Wortfolge (Klopstock)

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Von der Wortfolge.

Aus „den Fragmenten über Sprache und Dichtkunst." Hamb. b. Herold, 1779.

Fragment.


Die Wortfolge handelt von der Ordnung, in welcher die Wörter, und die trennbaren Sylben bey einander stehn.

Die Wörter haben schon durch die Wortänderung Zusammenhang, aber sie können durch ihre Stellung in noch genaueren Zusammenhang kommen. In den beyden alten Sprachen löst die Wortfolge Manches von dem, was die Änderung verknüpft hatte, gleichsam wieder auf. So sehr kömmt es bey der Stellung auf ihre Beschaffenheit an. Eine gute Stellung, oder eine, die was dem Gedanken nach zusammen gehört, sich folgen läßt, macht nicht etwa bloß, daß man den Perioden deutlicher, als bey einer nicht guten, sondern auch, daß man ihn schneller denkt. Denn man braucht da nicht, wie bey den Alten, die Worte, welche dem Sinne gemäß bey einander stehn sollten, aber hier und da getrennt herumtaumeln, erst mit Zeitverluste zusammen zu suchen. Und wenn man dieß auch mit noch so viel Geschwindigkeit thun kann; so verliert man doch immer Zeit dabey. Das Schneller ist überhaupt von nicht kleinem, und bey der Darstellung ist es von sehr großem Gewicht.

Das Reden, und die Musik lassen uns ihre Gegenstände nach und nach hören; die Malerey hingegen zeigt uns die ihrigen auf Einmal, oder vielmehr beynahe auf Einmal. Dieß verwandelt sich so gar in das Nach und nach, wenn der Maler sehr viele Gestalten, und schlechte Gruppen gemacht hat; allein das soll hier nicht in Betracht kommen, und wir wollen jenes bey der Malerey annehmen.

Es gehört nicht hierher über den Vorzug des Einen oder des Andern etwas zu sagen; aber angemerkt muß werden, daß das Nach und nach in zwey Punkten von dem Beynahe auf Einmal wesentlich verschieden sey. Der erste: Der Redende bringt die Vorstellungen in der Ordnung bey dem Zuhörer hervor, in welcher er die Worte stellt; der Maler hingegen muß seine Gegenstände dem herumschweifenden Auge Preis geben, welches denn an diesem oder jenem so hängen bleibt, daß es darüber, einige Zeit, die andern fast gar nicht sieht. Er heftet es zwar allerdings auf die Gruppen, wenn sie gut sind; allein auch die Gruppen haben Theile, und in Ansehung dieser kann er dem Herumschweifen nicht genung Einhalt thun. Er kann also die Vorstellungen nicht so hervorbringen, wie es zu seinem Zwecke am besten seyn würde. Der zweyte Punkt: Weil der Redende seine Gegenstände, einen nach dem andern, wie aus Dufte, hervortreten läßt; so macht er dadurch die Erwartung derer rege, die noeh nicht da sind. Und wer kennt die Lebhaftigkeit des Erwartens nicht. Seine Wirkung ist bey der Darstellung nicht klein. Man denkt sich das bisher Gesagte in seinem weitesten Umfange, wenn man sich gute Gemälde, und gute Gedichte vorstellt.

Man sieht, wie viel daran liege, welche Wortfolge eine Sprache habe. Jetzo von der deutschen Wortfolge. Ich habe bisher immer, wo ich dazu veranlaßt wurde, angemerkt,* wie der Dichter von dem Prosaisten abgehe. In Ansehung der Wortfolge thut er dieß am oftesten; und er muß es thun, wenn er sich anders, auch in diesem Betrachte, poetisch-richtig ausdrücken will. Das Abweichen ist ihm also nicht etwa bloß erlaubt, sondern es ist Pflicht. Ich nehme die völlig kalte Prosa zum Maßstabe an, naeh welchem ich die auch regelmäßigen Abweichungen des Dichters bestimme. Ich weiß wohl, daß andere Prosa bisweilen auch abgeht: aber das hindert mich gleichwohl nicht, in Prosaisch und Poetisch zu theilen. Denn die Poesie ist zu den erwähnten Abweichungen vornämlich berechtigt; und aus dieser Ursache benenne ich nach ihr. Die kalte Prosa ist deswegen am geschicktesten Maßstab zu seyn, weil sie immer dieselbe bleibt.

Über die poetische Wortfolge ist hauptsächlich zweyerley anzumerken. Fürs erste macht der Inhalt der Worte, durch die Ordnung selbst, in welche sie der Dichter gestellt hat, einen Theil seines Eindrucks. Zweytens wird diese Ordnung auch deswegen, weil sie abweicht, bemerkt. Die Frage der Verwunderung z. E. die wir in Prosa so thun: Du hättest ihn übertreffen? können wir in der Poesie auch so thun: Ihn hättest du übertroffen? und auch so: Üdertroffen hättest du ihn? Vorausgesetzt, daß nicht auch auf du ein Nachdruck kommen solle; so darf man in dem ersten Beyspiele ihn nicht mit Nachdrucke aussprechen; denn man redet da noch kalt; aber in den beyden andern Beyspielen muß man es so aussprechen. Der Römer oder Grieche mag das ihn hinstellen, wohin er will; so weist die Stellung in nichts zurecht, man kann, [je] nachdem man dabey denkt, den Nachdruck darauf legen, oder auch nicht darauf legen. Denn seine Sprache hat keine festgesetzte prosaische Stellung, und also auch keine abweichende, und deswegen bemerkte poetische. Bey ihm wird, wenn er anders stellt, nur der Numerus verschieden; und das wird er, außer dem, was wir durch die Stellung ausdrücken, bey uns auch. Eh ich weiter gehe, und die Ursachen, warum der Dichter die Ordnung der Worte ändert, anführe, will ich eine Stelle aus einem Alten übersetzen, um den Begriff der Wortfolge überhaupt zu erläutern. Ich mache zwey Übersetzungen, die erste mit unserer, und die zweyte mit der lateinischen Wortfolge. Ich beziehe mich hierbey auf das Urtheil der Ungelehrten. Denn die Gelehrten können hier kaum mitsprechen, weil sie zu sehr an die Wortfolge der Alten gewöhnt sind. Horaz sagt (ich übersetze mit Fleiß beynah wörtlich) bey Gelegenheit, daß er den jungen Römer kriegerischer wünscht:

„Ihn von der feindlichen Mauer erblickend seufze das Weib des kriegenden Fürsten, und ihre reife Tochter: Weh uns, wenn nur der in Schlachten unerfahrne königliche Bräutigam den beym Berühren wüthenden Löwen nicht reizt, welchen der blutige Grimm mitten durch das Würgen fortreißt."

Und nun eben die Worte, aber nach Horazens Stellung.

„Ihn von der Mauer feindlichen das Weib des kriegenden Fürsten erblickend, und ihre reife Tochter seufze: Weh uns, wenn nur nicht der unerfahrne in Schlachten Bräutigam reizt königliche den wüthenden beym Berühren Löwen, welchen der blutige mitten durch fortreißt Grimm das Würgen."

Und dieß ist gleichwohl einer von den schönsten poetischen Perioden, die Horaz gemacht hat.

Ich sagte oben, bey Gelegenheit des sehnelleren Denkens, daß man die Worte, wenn sie hier und da getrennt herum taumelten, mit Zeitverluste zusammen suchen müßte. Und mich deucht ja, daß es die angeführte Strophe laut genung bestätigt.

Die Griechen gingen in dieser Verwerfung der Worte nicht so weit, als die Römer. Homer ist unter jenen der enthaltsamste. Der gute Alte, der überhaupt ein trefflicher Witterer war, mocht' auch wohl davon wittern, daß diese Wortordnung Tücken hätte, die der Darstellung zuweilen wohl gar bis ans Leben kämen. Die Wortfolge nachstehender Stelle aus ihm ist beynahe völlig deutsch:

„Er stieg von des Olympus Höhn voll Zorn die Seele, den Bogen an der Schulter habend, den ringsverwahrten, und Köcher. Es erklang das Geschoß an der Schulter des Zürnenden, des Einherstürmenden. Er ging der Nacht gleich. Er setzte sich hierauf fern von den Schiffen; und hin die Pfeile sandt' er. Und ein furchtbarer Klang entstand des silbernen Bogens."

Ich glaube gefunden zu haben, wie die verworfne Wortfolge der Alten entstanden sey. Sie hatten eine Menge Wörter mit lauter Längen, oder lauter Kürzen; und diese Wörter waren noch dazu nicht selten vielsylbig. Oft brachte die natürliche Wortordnung ihrer mehr von Einer Art zusammen, Dieß bald sehr langsame, und bald sehr schnelle Sprechen war denn nun nieht auszuhalten. Und so trennte man, was, der Gedankenfolge nach, zusammen gehörte. Es war ein kühner Schritt, aber immer einer der Noth; und die hat kein Gesetz. Allein man hätte nicht gesetzloser seyn sollen, als es die Noth erforderte. Dieß war man gleichwohl, und oft in hohem Grade. Denn die Trennungen wurden nicht etwa nur gemacht, das erwahnte üble Sprechen zu vermeiden, sondern auch, um einen schönen Numerus zu haben. Ich kenne die Wirkungen des Numerus; aber ich weiß auch, daß die dem Denken und Empfinden gemäße Wortfolge überhaupt wichtiger; und daß ihre Zerstörung ins Besondere der Darstellung sehr nachtheilig ist. Es scheint, bey dem ersten Hinblicke, nur ein kleiner Umstand zu seyn, daß in den Sprachen der Alten so manches Wort mit lauter Längen, oder lauter Kürzen ist; und doch hat dieß diesen Sprachen einen sehr unterscheidenden Zug, und zugleich einen gegeben, der sie, von dieser Seite, unter die neuern herabsetzt.

Der Dichter hat vornämlich vier Ursachen, warum er die Wortfolge ändert:

  • 1) „Er will den Ausdruck der Leidenschaft verstärken;
  • 2) etwas erwarten lassen;
  • 3) Unvermuthetes sagen;
  • 4) dem Perioden gewisse kleine Nebenschönheiten geben, wodurch er etwa mehr Wohlklang, oder leichtere und freyere Wendungen bekömmt."

Ich nenne dieß die Grundsätze der Leidenschaft, der Erwartung, des Unvermutheten, und der Nebenausbildung.

Der erste Grundsatz wird wohl so am kürzesten und deutlichsten ausgedrückt: Wessen das Herz am vollsten ist, davon geht der Mund am ersten über.

Nach dem zweyten wird das Wovon, weiter als gewöhnlich ist, vom Anfange des Satzes entfernt. Es versteht sich, daß der Gegenstand verdienen müsse, so unterschieden zu werden.

Unsere Sprache zeigt schon darin einen Hang Erwartung zu veranlassen, daß sie das Beywort vor die Benennung, und die Modifikazion vor das Modifizirte setzt. Als unaussprechlich elend.

Da, wegen des Nach und nach der Sprachen, erregtes Erwarten überhaupt in ihrer Natur liegt; so scheint mir diejenige Sprache Vorzüge zu haben, die auf diesem Wege weiter als andere fortgehen kann.

Nach dem dritten kömmt da noch etwas hinzu, wo die gewöhnliche Wortfolge nichts mehr vermuthen ließ. Als: Hermann richtete in der ersten Siegsfreude ein unordentliches Denkmal von Schilden, Schwertern und Lanzen auf, und von den Adlern der Legionen.

Das Hinzukommende muß wichtig genung seyn, um so ausgezeichnet zu werden.

Ein Dichter, der den vierten Grundsatz nicht unrichtig anwenden will, muß viel kleine, aber genaue und wahre Unterschiede machen können, und stark in der Sprache seyn. Denn sonst mislingen ihm diese letzten Ründungen des Perioden so sehr, daß sie Auswüchse werden. Viele unserer neuesten, und in andern Betrachtungen schönen Werke sind voll von solchen Auswüchsen. Und das verunstaltet denn doch gleichwohl die größeren Schönheiten.


[der komplette Text des Fragments]


Anmerkung

(*) Dieß Fragment ist eine Stelle aus meiner Grammatik


Quelle

  • Klopstock: Fragmente über die deutsche Sprache. VI. Von der Wortfolge. In: ‪Klopstock's sämmtliche Werke, ‬10 Bd. Leipzig: Göschen. 1. Auf. 1844-45 2. Aufl. 1854-55. 9. Band. Sprachwissenschaftliche Schriften. (1845 / 1855). S. 418-424