Der Wolkenhändler

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Der Wolkenhändler – Klavki

„Der Wolkenhändler“ ist Titel sowie (eine) Hauptfigur eines Prosatextes des Kieler Dichters Klavki und wurde unter anderem auf Poetry Slams vorgetragen, wo er den ersten Preis gewann.


Entstehungsanekdote:

Ursprünglich ist „Der Wolkenhändler“ eine Notlüge gewesen. Sie diente Klavki (alias Oliver Eufinger) als Vorwand, seinen besten Freund H. nach Rostock zu locken. Da H. nicht glauben wollte, dass Klavki geheiratet hatte und ihn aus diesen Gründen zu sich einlud, erfand Klavki die anscheinend glaubwürdigere Geschichte, dass er eine Freundschaftshymne auf seinen besten Freund geschrieben hätte mit dem Titel „Der Wolkenhändler“ und ihn eigentlich damit bei einer Lesung überraschen wollte. H. reiste also glücklich und erwartungsfroh nach Rostock und erzählte bereits im Zug dahin, später in Rostocker Kneipen und Bars dutzenden Leuten, dass es einen literarischen Text über ihn namens „Der Wolkenhändler“ gebe und doch alle mit ins Literaturhaus Rostock kommen sollten, um ihn sich anzuhören. Wie H. zur Wahrheit fand und reagierte, ist eine andere Geschichte und soll ein andernmal erzählt werden… Aber plötzlich geisterte in den Köpfen der Menschen die Idee vom „Wolkenhändler“ herum ohne, dass er in Wirklichkeit existierte. Das faszinierte Klavki und mit den Gedanken, tatsächlich eine Art Hommage auf seinen Freund zu schreiben, entstand die erste Fassung.


Auszug:

»Ach, weißt du, Klavki« – und er sagte vorneweg immer: »Klavki: Die Beweise für den Tod sind doch rein statistisch und jeder von uns läuft Gefahr, der erste Unsterbliche zu sein!« So war er. Meistens trafen wir uns in der Kneipe; schwatzten und tranken. Er war beileibe kein Weinkenner, aber umso mehr ein außerordentlicher Weintrinker. Er hatte die Gicht in den Fingern und die Gischt im Hirn: »Klavki, ich finde, Geistesgesundheit ist eine Art Stumpfsinn. Wag es doch mal ernsthaft zum Gegenwärtigen passend zu denken! Die Welt ist doch selbst in allen Fürzen gerecht. Mir scheint, dass die Menschen mehr Schuldgefühle über Erdbeben empfinden als über Kriege, die sie selber anzetteln. Die Welt ist verrückt: Ich zum Beispiel sammle Schimpfworte aus abgelegenen und wenig bekannten Sprachen, wenn ich träume, träume ich von destilliertem Wasser, außerdem verbiete ich Menschen vor mir Worte wie „Mehlschwitze“ zu verwenden. Manchmal habe ich das Bedürfnis, aus Leibeskräften FALSCH zu singen oder mir in aller Ruhe ein Werbeplakat anzuschauen. Ich möchte genau dann aus meiner Wohnung ausziehen, wenn alle mein Weingläser zerbrochen sind. Ich möchte am Meer sitzen, ohne es zu brauchen. Ich habe die Angewohnheit, selbst in einem stummen Selbstgespräch mit mir rhetorisch zu werden. Ich habe das Gefühl von Henkersmahlzeit, wenn ich Gummipflanzen sehe. Ich finde, man sollte anstatt dreimal zu überlegen, ob man anruft, dreimal anrufen. Ich würde gern meine Freunde vererben und ich weiß, dass man in zwei Minuten alles verschweigen kann, was es zu sagen gibt. Es ist eine krautige Stille in Deutschland, Klavki!, und den klugen Dingen in diesem Land fehlt meistens die Sehnsucht. Tja, Wünsche allein sind noch kein Leben. Aber wer zu verzichten erst mal angefangen hat, der ist auf Ungerechtigkeiten festgelegt, wer in die Erdgebundenheit zurückfällt, der gibt damit auch die Schwerelosigkeit auf. Deswegen sollten wir unseren Sünden immer um Haaresbreite zuvorkommen, unsere Wünsche satteln, unsere Träume pflücken, von Zeit zu Zeit unsere Stiefel voll Hirn in den Regen stellen, damit es ein Gehen wird, ein Großes, weit über die Grenzen, die sie uns sonst ziehen hinaus – immer die Auflehnung vor uns her atmend, immer bis zum ungenießbaren Kern eines Gedankens vorstoßend, immer wissend, jeder Mensch ist der Beste in seiner Haut, immer wissend, Erfahrung ist immer eine Parodie auf die Idee, frei nach Shakespeare leben: Tu Gutes und wirf es ins Wasser, frei nach der Devise, ich bin nicht, was ich bin, ich bin, was ich tue, und frei nach dem Motto, wir dürfen unser Leben nicht beschreiben wie wir es leben, sondern müssen es so leben, wie wir es erzählen würden … Sag mir, Klavki: Wann warst du das letzte Mal atemlos – vom Denken?« Gerade eben, hätte ich gern gesagt. Aber er sprach immer so und ich wusste nicht, sprach er nur wie ein Buch oder sprach er durch Bücher oder sprach er wie aus Büchern …


Versionen:

»Es ist Zeit einen Punkt zu machen, über den kein Wort hinausreicht. Nur noch die weiße Fläche wächst.«  Klavki ist bekannt dafür gewesen, dass seine Texte selten zu einer Endfassung gelangt sind, sondern immer wieder im Laufe der Jahre abgeändert und entwickelt wurden. Mit seinem Tod ist dieser Gestaltungswandel nun zu Ende. Die Fassungen, auf die derzeit zurückgegriffen werden kann, sind:

1. Die aufgezeichnete Livelesung [1] vom Forum der 13.

2. Im Eigendruck erschienen (vergriffen). Klavki: Der Wolkenhändler. Kiel, 3. (unveränderte) Auflage 2009, kielstehtauf. Mit Zeichnungen von Kathrin Bettin.

3. Sehr frühe, verkürzte Version (und schlecht von den Betreibern der Seite abgetippt, siehe Rechtschreib- und Kommatafehler!) zu finden auf: www.literatur.ch [2]


Pressestimmen:

»Das Klavkische Wirkungsquantum: „Ich schrieb und schrieb und schrie und schreie und schreibe ...“, mit solcher Ellipse auf kleinstmöglichem sprachlichen Quantensprung hebt der Sieger-Text beim Prinz Willy Prosa Cup an. Ein Text weit entfernt vom wörtchenden Wirkungstrinken bei Poetry Slams, wo oft die Performance mehr zählt als die Poesie – ein Text von Klavki. [...] „Verdachtszauber“, „Paradoxonrhetorik“ „wahrheitsgewortspielt“ gegen das „Liliputgewieher“ der Literaturhäuschenverwalter trägt am Ende den Sieg davon. Das Klavkische Wirkungsquantum ist ähnlich revolutionär wie seinerzeit das Heisenbergsche in der Physik. Hier ist ein zukünftig Großer am Wortwehr und -werk, der selbstkritisch meint, er habe damit nur auf publikumsrelevante Wirkung geschrieben. Doch so poetologisch manifesthaft schwerverdaulich seine Philippika gegen das Bilder und vordergründigen Sinn Machen der Literatur ist, so einnehmend wirkt sie auf gebannte Zuhörer. Keine Performance-Leistung, sondern eine der Poesie, deren sackgassiger Verborgenheitswille so manchen fasziniert und für Klavki stimmen lässt. Ein Sieg für qualitative Literatur – und nicht zuletzt für die Veranstalter assembleART, die die Kieler Literaturen mit dem Prosa Cup wirksam voran gebracht haben.« 

- Kieler Nachrichten -


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