im Winter nur sehr selten Schnee. Producte: In den Niederungen gedeihen tropische Gewächse, höher hinauf die der gemäßigten u. kalten Zone. Das Land ist reich an schönen Weiden, worauf gute Pferde, Rindvieh, Schafe mit der feinsten Wolle u. Fettschwänzen,[156] feinhaarige Ziegen gezogen werden; das Kameel ist häufig; in den Alpen finden sich Wölfe, Füchse, Bären, aber auch Wild, in den heißen Landestheilen Löwen, Tiger, Hyänen, Leoparden u. Schakals. Der zum Theil mit künstlicher Bewässerung betriebene Acker- u. Gartenbau bringt europäische Getreidearten, Reis, Mohn, Tabak, Assa fötida, Rhabarber, Granaten, Orangen, Wein, Abrikosen, Äpfel, Pflaumen, die schönsten Rosen Asiens, Tulpen, aromatische Kräuter, Indigo, Zuckerrohr, Baumwolle hervor. Man findet da Dattelpalmen u. Rosenwaldungen, aber auch Nadelhölzer; ferner in den Flüssen Spuren von Gold, in den Bergen Silberadern, Kupfer- u. Bleilager, Zink, Eisen, Schwefel, Steinkohle, Steinsalz, Salpeter, echte Türkisse. Die Bevölkerung besteht aus den herrschenden Pochtus (Paschtuns), wie sie sich selbst, Patanen, wie sie die Indier, Solimani, wie sie die Araber, od. Afghanen (d. h. Hochländer), wie sie die Perser nennen, die zum iranischen od. persischen Stamme gehören u. eine eigene Sprache (s. Afghanische Sprache) reden. Man hält sie für Nachkommen der alten Paktyes u. schätzt sie auf 4,300,000 Seelen. Eine untergeordnetere Stellung nehmen die Tadschiks, in Dörfern lebend, ein, deren Sprache ursprünglich persisch ist, ungefähr 11/2 Million; eigentliche Hindus, gegen 2 Millionen, wohnen überall in den Städten zerstreut; Hindki sind Mischlinge von Hindus u. Afghanen; weniger zahlreiche Stämme sind: die Aimaks u. Hazarahs, persisch sprechend, aber tatarischer Abkunft, die Ersteren in tatarischen Zelten, die Anderen in Dörfern lehend. In Kabul u. Herat finden sich Kuzilbaschen (Turkomanen, türkisch u. persisch redend), in Kabul u. Dschelalabad Araber (ungefähr 2000 Familien, die nicht mehr arabisch sprechen); dann hier u. da Mongolen, Kurden, Armenier, Abessinier, Kalmükken, Juden, zum Theil als Sklaven eingeführt; die meisten Sklaven sind jedoch geraubte Kafirs. Die gemeinschaftliche Schrift u. Geschäftssprache ist die neupersische. Eine genaue Angabe der Zahl der Gesammtbevölkerung ist unmöglich; Einige nehmen 5–6, Andere 8 Millionen an. Die Afghanen sind ein wohlgebildeter, geistig befähigter, edler Menschenschlag, mit kräftigen Formen, europäischen Gesichtszügen u. entsprechenden Sitten u. Gebräuchen; die Ost-Afghanen dunkelbraun, den Hindus näher stehend, die West-Afghanen olivenfarbig u. in Allem den Persern ähnlicher. Sie sind der Adel, in ihren Händen ist der große Grundbesitz, daher nur wenige von ihnen in Städten wohnen, keiner ein Gewerbe, Handwerk od. Handelsgeschäft treibt. Einfachheit, Offenheit, Freimüthigkeit in Umgang, Unternehmungsgeist, Gastfreundschaft, Mäßigkeit u. lebendige Spannkraft, Liebe zu Unabhängigkeit, Freiheit des Vaterlandes zeichnen sie aus. Durch Achtung vor den Frauen unterscheiden sie sich vor anderen Orientalen, sie beschäftigen sich mit Literatur, zumeist persischer, da in afghanischer Sprache wenig geschrieben wird. Die Regierungsverfassung beruht auf der Eintheilung der herrschenden Afghanen in Stämme (Uluß); diese bestehen aus Abtheilungen (Dschirgas), welche in kleinere Gemeinschaften od. Gemeinden zerfallen; jeder Stamm hat sein abgesondertes Kreisgebiet, jede Dschirga ihren Bezirk. Mehrere od. alle Uluß stehen unter einem König od. Schah; an der Spitze eines jeden Uluß ist ein Khan, in der Regel vom Schah ernannt od. auch vom Stamme selbst gewählt. Jede Dschirga wählt sich einen Vorstand, ebenso jede Gemeinde. Die inneren Angelegenheiten jedes Uluß leitet der Khan, die geringeren allein, die wichtigeren mit Zuziehung eines aus den Vorständen der Dschirgas bestehenden Rathes od. des ganzen Stammes. Er läßt Kopfsteuern von den Ungläubigen u. Durchgangszölle erheben. Die Gesetzgebung besteht in einem nationalen Gewohnheitsrechte (Puchtunwalla) u. dem Koran. Die Ordnungspolizei verwaltet in den Städten der Sirdar (Militärbehörde); die Wohlfahrtspolizei der Darogha; die Sittenpolizei der Motesib (ein Geistlicher), der zu diesem Zwecke Rundreisen im Lande macht. Die bürgerliche Rechtspflege wird von Kadis besorgt; Verbrecher urtheilt der Schah od. der Khan mit dem Dschirga-Rath unter Beisitz eines Geistlichen ab; Vergehen die Vorstände der Gemeinden. Die öffentlichen Ein nahmen bestehen in Grundsteuern, Kopfsteuern, Zöllen, Domänenrenten, Einkünften des Münzregals, Geldbußen, Kriegsbeiträgen einzelner Stämme; die Ausgaben in der Unterhaltung des Hofes, Heeres, wohlthätigen Anstalten u. in der Besoldung geistlicher u. weltlicher Beamten. Die Heerversassung beruht theils auf Lehnsverhältnissen, theils auf Anwerbung fremder Söldner. Steuerfrei verliehene Güter (Tikul) verpflichten zum Kriegsdienst, der noch bes. bezahlt wird. Jeder Uluß hat ein bestimmtes Aufgebot zum Heere zu stellen, dessen Stärke für Kriegsfälle auf 70,000 Mann geschätzt wird; für dringende Fälle wird eine Art Landwehr, 1/10 der Bevölkerung des Landes, aufgerufen. Der beste Theil ist die Cavallerie, welche 2/3 des Heeres ausmacht, Infanterie u. Artillerie stehen auf tiefer Stufe; ihre Kleidung: hohe konische Mütze, lange Jacke, weite Beinkleider, Maroquinstiefeln; Waffen: lange Flinten, Schwerter, Lanzen od. Äxte. Die Truppen sind schlecht exercirt u. undisciplinirt, aber tapfer. Dem Heere folgt in den Krieg ein großer Troß, selbst die Weiber u. Kinder Mehrerer. Die herrschende Religion ist die mahomedanische nach dem Bekenntnisse der Sunniten, welchem die Afghanen, Tadschiks u. Aimaks anhängen; im Nordwesten u. in der Stadt Herat selbst sind die Kuzilbaschen u. Hazarahs Schiiten, wie die Perser. Die Hindus u. Hindki dürfen ihren Götzendienst üben, jedoch ohne öffentliche Schaustellung; Christen u. Juden werden geduldet. Außerdem gibt es noch 2 indische Secten in A., die der Sufis, welche einem pantheistischen Mysticismus huldigen, u. die der freidenkerischen Mullah-Zuckis, die unter den afghanischen Großen Anhänger hat. Im Ganzen herrscht religiöse Duldung, nur die Schiiten u. Sunniten feinden sich heftig an, was auf die polit. Verhältnisse sehr einwirkt. Die Geistlichen (Mullahs) sind zugleich Schullehrer. In den Städten u. jedem Dorfe sind Schulen, wo Lesen u. die mohamedanische Religion gelehrt wird; die Reichen halten Hauslehrer; auch die wohlhabenden Frauen lernen Lesen. Die Geistlichen beschäftigen sich mit Logik, Theologie, Gesetzeskunde u. bei größerer Bildung mit Ethik, Physik, Metaphysik, Geschichte, Dichtkunst, Medicin. Die Vergnügungen der Afghanen sind Gastmähler, Musik, Pferderennen, Jagd, Waffenübungen.[157] Die Tadschiks sind meist Ackerbauer, auch Händler; die Hindus leben als Kaufleute, Agenten, Mäkler Getreidehändler, Bankiers, Goldschmiede in den Städten; die Araber treiben Ackerbau, die Aimaks Schaf- u. Pferdezucht, die Hazarahs in den rauhesten Gegenden des Landes nur wenig Ackerbau, mehr Viehzucht. Die Kaufleute, Schreiber, Rechnungsführer, Hausverwalter in Herat sind meist Kuzilbaschen. Der Ackerbau bringt 8–11 Proc. dessen, was für Grund u. Boden bezahlt wird, da man in den wärmeren Gegenden, sowie in Indien, zwei Mal erntet. Der Boden wird durch Bewässerung befruchtet, entweder aus fließenden Gewässern, od. durch Wasserräder od. unterirdische Leitungen. Eigenthümlich gebaute Wasser-, Wind- u. Handmühlen liefern das Mehl. Es gibt 32 organisirte Gewerke, jedes mit einem Vorstand an der Spitze, der es der Obrigkeit gegenüber vertritt, in den Städten Silber- u. Goldarbeiter, Juweliere, Siegelstecher, Golddrahtmacher, Seidenspinner, Knopfmacher, Buchbinder, Papier- u. Buchhändler, Weber. Die Fabrikation der Messer, Feuerwaffen u. überhaupt Eisen- u. Stahlwaaren steht noch auf niedriger Stufe. Außerdem werden Lederwaaren, Sattelzeug, Pferdegeschirr, Seidenstoffe, Baumwollenzeuge u. in Kandahar u. Kabul auch Shawls aus feiner Ziegen- u. Schafwolle gearbeitet. Der seit uralten Zeiten hier betriebene Handel vermittelt den Austausch der Waaren zwischen Ostindien einer- u. den nördlich u. westlich von A. gelegenen Ländern andererseits. Die Handelsstraßen führen östlich durch den Keiberpaß, den Gomulpaß u. den Bohanpaß nach Ostindien, südlich durch Beludschistan nach dem indischen Ocean, nördlich über den 15,000 Fuß hohen Kuschanpaß u. nordwestlich auf der Bamianstraße über 8000–13,000 Fuß hohe Bergrücken nach Centralasien, endlich geht westlich eine Straße über die Huzarahgebirge nach Herat u. von da nach Ispahan od. ans Kaspische Meer zur Verbindung mit Rußland. Die Beförderung der Waaren geschieht durch Karawanen von Leuten, die Lohanis heißen; 100,000 Menschen u. 24,000 Kameele sollen dabei beschäftigt sein. Die Einfuhr indischer u. englischer, persischer u. russischer Waaren ist bedeutender als die Ausfuhr. Die hauptsächlichsten Gebiete A-s sind: a) der nördliche u. östliche Theil Khorasans, welches im Übrigen zu Persien gehört, auch Herat genannt, mit den Hauptorten Herat, Mesched, Nischabur, Nisa am Tedschansluß; b) Kabul, mit der Hauptstadt gleiches Namens; c) Kandahar, mit der gleichnamigen Festung am Fluß Hir u. der Stadt Nagar; d) südwestlich Sedschestan, mit den Städten Zereng am Hirmend u. Ferrah. Außer diesen werden genannt Gasniod. Ghasna, jetzt zum Theil verfallen, früher Aufenthalt der Gaznavidischen Sultane; Ghorat nördlich von Kandahar, der rauhe u. unfruchtbare Huzarahdistrict in Nordwesten, vielleicht 1/4 von ganz A.; das noch wenig bekannte Sewiestan mit der Stadt Rochadsch; östlich das fruchtbare Lughman, das reiche Thal von Dschelalabad; das südlich von Kandahar gelegene, noch wenig bekannte Schorawuk; Komis mit der Stadt Damghan u. a. m. Die Landschaft Balkh (Bulkh), mit der Hauptstadt gleiches Namens auf der nördlichen Abdachung des Hindukusch gelegen, gehört nicht zu A. Vgl. M. Elphinstone, An account of Cabul, Lond. 1815 (deutsch von Richs, Weim. 1816); Tychsen, De Afganorum origine et historia; I. v. Klaproth, Über die Sprache u. den Ursprung der Afghanen, Petersb. 1810; A. Burnes, Cabul, Lond. 1842.

II. (Gesch.). Das heutige A. ist das Ariana u. Drangiana der alten Zeit. Kandahar u. Kabul vermittelten bereits in vorchristlicher Zeit lebhaft den Handel zwischen Ostindien u. Persien. Ptolemäus erwähnt die Kaboliten, Einwohner des Landes Kabul in der Landschaft Paropamisus. Man brachte außer Specereien auf u. entlang dem Indus u. Kabulflusse (Sir-Indi u. Behat) alle indischen Waaren hinauf, die von da nach Persien, Baktriana (Balkh) u. Scythien (Bucharei u. Rußland) weiter befördert wurden. Perser u. Scythen trieben hier einen starken Pferde- u. Viehhandel. Zur Zeit des Byzantinischen Kaiserreichs war die Stadt Mesched wegen ihrer goldenen u. silbernen Brocate, seidenen Zeuge, irdenen Geschirre, seiner Wolle u. der in der Nähe liegenden Türkis- u. Rubingruben berühmt; ebenso Herat (Hera) als Stapelplatz zwischen Ispahan u. Kandahar wegen seiner Tapeten, seidenen Stoffe u. Brocate. Der Name der Afghanen kommt aber erst im Geschichtswerke des Farischka beim J. 681 n. Chr. vor, u. im 9. Jahrh. werden sie als Bewohner von Ghauer in Nordost-A. genannt. Im 11. Jahrh. waren sie im Kampf mit dem Ghaznaviden Mahomed Irmin Eddaula, der Kabul eroberte u. die Afghanen von Ghauer (Ghor) unterjochte. Ghasna war seine prächtige Hauptstadt, u. Ferdusi blühte an seinem Hofe. Die Afghanen von Ghauer machten sich unter eigenen Herrschern (Ghoriden) unabhängig, vertrieben, unter der Regierung Husseins die Ghaznaviden aus Ghasna u. später sogar aus Lahore. Der Sieger errichtete eine neue Herrschaft auf den Trümmern des Ghaznavidischen Reiches. Der Bruder seines zweiten Nachfolgers, Gajath Eddin Mahomed Ghori (Seiffedin), eroberte mit Hülfe arabischer Krieger die indischen Grenzländer u. Delhi u. machte sich zum Herrn von Khorasan. Ihm folgte sein Brudersohn Mahomed III., mit dem dieses Fürstenhaus erlosch u. das Reich zerfiel. Khorasan u. Kabul wurden von Tataren unter der Kharesmischen Dynastie (von Kothbeddin 1097 gestiftet) erobert u. fielen sodann in die Hände der mongolischen Eroberer. Gajath Eddin Mahomed bekehrte die Afghanen zum Islam (vorher scheinen sie dem Buddadienst ergeben gewesen zu sein). Nach der Auflösung des afghanischen Reiches von Ghauer zerfielen die Afghanen wieder in viele Stämme unter besonderen Khanen; nur das flache Land ward seit dem Entstehen der mongolischen Herrschaft zwischen Hindustan u. Persien getheilt; in den Gebirgen retteten einzelne Stämme, namentlich auch der der Abdalli-Afghanen in Herat, ihre Unabhängigkeit. Der von Gajath Eddin Mahomed in Indien eingesetzte afghanische Statthalter Kuttun Eddin Abek hatte ebenfalls gegen die Mongolen die Selbständigkeit behauptet u. eine neue Dynastie mit der Hauptstadt Delhi gegründet, nach deren Erlöschen eine zweite afghanische Dynastie daselbst herrschte, bis ein Nachkomme Timurs, Baber, in der Schlacht bei Panniput im Jahr 1525 der Herrschaft der Afghanen in Indien ein Ende machte. Perser u. Mongolen kämpften nun um den Besitz A-s. Von hereinbrechenden [158] Usbeken bedrängt, begab sich Herat zu Anfange des 17. Jahrh. in den Schutz des Schahs Abbas I. von Persien; nachdem dieser aber Kandahar von den Mongolen erobert hatte, unterwarf er A. persischer Botmäßigkeit. Im Jahr 1632 empörten sich die Afghanen unter Ali Mandan Khan wegen Bedrückung gegen Persien u. unterwarfen sich wieder dem Großmogul; 18 Jahre darauf standen sie aus derselben Ursache gegen die Regierung des Großmoguls auf u. begaben sich von Neuem unter die Herrschaft des persischen Schahs Abbas II. Eine wiederholte Empörung unter Schah Hussein wurde (1696) von 22,000 Persern, die in A. einrückten, unterdrückt, aber im Jahr 1710 gelang es einem afghanischen Kalantar (Untergouverneur), Mir Weis, den persischen Statthalter Gundschin Khan bei einem Gastmahle zu ermorden u. in dessen Kleidern sich der Festung von Kandahar zu bemächtigen. Hierauf fiel er, von anderen Sunniten unterstützt, in Persien ein, nahm Herat u. Kerman u. schlug das Perserheer. Nach seinem Tode (1715) folgte ihm sein ältester Sohn (n. A. Bruder) Mir Abdallah, den jedoch Mir Mahmud, sein zweiter Sohn, bald entthronte. Dieser eroberte 001'25,000 M. Ispahan u. zwang den Schah Hussein, ihm das persische Reich abzutreten, so daß im Jahr 1723 Persien u. A. unter einem afghanischen Herrscher vereinigt waren. Aber Husseins Sohn, Tamasp, setzte unter Beistand des türkischen Sultans u. Peters des Großen, Kaisers von Rußland, den Kampf fort. Mir Mahmud suchte durch Schreckensherrschaft u. Blutvergießen sich zu erhalten u. starb, als Russen, Türken u. Perser mit Erfolg gegen ihn vorrückten. Schah Aschraff setzte die afghanische Herrschaft fort, besiegte die Türken u. schloß mit ihnen Frieden, wurde aber von Nadir, dem Heerführer Tamasps, bei Damghan geschlagen tu auf der Flucht in Beludschistan getödtet. Der siegreiche Feldherr bemächtigte sich als Schah Nadir des Thrones, so daß unter ihm Ost- u. Westpersien wieder vereint waren. Nach seiner Ermordung (1747) gründete Achmed Schah Abdalli, aus dem afghanischen Stamme der Durani, ein mächtiges Afghanenreich, welches außer Peschawer, Kandahar, Kabul u. den übrigen Theilen des eigentlichen A., auch Beludschistan, einen Theil von Balkh, Kafiristan, Kaschmir, Sind, Lahore u. den größeren Theil von Multan umfaßte. Sechs Mal drang er von A. aus in Indien ein, nahm reiche Beute mit sich fort, schlug die Mahratten in einer großen Schlacht bei Panniput unweit Delhi, u. setzte Dchewan Bucht auf den Thron von Delhi. Unter seinem Sohne Timur machten sich aber Beludschistan, die Sikhs u. andere Provinzen unabhängig. Nach dessen Tode brach unter seinen 4 Söhnen: Humayun, Zeman, Mahmud, u. Schudscha ein Erbfolgekrieg aus. Der älteste wurde vom zweiten, dieser vom dritten geblendet; der Sieg schwankte zwischen den beiden jüngeren, bis Mahmud mit Hülfe des Ministers seines Vaters, Feth Ali, aus dem Hause der Berekzis, seinen Bruder i. J. 1809 besiegte u. sich des Thrones bemächtigte. Er ließ Feth Ali, der von ihm beleidigt ein Heer gegen ihn sammelte, ermorden (1819), worauf die Brüder des Getödteten ihn verjagten. Er behauptete sich jedoch in Herat, wo ihm nach seinem Tode (1829) sein Sohn Schah Kamran folgte. Unterdessen lebten Zemon u. Schudscha unter britischem Schutze als Flüchtlinge in Ludiana. Zunächst herrschte nun der Älteste aus dem Hause Berekzi Assim Khan, welcher fast immer Krieg mit Rundschit Singh (s. u. Sikhs) führte. Nach seinem Tode (1833) machten vier Mitglieder dieser Familie Ansprüche auf die Nachfolge: Kohal Dil Khan bekam Kandahar, Dost Mahomed Kabul, Sardar Sultan Mahomed Khan Peschawer; der vierte, Habiballah Khan, wurde verjagt. Peschawer unterwarfen sich jedoch bald die Sikhs unter Rundschit Singh, der schon Lahore, Kaschmir u. Multan besaß. Während Dost Mahomed mit den Sikhs unter dem Schah Schudscha, der sich des geraubten Thrones wieder zu bemächtigen suchte, im Osten fortwährend im Kampfe lag, trachteten die Perser nach dem Besitz von Herat im Westen. Schudscha wurde (1834) in den Gebirgspässen Kabuls geschlagen, ebenso die Sikhs (1835) in den Engpässen von Peschawer unter einem Enkel Rundschit Singhs, u. dieser selbst (1837) bei Gumrud, obwohl kurz vorher General Allard als Anführer der Sikhs Vortheile über die Afghanen errungen hatte. Es erwachte nun die Besorgniß der Briten in Indien, daß A., von wo aus Delhi schon einmal erobert worden war, ihnen gefährlich werden könnte, während man bisher darauf gebaut hatte, daß innere Zwietracht es zur Ohnmacht erniedrigen würde. Burnes u. a. britische Sendlinge, die A. bereisen mußten, um den Stand der Dinge genau auszukundschaften, fanden die Herrscher von Kabul u. Kandahar den Briten abhold u. ihre Macht gefahrdrohend. Die britisch-indische Regierung beschloß daher diese Gefahr im Keime zu ersticken. Der Generalgouverneur von Indien, Lord Auckland, erklärte also am 1. Oct. 1838 den Afghanen den Krieg, angeblich um Rundschit Singh als englischen Verbündeten gegen sie zu schützen u. den vertriebenen Schudscha wieder in seine Rechte einzusetzen. Im Febr. 1839 brachen 12,000 indische u. englische Soldaten unter General John Keane, der auch dem Schah Schudscha den Befehl über eine Abtheilung anvertraut hatte, auf, setzten über den Indus, rückten durch den Bolanpaß nach Kandahar vor, u. besetzten im Mai die Stadt u. Festung, da Kohai Dil Khan sich ohne Kampf zurückgezogen hatte. Schudscha wurde feierlich als Schah von A. von den Engländern eingesetzt, sodann das von Dost Mahomeds Sohn, Akber, vertheidigte Ghasna erobert, u. am 4. Aug. auch Kabul besetzt. Das Heer Dost Mahomeds zerstreute sich, er selbst gab sich den Engländern gefangen. Schah Kamran, der im J. 1838 mit Hülfe britischer Offiziere, namentlich des Lieutenant Pottinger, Herat befestigt und gegen eine Belagerung von Seiten der Perser glücklich vertheidigt harte, erhob nun Ansprüche auf die Beherrschung ganz A-s; die Briten mutheten ihm dagegen zu, eine englische Besatzung in Herat aufzunehmen; sein schon damals allmächtiger Wesir (Premierminister) Yar Mahmud veranlaßte ihn aber, sich mit Herat unter persischen Schutz zu begeben und von englischem Einflusse zu befreien. Indessen schienen Kabul u. Kandahar der englischen Herrschaft anheim gefallen, als unerwartet am 2. Nov. 1841 in Folge einer weit verzweigten, von Akber geleiteten Verschwörung ein allgemeiner Aufstand losbrach. Der britische Commissär Al. Burnes, der britische Gesandte am Hofe Schudschas zu Kabul u. viele britische Offiziere wurden ermordet.[159] Das britische Heer, wegen des Winters ohne Hoffnung der Hülfe aus Indien, mit dem übrigen engl. Gefolge gegen 16,000 Seelen, unterhandelte wegen freien Abzuges, der den Engländern von Akber mit der Zusage sicheren Geleites u. der Lieferung der nöthigen Reisemittel gewährt wurde. Der Rückzug begann von Kabul aus am 6. Jan. 1842, um durch die Keiberpässe nach Indien zu entrinnen; ohne Geleit u. ohne Lebensmittel wurden aber die Unglücklichen auf dem Zuge von verschiedenen afghanischen Stämmen überfallen u. gegen 16,000 Menschen, Soldaten, Unbewaffnete, Frauen u. Kinder, erlagen der Kälte, dem Hunger od. dem Schwerte. Einige englische Offiziere u. Frauen ergaben sich freiwillig an Akber u. retteten so ihr Leben. Kandahar war in den Händen der Briten geblieben. Nach einigen kleineren Gefechten zwischen Briten u. Afghanen zog General Nott von Kandahar nach Ghasna, nahm es am 6. Sept. 1842 u. ließ es verwüsten. Zugleich kam General Pollock durch die Keiberpässe herauf u. vereinigte sich mit Nott in Kabul, nachdem er Akber am 13. Sept. bei Teschin geschlagen hatte. General England war durch den Bolanpaß vorgedrungen u. hatte am 19. Sept. Dabur besetzt. Nach diesen angeblichen Siegen (denn es giebt nur englische Berichte) ordnete der neue Generalgouverneur Lord Ellenborough die Räumung A-s von Seiten der engl. Truppen an, vorher aber die Verbrennung mehrerer afghanischen Städte. In der That wurden Istalif u. Kabul von den Engländern verwüstet, sodann am 12. Oct. 1842 der Rückzug angetreten u. unterwegs unter fortwährenden Kämpfen Alles zerstört. Auch Dschellalabad, was sie am 24. Oct. erreichten, hatte das gleiche Schicksal. Nachdem die Engländer nach einem letzten Gefechte in den Keiberpässen am 3. Nov. den Indus überschritten u. in der Mitte Januars 1843 Firoßpur erreicht hatten, entließ der Generalgouverneur sämmtliche afghanische Gefangenen, auch Dost Mahomed, in ihre Heimath. Eine glücklichere Wendung schienen die Angelegenheiten für A. dadurch zu nehmen, daß nach dem Tode Rundschit Singhs (27. Juni 1839) im Reiche' der Sikhs der Plan entworfen wurde, mit vereinigter Kraft mehrerer asiatischer Fürsten die englische Herrschaft zu stürzen. Der Kampf zwischen Engländern u. Sikhs begann im Dec. 1845, aber erst zu Anfange des Jahres 1849, nachdem die Sikhs bereits bedeutend geschwächt waren, zogen ihnen 12,000 Afghanen durch die Khoschudpässe nach Schikarpur, u. ein anderer afghanischer Heerhaufen unter Dost Mahomed durch die Keiberpässe nach Peschawer zu Hülfe u. vereinigten sich mit ihnen am 20. Febr. bei Guzerat, einem Städtchen auf der Straße nach Lahore. Hier siegte Lord Gough mit 25,000 M. u. 100 Kanonen über das verbündete Heer von 60,000 M. Die Sikhs zerstreuten sich u. Dost Mahomed zog sich mit großem Verluste nach A. zurück, ohne von den Engländern dorthin verfolgt zu werden. Mit dem Reiche der Sikhs wurden diejenigen Theile A-s, welche Rundschit Singh früher erobert gehabt hatte, den britischen Besitzungen einverleibt. Außerdem nahmen die Briten aber auch noch das Thal Dhomer, welches zum Gebiete Dost Mahomeds gehörte, in Besitz, um eine feste Stellung in der nächsten Nähe Kabuls zu haben. Auf der einen Seite von den Engländern, auf der andern von den schiitischen Persern bedroht, mußte Dost Mahomed die Nothwendigkeit erkennen, seine Stellung durch Bündnisse zu stärken. Am 31. Aug. 1851 starb Yar Mahmud, der sich der Regierung in Herat nach dem Tode seines Herrn, Kamran Schah, bemächtigt (1843) u. sich in persischen Schutz begeben hatte. Ihm folgte sein Sohn. Syed Mahmud, dem jedoch die Nachbarn den Besitz streitig machten, bes. Dost Mahomed, weil es längere Zeit zu A. gehört habe (s. u. Herat). Dost Mahomed strebte aber nicht allein seine Macht gegen das, unter russischem Einflusse stehende Persien auszubreiten, sondern suchte auch A. nach Norden auf Kosten des Khans von Bochara zu vergrößern, wo er unmittelbar mit der russischen Politik in Reibung gerieth. Dabei vereinigten sich seine u. der Engländer Interessen, indem diese ein kräftiges Reich Dost Mahomeds sehr wohl als Schutzmauer gegen Rußland in Herat u. der Bucharei brauchen konnten, während dieser hoffen mochte, englisches Geld zu seinen kriegerischen Unternehmungen zu bekommen. Bei dem Ausbruche des Krieges zwischen England u. Rußland schien Dost Mahomed zwar eine Zeitlang zu schwanken, da ihm bei einem Bündnisse mit Rußland, wenn dieses siegte, Erwerbungen im Osten in Aussicht gestellt wurden als aber diese Hoffnungen schwanden, entschied die Feindschaft gegen Persien, u. es fand eine entschiedene Annäherung zwischen Dost Mahomed u. den Engländern statt. Sein Sohn Heider Khan (Akber war gestorben) kam als Gesandter seines Vaters im März 1855 nach Peschawer, wo er mit einem englischen Gesandten zusammentraf u. ein Freundschaftsvertrag, zugleich ein Schutz- u. Trutzbündniß zwischen Dost Mahomed u. der indischen Regierung abgeschlossen wurde (30. März 1855) Während sich Perser u. Afghanen wegen Herats feindlich gegenüberstanden, wurde Syed Mahmud (Dec. 1855) in Herat (s.d.) ermordet u. die Herater unterwarfen sich einem Neffen Schah Kamraus, Mahomed Yussuff, der an der Spitze von persischen Truppen Herat besetzte u. unter persischem Schutze die Regierung übernahm. Kaum war er aber in Besitz der Gewalt, als er sich von Persien mit Hülfe Dost Mahomeds, der von England angereizt Persien den Krieg erklärte, zu befreien suchte. Der Schah von Persien ließ in Folge dessen ein Heer, unter Murad Mirza, gegen Herat ziehn, welches die Stadt nach einer hartnäckigen, von Truppen Dost Mahomeds unterstützten Vertheidigung im Oct. 1856 einnahm. Mahomed Yussuff war während der Belagerung entflohn. Heider Khan, Dost Mahomeds Sohn, zog sich an der Spitze der Afghanen zurück, während die siegreichen Perser die Stadt Ferrah, i. J. 1838 noch durch britische Offiziere neu befestigt, u. mehrere andere Punkte A-s besetzten. Über die ältere Geschichte vgl. Alex. Dow, The history of Hindostan (nach Kasim Ferischia), deutsch, Lpz. 1772; über die neuere Geschichte Plath, Asien, Lpz. 1856 ff.

Quelle: Pierer's Universal-Lexikon, Band 1. Altenburg 1857, S. 156-160. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20009311416


Brockhaus 1911

[19] Afghānistan, der große nordöstl. Teil des iran. Hochlandes in Asien [Karte: Asien I], 558.000 qkm, ein hohes Bergland (Hindukusch) im N. und NO., mit den prachtvollsten Alpenlandschaften, die ihre Gewässer durch den Kabulfluß östl. dem Indus zusenden, während sich die weiter westl. und südl. liegenden Hochländer allmählich nach SW. neigen, wo sie in die Sandwüste von Seïstan übergehen. Jenseit der pers. Grenze nimmt der Hamunsumpf das Stromsystem des größten Flusses von A., des Hilmend, auf. Die Zahl der Bewohner, darunter etwa die Hälfte eigentliche Afghanen (Puschtun, Sprache Pachtu), iran. Volks- und Sprachstammes, beträgt etwa 5 Mill. Haupthandels- und Verkehrsplätze: Kabul, Kandahar, Herat. Die Regierung ist unumschränkt monarchisch (Emirat, d.i. Fürstentum); Landesreligion der sunnit. Islam.

Die Afghanen, die Paktyer des Herodot, drangen seit dem 9. Jahrh. in das Land ein, erlangten erst im 18. Jahrh. histor. Bedeutung, als Ahmad-Schah Abdali (1747-73), der sich den Namen Durr-i-Durrân (danach die Afghanen Durrani genannt) beilegte, ein mächtiges Reich gründete, das 1823 mit dem Sturz Mahmuds (gest. 1829) in mehrere Teile zerfiel. In Kabul herrschte Dost Mohammed, bis Schah Sudscha, der Bruder Mahmuds, welcher sich in Herat behauptet hatte, durch die Briten 1839 auf den Thron von Kabul und Kandahar zurückgeführt ward. Nachdem im Winter 1841-42 die Briten genötigt waren, unter furchtbaren Verlusten das Land zu verlassen, nahm Dost Mohammed seinen Thron in Kabul wieder ein, eroberte (1850-61) auch die übrigen Provinzen, schloß ein Schutz- und Trutzbündnis mit der indobrit. Regierung (30. März 1855) und gewann 26. Mai 1863 auch Herat, das seit 1856 in der Gewalt der Perser war, wieder. Nach seinem Tod (29. Mai 1863) konnte sein Sohn Scher Ali erst nach blutigen Fehden mit seinen Brüdern den Thron behaupten. 1878 wurde Scher Ali (gest. 1879) wegen seiner Freundschaft mit Rußland von den Engländern vertrieben und, als unter seinem Sohn und Nachfolger Jakub Chan die brit. Gesandtschaft in Kabul ermordet worden, 1880 Abd ur-Rahman, Dost Mohammeds Enkel, als Herrscher eingesetzt, Jakub in Indien interniert. Abd ur-Rahman starb 1. Okt. 1901; ihm folgte sein Sohn Habib Ullah. – Vgl. Roskoschny (1885), Younghusband (»The heart of a Continent«, 1896), Holdich (»The Indian borderland, 1880-1900«, 1901).

Quelle: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911., S. 19. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20000887153