Romantisch (Novalis)

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Bedeutender Zug in vielen Märchen, daß, wenn ein Unmögliches möglich wird - zugleich ein andres Unmögliches unerwartet möglich wird - daß wenn der Mensch sich selbst überwindet, er auch die Natur zugleich überwindet - und ein Wunder vorgeht, das ihm das entgegengesetzte Angenehme gewährt, in dem Augenblicke, als ihm das entgegengesetzte Unangenehme angenehm ward. Die Zauberbedingungen; z. B. die Verwandlung des Bären in einen Prinzen, in dem Augenblick als der Bär geliebt wurde usw. Auch bei den Märchen der beiden Genien. Vielleicht geschähe eine ähnliche Verwandlung, wenn der Mensch das Übel in der Welt lieb gewönne - in dem Augenblicke, als ein Mensch die Krankheit oder den Schmerz zu lieben anfinge, läge die reizendste Wollust in seinen Armen - die höchste positive Lust durchdränge ihn. Könnte Krankheit nicht ein Mittel höherer Synthesis sein? - Je fürchterlicher Schmerz, desto höher die darin verborgene Lust. (Harmonie.) Jede Krankheit ist vielleicht ein notwendiger Anfang der innigern Verbindung zweier Wesen - der notwendige Anfang der Liebe. Enthusiasmus für Krankheiten und Schmerzen. Tod - eine nähere Verbindung liebender Wesen.

Poetik des Übels.

Fängt nicht überall das Beste mit Krankheit an? Halbe Krankheit ist Übel - ganze Krankheit ist Lust - und zwar höhere.

Über die anziehende Krankheit des Übels.

Oder ließe sich das Übel in der Welt vertilgen, wie das Böse ? Soll etwa die Poesie die Unlust - wie die Moral das Böse vertilgen?

Übergang des guten Herzens zur Tugend - geht der nicht durch das Böse? - nein, aber durch die Philosophie

Es gibt nichts absolut Böses und kein absolutes Übel. - Es ist möglich, daß der Mensch sich allmählich absolut böse macht - und so allmählich auch ein absolutes Übel schafft - aber beides sind künstliche Produkte - die der Mensch nach Gesetzen der Moral und Poesie schlechthin annihilieren soll - nicht glauben - nicht annehmen. Nur durch Meinung (welche ein aus Glauben entsprungnes, schaffendes Wissen ist) entsteht und besteht Übel und Böses.

Da Subjekt und Objekt eins sein sollen (nicht sind), vereinigt werden sollen - so wird das scheinbar objektiv Böse, das Übel, und das scheinbar subjektive Übel, das Böse usw. auch vereinigt werden und dadurch ipso facto beides für die tugendhaften Dichter vernichtet, weil sie eins mit dem andern notwendig annihi1ieren. Auf einer gewissen Stufe des Bewußtseins existiert jetzt schon kein Übel usw. - und dieses Bewußtsein soll das permanente werden.

So soll auch der Philosoph den Standpunkt des gemeinen Bewußtseins als den Grund alles logischen Übels der Unwahrheit allmählich annihi1ieren - welches eben dadurch geschieht, daß er den höhern Standpunkt zum herrschenden und endlich einzigen zu machen sucht.

Durch Annihilation des Bösen usw. wird das Gute realisiert - introduziert, verbreitet.

Alles Übel und Böse ist isolierend (es ist das Prinzip der Trennung) durch Verbindung wird die Trennung aufgehoben und nicht aufgehoben - aber das Böse und Übel als scheinbare Trennung und Verbindung wird in der Tat durch wahrhafte Trennung und Vereinigung, die nur wechselseitig bestehn, aufgehoben.

Ich vernichte das Böse und Übel usw. durch Philosophieren - Erhöhung - Richtung des Bösen und Übels auf sich selbst, welches beim Guten und der Lust usw. gerade umgekehrt der Fall ist. (Böse Behandlung des Bösen - Kriminaljustiz.) (Anwendung des Grundsatzes Minus mit Minus usw.) [1463]


Elemente des Romantischen. Die Gegenstände müssen wie die Töne der Äolsharfe da sein, auf einmal, ohne Veranlassung - ohne ihr Instrument zu verraten. [1469]


Von Gott nur recht einfach, menschlich und romantisch gesprochen. [1470]


Quelle

Novalis: NEUE FRAGMENTE. Die Enzyklopädie. VI. Abteilung. DIE PHILOLOGISCHEN WISSENSCHAFTEN. 2. Poetik


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