Reinecke, Bertram

Aus Lyrikwiki



Bertram Reinecke, geboren 1974 in Güstrow (Meckl.), deutscher Autor, Verleger, Kritiker.


Biographisches

Bertram Reinecke, geboren 1974 in Güstrow, wuchs in Mecklenburg auf und studierte zunächst Germanistik, Philosophie und Psychologie in Greifswald. Seit Herbst 2000 in Leipzig. 2006 Diplom am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Betreibt dort seit 2009 den Verlag Reinecke & Voß.


Organisation von Lesereihen und Festivals

  • Festival „Blickwinkel-Import“ Leipzig Berlin Greifswald 2003
  • Lesereihe für neuartige Literatur in der GfzK Leipzig 2006
  • Buchmessenprogramm des Kinos Cineding 2007
  • Projektleiter der Festivals „textenet.de“ 2009 und 19. sächsischer Literaturfrühling 2010
  • Festival "Poetische Horizonte. Dichter Lyrikverlage Literaturwissenschaft" Greifswald 13.-16.11. 2014

Einzelpublikationen

  • An langen Brotleinen. Greifswald: Verlag Wiecker Bote, 2000
  • Chlebnikov am Meer. Stralsund: KunstLeuteKunst, Weiße Reihe, 2004
  • Engel oder Pixel. Berlin: Schockedition Distillery  2012
  • Sleutel voor de hoogduitsche Spraakkunst. rougbook 19 Urs Engeler 2012
  • Gruppendynamik. Berlin: Verlagshaus J. Frank, 2013
  • Gleitsichtwochen. Gedichte. Dresden: Literarisches Dresden e.V. / Edition BuchHaus Loschwitz, 2014. ISBN-10: 3981621034. ISBN-13: 978-3981621037. 32 S.
  • Mitlesebuch 141. Bertram Reinecke: Sonette. Monika Rinck: Zeichnungen. München: Aphaia, 2017
  • Geschlossene Vorgänge - Über einige biographische Artefakte etc. Schupfart: Urs Engeler, 2022, ISBN 978-3-907369-04-3.
  • sowie: „Pauluskantate“ (Text für eine Kantate von Johannes X. Schachtner, Musikverlag Siekorski 2011) und Kunstbücher zuletzt: Annegret Frauenlob „Dylan Thomas Do Not Go Gentle Into That Good Night in vier Fassungen von Bertram Reinecke“ (38x38 cm Farbholzschnitt Handsatz Leinengebunden in Kassette) Axel Möbest 2012

Gedichte, Prosa und Essays in Anthologien wie "Quellenkunde“ und „Jahrbuch der Lyrik“ (hg. von Christoph Buchwald und Ulf Stolterfoht), S. Fischer Verlag, zuletzt in Versnetze 5 (Verlag Ralph Liebe 2012), Lyrikkalender 2013, Lyrikkalender für junge Leser 2013, sowie „Schlafende Hunde“ (Edition Ost 2012) und Zeitschriften, z.B Akzente, Bella Triste, Cynal, Floppy Myriapoda, Ostragehege, Plumbum, Poet, Wiecker Bote, Zwischen den Zeilen.

Außerdem erschienen poetologische sowie literatur- und sprachkritische Arbeiten unter anderem in Akzente, BELLA triste, Message und beim Hessischen Rundfunk sowie im Internet (u.a. Lyrikkritik, Poetenladen, L&Poe) und Büchern (z.B. Gegenstrophe, Umkreisungen) und einige radiophone Arbeiten bei verschiedenen Regionalradios sowie Vorlagen zu Werken der zeitgenössichen Musik. z.B. „Sestinen über Vergänglichkeit“ von Khadija Zeynalova (ausgezeichnet bei den Klangwerktagen Hamburg 07) /  Kantate nach Texten der Gründungsurkunde der Universität Leipzig von Franziska Tannert. (Uraufführung im Rahmenprogramm des 600jährigen Jubiläums der Leipziger Universität.) / „Walkman“ für Sologesang und Orchester von Mathias Monrad Møller, UA 2011 Frankfurt, Texte für „Leipziger Liederbuch“ von Johannes X. Schachtner UA 2011 München

Über Reinecke

Bertram Reinecke kam zum Schreiben und an die Universitäten schon mit einem beträchtlichen Lesevorrat. "Gedichtgedichte" steht so im Untertitel seines zweiten Bandes, aber das Wort trügt doch. Oder es wird gern aus Wahrnehmungsschwäche und Denkträgheit falsch verstanden, ähnlich wie Majakowskis Wort von Chlebnikow als Dichter für Produzenten. Nicht Metadichtung und Elite ist da gemeint sondern Professionalität im Verfertigen (verbunden mit der Forderung nach Neugier und Aufgeschlossenheit des Lesers). Die verschiedenen Texterzeugungsmuster wie Cento, Nachdichtung, Parodie, Vokalspiel, Formen wie Reim und Metrum, Sonett oder Villanelle finden sich schon in den ersten Bänden, vielleicht fallen Odenstrophen weg, kommt das Nykur hinzu. Die auffälligste Neuerung ist technischer Natur im Zusammenhang mit Computerprogrammen und riesigen Datenspeichern, die er bewußt einsetzt. Vor allem aber geht die Bewegung weg vom immer noch partiell konventionell Goutierbaren ("gereimte Vanitasgedichte") hin zu stärkerer Zumutung und Irritation - nach Autor- und Leserseite.

Daß der Dichter in einer Spätzeit lebt, ist ein seit dem 19. Jahrhundert immer wieder aufgegriffener Gedanke. Von Fin de siècle bis Postmoderne eine Kette des Zuspätkommens. Vielleicht ist über ein Jahrhundert ja lang genug um diese Verortung zu überdenken. Französische, Berliner, Wiener Moderne, das ist Stoff an den Universitäten. Aber läßt sich Rimbaud da wirklich einordnen? Wo gehören Dada und Surrealismus hin? Ist Brecht etwa Heine-, Neruda Baudelaire-, Jandl Holzepigone? Leben wir literarisch etwa doch nach dem Ende der Geschichte? Will sagen, während akademische Lehre und Kritik von schalen Gewißheiten zehren und sich wie bei manchem sogenannten Expressionisten ebenso wie bei den Hineingeborenen der Jahrhundertmitte (ich nenne Celan) jeder Ausbruchsversuch in den bilderreichen Schoß der vor 60 Jahren von Enzensberger beschriebenen "Weltsprache der modernen Poesie", die der endgültig in sein Museum verbannen wollte, zurückverlief oder ihm nicht entkam und noch in der jungen Lyrik des beginnenden 21. Jahrhunderts die Metaphernsprache des 19. Jahrhunderts Triumphe feiert bei Lesern, Kritik und Juroren, gab und gibt es Gegenbewegungen, Ausbruchsversuche und Erratiker im 20. wie im 21. Jahrhundert in jeder Generation. So wohl erklärt sich auch Reineckes Formulierung von einer "schroffen Antithese zu den lyrischen Diskursen meiner Zeit". Es wäre zu einfach, einzelne traditionelle Elemente (Gattungen, Reime, Motive) zu konstatieren, je nachdem lobend oder tadelnd. Man muß schon unterscheiden zwischen der Tendenz, mit traditionellen Formen konventionelle Muster zu reproduzieren und der gegenläufigen, diese im Ver- und Be-fremdlichen einzusetzen. Reinecke experimentiert (der Diskurs spricht da gern wohlig schaudernd oder angeödet von Avantgardeschubläden vergangener Jahrhunderte) mit Textgenerierungs- und -beeinflussungsmustern, die ein Sicheinrichten verhindern oder befragen wollen.

Wie in der Machart und Gestalt seiner Gedichte löckt er in Essays gegen den Stachel und versucht verhärtete Diskurse zu unterlaufen, Autoritätsglauben zu desavouieren, hartnäckige Mythen zu dekonstruieren (wie hier im Gespräch* der Bennsche Topos von den "fünf oder sechs guten Gedichten" oder wie der Gemeinplatz von der Zweckfreiheit moderner Kunst. Werfen wir die gemeinplätzigen Oppositionen der letzten zwei Jahrhunderte (Realismus versus Formalismus, experimentelle versus Reallyriker, akademisch versus volkstümlich, profan versus pontifikal, absolute versus politische Kunst etc. ) auf den Müllhaufen, wo sie hingehören, und lesen wir unbefangen die Gedichte von (die jetzt folgende Auswahl ist willkürlich und gewiß boshaft) Thomas Kunst und Konstantin Ames, Ann Cotten und Paulus Böhmer, Monika Rinck und Elke Erb, Rudolph und Allemann, Egger und ... ... und Reinecke. (Und auch die hier Nichtgenannten und sogar die nicht Gedachten würden von Ballast frei... wenn wir uns dazu vermöchten.)


  • Dieser Text vom Wikiop wurde für die Zeitschrift Ostragehege verfaßt, zu einem Interview, das Armin Steigenberger mit Bertram Reinecke führte, und erschien in Heft 69, 2013. Das Gespräch kann hier nachgelesen werden.