Insistierende Nennung
Der Begriff insistierende Nennung wurde von Conrady geprägt, der sie in die Tradition lateinischer Dichtung stellt.[1] Er unterscheidet zwischen der insisterenden Nennung im engeren und weiteren Sinn. Das Zusammentreten von vielerlei Aussagen um einen thematischen Kern ohne sprachstilistische Besonderheiten macht die insistierende Nennung im weiteren Sinn aus. Somit kann erst durch eine Interpretation das Verharren des Dichters erkannt werden. Die Häufung von gleichen Satzteilen, Satz- und Satzgliedreihungen bezeichnet Conrady als insistierende Nennung im engeren Sinn.[2]
Auf Nacht, Dunst, Schlacht, Frost, Wind, See, Hitz, Süd, Ost, West, Nord, Sonn, Feur und Plagen Folgt Tag, Glanz, Blut, Schnee, Still, Land, Blitz, Wärm, Hitz, Lust, Kält, Licht, Brand und Not. Auf Leid, Pein, Schmach, Angst, Krieg, Ach, Kreuz, Streit, Hohn, Schmerz, Qual, Tück, Schimpf als Spott Will Freud, Zier, Ehr, Trost, Sieg, Rat, Nutz, Fried, Lohn, Scherz, Ruh, Glück, Glimpf stets tagen. [...] (Quirinus Kuhlmann 1671: Der XLI. Liebeskuß Der Wechsel menschlicher Sachen)[3]
Man versteht unter insistierender Nennung im weiteren Sinn ein wichtiges Stilmittel in der barocken Lyrik, welches durch Amplifikationen konstituiert ist. Dabei wird eine Aussage durch die weiterführende Betrachtung aus verschiedenen Perspektiven ausgestaltet und erweitert.[4]
Das Leben ist Ein Laub, das grunt und falbt geschwind. Ein Staub, den leicht vertreibt der Wind. Ein Schnee, der in dem Nu vergehet. Ein See, der niemals stille stehet. [...] (Georg Philipp Harsdörfer 1650: Das Leben des Menschen)[5]
Mit der Mehrfachbetrachtung kann auch eine Steigerung (Klimax) einhergehen. Des Weiteren sieht Niefanger vor allem in galanter Lyrik, die in der Tradition des Petrarkismus' steht und die Verehrung der Frau in den Mittelpunkt stellt, eine häufige Verwendung der instierenden Nennung.[6]
Mund! der die Seelen kann durch Lust zusammen hetzen, Mund! der viel süßer ist als starker Himmelswein, Mund! der du Alikant des Lebens schenkest ein, Mund! den ich vorziehn muß der Inden reichen Schätzen, [...] (Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau 1695: Auf den Mund)[7]
Das Verharren des Dichters auf einem Punkt galt in der Goethezeit als veraltet. Vielmehr verfolgte man zu der Zeit die Vorstellung vom Gedankenfluss, die Fortführung von Gedanken in einem Gedicht. Doch die Idee der insistierenden Nennung wurde in der modernen Lyrik wieder aufgenommen. Die sogenannten Listengedichte lassen sich beispielsweise in der konkreten Poesie und im Expressionismus bei Gottfried Benn finden.
Was schlimm ist Wenn man kein Englisch kann, von einem guten englischen Kriminalroman zu hören, der nicht ins Deutsche übersetzt ist. Bei Hitze ein Bier sehn, das man nicht bezahlen kann. Einen neuen Geadanken haben, den man nicht in einen Hölderlinvers einwickeln kann, wie es die Professoren tun. Nachts auf Reisen Wellen schlagen hören und sich sagen, daß sie das immer tun. Sehr schlimm: eingeladen sein, wenn zu Hause die Räume stiller, der Café besser und keine Unterhaltung nötig ist. Am schlimmsten: nicht im Sommer sterben, wenn alles hell ist und die Erde für Spaten leicht. (Gottfried Benn)[8]
[1] Conrady 1962, S. 129. „Der Terminus [insistierende Nennung] ist nicht gerade glücklich, aber mir steht kein besserer zu Gebote.“
[2] Conrady 1962, S. 129f.
[3] Conrady (Hg.) 1995, S. 61.
[4] Szyrocki 2003, S. 56.
[5] Conrady (Hg.) 1995, S. 44.
[6] Niefanger 2000, S. 92f.
[7] Conrady (Hg.) 1995, S. 63.
[8] Schuster (Hg.) (1986): S. 264.
Literatur
Conrady, Karl Otto (1962): Lateinische Dichtungstradition und Deutsche Lyrik des 17. Jahrhunderts. Bonn (Bonner Arbeiten zur deutschen Literatur 4).
Conrady, Karl Otto (Hg.) (4. Auflage 1995): Das große deutsche Gedichtbuch von 1500 bis zur Gegenwart. Zürich/Düsseldorf.
Niefanger, Dirk (2000): Barock. Lehrbuch Germanistik. Stuttgart/Weimar.
Schuster, Gerhard (Hg.) (1986): Gottfried Benn: Sämtliche Werke. Band 1. Gedichte 1. Stuttgart.
Szyrocki, Marian (2003): Die deutsche Literatur des Barock. Eine Einführung. Stuttgart.