2. Worzue die Poeterey/ vnd wann sie erfunden worden

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Das II. Capitel. Worzue die Poeterey/ vnd wann sie erfunden worden.

DJe Poeterey ist anfanges nichts anders gewesen als eine verborgene Theologie/ vnd vnterricht von Göttlichen sachen. Dann weil die erste vnd rawe Welt gröber vnd vngeschlachter war/ als das sie hette die lehren von weißheit vnd himmlischen dingen recht fassen vnd verstehen können/ so haben weise Männer/ was sie zue erbawung der Gottesfurcht/ gutter sitten vnd wandels erfunden/ in reime vnd fabein/ welche sonderlich der gemeine pöfel zue hören geneiget ist/ verstecken vnd verbergen mussen. Denn das man jederzeit bey allen Volckern vor gewiß geglaubet habe/ es sey ein einiger vnd ewiger GOtt/ von dem alle dinge erschaffen worden vnd erhalten werden/ haben andere/ die ich hier nicht mag außschreiben/ genungsam erwiesen. Weil aber GOtt ein vnbegreiffliches wesen vnnd vber menschtiche vernunfft ist/ haben sie vorgegeben/ die schönen Cörper vber vns/ Sonne/ Monde vnd Sternen/ item allerley gutte Geister des Himmels wehren Gottes Söhne vnnd Mitgesellen/ welche wir Menschen vieler grossen wolthaten halber billich ehren solten. Solches inhalts werden vieleichte die Bücher des Zoroasters/ den Man für einen der eltesten Lehrer der göttlichen vnd menschlichen wissenschafft helt/ gewesen sein/ welcher/ wie Hermippus bey dem Plinius im ersten Capitel des 30. Buches bezeuget/ zwantzig mal hundert tausendt Verß von der Philosophie hinterlassen hat. Jtem was Linus/ wie Diogenes Laertius erwehnet/ von erschaffung der Welt/ dem lauffe der Sonnen vnd des Monden/ vnd von erzeugung der Früchte vorgegeben hat. Dessen werckes anfang soll gewesen sein:

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Es war die zeit da erstlich in gemein
Hier alle ding, erschaffen worden sein.

Neben diesem haben Eumolpus/ Museus/ Orpheus/ Homerus/ Hesiodus vnnd andere/ als die ersten Väter der Weißheit/ wie sie Plato nennet/ vnd aller gutten ordnung/ die bäwrischen vnd fast viehischen Menschen zue einem höfflichern vnd bessern leben angewiesen. Dann inn dem sie so viel herrliche Sprüche erzehleten/ vnd die worte in gewisse reimen vnd maß verbunden/ so das sie weder zue weit außschritten/ noch zue wenig in sich hatten/ sondern wie eine gleiche Wage im reden hielten/ vnd viel sachen vorbrachten/ welche einen schein sonderlicher propheceiungen vnd geheimnisse von sich gaben/ vermeineten die einfältigen leute/ es müste etwas göttliches in jhnen stecken/ vnd liessen sich durch die anmutigkeit der schönen getichte zue aller tugend vnnd guttem wandel anführen. Hat also Strabo vrsache/ den Eratosthenes lügen zue heissen/ welcher/ wie viel vnwissende leute heutiges tagen auch thun/ gemeinet/ es begehre kein Poete durch vnterrichtung/ sondern alle bloß durch ergetzung sich angeneine zue machen Hergegen/ spricht er Strabo im ersten Buche/ haben die alten gesagt/ die Poeterey sey die erste Philosophie/ eine erzieherinn des lebens von jugend auff/ welche die art der sitten/ der bewegungen des gemütes vnd alles thuns vnd lassens lehre. Ja die vnsrigen (er verstehet die Stoischen) haben darvor gehalten/ das ein weiser alleine ein Poete sey. Vnd dieser vrsachen wegen werden in den Griechischen städten die Knaben zueföderst in der Poesie vnterwiesen: nicht nur vmb der blossen erlüstigung willen/ sondern damit sie die sittsamkeit erlernen. Jngleichem stimmet auch Strabo mit dem Lactantius vnd andern in diesem ein/ es seyen die Poeten viel älter als die Philosophen/ vnd für weise leute gehalten worden/ ehe man von dem namen der Weißheit gewust hat: vnnd hetten nachmals Cadinus/ Pherecydes/ vnd Hecateus der Poeten lehre zwar sonsten behalten/ aber die abmessung der wörter vnd Verse auffgelöset: biß die folgenden nach vnd nach etwas darvon enzogen/ vnd die rednerische weise/ gleichsam als von einem hohen Stande/ in die gemeine art vnd forme herab geführet haben. Solches können wir auch aus dem abnehmen/ das je älter ein Scribent ist/ je näher er den Poeten zue kommen scheinet. Wie denn Casaubonus saget/ das so offte er des Herodotus seine Historien lese/ es jhn bedüncke/ als wehre es Homerus selber.

Martin Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey. Jn welchem alle jhre eigenschafft vnd zuegehör gründtlich erzehlet/ vnd mit exempeln außgeführet wird. Breslau; Brieg: Müller; Gründer, 1624. 1. Auflage https://www.deutschestextarchiv.de/book/show/opitz_buch_1624