Böhmische Zeitschriften (Goethe, 1830)

Aus Lyrikwiki

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Zeitschriften. Neben der böhmischen Sprache besteht die deutsche jetzt als eine wirklich einheimische in Böhmen und hat im wissenschaftlichen und gebildeten Lebenskreise entschiedenes Übergewicht. Die meisten Bücher und Zeitschriften erscheinen in ihr. Allein die böhmische Sprache besteht auch ihrerseits in voller Kraft, und Bücher, Zeitschriften und Flugblätter für das Volk werden häufig in ihr gedruckt. Beide Sprachen vereinigend und vermittelnd, indem sie keine derselben verabsäumt, wirkt die "Gesellschaft des vaterländischen Museums" besonders auch durch ihre beiden Zeitschriften ein, von denen wir die deutsche hier ausführlich in Betracht haben, die böhmische aber, welche der Lage der Sachen gemäß in minder zahlreichen Heften erscheint, nach dem davon mitgeteilten Inhaltsbericht als höchst bedeutend und schätzbar ansprechen müssen.

Die Erhaltung und Belebung einer Literatur, deren Sprache sich in engeren Grenzen abschließt, geraume Zeit fast nur dem unteren Volk überlassen war und mit einer teilweise eingebürgerten, über große Länder weithin verbreiteten Staats- und Bildungssprache zu wetteifern hat, ist ein gewiß preiswürdiges Bemühen, das ebensoviel Selbstverleugnung als Kraft und Geschick fordert. Der Reichtum an Mitteilungen aus der ältern böhmischen Literatur, die ja auch eines klassischen Zeitalters sich rühmen kann, muß freilich stets die Grundlage solcher Bemühungen sein. Denkmäler der alten Sprache in Prosa und in Versen, Geschichtserzählungen, Sammlungen von Sprichwörtern, Briefe, Reisebücher, Heldenlieder und Volksgesänge werden mit sorgfältigem Fleiß zum Druck befördert. Indes schließen sich an diesen Kern schon genug neuere Arbeiten an, Gedichte mannigfacher Art, historische, kritische und sogar philosophische Aufsätze. Palacky, der die Herausgabe auch dieser Zeitschrift besorgt, Dobrowsky, Hanka, Tschelakowsky, Kollar, Sedlatschek, Swoboda und andre bilden eine tüchtige Reihe neuböhmischer Schriftsteller, auf deren Schultern die Fortbildung der nationalen Literatur und Sprache schon hinreichend emporgetragen scheint, um gegen die Fluten der Zeit einstweilen gesichert zu sein.

Nicht ohne Verwunderung findet man unter den ins Böhmische versuchten Übersetzungen nebst einem Aufsatz von Franklin und einigen Elegien von Tibull auch Pindars erste olympische Siegeshymne aufgezählt, und daß letztere als dem Versmaße der Urschrift genau entsprechend angegeben ist, darf von dem Reichtum und der Biegsamkeit der böhmischen Sprache sowie von dem Talent des Übersetzers Machatschek eine geringe Vorstellung erwecken.


Quelle: Goethe, Berliner Ausgabe. Bd. 18: Kunsttheoretische Schriften und Übersetzungen. Schriften zur Literatur II. Aufsätze zur Weltliteratur. Maximen und Reflexionen. Berlin u. Weimar: Aufbau, 1972, S.447f.