Zinzendorf, Nikolaus Ludwig von

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Brockhaus 1809

[477] Nicolaus Ludwig Graf von Zinzendorf, geb. d. 26. Mai 1700 zu Dresden, verlor schon 6 Wochen nach seiner Geburt seinen Vater, der Chursächsischer [477] geheimer Rath und Kammerherr, und ein Mann von großen Verdiensten war. Von seiner mütterlichen Großmutter, der geh. Räthin Gersdorf in Großhennersdorf, bis ins 10te Jahr erzogen, kam er nach Halle ins Pädagogium, bezog dann die Universität Halle (wo er schon als Beförderer religiöser Gesellschaften mehrere dergleichen stiftete, unter andern auch den Senfkernorden etc.), und 1716 auch Wittenberg. Hier gab er sich schon mehr mit geistlichen Wissenschaften ab, und, wenn gleich für die Rechtsgelehrsamkeit bestimmt, widmete er sich doch mehr dem geistlichen Studium. Im Jahr 1719 ging er auf Reisen; und bei seiner Zurückkunft mußte er, auf beständiges Antreiben seiner Großmutter, eine weltliche Bedienung als Hof- und Justiz-Rath zu Dresden (1721) annehmen. Allein er war immerfort den geistlichen Uebungen, dem Predigen etc. ergeben. Endlich, der weltlichen Geschäfte überdrüßig, nahm er Urlaub, und ging auf sein Gut Berthelsdorf in der Oberlausitz, wo er sich nun vorsetzte, die alte Böhmische Kirchenordnung und evangelische Lehre zu erneuern. Er machte sich, nachdem er seine völlige Dimission am Dresdner Hofe genommen hatte, 1732 näher mit den Mährischen Brüdern bekannt, und trat zur Mährischen Brüdergemeinde, nachdem er vorher bei der Tübingischen Facultät erst darüber ein Responsum eingehohlt hatte. Jetzt hatte er nun mit nichts als mit seiner Herrnhutischen Anstalt zu thun; überall suchte er diese in der ganzen Welt auszubreiten. Ja, er ging, da ein Kaufmann aus Stralsund einen Informator verlangte, und der Graf keinen fand, selbst als solcher unter dem Namen von Freydeck dahin, predigte auch hier als Candidat, und ging dann 1734 nach Tübingen, wo er ebenfalls predigt, und sich gewöhnlich von seinem Heiducken in und aus der Kirche begleiten ließ. Allerdings machten alle diese und noch weit mehrere Sonderbarkeiten großes Aufsehen: vom Dresdner Hofe bekam er (1736) das Consilium abeundi aus allen Chursächsischen Landen. Er ging nun nach Berlin, um sich ordiniren zu lassen, unterwarf sich auch dem deßhalb erforderlichen Examen, und ließ sich endlich (1737) zum Bischof der Böhmisch-Mährischen Brüder ordiniren; als solcher reiste er nun allenthalben [478] herum, und suchte seine Gemeinde immer mehr zu verstärken. Auch die Gräfin, seine Gemahlin, nahm an diesen Bemühungen Antheil, und fing selbst (1737) in Frankfurt a. M. an, Versammlungen zu halten, denen aber vom dortigen Ministerium gesteuert wurde. Der Graf selbst reiste nun auch nach Amerika, auf welcher Reise er zugleich das neue Testament übersetzte. 1740 schrieb er sogar nach Gotha eine allgemeine Versammlung der Brüder und Schwestern aus; allein der Herzog störte sie aus einander. Eine zweite Reise unternahm der Graf nach Amerika, und zwar nach Pensylvanien, nahm auch seine Tochter mit, welche ihn zugleich in seinen Geschäften mit unterstützen mußte. 1743 ging er nach Rußland, wohin schon seine Gemahlin vorausgegangen war, und auf einem angekauften Gute ein Bethaus erbaut hatte, welches ihr aber verschlossen, und alle Zusammenkünfte verboten worden waren. Der Graf selbst wurde arretirt und über die Grenze zurückgebracht. Dennoch fuhr er ununterbrochen in seinen Bemühungen fort, ging auch nach der Schweiz, und von da nach Tübingen etc. und starb erst 1760 am 9. Mai zu Herrnhut. Die Lehrsätze dieses höchst sonderbaren Mannes haben viel Streitigkeiten erregt. Man findet in dem Art. Herrnhut (Th. II. S. 195.) das nähere dieser von ihm gestifteten Gemeinde, wohin wir unsere Leser verweisen.

Quelle: Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 6. Amsterdam 1809, S. 477-479. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20000781533


Brockhaus 1841

Zinzendorf

[807] Zinzendorf (Nikolaus Ludw., Graf von), der Stifter der evangelischen Brüdergemeine (s.d.), wurde 1700 zu Dresden geboren und war der Sohn des 1718 gestorbenen kursächs. Conferenzministers Otto Christian, Graf von Z., welcher sich wegen seines Übertrittes zur evangelischen Lehre aus dem Östreichischen nach Sachsen gewendet und daselbst angekauft hatte. Z. wurde bei seiner frommen und gelehrten Großmutter, einer Frau von Gersdorf, in der Lausitz erzogen, welche in lat. Briefwechsel mit dem gelehrten Schurzfleisch in Leipzig stand und eine Sammlung geistlicher Lieder und poetischer Betrachtungen herausgegeben hat. Die in ihrem Hause täglich gehaltenen Andachtsübungen und der Einfluß des häufig dort einsprechenden berühmten Spener (s.d.), von welchem Z. eingesegnet wurde, gab in früher Jugend dem begabten Knaben die schwärmerisch religiöse Richtung, welche durch sein Verweilen im Pädagogium zu Halle (seit 1711) durch Francke (s.d.) noch mehr ausgebildet wurde, dessen besonderer Leitung er anvertraut war. Hier schon veranstaltete er mit einigen Schulgenossen erbauliche Zusammenkünfte und stiftete einen mystischen Orden vom Senfkorn, blieb auch diesen Meinungen treu, als sein Vormund ihn 1216 absichtlich auf die Universität Wittenberg schickte, um dort, wo die Theologen entschiedene Gegner des Pietismus waren, die Rechte zu studiren. Z. trieb jedoch für sich allein weit eifriger theologische Studien, seine damalige Sinnesart aber bezeugt, daß er sich 1717 während der Feier des wittenberger Reformationsjubiläums einschloß und mit Fasten und Thränen den vermeintlichen Verfall der Kirche betrauerte. Eine 1719 begonnene Reise durch Holland und Frankreich benutzte er hauptsächlich zur Anknüpfung von Verbindungen mit ausgezeichneten Theologen, wurde dann 1721 bei der Landesregierung in Dresden angestellt, hielt sich aber von den Geschäften sehr entfernt und gab 1727 dies Verhältniß ganz auf. Wie bisher religiöse Bestrebungen und Andachtsübungen ihn hauptsächlich in Anspruch genommen hatten, so ging er nun auf Verwirklichung seines Lieblingsentwurfs, zur Gründung einer Religionsgesellschaft aus, in welcher alle christliche Bekenntnisse geduldet sein sollten. Bei seiner Geringschätzung der eigentlichen theologischen Gelehrsamkeit und da er sich in den seine Meinungen veröffentlichenden Schriften häufig in Widersprüche verwickelte, traten zahlreiche Gegner wider ihn auf, was ihn aber so wenig wie andere Hindernisse abhielt, sein Ziel zu verfolgen. Schon 1722 hatte er auf seinem Gute Bertelsdorf in der Oberlausitz mehre der Religion wegen ausgewanderte mährische Brüder aufgenommen, zu denen sich immer mehr Gleichgesinnte fanden und für die Z. am Hutberge den Grund zu dem Städtchen und der Gemeinde Herrnhut legte. (S. Brüdergemeine.) Von 1727 an schickte er Glaubensboten in andere Christengemeinden und von 1731 an auch unter die Heiden; er selbst aber ließ sich 1734 in Stralsund als Candidat der Theologie unter dem Namen Freydeck examiniren und hielt dort in der Stadtkirche seine erste Predigt. Im J. 1737 wurde er in Berlin zum Bischofe der mährischen Kirche geweiht, von 1738–47 aber aus Sachsen verwiesen, weil er mit seinen Neuerungen zur Verachtung des öffentlichen Gottesdienstes und der Obrigkeit wirke. Z. machte während dieser Zeit Reisen durch Europa, nach Westindien und Nordamerika, wo er selbst unter den Indianern seiner Gemeinde Anhänger zu gewinnen suchte, schrieb außerdem in diesen Jahren eine Menge Schriften zur Erbauung und Belehrung, sowie über Gründung, Einrichtung und zur Vertheidigung seiner Gemeinde, hielt öffentliche Vorträge und führte einen großen Briefwechsel. Nachdem er 1747 Erlaubniß zur Rückkehr nach Sachsen und die Anerkennung seiner Gemeinde als augsburgische Confessionsverwandte (1748) erhalten hatte, wählte er Barby zum Hauptsitze derselben, wohin er das Seminar für die theologischen Lehrer verlegte und daselbst auch ein akademisches Collegium stiftete. Der Befestigung und Erweiterung der Brüdergemeine war nach wie vor sein ganzes Streben gewidmet, bis er im Mai 1760 zu Herrnhut starb, wo er auf dem Begräbnißplatze bestattet und von mehren tausend Menschen zur Gruft begleitet wurde. Z. war zwei Mal, zuerst mit einer Gräfin Reuß-Ebersdorf, dann mit Anna Nitschmann verheirathet, die 1725 mit ihren Ältern aus Mähren kam und längere Zeit Älteste der ledigen Schwestern zu Herrnhut war. Die Zahl seiner Schriften übersteigt hundert; sie enthalten bei vielem Trefflichen aber noch mehr Unklares und Verkehrtes, sowie durch die Darstellung Anstößiges, indem ihn bei schwärmerischer Anschauungsweise, Mangel an Geschmack und das Trachten nach Eigenthümlichkeit zu den das Gefühl beleidigendsten Einkleidungen christlicher Lehren in süßliche und tändelnde, sinnliche Bilder verleitete. Gern hätte er in spätern Jahren bei besserer Einsicht diese Verirrungen ungeschehen gemacht und suchte vielseitig den davon zu besorgenden Nachtheilen entgegenzuwirken. Herder hat Z. in Bezug auf die Verbreitung seiner Gemeinde nach allen Erdtheilen und beinahe allen europ. Ländern den größten Eroberer seines Jahrh. genannt. Seine Lebensbeschreibung hat am umfänglichsten sein Nachfolger, der gelehrte Bischof Spangenberg (»Leben des Grafen N. L. v. Z.«, 8 Bde., Barby 1772–75), sodann außer Andern Herder in der »Adrastea« und Varnhagen von Ense in seinen »Biographischen Denkmälern« (Bd. 5, Berl. 1830) geschrieben.

Quelle: Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 807. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20000878510


Herder 1854

[785] Zinzendorf, Nikolaus Ludwig, Graf von, Stifter der Herrenhuter, in welchen die böhm. und mähr. Brüder fortleben, geb. 1700 zu Dresden, Sohn des kursächs. Conferenzministers Georg v. Z., wurde von Spener aus der Taufe gehoben, setzte sich bereits als Kind in ein ganz vertrauliches Verhältniß zum Heilande, und fand daheim wie zu Halle durch Francke u.a. Nahrung und Befestigung in seiner schwärmerisch frommen Richtung. Er trug große Luft zum Studium der Theologie, doch der prot. Adel drängte sich damals so wenig als heute zu theologischen Würden u. Aemtern, Z. wurde von seinem Vormunde nach Wittenberg geschickt, um die Rechtswissenschaften und ein cavaliermäßiges Leben zu erlernen. Reisen nach Holland und Frankreich brachten ihn mit den Jansenisten wie mit kathol. Theologen, z.B. dem Cardinal Noailles, in genaue Verbindung; 1721 mußte er Regierungsrath werden, allein als 1722 mährische Brüder auf sein Gut Bertholsdorf eingewandert waren u. immer mehre nachkamen, gab er seine Stelle bald auf und widmete sich ganz der Organisirung und dem Wachsthum der Gemeinde Herrnhut. Der Kaiser wie prot. Geistliche traten als Zu Gegner auf, er wurde 1733 – später wiederum 1738 – aus Sachsen fortgewiesen. In Stralsund bildete er sich zum Prediger, die Tübinger theologische Facultät nahm ihn förmlich [785] in den geistlichen Stand auf (1734); er predigte mit Feuereifer, stiftete im deutschen Reich wie in den Nachbarländern unter großen Mühen und Opfern (Herrenhaag in Holland) Kolonien, ebenso Missionsstationen in fremden Erdtheilen (1731 auf St. Thomas in Westindien), 1733 in Grönland, 1735 in Georgien, 1737 auf der Küste von Guinea, am Cap, auf Ceylon, 1739 in Pennsylvanien). Durch Jablonski in Berlin hatte sich Z. 1737 zum Bischof ordiniren lassen; ohne Rast und Ruhe zog er in Begleitung von 30–40 Mitgliedern seiner Secte, die gleichsam eine Mustergemeinde vorstellen sollten, als Prediger und Missionär in allen Ländern umher (namentlich auch in Amerika), verfaßte viele religiöse Lieder und ascetische Schriften, durfte 1747 nach Sachsen zurück, erlebte 1749 die Freude der Anerkennung seiner Gemeinde und st. 1760 zu Herrnhut. Spangenberg wurde sein Nachfolger als Bischof. Z.s Blut- und Kreuztheologie ist einer der zahllosen Beweise, wohin sich ein religiöses Gemüth ohne kirchliche Autorität verirrt, aber sein Charakter und Streben verdienen alle Anerkennung. Die Zahl seiner Schriften beträgt nicht weniger als 108, von denen in jüngster Zeit manche ausgezogen u. neu gedruckt wurden. Schriften über Z. von Varnhagen von Ense (Berl. 1830), Brauns (Bielef. 1850) u.a.m.

Quelle: Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1857, Band 5, S. 785-786. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20003573524


Pierer 1865

[650] Zinzendorf u. Pottendorf, reichsgräfliches, aus Unterösterreich, wo das Stammschloß Z. liegt, stammendes Geschlecht. Die Herren von Z. besaßen dieses Schloß schon zu Zeiten des Kaisers Rudolf I. u. 1044 soll Ehrenhold von Z. als österreichischer Abgeordneter in Regensburg bei Kaiser Heinrich III. gewesen sein. Im 16. Jahrh. theilte sich die Familie in drei Linien, von denen die jüngste aber bald wieder erlosch, die mittlere in Österreich blieb u. die älteste sich theilweise nach Sachsen verpflanzte. Die älteste Linie wurde gestiftet vom Freiherrn Alexander von Z. (geb. 1541), trat früh zum Protestantismus über u. wurde 1662 in den Reichsgrafenstand erhoben. Aus ihr stammte:

4) Nikolas Ludwig, Graf u. Herr von Z. u. P., Sohn des Vor., geb. 26. Mai 1700 in Dresden; neigte sich schon als Kind u. Knabe, bes. in Halle, wo er auf dem Pädagogium erzogen wurde, mit Francke bekannt geworden, dem Pietismus so zu, daß er mit seinen Schulfreunden religiöse Conventikel hielt u. den Orden vom Senfkorn stiftete. Seit 1716 studirte er in Wittenberg Jurisprudenz u. beschäftigte sich auch viel mit Theologie. 1719 u. 20 hielt er sich in Holland u. Frankreich, namentlich in Utrecht u. Paris auf, zurückgekehrt lebte er erst in Castell in Franken bei seiner Tante, dann in Hennersdorf bei seiner Großmutter; er wurde 1721 Hof- u. Justizrath in Dresden, wo er einen Kreis frommer Leute um sich versammelte u. in Spenerscher Weise mit ihnen Bet- u. Erbauungsstunden hielt, u. kaufte Berthelsdorf. Hier führte er seit 1723 seinen Plan aus eine Religionsgesellschaft zu gründen, für welche die Predigt Jesu des Gekreuzigten als die einfache Hauptsache des Christenthums die Hauptabsicht sein u. in welcher sich Glieder aller evangelischen Confessionen vereinigen sollten, u. stiftete 1725 eine, dem Halleschen Pädagogium ähnliche Schule für Adlige. Zur Bildung seiner Gemeinde nahm er mehre ausgewanderte Mährische Brüder in Berthelsdorf auf, u. da sie hier bald nicht Platz genug hatte, so legte er den Grund zu dem Städtchen Herrnhut (s.d.). So wurde er der Gründer der Brüdergemeinde od. der Herrnhuter, welche er mit dem gleichgesinnten Baron Friedrich von Wattewille, dem Prediger Rothe u. Mag. Schäfer beaufsichtigte u. leitete. Da ihm Anfangs 1727 die fernere Haltung seiner Hausversammlungen untersagt wurde, so trat er aus dem sächsischen Staatsdienst u. lebte nun immer in Herrnhut, wo er die Gemeinde organisirte. Seinen Plan eine neue Gemeinde zu gründen hatte er öffentlich bekannt gemacht, aber obgleich die Tübinger Theologen seine Absicht unter der Bedingung, daß die neue Gemeinde die Augsburgische Confession annähme, gebilligt hatten, so fand er doch von anderen Seiten viel Hindernisse. Im April 1734 ging Z. unter dem Namen Freydeck nach Stralsund u. ließ sich dort als Candidat der Theologie examiniren, worauf er eifrigst an dem Baue u. der Erweiterung seiner Gemeinde durch Druckschriften, Reisen u. Missionen arbeitete. Darauf trat er in Tübingen in den geistlichen Stand. Als er 1736 den sächsischen orthodoxen Theologen unbequem geworden, wegen seiner religiösen Neuerungen u. Conventikel die Weisung erhalten hatte das Land zu verlassen, gründete er die Brüdergemeinde in der Wetterau, indem er seinen Sitz auf dem gräflich Isenburgischen Schlosse Ronneburg nahm, u. reiste darnach nach Livland. Im Mai 1737 ließ er sich in Berlin zum Bischof der Mährischen Brüdergemeinden ordiniren u. stand als solcher an der Spitze der Gemeinden in Deutschland. 1738 ging er nach St. Thomas u. Ste. Croix, wo er die, durch seine Missionäre angelegten Gemeinden visitirte u. vollends organisirte Nach seiner Rückkehr, 1739, hielt er in diesem u. dem folgenden Jahre die Synoden zu Ebersdorf, Gotha u. Marienborn über den Stand u. die Lehre der Gemeinde. 1741 legte er sein Generalvorsteheramt u. Bischofamt nieder u. ging im September d. I. nach Nordamerika, um dort eine Gemeinde Gottes im Geiste, d.h. eine Gemeinde, deren Glieder nur im Glauben u. in der Liebe zum gekreuzigten Heilande einig sei, übrigens in ihren verschiednen Kirchengemeinschaften verbleiben können, zu gründen. Hier führte er den Namen Bruder Ludwig u. wurde zeitweilig zum Pastor der deutschen Lutheraner in Philadelphia gewählt. Zugleich machte er auch mehre Reisen zu Bekehrung der Indianer. 1743 kehrte er nach Deutschland zurück, um manchen ihm mißliebigen Schritten entgegenzutreten, welche die Generalconferenz in den äußeren Verhältnissen der Brüdergemeinde gethan hatte, u. ließ sich 1744 zum bevollmächtigten Diener der Gemeinde wählen, unter welchem bescheidenen Namen er die ganze Gewalt der Gemeinde erhielt. 1747 erhielt er Erlaubniß wieder nach Sachsen zu kommen u. Anerkennung seiner Gemeinde, für welche er Barby zum Hauptsitz wählte; er verlegte 1748 hierher das Seminar für Lehrerbildung u. stiftete daselbst auch 1754 ein akademisches Collegium. Er selbst lebte meist in Herrnhut, machte von hier aus mehre Reisen, bes. Visitationsreisen in die verschiedenen Gemeinden, u. st. hier 9. Mai 1760. Nicht lange vorher (1757) hatte er noch die Errichtung eines Directorialcollegiums zur Aufsicht u. Leitung über die Brüderunität zu Stande gebracht. Er war seit 1722 mit Erdmuthe Dorothea, Tochter des Grafen Heinrich XXVIII. von Reuß, vermählt; sie war geb. 1700 in Ebersdorf, stand ihm in seinen Bestrebungen daheim u. auf Reisen treulich bei u. st. 19. Juli 1756 in Herrnhut; sie dichtete mehre geistliche Lieder. In zweiter Ehe vermählte sich der Graf 1757 mit Anna Nitschmann, geb. 1715 zu Kunewalde in Mähren, Chorpflegerin der ledigen Schwestern in Herrnhut, gest. 19. Mai 1760; auch sie dichtete geistliche Lieder. Unter seinen 108 Schriften, welche zur Belehrung u. Erbauung, so wie zur Berichterstattung über Anlage, Einrichtung u. Ausbreitung seiner Gemeinden u. zu Apologie seiner Lehre u. Stiftungen bestimmt waren, sind: Der Dresdner Sokrates (eine Wochenschrift), n.A. als Der deutsche Sokrates, 1732; Bedenken u. bes. Sendschreiben in allerhand praktischen Materien, 1735, 3 Bde.; Gesangbuch der Brüdergemeinde zu Herrnhut, 1736, 6. Ausg. 1741; Versuche einer Übersetzung der historischen Bücher des N. T., Büd. 1739, 2 Bde.; Geheimer Briefwechsel mit den Inspirirten, Frankf. 1741; Büdingische Sammlung einiger in die Kirchenhistorie einschlagenden neuern Schriften, Lpz. 1742, 3 Bde.; Naturelle Reflexionen über allerlei Materien, 1744; Kleine Schriften, 3 Bde.; Reden über die Litanei, 1759; Geistliche Gedichte, gesammelt von Knapp, Stuttg. 1845; ein Verzeichniß der Schriften Z-s erschien Stettin 1824; seine Lebensbeschreibung von Woldershausen, Wittenb. 1749, 2 Bde.; von A. G. Spangenberg, Barby 1772–75, 8 Thle.; von Reichel, Lpz. 1790; von Duvernoy, Barby 1793; von I. G. Müller, Winterth. 1795; von Varnhagen von Ense (in seinen biographischen Denkmalen), Berl. 1830, n.A. 1846; von Verbeek, Gnadau 1845; von Schrautenbach, 1782, herausgeg. von Kölbing, Gnadau 1851; von I. F. Schröder, Nordh. 1857; von Pilgram, Lpz. 1857; von[651] Bovet, Par 1860. 5) Graf Christian Renatus, der einzige, seine fünf Brüder überlebende Sohn des Vor., geb. 19. September 1727 in Herrnhut, wurde 1744 Chorpfleger der ledigen Brüder in Herrenhaag, ging 1750 zu seinem Vater nach England u. st. 28. Mai 1752; seine geistlichen Lieder gab sein Vater heraus im Anhang der übrigen Bruderlieder, Lond. 1755.

Quelle: Pierer's Universal-Lexikon, Band 19. Altenburg 1865, S. 650-652. Permalink: http://www.zeno.org/nid/2001134167X


Meyers 1905

Zinzendorf

[952] Zinzendorf, Nikolaus Ludwig, Graf von, Stifter der evangelischen Brüdergemeine (s. d.), geb. 26. Mai 1700 in Dresden, gest. 9. Mai 1760 in Herrnhut, ein Patenkind Speners, wurde nach dem frühen Tode seines Vaters, der kursächsischer Konferenzminister war, in der Lausitz bei seiner frommen und gelehrten Großmutter erzogen und kam im 10. Jahr in das Waisenhaus zu Halle unter A. H. Franckes besonderer Aussicht. Aber erst in Wittenberg, wo er seit 1716 die Rechte, daneben Theologie studierte, wurde er entschiedener Pietist. Seit 1721 Hofrat bei der Landesregierung in Dresden, erstrebte er religiöse Belebung des Volkes; im Mittelpunkt stand die Lehre vom Gekreuzigten, konfessionelle Unterschiede traten zurück, Kirchenunion wurde erstrebt und vollzogen in der Brüdergemeine, die nach Aufnahme mährischer Emigranten in Herrnhut entstand; daneben war der Missionsgedanke herrschend (Heiden- und Judenmission). Da ihm 1727 das Halten von Hausgottesdiensten untersagt wurde, trat er aus dem Staatsdienst aus und ließ sich 1734 unter angenommenem Namen in Stralsund als Kandidat des Predigtamtes prüfen, dann zu Tübingen in den geistlichen Stand aufnehmen und 1737 in Berlin zum Bischof der Mährischen Brüdergemeinen ordinieren. Von 1736 bis 1747 aus seinem Vaterlande wegen seiner »Neuerungen« verbannt, ging er zunächst in die Wetterau, nahm seinen Sitz in Ronneburg und gründete zwei Gemeinden in Marienborn und Herrnhaag. Später war er auf Reisen in Europa, Westindien und Nordamerika für die »Heilandsreligion« tätig, nächst öffentlichen Vorträgen, die er hielt, fast immer mit Korrespondenzen und Bücherschreiben beschäftigt, bewundernswert in seinem nie ermattenden Liebeseifer. Er verfaßte 108 religiöse Schriften (ein Verzeichnis derselben erschien Stettin 1824), darunter seine »Sammlung geistlicher und lieblicher Lieder« (neueste Ausgabe von H. Bauer und G. Burkhardt, Leipz. 1900) und das Gesangbuch der Gemeinde in Herrnhut von 1735. Vermählt war er seit 1722 mit Erdmute Dorothea, Gräfin Reuß von Ebersdorf, die ebenfalls geistliche Lieder dichtete (mit ihrer Biographie hrsg. von Ledderhose, Gütersl. 1887), und nach ihrem Tode seit 1757 mit Anna Nitschmann, Chorpflegerin der ledigen Schwestern in Herrnhut; auch sie ist als Liederdichterin bekannt. Vgl. A. G. Spangenberg (s. d. 1), Leben des Grafen von Z. (Barby 1772–75, 8 Tle.); Varnhagen von Ense, Biographische Denkmale, Bd. 5: Graf Ludwig von Z. (Berl. 1830); A. Ritschl, Geschichte des Pietismus, Bd. 3 (Bonn 1886); B. Becker, Z im Verhältnis zu Philosophie und Kirchentum seiner Zeit (Leipz. 1886, 2. Ausg. 1900); J. Th. Müller, Z. als Erneuerer der alten Brüderkirche (Gnadenfeld 1900); Th. E. Schmidt, Zinzendorfs soziale Stellung etc. (Basel 1900); H. Römer, N. L. Graf v. Z., Leben und Wirken (Gnadan 1900); Steinecke, Z. und der Katholizismus (Halle 1902); H. M. v. Nes, De Graaf van Z. (Nijkerk 1904).

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 952. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20007725248


Brockhaus 1911

[1028] Zinzendorf (Z. und Pottendorf), Nikolaus Ludwig, Graf von, Stifter der Brüdergemeine (s.d.), geb. 26. Mai 1700 zu Dresden, pietistisch erzogen, bis 1727 sächs. Hofrat, siedelte seit 1722 Böhm. Brüder auf seinen Gütern an und faßte den Plan zur Gründung einer religiösen Gemeinschaft, in der Glieder der verschiedenen evang. Konfessionen durch die innige Liebe zum Heiland vereinigt sein sollten, trat 1734 in den geistl. Stand ein, wurde 1737 zum Bischof der Brüdergemeinden geweiht, wirkte, 1736-48 aus seinem Vaterlande verwiesen, auf weiten Reisen und schriftstellerisch für seine Gründung; gest. 9. Mai 1760 zu Herrnhut. Z. verfaßte geistl. Lieder (gesammelt von Knapp, 1845) und über hundert Erbauungsschriften. – Biogr. von Spangenberg (8 Tle., 1772-75), Varnhagen von Ense (3. Aufl., 1887), Römer (1900); vgl. Plitt, »Z.s Theologie« (3 Bde., 1869-74).

Quelle: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 2. Leipzig 1911., S. 1028. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20001699539